Schriften
des
Hannah-Arendt-Instituts
für
Totalitarismusfor
schung
Herausgegeben von Günther Heydemann
Nach den
Diktaturen
Der
Umgang
mit
den
Opfern
in
Europa
Band 59
Herausgegeben
von
Günther
Heydemann
und
Clemens
Vollnhals
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
O.rt..tt""Ñ"i"nalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind
im Internet über http://dnb'd-nb'de abrufbar' ISSN 2198-7459
ISBN 978-3-525 -3697 1-5
Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter www'v-r'de'
Vorwort
Der vorliegende Band basiert auf einer internationalen Tagung, die vom 27. bis
29.1¡¡6¡i2013 anlässlich des 2O-jährigen Bestehens des Hannah-Arendt-Instituts
für Totalitarismusforschung e.V. (HAIT) an der Technischen Universität
Dres-den stattfand'
Das Hannah-Arendt-Institut, dessen Gründung
auf
einen Beschluss desSächsischen Landtags zurückgeht, ist in besonderer Weise der Erforschung der
NS- und der SED-Diktatur verpflichtet.
Z!
seinen satzungsgemäßen Aufgabengehört es, ,,das Andenken an die Opfer bewahren zu helfen und durch
wissen-schaftliche Untersuchungen zu unterstützen".
Insofern war die Wahl des Konferenzthemas naheliegend. Europa erlebte im
20. fahrhundert sehr unterschiedliche Diktaturen: die faschistische
in
Italienund die nationalsozialistische in Deutschland (ab 1958 auch in Österreich), die
Militärdiktaturen
in Spanien, Portugal
und Griechenland sowie diekommu-nistischen Diktaturen, die nach 1945 in den Staaten des von der Sowjetunion
beherrschten Ostblocks etabliert wurden. Der politische und gesellschaftliche
Umgang mit den Opfern diktatorischer Gewalt und Repression sollte auf
die-ser Konferenz länderübergreifend analysiert werden. Die Leitfrage war: Welche
Anerkennung erfuhren die Opfer nach dem Fall der jeweiligen Diktatur,
wel-che Formen der Rehabilitierung und Entschädigung gab es in den betreffenden
Ländern?
In
der Zusammenschau ganz unterschiedlicher Verlaufsformen undErgebnisse ergibt sich eine vergleichende Perspektive, die viel über den Zustand
von postdiktatorialen Gesellschaften aussagt und eventuell zur Ausbildung
ei-nes gesamteuropäischen Geschichtsbewusstseins beitragen kann
-
so jedenfallsdie Hoffnung der Herausgeber.
Die Auftakweranstaltung fand im Plenarsaal des Sächsischen Landtags statt
und wurde mit einer Ansprache des Landtagspräsidenten und Mitbegründers
des HAIT Dr. Matthias Rößler eröffnet, gefolgt von einem Grußwort der
Staats-ministerin für Wissenschaft und Kunst Prof. Dr, Dr. Sabine Freifrau von
Schor-lemmer. Den Festvortrag hielt der ungarische Dissident, Schriftsteller und
His-toriker György Dalos.
An dieser Stelle möchten wir allen Referenten herzlich danken. Unser Dank
gilt auch den Mitarbeitern, die hinter den Kulissen die Konferenz
organisato-risch mit vorbereitet haben. Für die redaktionelle Mithilfe bei der Drucklegung
der Beiträge danken wir Robin Reschke und Tina Kreller.
Günther Heydemann/ Clemens Vollnhals
Mit 2 Grafiken und 6 Tabellen.
Umschlagabbildung: Statue der fustitia in Bamberg
Bild: picture alliance/ David Ebener
@2oli,Vandenhoeck&RuprechtGmbH&Co.KG,Theaterstraße13,37073Göttingen/
Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol' cT' U'S A'
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Jede Velwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedatf der
vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages' Ptinted in GermanY.
Satz: Hannah-Arendt-Institut, Dresden
Druck und Bindung: @ Hubert & co GmbH & co. KG, RoberrBosch-Breite 6,37079 Göttingen
Inhalt
I. Faschistische Diktaturen 9
Federico Scarano
Der Umgang mit den Opfer der
faschistischen Diktatur in Italien
ll
Constantin Goschler
Der Umgang mit den Opfern des
Nationalsozialismus in Deutschland nach 1945 27
Stefan Karner
Die Opfer des Nationalsozialismus in Österreich.
Opferfürsorge und,,Wiedergutmachung" 47
II. Militärdiktaturen 55
Wqlther L. Bernecker
Der Umgang mit den Opfern von Gewalt und
Repression im nachfranquistischen Spanien 57
António Costa Pinto und Filipa Raimundo
Die Opfer der Salazar-Diktatur. Der Umgang mit den Opfern und
Tätern im demokratischen Portugal 81
Heinz A. Richter
Griechenland
-
ein Sonderfall 107IlL
Kommunistische Diktaturen 125Clemens Vollnhals
Rehabilitierung und Entschädigung
der Opfer der SED-Diktatur 127
Karel Vodiðka
8 Inhalt
þtus laskulowski
Polen
-
Transitional fustice Policy nachder Friedlichen Revolution 1989
Krisztión Ungváry
Der Umgang mit der kommunistischen Vergangenheit
in der heutigen ungarischen Erinnerungskultur
Claudia Matthes
Opfer und Opferverbände in Lettland
-erneut Opfer einer doppelten Deutung der Geschichte?
173 189 209 233 263 281, 283 287 Elena Zhemkova
Zwischen Mitgefühl und Gleichgültigkeit
-die Rehabilitierung der Opfer sowjetischer Verfolgungen
Günther Heydemann
Wiedergutmachung und Entschädigung
nach dem Ende des Zweifen Weltkrieges. Vergleichende Überlegungen
IV. Anhang
Abkürzungsverzeichnis Autorenverzeichnis
Die Opfer
der Salazar-Diktatur.
Der
Umgang
mit
Opfern
und
Tätern im
demokratischen Portugal
António Costa Pinto und Filipa Raimundo"
Einleitung
Bei der
juristischenund
gesellschaftlichen Aufarbeitungvon
Unrecht undVerbrechen einer Diktatur (transition justice) lassen sich während der
Über-gangsperioden zwei Haupttypen unterscheiden: Ansätze, die in erster Linie
tä-terorientiert sind, und solche, die
in
erster Linie opferorientiert sind. Ersterebeinhalten sowohl strafrechtliche als auch nicht-strafrechtliche Verfahren, um
diejenigen, welche Verbrechen begangen oder der Diktatur zugearbeitet haben, zu bestrafen bzw. von der Bestrafung auszunehmen. Dazu gehören
Strafuerfah-ren, Überprüfungen, Zwangsexil oder Amnestien. Letztere beinhalten diverse
mögliche Maßnahmen, von Ausgleichszahlungen bis zu Bitten um
Entschuldi-gung, was darauf abzielt, Schuld anzuerkennen, die Erinnerung zu bewahren
und denen, die während der Diktatur Verfolgung und Folter erlitten haben, ei.
nen finanziellen Ausgleich zu gewähren.1
Vor dem Hintergrund dieser Unterscheidung lassen sich
in Portugal
zweiwesentliche Phasen
im
Prozess der Vergangenheitsbewältigungidentifizie-ren. Die erste Phase erstreckte sich über
zweilahre,von
L974 bis 1976, undwar in der Hauptsache durch täterorientierte Maßnahmen gekennzeichnet,
um diejenigen zu bestrafen, die Verbrechen begangen und der Diktatur
zu-gearbeitet hatten. Dieser Prozess beinhaltete Militärstrafverfahren (gegen die
Angehörigen der politischen Polizei),2 Überprüfungen (bezüglich angeblicher
*
Übersetzt aus dem Englischen von Mirko Wittwar.1
Vgl. Alexandra Barahona de Brito/Carmen Gonzíiez-Enriquez/Paloma Aguilar (Hg.),Põlitics of Memor¡ oxford 2001; Brian G. Grodsky, The costs of Justice. How Leaders
Respond to Previous Rights Abuses, Notre Dame 2010; fon Elster, Closing the Books:
Trañsitional Justice in Historical Perspective, cambridge 2004; Kathryn Sikkink, The
fustice cascade: How Human Rights Prosecutions are changing world Politics, New
York 2011.
2
Ygl. Filipa Raimundo, The Double Face of Heroes. Transitional justice and the politicalpõ[ce (PIDE/DGS) in Portugal's democratization (1974-76), Dissertation am Institute
82 Antónío Costa Pinto / Filipa Raimundo
Kollaboration)3 sowie die Verhängung von Zwangsexil (gegenüber der
ehema-ligen politischen Elite). Die zweite Phase begann im fahre 1976 und war haupt-sächlich durch gelegentliche Initiativen zur Schuldanerkennung und Bewahrung
der Erinnerung (Initiativen zur Feststellung der Wahrheit und der Erinnerung)
gekennzeichnet sowie durch Ausgleichsmaßnahmen für die Opfer der Diktatur
(durch Pensionszahlungen und symbolische Ehrungen).
Der erste Abschnitt
wird
sich im Wesentlichen mit der zweiten Phase desjuristischen Prozesses in der Übergangsphase beschäftigen, als die große
Mehr-heit der Maßnahmen über Ausgleichszahlungen und Schuldanerkennung
ge-genüber den Opfern der Rechts-Diktatur diskutiert und verabschiedet wurde.
Der nächste Abschnitt liefert eine kurze Darstellung von Portugals Übergang
zur Demokratie, indem er einen Überblick über einige der täterorientierten
Maßnahmen bietet, die verabschiedet wurden, bevor die fustiz der
übergangs-periode sich dann im Wesentlichen den Opfern zuwandte. Der dann folgende
Abschnitt konzentriert sich auf den Prozess der wahrheitsfindung und
Erinne-rung, Anschließend beschäftigt sich der Beitrag mit sämtlichen bestehenden Me-chanismen, mit deren Hilfe den opfern des Regimes ein finanzieller Ausgleich
gewährt bzw. ihnen Anerkennung ausgesprochen werden soll. Darüber hinaus
wird der wirkungsbereich dieser Mechanismen sowie die zahl der jeweils von
ihnen Profitierenden analysiert. Der Beitrag endet mit einer Bewertung der im
Parlament vorgebrachten Gesetzesanträge (seit Konsolidierung der
Demokra-tie), welche den Zweck hatten, denjenigen Anerkennung auszusprechen, denen
gegenüber der Staat dies bis dahin nicht getan hatte. In diesem Zusammenhang
wird auch die Frage angesprochen, welche Opfergruppen in Portugal noch
im-mer auf einen finanziellen Ausgleich bzw. eine Anerkennung warten.
Portugals Übergang zur Demokratie
Portugal erlebte eine Rechts-Diktatur, die von 1926, dem jahr, in dem ein
Mi-litärputsch die Erste Republik stürzte, bis zum
25. April
1974 dauerte, demTag, an dem sie durch einen erneuten Militärputsch ihrerseits gestürzt wurde.
während dieser langen Erfahrung
mit einem autoritären
Regierungssystemgab es tatsächlich zwei unterschiedliche politische Regime: Die Militärdiktatur
(1926-1933), die dann von einem zivilen autoritären Regime unter Führung
von António de Oliveira Salazar abgelöst wurde: ein konservativer, katholischer
Politiker und universitätsprofessor, der bis zu seiner Entmachtung im ]ahre
1968 Portugal als Diktator führen sollte.4 Er wurde durch einen seiner fünger
Vgl. António Costa Pinto, Authoritarian Legacies, transitional justice and state crisis in
Portugal's democratization, Democratization, 15 (2006) 2, S. 173-204; ders., political
Purges and state crisis in Portugal's Transition to Democracy. In: fournal of
contempo-rary History, 43 (2008) 2,5.305-332.
Vgl. Filipe Ribeiro Meneses, Salazar: a political biography, New york 2009.
3
4
Portugal 83
ersetzt, den Rechtsprofessor Marcello Caetano. Nach einer kurzen periode der
,,Liberalisierung" wurden sowohl Caetano als auch das von ihm geführte
Regi-me durch einen Militärputsch gestürzt, der Portugal auf'den Weg áer
Demokra-tie brachte.
Das Regime von António de Oliveira Salazar (1932-1968) und Marcello
Caetano (1968- 1974) wurde ohne Gewaltanwendung gestürzt
-
sehr zurüber-raschung der diversen Oppositionskräfte, einschließlich der größten politischen
Partei, der Portugiesischen Kommunistischen Partei (PCP
-
Partido ComunistaPortugues), die im lahre
l92l
gegründet worden war und heimlichim
Landoperiert hatte. Auch manche Führer der Sozialistischen Partei (PS
-
PartidoSocialista), gegründet im fahre l973,warcnzur Zeitder Nelkenrevolution noch
im Exil, nicht zu vergessen die beiden weiter rechts stehenden Parteien
-
dieSozialdemokratische Partei (PPD/PSD
-
Partido Popular Democrata/PartidoSocial Democrate) und das Sozialdemokratische Zenfium (CDS/PP
-
CentroDemocrático e Social/Partido Popular), die zu diesem Zeitpunkt noch nicht
ein-mal gegründet worden waren (sie entstanden jeweils im Mai und im
luli
1974).Der Putsch lag dementsprechend in der alleinigen Verantwortung der mittle-ren Ränge des Militärs sowie einiger weniger Generäle, welche die Bewegung
der Streitkräfte (MFA
-
Movimento das Forcas Armadas) bildeten-
später alsRat der Revolution (CR
-
Conselho da Revolução) institutionalisiert. DieseGruppierung ergriff die ersten Maßnahmen zur Auflösung des bisherigen
Regi-mes und zur Wiederherstellung der Grundrechte seiner Opfer.
Am Tag des Putsches gab es 85 politische Gefangene in Caxias, 43 in Peni-che sowie eine kleinere Anzahl in Oporto und Coimbras
-
alle Opfer derGe-heimpolizei PIDE/DGS, der wichtigsten Unterdrückungseinrichtung des
Regi-mes. Weiterhin gab es eine unbekannte Zahl von Exilanten, überwiegend in
Frankreich und Belgien. Am
25.
April 1974 erließ die NationaleRettungsjun-ta (JSN
-
funta de Salvação Nacional) ein Amnestiegesetz für alle politischenStraftaten, wodurch alle politischen Häftlinge freikamen, auch jene, denen
Ge-walttaten vorgeworfen wurde, wie zum Beispiel die Hinrichtung von Spitzeln
der politischen Polizei.6 Zwei Tage später erlaubte die JSN die Rückkehr der
politischen Exilanten (deren Rückkehr tatsächlich bereits begonnen hatte).
Ma-rio Soares
-
der zukünftige Führer der PS, welcher zum ersten PremierministerEs existierten drei Sondergefängnisse für politische Gefangene auf dem
kontinenta-len Territorium Portugals (Caxias, Peniche und Aljube) sowie eines, in dem die
Haft-bedingungen besonders drückend waren, auf der Kapverdeninsel Tarrafal, wohin das
Regime in den 1930er-fahren hauptsächlich Anarchosyndikalisten, Antifaschisten,
Ge-werkschaftler und Kommunisten schickte. Zur Darstellung der Geschichte politischer
Inhaftierungen in Portugal muss noch viel wissenschaftliche Forschung geleistet werden;
nichtsdestoweniger ist es wichtig zu betonen, dass die Anwendung extremer Gewalt
oder das Konzentrationslager als Mittel zur Niederhaltung der Opposition kein
typi-sches Kennzeichen des Salazar-Regimes darstellt.
Decreto-lei n3 173/74 vom 26.4.1974 (DR 93/74, Série I, 26/4/1974): Amnestie für
politische Straftaten und entsprechende disziplinarische Vergehen.
5
84 Antónío Costa Pinto / Filipa Raimundo
der ersten verfassungsmäßigen Regierung werden sollte
-
traf am 28. April ein,und Àlvaro Cunhal, der Generalsekretär der PCP, kehrte zwei Tage später aus
dem Exil zurück.7
Von da an wurden über einen Zeitraum von zwei fahren alle wichtigen
Insti-tutionen des Regimes aufgelöst und eine Reihe von Strafmaßnahmen gegen die
Täter und Unterstützer der Diktatur beschlossen, sowohl von den Militär- als
auch den Übergangsregierungen.s
Diese Periode war durch einen eindeutigen Bruch mit der Vergangenheit
ge-kennzeichnet, hervorgerufen durch die Staatskrise und die politische
Radika-lisierung. Uneinigkeit über die
Art
der Entkolonialisierung unter den Militärs,die Umsetzung der Agrarreform, die Verstaatlichung großer Konzerne sowie
die Unterstützung, welche viele Gruppierungen der Zivilgesellschaft genossen,
führten zu dem, was dann folgte. Viele der zu jener Zeit eingeleiteten
Maßnah-men beruhten auf einer ,,revolutionären Legitimation" und standen damit
au-ßerhalb eines normalen und gesetzmäßigen Vorgehens. Die Form dieses
Über-gangs stellt sicherlich den wichtigsten Faktor hinter der schnellen Auflösung
der autoritären Strukturen dar, der Kriminalisierung der politischen Polizei und
der administrativen |ustiz. Allerdings öffnete die Staatskrise auch ein wichtiges
,,Zeitfenster" für die portugiesische Variante einer Übergangsjustiz, die
gleich-zeitig radikal, diffus und mit wenig Bezugnahme auf das Rechtssystem verlief.
Unmittelbar nach dem Putsch wurden diejenigen Angehörigen des Militärs,
welche dem autoritären Regime treu ergeben gewesen waren, zum ersten Ziel
von Überprüfungsmaßnahmen. Die Säuberung der Streitkräfte war Bestandteil
des politischen Programms der MFA, und der Prozess wurde ausgeweitet, um
eine zunehmende Anzahl von Offizieren erfassen zu können. In den Monaten,
die auf den Putsch von 1974 folgten, wurde die von der MFA geforderte
Säu-berung von speziellen Militärkommissionen durchgeführt. Als offizielles
Krite-rium für die Entfernung aus den Rängen wurde Inkompetenz angeführt, da es
sich als unmöglich erwies, politische Kriterien wie ,,Kollaboration mit dem alten
Regime" anzuwenden, angesichts der Tatsache, dass das gesamte militärische
Establishment während der Kolonialkriege mit dem Estado Novo unter Salazar
und Caetano zusammengearbeitet hatte. Die Beamten waren vermutlich
dieje-nigen, welche von diesem Prozess am meisten betroffen waren.e Die
Mindest-strafe war die Versetzung auf einen anderen Posten, während es sich bei der
7
Es liegen keine Zahlen uber die zurückkehrenden Exilanten vor. Die Tatsache, dass inden 1960er-Jahren politisches Exil häufig mit der großen Welle der
Wirtschaftsauswan-derung zusammenfiel, oft in dieselben Länder, macht diese Aufgabe noch schwieriger.
8
Vgl. ,,Portugal", Research Report, European Commission Directorate General offus-tice, Freedom and Security (António Costa Pinto and Filipa Raimundo), 2010. Beitrag
zu dem Abschlussbericht: Study on how the memory of crimes committed by totalitarian
regimes is dealt with in the Member States.
9
Leider liegen ftir die Mehrzahl der Fälle keine zuverlässigen Zahlen vor, und dievorhan-denen Zahlen sind nicht immer kongruent.
Portugal 85
Höchststrafe um die sofortige Entlassung handelte. Alle ehemaligen Beamten
der politischen Polizei sollten entlassen werden. Höchststrafen wurden an Hand
von Kriterien ausgesprochen, die kurze Zeit später von der Règierung definiert
wurden: Zugehörigkeit zur Regierungselite der Diktatur, PIDE-Kollaborateure,
führende Mitglieder der Portugiesischen |ugend (MP
-
Mocidade Portuguesa),der Portugiesischen Legion (LP
-
Legiao Portuguesa) oder der Staatsparteiso-wie die Leiter der Zensurbehörde des Regimes. Das Gesetz bestimmte ebenso
die Schaffung einer interministeriellen Säuberungs- und
Neueinstufungskom-mission (CISR
-
Comissão Interministerial de Saneamento e Reclassificação)zur Durchführung dieser Aufgabe. Diese Kommission stand in direkter
Verbin-dung zum Ministerrat und hatte den Auftrag, die Säuberungskommissionen der
einzelnen Ministerien zu koordinieren.
Bis zum fahresende 1974 waren etwa 4500 Beamte zum Gegenstand
die-ses Säuberungsprozesses geworden. Im Februar 1975 gaben offizielle Berichte
hierzu an, dass schätzungsweise 12 000 Menschen entweder dauerhaft ihrer
Posten enthoben oder zeitweilig suspendiert worden waren, während
Schätzun-gen zu dem Ergebnis kommen, dass sich zwischen März und November 1975
die Zahl der Entlassungen und Suspendierungen deutlich erhöhte.10
Ein weiteres Kennzeichen des Veränderungsprozesses
in
Portugal stelltendie sofortigen und beständigen Rufe nach einer Bestrafung der Beamten der
politischen Polizei dar, Dementsprechend sahen sich die ehemaligen Beamten
der politischen Polizei mit einer Reihe unterschiedlicher Strafmaßnahmen
kon-frontiert. Sie wurden mit sofortiger Wirkung aus der öffentlichen Verwaltung
entlassen; sie verloren ihre politischen Rechte (sie konnten bei den ersten
Wah-len weder wählen noch kandidieren); und nach beinahe zwei fahren
in
Haftbeschuldigte man sie, entsprechend der gesetzlichen Definition, der
Mitglied-schaft in einer ,,terroristischen Organisation". Im November 1975 wurde sogar
ein ,,Revolutionärer Militärgerichtshof' eingerichtet, der allerdings keine
Urtei-le fällte, da er schnell durch reguläre Militärgerichte ersetzt wurde, vor denen
sich Einzelpersonen zwischen 1976 und 1981 verantworten mussten.rr
Im Verlaufe dieser ersten Phase kam es zu einem intensiven Prozess der
ideologischen und politischen Delegitimierung der Diktatur, verbunden mit
ei-ner deutlich ,,antifaschistischen" Rhetorik und der offiziellen Anerkennung der
die Diktatur bekämpfenden Aktivisten. Straßen und andere öffentliche Plätze
wurden nach bekannten Figuren der Opposition neu benannt
-
Republikaner,Kommunisten, Sozialisten gleichermaßen
-
während Salazars Name von allenöffentlichen Monumenten, Plätzen sowie der Brücke über den Tejo entfernt
wurde. Letztere wurde kurzfristig in ,,Brücke des 25,
April"
(Ponte 25 de Abril)10
António Costa Pinto/Leonardo Morlino (Hg.), Dealing with the Legacy ofAuthoritaria-nism: the,,Politics of the Past" in Southern European Democracies, London 2011, S. 11.
11
Vgl. Filipa Raimundo, Partidos políticos e justiça transicional em Portugal: o caso dapolícia política (1974-76).ln: António Costa Pinto (Hg.), A sombra das Ditaduras. A
86 António Costa Pinto / Filipa Raimundo
umbenannt. Die neuen demokratischen Institutionen verbanden sich ebenfalls
mit dem Erbe der politischen Opposition gegen die Diktatur, wodurch sie die
antidiktatorische Natur des neuen Regimes symbolisch verstärkten.
Bis zum Iahre 1976, als die Übergangsperiode zum Ende kam,
konzentrier-ten sich beinahe 90 Prozent der Wählerstimmen auf vier Parteien (die bis heute
den Kern des Parteiensystems bilden): auf der Linken die PCP, eine orthodoxe
Partei mit einer langen Geschichte geheimer Organisation unter der
ehemali-gen Diktatur, sowie die PS, die Erbin der republikanischen und sozialistischen
Elemente der Opposition gegen Salazar; im Bereich Mitte-Rechts sowie auf der Rechten die PSD und die CDS.12 Trotz gelegentlicher Herausforderungen haben diese Parteien insgesamt
für
eine stabile Struktur der portugiesischenDemo-kratie gesorgt. Die einzige Neuerung stellte ab den 199Oer-fahren die
Konso-lidierung des Linken Blocks (BE
-
Bloco de Esquerda) dar, einer freiheitlichlinksorientierten Partei, welche die Wähler sowohl der PS als auch der PCP
anspricht, die aber merkwürdigerweise im Prozess des Opferausgleichs und der
Anerkennung der Opfer nur eine unwesentliche Rolle gespielt hat.
Wahrheitsfindung und
Erinnerungskultur
îach
1976In Portugal ist die Zahl der Museen und Ausstellungen, die dem Thema
Unter-drückung, Widerstand und Diktatur gewidmet sind, trotz einiger
Gesetzesiniti-ativen, die nach dem Zusammenbruch des Regimes sowie bei einigen späteren Gelegenheiten ins Parlament eingebracht wurden, extrem gering. Alle Projekte
in dieser Richtung, soweit sie
in
den ersten beiden ]ahren des Übergangsbe-gonnen wurden, wurden aufgrund mangelnden Interesses der Zivilgesellschaft,
einschließlich der politischen Parteien wie der PS oder der PCP, oder aufgrund
mangelnden Einsatzes seitens des Staats wieder eingestellt. Im Parlament
stell-ten die 1970er-|ahre das fahrzehnt dar, in dem man die Einrichtung und das
Mandat einer Kommission diskutierte, welche das
Ziel
haben sollte, dieÖf-fentlichkeit über die wahre Natur des Regimes aufzuklären; in den
1980er-lah-ren wa1980er-lah-ren der Standort der entsprechenden Archive und der Aktenzugang das
brisante Thema;
in
den 1990er-lahre kam es zur Eröffnung einer einmaligenAusstellung über die Folter in Lissabon. In letzter Zeit gab es eine geringfügige
Wiederbelebung des Interesses und eine entsprechende Mobilisier:ung der
Zi-vilgesellschaft, was im fahre 2OO8 zu einer Parlamentsresolution bezüglich der
Bewahrung der Erinnerung an die Diktatur sowie der Einrichtung eines neuen
Museums führte, das im Iahre 2Ol4 eröffnet werden soll.
Eine der ersten Initiativen zur Bewahrung der Erinnerung an diejenigen,
wel-che die Diktatur bekämpft hatten, war die Errichtung des Museums ,,Republik
und Widerstand" (Museu República e Resistência). Das Gesetz 709-B/76
be-12
Ursprünglich unter dem Namen Volksdemokratische Partei (PPD - Partido PopularDe-mocrático).
Portugal 87
stimmte, dass dieses Museum im Peniche-Gefängnis entstehen sollte, und
über-trug ihm eine umfassende Liste von Aufgaben: die Sammlung und Bewahrung
aller vorhandenen Dokumente über den Kampf zur Errichtung der Republik
im Iahre 1910, den antifaschistischen Kampf sowie die Revolutionsbewegung
des 25. April 1974; die Erstellung eines historischen Berichts sowie die
anschlie-ßende pädagogische Verbreitung einer jeden Episode im Kampf für die Freiheit und gegen die Unterdrückung; die Aufrechterhaltung des Kontakts zu ähnli-chen Museen außerhalb Portugals sowie vergleiähnli-chende Forschung zu ähnlichen
Freiheitskämpfen; die Beteiligung an interaktiven Aktionen mit Besuchern, um
Hilfe zum Verständnis und zur Interpretation der Bedeutung derartiger Kämpfe
zu bieten; die Förderung zeitlich begrenzter Ausstellungen, Konferenzen und
Seminare; sowie Zusammenarbeit bei der Vorbereitung offizieller Zercmonien und Gedenkveranstaltungen zu der Zeitzwischen 1910 und 1974.13
Sowohl der Direktor des Museums als auch die Mitglieder des Beirates
soll-ten vom Premierminister nominiert werden;
nr
Zeit der Veröffentlichung desGesetzes war das der Sozialist Mário Soares. Seltsamerweise und entgegen dem, was angesichts der ersten zwei f ahre eines eindeutigen Bruchs mit der
Ver-gangenheit sowie der zahllosen Forderungen nach einer Bestrafung der Täter
zu erwarten gewesen wäre, kam es im Gefolge der Einrichtung dieses Museums
zu völliger Inaktivität. Von mancher Seite wird argumentiert, die politischen
Be-dingungen für die Durchführung eines derartigen Projekts seien nicht gegeben gewesen, da die politische Situation noch instabil und durch starke politische
Spannungen gekennzeichnet gewesen sei. Wie dem auch sei, im fahre 1985, nach beinahe zehn |ahren der Inaktivität, wurde das Museum mit einer
weite-ren Regierungseinrichtung ähnlicher Zielsetzung verschmolzen, der
sogenann-ten Kommission für das Schwarzbuch Faschismus.la
Die Kommission für das Schwarzbuch Faschismus, gegründet im fahre 1978,
stellte die erste Regierungseinrichtungzur Erstellung eines Berichts über die
wäh-rend der Diktatur verübten Verbrechen dar.15 Diese Kommission entstand auf
Ini-tiative des damaligen Premierministers, des Sozialisten Mário Soares, nachdem
sich seine Regierung, die erste verfassungsmäßige Regierung seit der
Verabschie-dung der neuen Verfassung, entschieden hatte, das Gewicht von einem
eindeu-tigen Bruch mit der Vergangenheit auf eine Politik der Versöhnung zu verlegen.
Die Kommission wurde eingerichtet, um den von dem autoritären Regime
begangenen Missbrauch anzuprangern. Sie brachte bekannte Mitglieder der
ehemaligen Opposition zusammen: Sozialisten, Kommunisten, Freimaurer,
13
Decreto-Lei n." 709'A/76 vom 4.10.1976 (DR 233/76, SérieI,
1o Suplemento,4/lO/1976): Einrichtung des ,,Freiheitsordens" zut Auszeichnung und Ehrung
derjeni-gen, welche der Demokratie und Freiheit besondere Dienste erwiesen haben.
14
Decreto-Lei n." 2lO/ 85 vom 27.6.1985 (DR 145185, Série I, 27 / 6/ 1985): Abschaffung,Zusammenlegung und Reorganisation von Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung.
15
Decreto-Lei n." 110/78vom 14.7.1978 (DR 120178, Sériel,26/5/1978): Einrichtung derKommission für das Schwarzbuch Faschismus beim Präsidenten des Ministerrates unter
88 Antónío Costa Pinto / Filipa Raimundo
links-republikanische Intellektuelle
und Politiker,
die vom
Premierministeraufgrund ihres ,,moralischen Charakters und ihrer beispielhaften politischen
Vergangenheit" nominiert wurden. Entsprechend der Präambel bestand die
Aufgabe der Kommission darin, ,,die historische Wahrheit festzustellen und
wiederherzustellen" sowie ,,die historischen Ursachen, die zur Errichtung und
zum Überleben des Regimes geführt hatten, zu ermitteln und öffentlich zu
ma-chen".16 Der Kommission wurde Zugangzu allen Archiven der Diktatur für den
Zeitraum zwischen 1926 und 1974 gewährt, mit Ausnahme der Archive über
die ,,Organisation, Funktion und Disziplin der Streitkräfte".
Die Kommission war der Präsidentschaft des Ministerrats verantwortlich,
und ihre Vorstandsmitglieder bekamen keinerlei Vergütung. Manche warfen
ih-nen Einseitigkeit vor, besonders da Historiker erst zu einem späteren Zeitpunkt
beteiligt wurden; allerdings wurde der Großteil der die Archive des Regimes
betreffenden Arbeit Intellektuellen und Politikern überlassen, die mit der
ehe-maligen Opposition verbunden waren.
Im fahre 1981, als die PSD die Regierung der PS ablöste, wurde ein neues
Gesetz verabschiedet, welches festlegte, dass die Archive Salazars ( 1898- 1970)
und Caetanos (1906-1980) der Nationalbibliothek überstellt werden sollten
und dass der Öffentlichkeit der Zugang zu einzelnen Akten erst 25 fahre nach
dem Tod des jeweiligen Diktators gewährt werden solle.17 Dieses neue Gesetz
nährte Zweifel daran, ob der Kommission für das Schwarzbuch Faschismus die
Veröffentlichung des Schwarzbuchs, das einen detaillierten historischen Bericht
über die während der Diktatur begangenen Verbrechen enthalten sollte,
über-haupt noch gestattet sein würde.
Im fahre 1982 wurde der Revolutionsrat aufgelöst, und die Archive wurden
provisorisch der Verwaltung durch den Parlamentspräsidenten unterstellt. Die
im September desselben fahres verabschiedete Verfassung legte fest, dass jede
Entscheidung über den dauerhaften Aufbewahrungsort der Archive sowie die
Regeln über den Zugang der Öffentlichkeit einer Zweidrittelmehrheit des Par-laments bedürfe.18 Dies war ein wichtiges Kriterium, das zum Beispiel erklärt,
warum die ersten Vorschläge zur Auflösung der beiden bestehenden
Kommis-sionen (über die Abschaffung der politischen Polizei sowie über die Geschichte
der Diktatur und die Erinnerung an sie) nicht angenommen wurden. Dieser
Vorschlag wurde von der Regierung eingebracht
-
einer Koalition (einmalig in der Geschichte der portugiesischen Demokratie) aus den beiden großenPartei-en PS und PSD. Doch stieß sie auf die Ablehnung der MDP/CDE, während sich
die PCP der Stimme enthielt, sodass die notwendige Zweidrittelmehrheit nicht
zustande kam.
t6
Ebd.l7
Decreto-Lei n." 77/81vom 18.4.1981 (DR90/81, Sériel,18/4/1981): Überstellungder,,Salazar Archive" und der ,,Marcelo Caetano Archive" an die Nationalbibliothek.
18
Lei Constitucionaln.o l/82 vom 30.9.1982 (DR227, Série I, 30/9/1982).Portugal 89
Im Jahre 1985, unter derselben Koalitionsregierung, wurde ein neues Gesetz verabschiedet, welches das Recht der Kommission, mit ihren Ermittlungen zu den vom Regime verübten Verbrechen fortzufahren und ihren Abschlussbericht
zu veröffentlichen, präzisierte und bestätigte.le Die entsprechenden Berichte
wurden tatsächlich fahre später in 22 Bänden veröffentlicht, die in der
Haupt-sache eine Dokumentation darstellen, in der die Unterdrückung durch das
Re-gime, die Behandlung der politischen Gefangenen, die Zensur sowie die
Zusam-menarbeit der Konzerne und der politischen Polizei angeprangert wurden.20
Die Kommission wurde im Jahre 1991 aufgelöst, in demselben fahr wie auch
die Kommission zur Abschaffung der politischen Polizei.2l Im selben fahr gelang
es auch nicht, die Zustimmung der Mitte-rechts-Regierung von Cavaco Silvas für
ein neues Projekt zu gewinnen, durch das die Kommission für das Schwarzbuch
Faschismus
in
ein Museum des Widerstands umgewandelt werden sollte.An-statt eines Museums wurden zwei andere Projekte in Gang gesetzt: das
Büche-rei-Museum der Republik und des Widerstands
-
dieses Mal auf Initiative desLissabonner Stadtrats anstatt der Regierung oder des Parlaments
-
sowie dieMário-Soares-Stiftung, eingerichtet vom ehemaligen Präsidenten der Republik.
Heutzutage unterhalten beide jeweils ein wichtiges Archiv und organisieren
ge-legentlich Konferenzen zu Themen im Zusammenhang
mit
der Diktatur undder Übergangsperiode.
Die bislang vermutlich wichtigste Initiative fand im November 1999 statt. Es
handelt sich um die Eröffnung einer offiziellen Ausstellung über das
2O.lahr-hundert
in
Portugal, gesponsert von der Präsidentschaft und vom Parlament,um das 25-jährige Bestehen der portugiesischen Demokratie zu feiern. Sie
rich-tete sich an ein großes Publikum sowie an Studenten. Die Ausstellung zeigte
Beispiele für die Folterkammern der politischen Polizei und enthielt Korridore,
an deren Wänden Fotos von politischen Gefangenen hingen, gleichzeitig
wur-den die Angehörigen der Opposition und der pro-demokratischen Presse
ge-ehrt. Ebenso gab es einen bewusst dunkel gehaltenen Korridor, welcher dem
Kolonialkrieg gewidmet war und der in eine hell erleuchtete Fläche mündete,
welche den Sturz der Diktatur feierte.
Während die auf nationaler Ebene eingeleiteten Maßnahmen im
Wesentli-chen auf die Initiative der PS zurückgingen, wurde auf lokaler Ebene die
Mehr-zahl der Aktivitäten von Kommunen unter Führung der PCP durchgeführt.
Dies gilt zum Beispiel für die Gemeinden Almada und Beja. Solche Formen der
19
Decreto-Lei n.' 33/85 vom 51.1.1985 (DR 26185, Série I, 3l/1/1985; Gesetzesdekrei33185 vom 31.1.1985 lAmtsblatt 26/85,Serie I,31.1.1985] regelt den Ztgangder
Kom-mission für das Schwarzbuch Faschismus zu Archiven und Dokumenten).
20
Comissão do Livro Negro sobre o Regime Fascista, Presos Políticos no Regime Fascista,1931 - 1945, 3 Bände, Lissabon 1981 - 1984.
2l
Decreto-Lei n.'22/91 vom 11.1.1991 (DR 9/91, Série I-A,ll/ll199l):
Auflösung derKommission für das Schwarzbuch Faschismus und Widerruf der Gesetze 110/78 und
90 António Costa Pinto / Filipa Raimundo
Erinnerung, entweder als öffentliche Feiern oder als Denkmäler, sind seit der
Übergangsphase ständig präsent. Dasselbe gilt für Straßen, die nach berühmten
Kämpfern der Opposition (um)benannt wurden
-
Republikaner, Kommunistenund Sozialisten gleichermaßen -, jedoch hauptsächlich in Städten oder Gemein-den, in denen die kommunistische Partei an der Macht ist.
Im Verlauf der letzten vier |ahre haben zwei Organisationen der
Zivilgesell-schaft, die Bewegung,,Löscht die Erinnerung nicht aus" (NAM
-
Não Apaguema Memória) sowie
die
Union des Portugiesischen AntifaschistischenWider-stands (URAP
-
União de Resistentes Antifascistas Portugueses), ihreAktivitä-ten zur Bewahrung der Erinnerung an die Diktatur verstärkt. Dies zeigt sich an
Aktionen wie zum Beispiel Petitionen für die Schaffung eines nationalen Ortes
der Bewahrung und Verbreitung der Erinnerung an die Verbrechen des ,,Neuen Staates", an der Sammlung von Unterschriften gegen die Einrichtung eines
Mu-seums namens Oliveira Salazar in der Heimatstadt des Diktators, Santa Comba
Dão, an Protesten gegen die Umwandlung des ehemaligen Hauptquartiers des
Plenums des Gerichtshofs
in
ein Hotel usw Allerdings lässt sich nicht sagen,dass diese Bestrebungen auf besonderes Interesse der Medien und der
Öffent-lichkeit gestoßen wären,
Die erfolgreichste Initiative war die Petition für die Bewahrung der
Erinne-rung. Diese Petition wurde am 26.
luli
2007 beim Parlament eingereicht undforderte ursprünglich ,,die Errichtung nationaler Stätten der Bewahrung der
kollektiven Erinnerung an die vom sogenannten Neuen Staat verübten
Verbre-chen und den Widerstand; die Verurteilung der Umwandlung des ehemaligen
Hauptquartiers der politischen Polizei
in
Lissabon in privates Wohneigentumsowie die Ermutigung aller Bürger und Organisation, die kollektive Erinnerung
an den Kampf
für
Freiheit und Demokratiein
Portugal auf Dauer zubewah-ren".22 Bei dieser Initiative lassen sich zwei hauptsächliche Anliegen
unterschei-den: die Symbole des Widerstands und die Symbole des
Demokratisierungs-prozesses, Erstere beziehen sich auf diejenigen Stätten, welche die Opfer des
autoritären Regimes repräsentieren (in der Regel die politischen Gefangenen);
letztere beziehen sich auf diejenigen Stätten, welche den
Demokratisierungs-prozess repräsentieren. Am 6. Juni 2008 stimmte das Parlament einstimmig für
die Resolution, um das Wissen über den Widerstand gegen die Diktatur unter
den zukünftigen Generationen zu verbreiten.
Im Gefolge der Annahme dieser Resolution kam es zur Unterzeichnung di-verser Partnerschaftsabkommen und anderer Vereinbarungen, einschließlich der
Einrichtung eines neuen Museums, dem ,,Museum des Widerstands und der
Frei-heit", das in Kürze in Lissabon im ehemaligen Aljube-Gefängnis eingeweiht
wer-den wird, wo mehrere bekannte Angehörige der Opposition inhaftiert waren.23
22
Petition l5l/X/1, Comissão dos Assuntos Constitucionais, Direitos, Liberdade eGaran-tias, Assembleia da Republica (angenommen am 6.9.2006).
23
Resolução da Assembleia da República n." 24/2008 (DR 122 Série I,26/6/2OO8):Yer-breitung des Wissens über den Kampf für Freiheit und Demokratie sowie den
Wider-stand gegen die Diktatur unter den zukünftigen Generationen.
Portugal 91
Opferverbände
Entsprechend der überwältigenden öffentlichen Mobilisierung in anderen
Be-reichen des Demokratisierungsprozesses24 entstand ebenso eine Reihe von
Organisationen mit dem Zweck, den Opfern der Diktatur Unterstützung und
Gerechtigkeit zukommen zu lassen. Allerdings hatten die meisten dieser
Orga-nisationen ein sehr spezifisches
Ziel
-
die Freilassung der politischenGefan-genen
-
und überstanden dementsprechend die Periode des Übergangs nicht(siehe Tabelle 1).
Von den
in
der Tabelle 1 aufgelisteten Organisationen wurden nur zwei injüngerer Zeit gegründet. Die meisten kamen aus dem Umfeld bestehender
Par-teien der extremen Linken, die sich ebenso in den ersten |ahren nach der Über-gangsperiode wieder auflösten. Die Liste enthält Organisationen von Opfern
und ihren Angehörigen, Zivilisten wie Militärs, Der Grund, warum sich
Angehö-rige des Militärs ebenfalls als Opfer sahen, war die interne politische Spaltung
dér Streitkräfte.
Im
Verlaufe der zwei fahre der Übetgattgtperiode gehörtenunterschiedliche Fraktionen vorübergehend zu den Gewinnern und Verlierern.
Kategorisierung der Opfer der
Diktatur in
der portugiesischenGesetzgebung25
Seit dem lahre 1976 haben aufeinanderfolgende Regierungen Gesetzgebungen
zur Anerkennung und Entschädigung bestimmter Kategorien von Opfern der
Diktatur verabschiedet. Basierend auf der gegenwärtigen Gesetzgebung lassen
sich drei hauptsächliche Kategorien von Opfern feststellen.
Die erste Kategorie bezieht sich auf ,,diejenigen, die für Freiheit und
Demo-kratie kämpften". Dies ist die wichtigste Kategorie, da sie sowohl finanzielle als
auch symbolische Entschädigung beinhaltet, allerdings handelt es sich auch um
24
Die Allianz zwischen den Streitkräften und den sozialen Bewegungen stellt einenent-scheidenden Aspekt der Übergangsperiode dar. Während dieser ersten zwei fahre
durch-lebte Portugal eine Staatskrise, verursacht durch das Fehlen ,,organisierter Sanktionen"
zur Kontrolle der Massen
-
welche in die Zuständigkeit der im Mai 1974 aufgelöstenInterventionspolizei gefallen wäre -, was ungesetzliche Kollektivaktionen ermöglichte.
Besonders dramatisch war dies im sogenannten Heißen Sommer des fahres 1975, als
starke politische Basisorganisationen, dominiert von der extremen Linken und der PCR
die auch über Einfluss bei den Streitkräften verfügten, versuchten, eine ,,revolutionäre"
Legalität herzustellen, die sich gegen die ,,gewählte und demokratische" Legitimität
rich-tetè, die aus den Wahlen hervorgegangen war. Vgl. Diego Palacios Cerezales, O poder
caíu na rua. Crise de Estado e Acções Colectivas na Revolução Portuguesa 1974-75'
Lissabon 2003, S. 62-64.
25
Es entstanden noch weitere Wiedergutmachungseinrichtungen im Zusammenhangdie-ser Periode der Geschichte, die sich allerdings nicht auf die ,,Opfer der Diktatur"
be-ziehen. Dies gilt für die Wiedergutmachung für Portugiesen, die im Zuge der
92
António Costa pinto/FíIipa RaimundoTabelle 1: Opfer-Organisationen in portugal
Portugal 95
Portugiesische Antifaschistische
Widerstandsunion (URAP
-União de Resistentes Antifascistas Portugueses)
1976
Linksgruppierung; obwohl sie nicht öffentlich dazu
stand, so ist doch
bekannt, dass
diese Gruppe
Verbindung zur Kommunistischen Partei hatte
Wischt die Erinnerung nicht aus
(NAM
-
Não Apaguem aMemó-ria!) 2005 Linksgruppierung; beansprucht, aus Vertretern diver-ser Richtungen zu bestehen, ein-schließlich Sozia-listen, ehemaligen Kommunisten und Angehörigen des Linksblocks
Quelle: eigene Forschung
die am wenigsten spezifische. 'wie im Folgenden noch dargelegt werden wird,
ist diese Kategorie derart weit gefasst, dass sie in einigen Fällen zu umstrittenen
situationen führte, denn sie erlaubt die Zuerkennung von Pensionen und die
Ehrung von Personen mit wenig oder gar keinem Bezug zu irgendeiner Art von
'widerstand
oder Kampf im genannten Sinne. Die verordn:ung zur Ehrung
die-ser opfer beinhaltet noch ein drittes Element: ,,republikanische und
demokrati-sche Ideale der Freiheit und sozialen Gerechtigkeit". In dieser Weise verbindet
die Gesetzgebung den Kampf der Opposition mit republikanischen ldealen, Eine zweite Kategorie der bestehenden Gesetzgebung bezieht sich auf
dieje-nigen ,,die im Untergrund oder im Gefängnis waren". Verglichen mit der
ers-ten, schränkt diese Kategorie den Bereich möglicher Nutznießer ein, da jeweils
nachgewiesen werden muss, dass man tatsächlich unter dem Regime eine
Zeit-lang im untergrund oder aus politischen Gründen in Haft war. Dieser Nachweis
ist häufig mit praktischen und bürokratischen Problemen verbunden, was dazu
führt, dass die
zahl
der Nutznießer geringer ist als die tatsächlicheZahl
derdirekten oder indirekten Opfer.
Beide Entschädigungskategorien wurden unter unterschiedlichen
sozialis-tischen Regierungen eingerichtet,
in
denen Mário Soares eine entscheidendeRolle spielte.
Schließlich kennt die bestehende Gesetzgebung noch eine dritte Kategorie:
,,diejenigen, die am Aufstand des 18. |anuar 1934 teilnahmen". Dabei
handel-te es sich um eine Revolte von Teilen der Arbeiterklasse unter Führung der
Name der Organisation |ahr der
Gründung
fahr der
Auflösung Zugehörigkeit Hilfskomitee für Politische
Gefan-gene (Comissão de Socorro aos
Presos Políticos)
1969 1974
Verbindung zur PCP
und der demokra-tischen Opposition
Vereinigung der Familien der
Inhaftierten Antifaschisten (Associação das Famílias dos Anti-Fascistas Presos)
1975 ? Linksgruppierung
Komitee der Volksunterstützung
des Revolutionären Kampfes der
Politischen Gefangenen in
Fa-schistischen Gefängnissen (CAp
-Comité de Apoio Popular às
Lutas Reyolucionárias dos Presos Políticos nas Cadeias Fascistas)
1970 ? Verbindung zur
MRPP (Maoisten)
Kommission der Angehörigen
und Freunde Antifaschistischer
Politischer Gefangener (CFAppA
-
Comissão dos Familiares ede Presos Anti-Fascistas)
1975? ? Linksgruppierung
Kommission für die sofortige
Frei-lassung Inhaftierter Antifaschisten
(Comissão para a Libertação
Ime-diata dos Anti-Fascistas Presos)
1974 1975 Linksgruppierung
Vereinigung ehemaliger
Politi-scher Gefangener in Portugal
(AEPPA
-
Associação deEx-Presos Políticos Portugueses)
1974 ?
Zugehörigkeit zur
UDP (União De-mocrática Popular), einer marxistisch-leninistischen Partei Vereinigung der Angehörigen
verhafteter Revolutionärer
Militär-angehöriger (CFMRP
-
Associa-ção de Familiares dos Militares
Revolucionários Presos) 1975 ? Linksgruppierung (Verwandte der am25. November verhafteten Militär-angehörigen)
Komitee zur Unterstützung des
Kampfs der verhafteten und
entlas-senen Militärangehörigen (Comité
de Apoio à Luta dos Militares Anti-Fascistas Presos e Expulsos)
94 António Costa Pinto / Filipa Raimundo
Kommunisten sowie einzelner Personen aus dem Bereich der
Anarchosyndi-kalisten gegen die ,,Faschistisierung" der von Salazars neuem korporativen
System initiierten Gewerkschaftsbewegung, Diese Opfer gehörten auch zu den
ersten, welche in das vom Regime eingerichtete und unter dem Namen Tarcafal
bekannte Konzentrationslager in Kap Verde kamen. Hierbei handelt es sich um
das einzige Programm dieser Art, das ursprünglich unter der
Mitte-rechts-Regie-rung vorgeschlagen und angenommen wurde.
Interessanterweise lässt sich feststellen, dass bis heute das einzige dieser drei
Programme, in dessen Zusammenhang der Staat ausdrücklich das Wort
,,Op-fer" verwendet, das zweite ist, welches sich auf diejenigen bezieht, die im
Unter-grund oder im Gefängnis \Maren. In allen anderen Fällen lautet der in den
ent-sprechenden Rechtsdokumenten verwendete Begriff ,,portugiesische Bürger".
Im Folgenden jeweils genauer zu den Charakteristika dieser Programme
so-wie zu den Umständen, unter denen sie verabschiedet wurden.
Kategorie 1: Diejenigen, die für Freiheit und Demokratie kämpften
Seit dem lahre 1976 haben aufeinanderfolgende Präsidenten der Republik
so-wohl der Opposition gegen den Diktator Salazar als auch einzelnen
Persönlich-keiten, die sich in verschiedener Weise ausgezeichnet haben, mit der Verleihung
des ,,Freiheitsordens" öffentliche Anerkennung für ihre ,,demokratischen
Ver-dienste" ausgesprochen.26 Dieser Orden wurde im Jahre 1976 eingeführt und ist
der ,,jüngste" in der Klasse von Orden, welche die neue Demokratie schuf.21 Zu
dieser Zeit kam man zu der Erkenntnis, dass keiner der bestehenden Orden die
Rolle derjenigen ,,Portugiesen oder ausländischen Bürger" würdigte, die ,,sich
durch ihre Liebe zur Freiheit und Hingabe an die Sache der Menschenrechte
und sozialen Gerechtigkeit, insbesondere im Zusammenhang
mit
derVertei-digung republikanischer und demokratischer Ideale" ausgezeichnet hatten. In
diesem Sinne soll der Orden diejenigen ehren, die für die portugiesische
Demo-kratie gekämpft haben, indem er ihr republikanisches Erbe betont, und
diejeni-gen, welche vor 1910 die Monarchie stürzten, mit denjenigen, welche zwischen 1926 und 1974 gegen die Rechts-Diktatur kämpften, gleichsetzt.
26
Decreto-Lei n." 709-A/76 vom 4.10.1976 (DR 233/76, SérieI,
1o Suplemento,4/10/1976): Einrichtung des ,,Freiheitsordens" zur Auszeichnung und Ehrung
derjeni-gen, welche der Demokratie und Freiheit besondere Dienste erwiesen haben.
27
Bis zum lafue 1976 ehrten entsprechend DL 44721 (24.11.1962) die diversenbestehen-den Orden ,,besondere Verdienste bei der Ausübung von Pflichten oder Amtsgeschäften
im Zusammenhang mit Handlungen staatlicher Einrichtungen oder der
Kommandie-rung im Einsatz befindlicher Truppen", ,,außerordentliche Akte der Selbstlosigkeit und
des Opfers für das Vaterland oder die Menschheit" oder ,,Handlungen im
kolonisatori-schen Geist, zur Verbesserung der politischen oder wirtschaftlichen Situation in
Portu-gals überseeischen Territorien".
Portugal 95
Nur der Präsident oder ein Mitglied der Regierung haben das Recht,
Vor-schläge zu unterbreiten, wer mit diesem Orden ausgezeichnet werden soll. Im
Laufe der fahre hat der Orden einiges von seiner ursprünglichen Bedeutung
eingebüßt, wenn man die große Zahl derjenigen bedenkt, denen er verliehen
worden ist, besonders in den letzten zehn fahren. Abgesehen von symbolischer
Anerkennung waren diese ,,Opfer" auch die ersten, die eine finanzielle
Entschä-digung erhielten. Ironischerweise handelte es sich bei den ersten rechtlich
wirk-samen Regularien zur finanziellen Entschädigung der Opfer der
Salazar-Cae-tano-Diktatur um eine Gesetzgebung, die ursprünglich im Anschluss an den
Militärputsch des 28. Mai 1926 verabschiedet worden war.28
Eine Verordnung zur finanziellen Entschädigung der Opfer des autoritären
Regimes wurde zum ersten Mal im lafue 1977 eingerichtet, drei Jahre nach dem
Beginn des Übergangs zur Demokratie. Nachdem man sich in den ersten zwei
]ahren des eindeutigen Bruchs mit der Vergangenheit überwiegend auf die
Tä-ter und Kollaborateure des alten Regimes konzentriert hatte, entschied die erste verfassungsgemäße Regierung unter Führung einer der wichtigsten Figuren des antifaschistischen Widerstands, Mário Soares, dass nun die ,,außerordentlichen
Handlungen zur Verteidigung der Freiheit und der Demokratie" gewürdigt
wer-den sollten.
Das Gesetz
l7l/77,
verabschiedet am30.
April 1977,legte für diesenPer-sonenkreis eine Pensionszahlung fest, um den Opfern beziehungsweise den
Angehörigen der Opfer der Diktatur ,,Anerkennung und Dankbarkeit"
auszt)-drücken und zu verhindern, dass dieses Thema
in
Vergessenheit geriet. Wievom Gesetz festgelegt, konnte die Initiative zur Gewährung einer Pension vom
Premierminister, von den Mitgliedern des Revolutionsrates, von der Regierung,
den Parlamentsabgeordneten, der Lokalverwaltung oder von anderen
öffent-lichen Institutionen ausgehen. Diese Pensionen waren mit einem besonderen
Titel verbunden.2e Nach der Auflösung des Revolutionsrates im fahre 1982
wur-den einige Änderungen verabschiedet, um die Zuerkennung von
Pensionszah-lungen zu regeln3o, deren wichtigste im lahre 2003 beschlossen wurde.
28
Im Jahre 1929,imZlge der Errichtung des Neuen Staats, wurde eine Pensioneinge-richtet, um Bürgern einen Ausgleich für ,,außerordentliche und wichtige Dienste für
das Land" zu gewähren. Aufgrund dieser Gesetzgebung kam es zur Einrichtung von
,,Blutpensionen [de preço de sangue] für die Familien derer, die zur Verteidigung des
Landes oder zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ihre Leben verloren"
(Decreto-Lei n." 77 335, DR 211, Sé:riel, l3/9/1929). Später, im fahre 1966, wurde
die-ses Gesetz geändert, hauptsächlich um den Militärangehörigen und ihren Angehörigen
einen Ausgleich zu gewähren, die in den Kolonialkriegen kämpften (Gesetz 47 084 vom
9.7.1966). Dies wurde die Basis für alle seitdem geschaffenen Pensionen ähnlicher Art,
die denjenigen gewährt wurde, die für Freiheit und Demokratie kämpften.
29
Decreto-Lei n." 171/77 vom 30.4.1977 (DR 100/77, Série I, 30/4/1977): Einrichtungeiner Pension für portugiesische Bürger, die sich durch ihre Verdienste bei der
Verteidi-gung von Freiheit und Demokratie ausgezeichnet haben.
30
Decreto-Lei n." 404/82vom24.9.1982 (DR222/82, Série I,24/9/1982) undDecre-to-Lei n.o 466/99 vom 6.9.1999 (DR 259199, Série I, 6/11/1999): Blutpension und
96 António Costa Pinto / Filipa Raímundo
Die derzeitig geltende Gesetzgebung beruht auf der von der
Mitte-rechts-Re-gierung unter Premierminister |osé Manuel Durao Barroso im |ahre 2003
ver-abschiedeten Regelung. Barroso war ein ehemaliges Mitglied der linksextremen
Opposition gegen die Diktatur und führte zu dieser Zeitdie PSD.31 Diese
Geset-zesänderung fügte zu den bereits bestehenden Anforderungen hinzu, dass die
Gewährung einer Pension vom Generalstaatsanwalt bestätigt werden musste,
Sie weitete auch die Liste potentieller Nutznießer aus, falls der eigentlich
vorge-sehene Empfänger verstorben war. Die Gewährung dieser Pension war hin und
wieder umstritten, besonders in folgenden Fällen, in denen die Pension gewährt
wurde: a) Deserteure, d. h. Angehörige der Streitkräfte, die gegen das Regime
opponierten und, anstatt
in
den Kolonialkriegen z1J kämpfen, aus dem Landflüchteten; b) Personen, die für Terrorakte verantwortlich waren; c) ehemalige
Polizeibeamte.
Kategorie 2: Diejenigen, die im Untergrund oder im Gefängnis waren
Im fahre 1997 verabschiedete eine sozialistische Regierung unter Führung von
Premierminister António Guterres ein Gesetz zur finanziellen Entschädigung
der Opposition gegen Salazar, welches dem Zweck der sozialen Absicherung
dienen sollte und die im Untergrund oder Haft verbrachte
Zeit
auf dieAlters-rente anrechnete.32 Dieser Gesetzesvorschlag kam von der PS selbst. Um sich
für diese besondere Rente zu qualifizieren, mussten die Antragsteller
Nachwei-se über die im In- oder Ausland verbrachte
Zeit
erbringen, ,,während der sieOpfer einer politischen Verfolgung waren, die ihre normalen beruflichen
Tä-tigkeiten einschränkte und aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer politischen
Gruppierung beziehungsweise ihrer Teilnahme an politischen Aktivitäten zur
Förderung der Demokratie ihre Teilnahme an der Gemeinschaft verhindert
hat-te". Dies bezog sich auf den Zeitraum zwischen dem 28. Mai 1926 und dem 25,
April
1974.Kategorie 5: Diejenigen, die am Aufstand des 18. fanuar 1934 teilnahmen
Der finanzielle Ausgleich für diese besondere Gruppe war das Ergebnis eines
Gesetzesvorstoßes der PCP. Der Vorschlag fand die einstimmige Unterstützung
3l
Decreto-Lei n." 189/2003 vom22.8.2003 (DR 193, Série I-4, 22/8/2003): RechtlicheRegelung der Pensionen für außerordentliche Taten bei der Verteidigung von Freiheit und Demokratie.
32
Lein." 2O/97 vom 19.6.1997 funho (DR I, Série A, n. 139,19/6/1997). Anrechnung deraus politischen Gründen in der Illegalität oder in Haft verbrachten Zeit auf die
Berech-nung von Alters- und Arbeitsunfähigkeitsrenten.
Portugal 97
des Parlaments, woraus man einen breiten Konsens ableiten könnte,53 Während
der Debatte verwehrte sich allerdings die CDS gegen den Vorwurf der PCP, sie
sei ein Bestandteil der alten Elite. Sie distanzierte sich vielmèhr von der
,,anti-demokratischen und inhumanen" Art rechter Politik, die nicht von ihr, sondern
von ,,anderen" vertreten worden sei. Obwohl es bereits zuvor gelegentliche
Vor-würfe gegen einzelne Abgeordnete gegeben hatte, stellte doch ein derartiger
Versuch, die CDS (oder andere Parteien) mit der ehemaligen Elite in
Verbin-dung zu bringen, einen seltenen Fall in Portugal dar.
Das Gesetz 26/89 erkennt die Teilnahme an diesem Aufstand als einen ,,re-levanten Dienst an der Demokratie" an.3a Im Verlaufe der Debatte erklärte die
PCP, dass acht Opfer noch lebten (im Jahre 1989), diese zwischen 73 und 85
fahre alt und insgesamt beinahe 70 Jahre in Haft gewesen seien. Da man ihre
Anträge im Rahmen der bestehenden Programme für eine finanzielle
Entschä-digung zurückgewiesen hatte, d. h. im Rahmen der Pensionen
für
diejenigen,welche für Freiheit und Demokratie gekämpft hatten (siehe Kategorie 1),
brach-te die PCP ihre Forderungen nach Entschädigung vor das Parlament und hatte
damit Erfolg.
Formen der Anerkennung und
Arten
finanzieller EntschädigungKategorie 1: Diejenigen, die für Freiheit und Demokratie kämpften
Der Präsident sowie jeder Minister können die Entscheidung treffen, eine
Per-son oder Institution auf nationaler oder internationaler Ebene, zu Lebenszeit
oder posthum zu ehren. Es gibt fünf verschiedene Titel sowie einen weiteren
ausschließlich
für
Staatsoberhäupter. Die Auszeichnungwird
jährlichverlie-hen, zumeist am25. April anlässlich der FeierlichkeitenztJr Erinnerung an den Machtwechsel, die in jedem Jahr (von wenigen Ausnahmen abgesehen) im
Par-lament stattfinden.
In
den ersten zwei lahrzehnten nach der Einrichtung der Pension hattendiejenigen Personen, die
für
Freiheit und Demokratie gekämpft hattenbezie-hungsweise ihre Angehörigen, sofern sie gegenwärtig oder in der Vergangenheit
wirtschaftlich von ihnen abhängig waren oder sind, ein Anrecht auf entweder
eine lebenslange Pension (dies galt für das Opfer selbst oder für seinen
verwit-weten Ehepartner, falls dieser älter als 40 fahre war) oder auf eine besondere
Pension (dies galt für Nachkommen, bis diese alt genug waren, um wirtschaftlich
33
Eines der Parlamentsmitglieder der PS war selbst ein direktes Opfer der vom Regimenach dem 18.1.1934 eingeleiteten Unterdrückungsmaßnahmen. Auch die PSD erhob
den Anspruch, dass etliche ihrer Abgeordneten zum einen oder anderen Zeitpunkt
ge-gen das Regime gekämpft hätten.
34
Decreto-Lei n.'26/89 vom 22.8.1989 (DR 192189, Série I, 22/8/1989): Lebenslange98 António Costa Pinto/ Filipa Raimundo
unabhängig zu werden, es sei denn, etwas anderes wurde festgestellt und nach-gewiesen). Die Pension dürfte nicht mehr als 7O Prozent des von der verstorbe-nen Person bzw. Opfer verdienten Einkommens betragen.s5
Im Jahre 2003 wurde der Kreis der Bezugsempfänger ausgeweitet. Im
Fal-le einer rechtsgültigen Trennung bzw. Scheidung kann die Pension auch dem
ehemaligen Ehepartner gewährt werden (sofern diese bereits einen gültigen
An-spruch aufEhegattenunterhalt besitzen und nicht erneut geheiratet haben). Falls
es keine Ehepartner oder unmittelbaren Nachkommen gibt, kann die Pension
auch jemandem gewährt werden, welcher die verstorbene Person aufgezogen
hat (auch ohne Blutsverwandtschaft), oder auch Geschwistern (sofern sie
jün-ger als 18 bzw.
2l
lahre alt oder dauerhaft arbeitsunfähig sind). Die Bedingungder wirtschaftlichen Abhängigkeit gilt nicht für Nachkommen, die jünger als 18
bzw.2l
Jahre (im Falle eines nachgewiesenen Studiums) alt sind, für Personen,die die verstorbene Person aufgezogen haben oder
für
andere Verwandte inaufsteigender Linie, welche die Pension beanspruchen. Während der Kreis der
Anspruchsberechtigten erweitert wurde, ist die ausgezahlte Summe geringer
geworden, da sie auf 50 Prozent des früheren Einkommens festgelegt wurde.
Kategorie 2: Diejenigen, die im Untergrund oder in Haft waren
Der Antrag wird von einer Kommission geprüft, die aus drei Vertretern des
Innen-, fustiz- und Finanzministeriums besteht. Die in Haft oder im Untergrund
verbrachte Zeit
wftd
auf Altersrente, Arbeitsunfähigkeitsrente oderHinter-bliebenenrente angerechnet. Die Zahlung kann von Angehörigen beansprucht
werden, falls das Opfer verstorben ist und bereits einen Anspruch auf
Hinter-bliebenenrente hatte. Im Falle einer zustimmenden Entscheidung werden die
lokalen Sicherheitsbehörden zur Auszahlung angewiesen. Die Ministerien der
fustiz und des Inneren sowie Privatfirmen können konsultiert werden, um die
nötigen Nachweise zu erbringen.
Kategorie 3: Diejenigen, die am Aufstand des 18. ]anuar 1934 teilnahmen
Die finanzielle Entschädigung
für
diese Opfer beruht auf einem einzigenDo-kument. Diese Opfer haben ein Anrecht auf eine lebenslange Pension
entspre-chend dem Mindestlohn. Der Rechtsanspruch ist ähnlich dem für Kategorie 1
beschriebenen.
35
Decreto-Lei n." 43/78 vom 11.3.1978 (DR 59/78, Série I, l1/3/1978): Reformulierungder Artikel 1 lund 2 des Gesetzes 171/77 vom 30.4. (Pensionen für portugiesische
Bür-ger für außerordentliche Taten bei der Verteidigung von Freiheit und Demokratie).
Portugal
Opferorientierte Übergangsjustiz in Portugal
in
Zahlen
99
Seit der Einrichtung des Freiheitsordens im |ahre 1977 isr dieser an insgesamt 473 Personen und Institutionen verliehen worden, davon an 43 im Ausland
(Ab-bildung 1). Präsident Eanes war ein Angehöriger der Streitkräfte, Soares und
Sampaio waren Führer der PS, der gegenwärtig amtierende Präsident ist
Vorsit-zender der PSD. Die Zahlen zeigen, dass Mário Soares, obwohl er am meisten
zur Anerkennung der Opfer der Diktatur beigetragen hat, in seiner
zehnjähri-gen Amtszeit als Präsident der Republik weniger Ehrungen als sein Vorgänger
und Nachfolger vorgenommen hat.
I
lnternat¡onal
I
National T 0 Ramalho Eanes 11977-ts86l Mário Soares (1986-1ee6) Jorge Sampiao (1996-2006) Cavaco Silva (2006-2013)Abb. 1: Anzahl der Personen und Institutionen auf nationaler und internationaler
Ebene, welchen der Präsident den Freiheitsorden verliehen hat (bis 2013);
Quelle: http://www ordens.presidencia.pt; 26.11.2013
Bezüglich der finanziellen Entschädigung für diese Opfer gibt die Abbildung 2
die Anzahl der Empfänger seit Einrichtung der Pension an. Die Zahlen zeigen,
dass der Personenkreis, der in den Genuss dieser Pension kam, recht begrenzt
ist; 30 fahre nach dem Machtwechsel profitieren nur noch 100 Personen von
dieser Maßnahme. Die Tabelle zeigt auch, dass unmittelbar nach der
100 Antónío Costa Pinto / Fílipa Raimundo 140 120 100 80 60 40 20 0
gù
gd,
d
gsù
gú
gsb
gó
"""t ^"'
v .rv "püAbb. 2: Anzahl der Bezieher finanzieller Ausgleichsleistungen (bis 2006); Quelle:
Filipa Raimundo, Post-Transitional fustice? Spain, Poland and Portugal in
comparative perspective, Dissertationsschrift, European University Institu-te, Florenz 2012 $nr die fahre 1988 bis 2004 liegen keine nach einzelnen
Jahren aufgeschlüsselten Zahlen vor).
Interessanterweise erwies sich das, was ursprünglich als eine sehr eng gefasste Gesetzgebung aussah und von der zu erwarten war, dass nur eine eher geringe
Anzahl der Opfer davon profitieren würde, tatsächlich als die effektivste
Maß-nahme, jedenfalls was die Zahl der Nutznießer betrifft. Tabelle 2 gibt die Anzahl
der Antragsteller und tatsächlichen Bezieher von Pensionen an, die seit 1997 als
Ausgleich für die im Untergrund oder in Haft verbrachte Zeit gezahlt werden.
Obwohl diese Pension erst 20 |ahre nach der Pension für Kategorie 1
eingerich-tet wurde, hat sie entsprechend den uns vorliegenden Zahlen dennoch mehr als
sechsmal so viele Personen erreicht als die finanzielle Ausgleichsmaßnahme für
die Kämpfer ,,für Freiheit und Demokratie". Entsprechend der folgenden
Tabel-le waren beinahe 70 Prczent der Anträge erfolgreich, was auch der landläufigen
Ansicht widerspricht, nach der die zu erfüllenden Bedingungen sowie die
Bü-rokratie es sehr erschwert hätten, mithilfe dieser Maßnahme einen finanziellen
Ausgleich zu erhalten.
Portugal 101
Tabelle 2: Anzahl der Antragsteller und Bezieher von Leistungen entsprechend dem Gesetz 20/97 (1997 -2009)
ZahI der Anträge 1329
Zahl der Leistungsbezieher 908
Quelle: Diese Zahlen wurden den Autoren von Caixa Geral de Aposentações zur Verfügung
gestellt.
Forderungen nach Ausgleichsmaßnahmen im Parlament
Wie bereits dargelegt, hatten die meisten der zivilgesellschaftlichen
Organisa-tionen, die
in
der Zeit unmittelbar nach dem Putsch vom 25. April 1974ent-standen, ein hauptsächliches Ziel: die sofortige Freilassung der politischen
Ge-fangenen, Zivilisten wie Militärangehörige. Auch wenn nur sehr wenige von
ihnen tatsächlich irgendeine
Art von
Wiedergutmachung oder Anerkennungverlangten, und trotz des Umstandes, dass im Anschluss an die erste Phase der
Übergangszeit, in den |ahren 1976 und 1977 , nur wenige Maßnahmen zur Wie-dergutmachung und Anerkennung getroffen wurden, haben doch über die |ahre hinweg die wichtigen politischen Parteien Gesetzesinitiativen mit der Forderung
nach Wiedergutmachung für die Opfer eingebracht.
Wie in Tabelle
3
gezeigl wird, zählen zu den parlamentarischen Initiativenzwischen 1982
-
dem |ahr,in
dem die portugiesische Demokratie sich nachallgemeiner Ansicht endgültig konsolidierte
-
und heute Vorschläge zurWieder-gutmachung nicht nur für Opfer des Regimes, sondern auch für die Opfer der
Kolonialkriege (1961- 1974) sowie des Machtwechsels selbst.
Tatsächlich gehören die Opfer des Machtwechsels einer eigenen Kategorie
an, die vom Staat bei mehr als nur einer Gelegenheit anerkannt worden ist. Sie
galten als Opfer der in den ersten beiden |ahren begangenen ,,Exzesse",
näm-lich der Enteignungen im Zusammenhang mit der Verstaatlichung von
Ergebnis (Plenarsitzung) Zurückgewiesen Yon PSD, CDS
2l.Mai
1982 Als Gesetz einstimmig angenom-men; Gesetz 26/1989 Ausgelaufen 26. Oktober 1995 Ausgelaufen 26. Oktober 1995 Zurückgewiesen 30. März 1995 Angenommen [Abs: PSD, CDS/ PPl, Gesetz 20/1997 Ausgelaufen 24. Oktober 1999 Einstimmig angenommen Gesetz 34/1,998 Abgelehnt 29. fanuar 1998 Einge- bracht von: PSD, PS, CDS, PCB PCP CDS/PP PS PCP PCP PS CDS/PP PSD CDS/PP Inhalt Amnestie für während der Übergangsphase be-gangene politische Straftaten Lebenslange Pensionen für die Opfer des 18. Jan-luar 1934 Ausgleichzahlungen für. Betroffen von Verstaatli-chungen während der Ubergansphase Pensionszahlungen für in Haft verbrachte Zeít während der Diktatur Kommission Schwarzbuch Faschismus Ausgleichszahlungen für von der Agrarrefom während der Ubergangsphase Betroffene Pensionszahlungen für während der Diktatur im Untergrund oder in Haft verbrachte Zeit Pensionszahlungen für während der Diktatur im Untergrund oder in Haft verbrachte Zeit Kompensation für ehemalige politische Gefange-ne im Zusammenhang mit den Kriegen in Afrika Pensionen für in den Überseeterritorien gebo-rene portugiesische Bürger, die an der Seite der portugiesischen Streitkräfte gekämpft haben Gesetz Projekt nach Gesetz 319/ll Projekt nach Gesetz 389N Projeckt nach Gesetz 561/V Projekt nach Gesetz 400/Vl Projekt nach Gesetz 401/Vl Projekt nach Reso-lution 146lVI Projekt nach GesetzI82NII
Projekt nach Gesetz394/Vll
Projekt nach Gesetz 441/Vll Projekt nach Gesetz 449M1 ZeitMärz 1982 April 1989 okt. 1990 April 1994 April 1994 März 1995 Juni 1996 fuli 1997 Dez. 1997 Ian. 1998
Tabelle 3: Gesetzesinitiativen zur Wiedergutmachung für Opfer seit 1982 N)