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Was hat die Evangelische Kirche in Ausrichtung der biblischen Botschaft zur sozialen Frage zu sagen?

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Academic year: 2021

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Heiliger w ar. Alle ändern — Bischöfe, E rzbisch öfe und P äpste — e r ­ drückte der P anzer.

O ffen lagen die K arten S atan s vor dem H errn: Trium phale H err* schaft über die W e lt gibt e s augenblicklich für dich nur im Bunde mit mir.. — S o offen legt der V ersu cher ändern die K arten nicht auf den) Tisch. E s muß durchaus nicht w ie Teufelsdienst aussehen, w enn K ir­ chenm änner politisch rührig w erden. Muß gew iß auch nicht immer S a ta n s­ dienst sein. D och sind w ir gew arnt!

Nichts aber denke ich mir schw erer, als d as zu sein,, w onach doch heute das Chaos der V ölk er schreit: christlicher Staatsm ann.

P. Warnke.

Was hat die Evangelische Kirche in Ausrichtung der biblischen

Botschaft zur sozialen Frage zu sagen?

I . W a s v e r s t e h t m a n u n t e r s o z i a l e r F r a g e ? * W enn man auch in den vergangenen Jahrzehnten bis heute sehr heftig über die soziale F ra g e gestritten hat, so ist sie doch keinesw egs neu. Schon im alten Rom kämpften die P atrizier mit den P lebejern um ihre G leichberechtigung, und im späteren M ittelalter standen sich in den Städten die Kaufleute und H andw erker und im eigenen B ereich w ieder die M eister und Gesellen gegenüber. Doch hatte dam als die soziale F ra g e noch nicht den bedrohlichen C harakter angenom m e, den sie später zeigte. Eine gem einsam e Anschauung über Leben, S ta a t und Religion verband wiederum die streitenden Gruppen. E rst die m oderne Indu­ strie, die wiederum nicht ohne die Technik und den A ufschw ung der N aturw issenschaften zu denken ist,, hat den vierten Stand des F a b rik ­ arbeiters g eschaffen, der sich aus der bestehenden G esellschaftsordnung ausgeschlossen sah. D ies Gefühl w urde noch dadurch g esteigert, daß er nicht nur m ateriell unsicher lebte, sondern auch, d a e r vom Lande in die Stad t gekommen w ar, an seinem neuen W o h n o rt keine neuen inne­ ren Bedingungen und keine neue Heimat vorfand. D ie oft sehr ein fö r­ mige A rbeit in dem neuen B eru f hat w eiter dazu beigetragen, ihn seelisch veröden und vereinsam en zu lassen. Die Unzufriedenheit mit diesen V erhältnissen hat in den Ländern, in w elchen die G roßindustrie einen n ach M illionen zählenden A rbeiterstand entstehen ließ, zum A nw achsen sozialistischer und kom m unistischer B ew egu ngen geführt, die unter in ter­ nationaler und neuerdings auch unter nationaler P arole (N ationalbol­ schewism us) zum Umsturz oder m indestens zur radikalen Änderungen der bestehenden S taats-u n d G eselchaftsverhältnisse aufrufen. In m an­ chen L ändern haben sie bereits mit G ew alt oder dem Stim m zettel die politische M acht erobert.

D ie beiden letzten W eltk rieg e haben in ein er bestim m ten Hinsicht die soziale Not in Europa eher verschärft als gelöst. Zu der N otlage des vierten Standes, die zw ar nicht mehr überall so groß ist w ie noch v or einigen Jahrzehnten, ist die des akadem ischen P roletariats, des R en

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mers und besonders des V ertriebenem , A usgebom bten und A usgestos- senen g etreten. In W estdeutschland bilden letztere allein über ein V ie r­ tel der Bevölkerung. M an redet ganz offen schon von einem fünftem Stand. Auch auf der anderen Seite hat sich innerhalb der kapitalisti­ schen Ordnung ein freilich äußerlich nicht so bem erkbarer Stru k tu r­ w andel vollzogen. V o r einigen Jahren erschien ein Buch mit dem T itel: „D ie H errschaft des M an ag ers.” E s bew ies, daß besonders in den großen U nternehm ungen, den A ktiengesellschaften, nicht m ehr der B esitzer, sondern d er D irektor, Ingenieur und G eschäftsführer die w irkliche L ei­ tung haben. Durch diese V erbeam tung ist natürlich eine Schw ächung der privaten, w agefreudigen Initiative gegeben, die zugleich noch von der staatlichen G esetzgebung eingeschränkt od er geleitet w ird. Ein sol­ cher Zustand, der besonders für Nordam erika und europäische Länder charakteristisch ist, hat zur Folge, daß der G egensatz: A rb eitg eb er-A r­ beitnehm er in der früheren W eise w eitgehend nicht m ehr, m indestens nicht überall besteht.

I I . W i e s t e l l t s i c h d i e s o z i a l e F r a g e i n B r a s i l i e n d a r ? In diesem Lande gibt es keine Flüchtlinge und A usgebom bte, auch kennt man kaum die Not des R entners und des akadem ischen P ro le ta ­ riats od er doch nur in kleinem Umfang. Ferner g eh ört ein e um fassende G roßindustrie noch zu den Ausnahmen, w enn sich auch hier und da schon am erikanische M ethoden zeigen. M ag auch die Zahl der unper­ sönlich gerichteten A ktiengesellschaften ständig zunehmen, so beherrscht doch w ohl noch, zumal im Süden, der kleinere und m ittlere B etrieb, den d er B esitzer oft noch selbst aufgebaut hat, und w elchen er w irklich leitet und übersieht, das W irtschaftsleben. D as schließt g erad e o ft ein g ew isses patriarchalisches V erhältnis des B ro th errn zu seinen A rbeitern ein. S tre b ­ sam e H andw erker und gelernte A rbeiter können noch v o rw ärts kommen und einm al selbständig w erden.

Landflucht ist nicht unbedingt geboten, da noch Raum für die S ied ­ lungen vorhanden ist. Durch Ausbau und V erbesseru ng des V erk eh rs­ n etzes w ird e r immer mehr erschlossen. Zugleich müssten und könn­ ten die Fruchtbarkeit des Landes und das milde Klima hindern, daß jem and, der noch arbeitsfähig ist, hungert und friert. Ein en tsp rech en ­ des W o rt lau tet: Keiner, der arbeiten will, brau cht hier zu verhungern. E ine w irkliche A rbeitslosigkeit, w ie sie die hochindustrialisierten Länder von Z eit zu Zeit heimsucht, kennt Brasilien nicht. Freilich ist der ge)- ringe Lebensstandard im V erhältnis zu U SA und Europa nicht zu b e ­ zw eifeln. Um diesen „ P a u p e r i s m u s ” zu beseitigen, ist gew iß zu­ nächst einmal eine S t e i g e r u n g d e r P r o d u k t i o n notw endig, w ie überall mit Recht gefordert w ird. E s ist jedoch zu fragen, ob die S teig e­ rung des nationalen Reichtums in jedem Fall diesen Schichten zugute kommt. D ie Erfahrungen in hochkapitalistischen Ländern, die sich ja durch beson­ ders hohe P roduktionskraft auszeichnen, sprechen keinesw egs für die un­ bedingte Richtigkeit der Gleichung: G esteigerte und erw eiterte Produk­ tion = gehobener L ebensstandart für alle. Sch on vor Jahrzehnten ver­ öffentlichte der nordam erikanische Bodenreform er Henry G eorge eine

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Sch rift mit dem bezeichnenden T itel: F ortsch ritt und Ärmut. W ir sagen darum, daß die soziale F ra g e keinesw egs nur eine P roduktionsangelegen­ heit ist, so sehr sie das gerade in B rasilien auch ist. S ie stellt eben nicht nur ^ein E rzeu gu ngs-sondern auch ein Vierteilungsproblem dar.

W odurch ist der besondere C harakter der sozialen F rag e in B rasilien bestim m t?

1) Infolge der G r ö s s e d e s L a n d e s und der V e r s c h i e d e n - a r t i g k e i t d e r G e g e n d e n sind die U nterschiede in ihnen sehr groß. Die H öhe des P reises und damit die L ebenserhaltu ng hängt stets von den V erkehrsbedingungen und der N ähe einer entsprechenden Land­ w irtschaft ab. F ern er sind die Nöte eines im sertão lebenden L an d ar­ beiters und des K aboclos anders als die eines M annes, der in einer städ­ tischen Fabrik beschäftigt ist. D er erste re kann trotz w irtschaftlicher Not eine g ew isse L iebe zur Heimat haben, w as dem anderen trotz w irt­ schaftlicher Besserstellung schw erer ist. E r ist also mehr entw urzelt als der andere. Beide meinen w ohl in vielen Fällen unter dem Druck eines harten B ro th errn (Patrão) zu stehen, g eg en den sie sich innerlich auf­ lehnen. O ft hindert aber die m angelnde Bildung diese M enschen daran, aus ih rer elenden L ag e jem als herauszukom m en.

2) S o w irk t gerade d a s A n a l p h a b e t e n t u m , das U S A und Europa in diesem M aße kaum kennen, hemmend auf jeden w irtsch aft­ lichen und sozialen Frotsch ritt ein. Solang e dieser Zustand andauert, ist eine gew isse, w ir sagten schon: patriarchalische Führung der u nte­ ren Schicht durch B ro th errn und S ta a t notw endig.. Ein V ergleich der W ählersum e B rasiliens mit der Englands, das etw a die gleiche B ev ö l­ kerungszahl hat, lehrt, w ie sehr e rste res noch von einer w irklichen D e­ m okratie entfernt ist.. D er S ta a t und andere O rganisationen bem ühen sich darum , das Analphabetetum einzuschränken und zu überwinden.

Freilich können Verm ittlung von W issen und Gründung von Sch u ­ len nur g ew isse V oraussetzungen und M öglichkeiten zur Lösung der so ­ zialen F ra g e schaffen. F ehlt diesem Tun ein entsprechendes E th o s und begnügt man sich mit einer planlosen, nur auf äußere Erfolge au sgehen­ den A rbeit, so könnte eher das Gegenteil eintreten. V o r zehn Jah ren sag te einm al ein U niversitätsprofessor in P orto A legre: Die H albalpha­ beten seien für unser Land eine g rö ß ere G efahr als die A nalphabeten. Er meinte, daß z. B . unverdauter W issen sstoff, überhaupt die hemm ungs­ lose Jagd nach Diplomen m ehr schade als nütze. B esse rw isse r und H alb­ gebildete sind ja im Grunde gespaltene M enschen. Ihre offenen oder g e ­ heime U nzufriedenheit läßt sie zu D em agogen w erden, w enn sie sich mit einem entsprechenden Ehrgeiz verbindet. Daß sie dann die soziale

F rag e e h e r verw irren als zu ihrer Lösung beitragen, dürfte klar sein. 3) Schließlich ist Brasilien, das im G egensatz zu den meisten eu ­ ropäischen Staaten aus M enschen verschiedener Abstammung gebildet ist, ein Einw andererland, das sich e rst noch zu einer Einheit form en soll. Im allgemeinen geschiet das in der G eschichte nicht ohne S p an ­ nungen und Krisen. Die W eiträum igkeit und die reichen M öglichkeiten des Landes haben bi« jetzt noch verhindert, daß es zu einem w irklichen dauernden Kampf zw ischen den A ngehörigen verschiedener A bstam

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-mung gekommen ist, Zu fragen ist aber, ob z. B . die N egerbevölkerung bei zunehmender Kenntnis der Schrift nicht m ehr soziale Forderungen anmelden w ird. F ern er w äre es immerhin möglich, daß einmal ein neu­ entfachter Nativismus sich mit einer sozialen Em pörung gegen die Schicht der Kapitalisten verbindet, von denen ja ein g rö sserer Teil im Sü d en den D eutschen und Italienern angehört. E s w ird einer verantw ortungsbew ußten Haltung dieser K reise selbst sow ie einer freiheitlichen Gestaltung des sta a t­ lichen Lebens, die jedem den nötigen Raum zur Entfaltung gibt, im Bunde mit einer entsprechenden sozialen G esetzgebung schon jetzt b e­ dürfen, um diesen G efahren zu begegnen.

I I I . H a t d i e K i r c h e ü b e r h a u p t e i n e s o z i a l e A u f g a b e ? Ist auch dem bisher G esagten die soziale F ra g e in Brasilien in der H auptsache eine A ngelegenheit der Produktion, des V erk eh rs, der E rzie­ hung und G esetzgebu ng? Gewiß ist sie das auch und zunächst einmal! A ber die besten staatlichen M aßnahm en und G esetze nützen bekanntlich, nichts, w enn sie im falschem Geist gehandhabt w erden, w enn man sie starr und bürokratisch ausführt, oh n e die besonderen Bedingungen d er M enschen und Landschaften genügend zu berücksichtigen. Auf diesen Punkt hat A. J. R e n n e r in Artikeln im „Diario de Noticias” aufm erk­ sam gem acht. Und der holländische Staatsm ann P a t i j n meint, eine sta rre Sozialpolitik laufe G efahr, „für große Teile der Bevölkerung die Lebensbedingugen nicht zu sichern, sondern auf die Länge gesehen g e ­ nau das G egenteil zu tun, nämlich sie durch Versündigung an den w irt­ schaftlichen G esetzen zu verschlechtern” („Die Unordnung der W elt und1 G ottes Heilsplan” , III, S . 2 0 5 . Genf und Zürich 1948). W erden uns schon durch einen solchen H inw eis die G renzen staatlicher G esetzgebung auf sozialem G ebiet erneut klar, so sind die auf sk rupellose Verm ehrung des Reichtum s gerichtete G ier und die ebenso v erbreitete Su ch t nach einem bequem en, aber mit viel Geld ausgestattetem D asein überhaupt nicht oder kaum mit staatlichen M aßnahm en zu treffen, da diese w ohl dem äußeren M enschen etw as verbieten oder befehlen, nicht aber über die letzte Gesinnung oder auch G esinnungslosigkeit herrschen können. D er junge brasilianische P rotestan t J o ã o d e 1 Ne r o ruft in seinem mit Begeisterung und Sachkunde geschriebenem Büchlein „P roblem as so ­ ciais do mundo atual” , 1945, die Christen auf den Plan gegen die >,Id o­ latria da riqueza” , a degradação do homem als den .„inim igo comum” (Pag. 186): „Cristianism o integral, pode, pois apelar aos homens de boa vontade, porque lhes oferece uma causa por que lutar —• a cristianização d a ordem social e econôm ica” (Pag. 180). Ein solcher Kampf sei ein

Kreuzzug gegen L aster und soziale Übel.

E ine Kirche, die ih re Predigt von der L iebe bew ähren möchte, kann g ew iß dazu beitragen, den Geist im öffentlichen und privaten Leben m o­ ralischer zu gestalten. Und daß dies in der w estlichen W elt ganz dringend nötig, ja eine L ebensfrage ist, bedarf keiner w eiteren Ausführung. Schon, die natürliche Einsicht sagt uns, daß die heute so w eit verbreitete „re a­ listische” Ansicht in W irtschaftsdingen, die beim Besitzenden in dem G rundsatz gipfelt: Geldverdienen um jeden P reis — *indl beim A rbeiter zur B ejahung von wilden Streik s und D rückebergerei führen kann, überhaupt

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der V erzieht auf O pfersinn und Anstand letztlich die G rundlagen u nter­ g räbt, auf w elchen alle m enschliche G em einschaft beruht. Hat die K irche nun die anscheinend notw endige und dankbare A ufgabe, diese von innen her neu zu festigen, w obei man an das biblische W o rt vom Salz denken; mag, das die W e lt v or der Auflösung b ew a h rt?

Damit ist jedoch die A ufgabe der K irche in dieser Sach e nur sehr äußerlich, ja unzutreffend gekennzeichnet. M an kann nicht nur auf die F rü chte sehen und dabei die W u rzel und den Stam m zu vernachlässigen. Die E xistenz der K irche ist nicht nur oder schon deshalb zu rechtfertigen, weil sie „die L iebe predigt” , w elche das Leben der W elt vertiefen, klären und m oralisieren kann oder die dazu gut ist, die W unden zu verbinden, w elche der Lebenskam pf schlägt. E s sei noch einmal gesagt, daß sie a u c h diese A ufgabe hat. A ber diese ist ih r ern sth aft nur darum gestellt, weil sie w esensm äßig eine direkte und spannungsvolle Beziehung zur W elt und sie ihr gegenüber das „ W o rt G ottes” hat. E s ist ja nicht w ahr und bedeutet mystische, idealistische oder auch pietistische V erengung, daß man den Raum und die Zuständigkeit der K irche im engeren S in n e auf die „ S e e le ” und ihr V erhältnis zu Gott beschränkt. D ie christliche! V erkündigung w endet sich gew iß zunächst an den Einzelnen, ab er zu ­ gleich immer an den g a n z e n , also auch an den sogenannten äußeren M enschen. Paulus ruft Röm. 12, 1 dazu auf, die L e i b e r G ott zur V e r­ fügung zu stellen, und Jesus hat einm al einem Reichen geraten, auf sei­ nen B esitz zu verzichten, von den sozialreform atorischen Forderungen der alttestam entlichen Propheten ganz zu schw eigen. Die B itte um das tä g ­ liche B ro t, das der H err geben soll, steht zw ar nach der B itte um das Kommen des R eiches G ottes, aber sie befindet sich doch auch im V a te r­ unser! E s liegt also G ott daran, daß w ir ausreichend zu essen haben. E r kümmert sich also nicht nur um die „ S e e le ” , sondern um unser g an ­ zes Leben, w ozu auch die äußeren Dinge gehören, die es tragen, fö r­ dern und hemmen. Da d er heutige M ensch, also auch der Christ und die vom Christentum einmal geform te abendländische G esellschaft, v o r­ nehmlich von So rg en w irtschaftlicher und sozialer A rt bew egt w ird, die er in u nserer unruhig bew egten Z eit als besonders drückend em pfindet, muß die K irche C hristi darüber ein W o rt sagen, w enn sie vom heutigen M enschen ernst genommen w erden und zugleich ihrem H errn, der über alles g esetzt ist, treu bleiben w ill E s ist darum w ohl kein Zufall, daß’ fast alle Kirchen der G egenw art sich zur sozialen F ra g e geäußert haben, w ie sie sich im 16. Jahrhundrt zu der F ra g e nach der Aneignung des Heiles und in den ersten Jahrhunderten zur C hristusfrage kundtun, mußten.

I V . W a s s a g t d i e k a t h o l i s c h e K i r c h e z u r s o z i a l e n F r a g e ?

In den letzten Jahren haben w iederholt hohe geistliche W ü rd enträ­ g er in B rasilien zur sozialen F rag e geredet. Nicht nur der Erzbischof S ch ere r von P orto A legre und der Kardinal Prim as in Rio de Janeiro, der ih r ein ganz besonderes Interesse entgegenbringt, sondern auch die katholische K irche als solche hat ein soziales Program m verkündigt. S ie zitiert dabei immer w ieder die berühm te Enzyklika des P ap stes

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L eo XIII. aus dem Ja h re 1 891, die nach ihren A nfangsw orten „Rerum Novarum ” heißt. S ie ist w ie alle offiziellen Erklärungen dieser A rt gut durchdacht und inhaltlich ausgew ogen, beruht sicherlich auf gründlichen Studien und bildet auch heute noch die Norm. S ie w endet sich besonders g eg en den Sozialismus.- Zum V o rw u rf m acht sie ihm, daß e r die natürliche .Ungleichheit der M enschen ü bersehe. D eshalb müsse; es Eigentum geben, das 'dem M enschen als einem W esen , das frei und für die Zukunft schaffe, gem äß ist. Auch sei die Familie, die naturrechtlich verstanden w ird, ohne B esitz sinnlos. F ern er setzen es die göttlichen, G ebote v o r­ aus. E s sei unsinnig, daß sich zw ei w ichtige Gruppen im W irtsch afte­ leben von vornherein als G egner betrachten. A rbeitgeber und A rbeit­ nehm er sollen zusam m enstehen. U n g erech tig k eit im beiderseitigen V e r­ hältnis muß der S ta a t, w elcher sich der V ernunft und den göttlichen G eboten unterstellt, entgegentreten. E r darf und soll in das W irtsch afts­ leben eingrefen, ohne jedoch seine M acht zu mißbrauchen.

D ie Enzyklika bleibt aber nicht bei allgemein gehaltenen Forderungen stehen, sondern schlägt A rbeitervereinigungen vor und fordert V erb o t der Son n tag sarbeit, in bestim m ter Hinsicht auch der F rau en - und Kin­ derarbeit und erhebt schließlich die Forderung nach angem essenem Lohn. E s ist ein G ebot natürlicher Gerechtigkeit, „daß d er Lohn nicht unge­ nügend sein darf, um eine angem essene und ehrliche Lebenshaltung des A rb eiters zu sichern” . L etzte Forderungen sind in vielen Ländern bereits erfüllt. M an hat mit R echt gesagt, die soziale G esetzgebung in B rasilien habe viele Gedanken aus Rerum Novarum genommen.

Utopische Forderungen zu stellen, lehnt die Enzyklika ausdrücklich ab : A rbeit und M ühsal gehören zum irdischen Leben, denn diese W elt ist kein Paradies. Arm ut schände nicht. Nicht der Reichtum , sondern die Tugend m ache die W ü rde des M enschen aus. S o w ird Natur und Ü bernatur m iteinander verbunden.

V . W a s s a g e n a m e r i k a n i s c h e K i r c h e n z u r s o z i a l e n F r a g e ?

V ergleichen w ir die Äußerungen einflußreicher K irchen in N ord­ am erika und ihrer Tochterkirchen in Brasilien mit der päpstlichen E n zy ­ klika, so erg ib t sich eine überraschende Ähnlichkeit in den Forderungen. Im Credo Social der brasilianischen M ethodistenkirche fordert man z. B . Schutz für Fam ilie und Kind. M an betont das Eigentum srecht, M in­ destlohn und Schiedsgericht gehören zu den Program m punkten. E s en t­ zieht sich meiner Kenntnis, ob diese Gedanken, die schon im ersten so ­ zialen Bekenntnis des Federal Council of C hurches in Philadelphia 1908 enthalten sind, in literarischer A bhängingigkeit von Rerum Novarum entstanden oder ob nur eine änliche L age zu entsprechenden F ord e­ rungen geführt hat.. W en n man brasilianische Schriftsteller einsieht, w elche sich in diesem Sin n e zur sozialen F ra g e geäußert haben, w ie ausser dem schon genannten João del Nero noch Barbieri, „A ação social da Ig reja ” , 1938, und L u c i a n o L o p e s „C risto e os problem as so ­ ciais do B rasil” , 1945, so fällt w eiter auf die Ablehnung des Kommu­ nism us und des raffgierigen Kapitalismus. Ausserdem haben sie eine

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V orliebe für die soziale D em okratie, von der sie freilich w ünschen, sie m öge religiös unterbaut w erden.. Zusam m enarbeit auf kooperativer G rund­ lage w ird vorgeschlagen: „ 0 cooperativism o é, sem dúvida um grande passo na realização do ideal cristão, êle é o m elhor meio de se acabar com a pobreza, mas a sua prática exige indivíduos com pletam ente rei- g enerados, e a falha deste elem ento explica porque não tem alcançado m aior êxito até hoje no B ra sil” (Lopes). Die Christen sind und seien der eigentliche Antrieb des sozialen Fortschritts.

Begründet w erden diese Forderungen nicht eigentlich n atu rrecht­ lich, w ie es, w ie w ir sahen, w eitgehend in der katholischen Soziallehrei geschieht, sondern o ft unter unm ittelbarer Beziehung auf die Bibel. Biblizism us verbindet sich hier mit A ufgeschlossenheit für die E rfo rd er­ nisse des m odernen Lebens.. W ir haben freilich den Eindruck, als ob die Verbindung zu schnell hergestellt ist. B a r b i e r i beruft sich z. B . fo l- genderm assen auf die Berg p red ig t: „E ste é a constituição do Reino, e nele encontram os o s princípios básicos duma solidariedade humana perfeita e dum respeito à p erso n alid ad e.. . Um program a de serviço enquadrado neste serm ão não pode senão produzir frutos satisfatórios. P o r isso o Serm ão do M onte serviu sem pre p ed ra de toque de qualquer sistem a so ­ cial e o ponto-d e-p artid a de qualquer filosofia política” (Pag. 25). Eine g erad e Linie scheint hier von der Bibel über die M oral in s G ebiet des Sozialen und Politischen zu w eisen. M an könnte dieses „S o ziale E v an ­ gelium “ (social gospel), das zw ar nicht einfach D em okratie und E v a n ­ gelium gleichsetzt, aber doch meint, dass die B ergpredigt „não p re­ para a dem ocracia para o homem, mas o horneim para a d em ocracia” — so der M ethodistenpfarrer und Bundesabgeordnete G uarracy Silveira in „Luthero, Loiola e T otalitarism o“ , 1943 — mit der „M oralischen A ufrüstung“ F ran k Buchm ans vergleichen. M an scheint hier vergessen zu haben, dass G ottes Reich ohne, ja gegen unser geschäftiges Tun komm t, und man v erh arrt im „G esetz” , w ie ja die „Gesinnung” nichts anderes ist als G esetz im feinerem Sinne. M an v ergisst dabei, d ass das „G esetz“ Z orn aufrichtet. Doch geben w ir der kritischen Stim m e des N ordam erikaners R e i n h o l d N i e b u h r Raum, der gew iss vom kontinentalen Denken sehr stark beeinflußt ist, gleichw ohl eine neu ar­ tige em stzunehm ende Form am erikanischer T heologie vertritt, die auch seinen Landsleuten starken Eindruck gem acht h at: „C hristliche G esetz­ lichkeit hat geholfen, in das C haos u nserer T a g e V erw irru n g zu s ä e n ,.. . , D as Heilmittel für die m oderne G esetzlosigkeit ist nicht noch stärkere Betonung des G esetzes oder eine Bem ühung darum, spezielle G esetze spezieller herauszuarbeiten. D as Heilmittel für die m oderne G esetzlosigkeit besteht darin, daß der G ötzendienst und die Selbstanbetung aller M en­ schen und Nationen unter G ottes G ericht gestellt und die M enschen von G esetz und Sünde so frei gem acht w erden, daß alle Dingje ih rer sein können, w enn sie Christen sind. In diesem Sinne können sie dann zw ar keine anarchischen tausendjährigen R eiche bauen, aber G em einschaften, und können sie ständig erneuern und lebendig halten durch den Geist der L iebe“ , („Die Unordnung der W elt und G ottes Heilsplan, III, S . 18).

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VI.

W i e g e w i n n t u n s e r e K i r c h e v o m E v a n g e l i u m e i n e n e c h t e n Z u g a n g z u r s o z i a l e n F r a g e ?

Als am diesjährigen H jm m elfahrtstage D. Niemoeller in P orto A le- g re zu den P farrern sprach, erw äh n te e r das stolze, aber veran tw ortu n gs­ bew u ßte W o rt, w elches e r im Jah re 1934 dem R eichskanzler Hitler en tge­ genhielt, als dieser ihm sagte, die K irche m öchte die V erantw ortu ng für das deutsche V olk ihm und dem S ta a te allein überlassen: „ A u c h d i e K i r c h e t r ä g t f ü r d a s V o l k V e r a n t w o r t u n g “ ! Gewiß ist das W ie anders und verschieden von dem des S ta a te s zu bestim m en. E r kann und muß unter anderem seiner V erantw ortung mit G ew alt und M ach t Nachdruck verleihen, w ährend der K irche lediglich d a s W o r t in P red igt und Se elso rg e gegeben is t; in den meisten Ländern verfü gt sie heute darüber hinaus noch über die M öglichkeit, es im U nterricht, in Kundgebungen und durch die P re sse mitzuteilen. S ie h at also auf das „Reich G ottes zur Linken“, w ie Luther O brigkeit und G esellschaft, wir sagen heute einfach „ S ta a t“, genannt hat, nur indirekten Einfluß. S ie w ird darum auch gew iß nicht Forderungen für den Aufbau der G e­ sellschaft im einzelnen stellen oder R atschläge für die V erw altu n g e rte i­ len, sondern dies vielm ehr den Fachleuten in S ta a t und W irtsch aft ü ber­ lassen. Ihre B o tsch aft ist ja w irklich nicht die „Um wandlung d er w irtschaftlichen und sozialen V erhältnisse dieser W e lt” , sondern sie spricht vielm ehr das “innerste S e in “, G ew issen und Herz des M enschen an (Künneth in „K irche und Sozialism us in neuer B egegnu ng“, Z e it­ w ende, M ärz 1949, S . 646). W eil es d er Bibel auf dies L e tz te ankommt* ist die Kirche des Evangelium s b esser in der L age, die l e t z t e n auch gerade däm onischen H intergründe des L ebens deutlicher zu erkennen als der D urchschnittspolitiker, der opportunistische Staatsm ann, oder der Program m gläubige. Die Ökumene erklärte darum in Am sterdam , die tiefste U rsache der sozialen K rise beruhe auf der „W eigeru ng der M enschen zu sehen und anzuerkennen, daß ihre V erantw ortu ng vor G ott höher s t e h t. . . als ihre V erbundenheit mit irgendeiner irdischen G em einschaft” (Sektion III, A bschnitt 1). U nsere zum größten T eil w eltlich ausgerichtete G esellschaft „verkennt die ganze T ie fe des B ösen in der m enschlichen Natur und die volle F reih eit und W ü rd e der Kinder G ottes“ (ebd.) Durch den allgemeinen Abfall von G ott w erden dauernd die Beziehungen der M enschen untereinander verkehrt. „A ls Sym ptom e solcher Anomalie erscheinen Ichsucht statt N ä c h s te n lie b e ..., G ew alt statt V erständigung, Kampf und Sieg statt F rieden“ (Künneth, a. a. O. S . 648). Auch die Christen w issen sich bis zur endgültigen Erlösu ng in dieser Solid arität der Schuld, ja empfinden sie im G egensatz zu den W eltkindern, die immer geneigt sind, sich entw eder resigniert mit der Unordnung abzufinden, w obei man trotzdem oder gut noch seine Gei- schäfte besorg en kann, oder auf B esseru ng durch eigene K raft zu hoffenl, diese ganz drückend, so stark, daß sie an der W irksam keit aller irdi­ schen M aßnahm en zw eifeln, die uns jem als irdische Vollkom m enheit in A ussicht stellen. D esto mehr vertrau t die K irche als Sam m lung leben­ diger Christen auf das Kommen des R eiches G ottes in Christus und und betet in jedem V ateru n ser darum. W eil aber also diese W e lt

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trotz Not, T od und Sündß G ott g ehört, ja das R eich G ottes schon jetzt' im Aufbruch begriffen ist, stehen die Christen der W elt nicht g leich­ gültig g eg en ü b er; nur M ystiker und Idealisten können sich das leisten. D as Reich G ottes soll auf diese freilich zu verw andelnde E rd e kommen. Die von C hristi G eist regierte K irche muß darum im Hier und je tz t schon ein Zeuge des komm enden und gekom m enen H errn sein und die W elt an ihre A bhängigkeit von ihm erinnern. D a G ott in Christo sich zu dieser M enschheit bekannt hat und ihr seine G erechtigkeit schenkte, sind w ir gehalten, auch G erechtigkeit zu verw irklichen, d. h. zugleich: W ir sind gehalten „die besonderen Form en der Unordnung zu über­ winden, durch w elche das bleibende B ö se in den menschlichen Gem ein­ schafften noch verschlim m ert w ird” , w ir sollen „M ittel und W eg e suchen, w ie sie behoben oder eingeschränkt w erden können (Sek tion III, A b­ schnitt 3).

Nach dem gerade G esagten ist das jedoch nur dann möglich und sinnvoll, w enn w ir eben damit ganz ern st m achen, daß S ta a t und so ­ ziale Ordnungen nicht nur dem Erhaltungsw illen des V a te r-G o ttes und seiner V orsehung unterstehen, sondern auch Christus zu ihnen eine gej- bende und fordernde Beziehung hat, anders gesagt, daß die D reieinig­ keit G ottes auch für die soziale F ra g e gilt. — H. H. Sch rey , ein junger T h eologe (geb. 1911) in Bonn, h at es so ausgedrüokt: Gott ruft die M enschen zur G erechtigkeit, Christus schenkt sie ihnen und fordert im G eist von ihnen die b essere G erechtigkeit. „Nur w o von dieser M itte aus gedacht, g eleb t und geglaubt w ird, kann es w eltliche G erechtigkeit g eben“ und gibt es M enschen, die „aus Liebe, nicht aus Haß und R essen ­ tim ent sich für die Schaffung sozialer G erechtigkeit einsetzen w erden”, ohne utopischen Hoffnungen nachzujagen und die Spannung von M acht und R echt sow ie von G erechtigkeit und Liebe in dieser W elt ganz aufheben zu können und zu w ollen („N aturrecht und G ottes G erech­ tigkeit“ in „U niversitas“, April 1 950, S . 4 3 2 — 433). Noch deutlicher sagt uns in „D ie soziale F ra g e im Licht der B ib e l“, 1947, der Sch w eizer Prediger Lüthi w as gem eint ist. E r w eist uns darauf hin, daß eigentlich nur von K reuze Christi, das uns die V ergebu ng der Sünden g ew äh rt und verbürgt, die A rbeit an der sozialen F ra g e in A ngriff genommen w erden kann, da sie die Fähigkeit, v ergeben zu können, voraussetzt. Im A lltag des beruflichen L ebens sei damit zu beginnen.

S o kommt es g erad e der christlichen K irche auf „M enschw erdung des M enschen“ an, w as letztlich nur dadurch möglich ist, daß G ott in Christus M ensch w urde und w ir als Sünder an dessen Tod und als irr* neuen Leben Stehende an seiner A uferstehung Anteil haben.

V I I . W i e b e u r t e i l t d a s E v a n g e l i u m d e n M e n s c h e n i n d e r s o z i a l e n F r a g e ?

Künneth sag t: „D as E rlöstsein jed es M enschen schafft in einzigar­ tiger W eise ,B ru dersch aft“ und begründet e rst w irkliche Gleichheit des M enschen vor G ott.“ Da in Christus auf jeden M enschen eine ew ige V erheißung ruht, sollte jede „D egradierung zur S a ch e” zur „M aschine” und „Nummer“ ausgeschloßen sein (a. a. O. S . 650). M it dieser F o r ­

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derung drückt er die tiefste Not aus, unter d er w ir alle leiden, auch in der Kirche, die in ihrer äußeren G estalt keinesw eges vor der G efahr berechnender, liebloser B ü rok ratie verschont ist. B ei der sozialen F ra g e w ird diese N otlage nur besonders deutlich. W ir alle, Christen, Nicht­ christen, A ngehörige gehobener und einfacher B eru fe, stehen in Gefahr, von der über uns stehenden beruflichen und staatlichen O rganisation nur noch als „K raft” , die man einsetzen oder, w enn sie „v ersag t” oder unbrauchbar gew orden ist, „abschreiben“ muß, angesehen zu werden. W ie konnte es aber geschehen, daß der einzelne sich eine solche B e ­ handlung trotz gelegentlichen Aufbäumens gefallen ließ und die leiten­ den O rgane in G esellschaft, S ta a t und W irtsch aft ihm seine W ürde und V erantw ortu ng nahm en? W eil beide, die oberen O rgane und die unteren Schichten, den W illen G ottes verleugneten, der erst den M en ­ schen zur P erso n m acht, w eil er ihn anredet, konnten die unpersönlichen M ächte eine so verhängnisvolle M acht erringen, w ährend gerade die G ott verantw ortliche G esellschaft die echte Freiheit des M enschen achtet (Sek t. III, Äbsch. 14). D ie christliche Kirche ford ert darum, „den unbe­ dingten V o rran g der P erson gegenüber rein technischen Erw ägungen sicher zu stellen“ (ebd. Absch. 12) und den M enschen niemals als M ittel für den S ta a t und die Produktion anzusehen, vielm ehr seien diese für ihn geschaffen (ebd. Absch. 15 ); der M ensch muß darum auch das R echt haben, die R egierung zu kontrollieren, kritisieren und zu w echseln.

Auch konkrete Hinweise gibt die A m sterdam er Kirchenversam m lung. Sie kritisiert die M achtzentralisierung in einiger und w eniger Hände und setzt sich ein für eine G esellschaft, die „eine reiche V ielfalt kleiner G em einschaftsgebilde umfaßt, in der örtlichen V erw altu ng, in industriellen O rganisationen einschließlich der G ew erkschaften, durch die E ntw ick­ lung öffentlicher K örperschaften oder durch freie V ereinigungen“ (ebd. Absch. 13), hinter w elchen S ä tz en w ohl Bru nners V orschläge w ieder zu erkennen sind. M ögen auch d ie Sch w eizer V erhältnisse dabei v o r Augen gestanden haben, so ist doch die R ichtigkeit des G esagten kaum abzustreiten.

V I I I . W i e s t e h t d i e K i r c h e C h r i s t i h e u t e z u m K o m m u n i s m u s u n d K a p i t a l i s m u s ?

H. T h i e l i c k e m acht uns in seiner lesensw erten Studie „Kirche, und Ö ffentlichkeit“, 1947 (Vgl. Besprechung durch P. Tornquist in „Studien und B erich te” 2 /1 9 4 9 ) w iederholt darauf aufm erksam , daß das „P ersonalistische“, er m eint: der V o rran g der von G ott g esch affe­ nen P erso n bei allem Denken und Handeln das Entscheidende sei. D ie W irtsch aft ist nichts „N eutrales“, sondern „ W e rk “ des M enschen, der zugleich „G egenstand des göttlichen und von der K irche verw alteten W o rte s is t“ (S. 104). E s g eh t letztlich garnicht um „Ö konom ie“, son ­ dern um „A nthropologie“, also um ein „seelsorgerliches A nliegen“ (ebd.). Da heißt nicht, daß die K irche die W irtschaftsform vorschreibe. D er lutherische Sozialethik er Thielicke w eiß, daß e s keine christliche W irtsch aftsgestalt als solche gibt. In besond erer Beziehung auf unsere

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Zeit, w elche mit der Luthers, w elcher die christliche1 O brigkeit vorau ssetzte, nicht gleichgeordnet ist, fäh rt er aber fo rt: ,,E s gibt abeir auch nicht bloß christliche W irtsc h a ftle r; sondern e s gibt bestim m te unchristliche W irtsch aftsg estalten “ (ebd. S . 105). S o führt nicht nur der kommunistische Kollektivism us, sondern auch der „M onopolkapita­ lismus“ zur „Entm enschlichung des M e n s c h e n .“ D er M ensch, der in diesen Gebilden zu leben gezw ungen ist, läuft G efahr, sein persönliches Sein zu verlieren, da e r nicht mehr einer konkreten P erson, sondern einem abstrakten S ta a ts -E s oder einer unpersönlichen A ktiengesellschaft g eg en ­ ü bersteht, die ihn zerm ürben, die e r selbst aber kaum greifen, g e ­ schw eige zur R echenschaft ziehen kann, da sie sich in brutaler, unheim­ licher Nam enlosigkeit tarnen.

In ähnlicher Hinsicht sag te bereits schon D ietrich B on h öffer in seiner w ährend des K rieges 1 9 4 0 — 1 9 4 3 entstandenen Ethik, die je tz t gedruckt vorliegt: „ E s gibt zum Beispiel bestim m te W irtsc h a fts- oder S o z ia l­ gesinnungen und - Zustände, die dem Glauben an Christus hinderlich sind und das heißt auch, das W esen des M enschen in dieser W elt z er­ stören. E s ist z. B . die F rag e, ob der Kapitalism us oder Sozialism us oder Kollektivism us solche glaubenhindernden W irtsch aftsgestalten sind“ (S. 282). W ied er fällt uns auf die enge V erbindung von M enschsein und Glauben!

D ie A m sterdam er Kirchenversam m lung lehnt e s zunächst ab, die F ra g e nach der Sozialisierung der Produktionsm ittel zu entscheiden. G ew iß hat dabei m. E. die berechtigte Rücksichtnahm e auf die ch rist­ lichen Sozialisten in Europa mitgespielt. Ist doch der englische W ir t­ schaf tsm inister Cripps ein bew u ßter Christ! Sie gibt allerdings den Sozialisten zu bedenken, „daß die Institution des Eigentum s .als solches nicht die W u rzel der V erd erbnis der menschlichen Natur ist.“ Den unbedingten V erteidigern des Eigentum s sagt man, „daß P rivateigen ­ tum kein unbedingtes R echt ist“ , es muß darum „den Erfordernissen der G erechtigkeit gemäß erhalten, eingeschränkt und verteilt w errd en “ (Sektion III, Absch. 11). A ngesichts der drohenden M acht des Kommu­ nismus sollen Kirche und Christen zunächst einmal B u ß e tun und die eigenen V ersäum nisse bedenken, bereuen und einsehen.

Zu dem System des „atheistisch-m arxistischen Kommunismus“ kann sie allerdings nur in G egensatz stehen. S e in G laube an die M öglichkeit einer Erlösung im D iesseits und an die V orzüglichkeit der proletari­ schen K lasse sow ie deren P artei mit ihren totalitären Zw angsm ethoden, die zur rücksichtslosen Behandlung der G egener führen, sind ebenso unchristlich, w ie es offensichtlich ist, daß der in ihm vertretene deter­ m inistische M aterialism us nicht mit der christlichen Anschauung vom M enschen als einer nach G ottes Ebenbild geschaffenen und Ihm veran t­ w ortlichen P erso n zu vereinbaren ist (ebd. Absch. 19).

A ber auch der schrankenlose „ la issez-faire Kapitalism us“ wird ver­ w orfen, der die Tendenz hat, dem w irtschaftlichen V orteil der B esitzer alles unterzuordnen und so „schw erw iegende U ngleichheiten“ erzeugt. In den w estlichen Ländern hat er den M aterialism us des Geldverdienes erzeu gt und hat oft zu sozialen K atastrophen, z. B . M assenarbeitslosig ­

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keit geführt (ebd. Absch. 21). Abschließend heißt es über beide: S ie „haben V ersprechungen gem acht, die sie nicht einlösen konnten. Die komm unistische Ideologie betont w irtschaftliche G erechtigkeit und v e r­ heißt, die F reiheit w erd e sich autom atisch aus der Vollendung der R e ­ volution ergeben. D er Kapitalism us betont die F reiheit und verheißt, die G erechtigkeit w erde sich ganz von selbst aus der freien W irtsch aft ergeben. Auch dies ist eine Ideologie, die sich als falsch erw iesen hat. Es g ehört zu der V erantw ortung der Christen, neue schöpferische L ö ­ sungen zu suchen, die es nicht zulassen, daß G erechtigkeit und F reiheit sich gegenseitig zerstö ren “ (ebd. Absch. 23).

I X . W o r i n b e s t e h t d i e s o z i a l e F u n k t i o n d e r K i r c h e ? W enn in einer Versam m lung z. B . einer P. K. ein V o rtra g gehalten ist, in w elchem U rsachen für eine Not und verschiedene M öglichkeiten zu ihrer Überw indung grundsätzlich aufgezeigt w orden sind, so erhebt sich gew öhnlich sehr bald in der A ussprache die F ra g e : W a s s o l l e n w i r d e n n t u n ? D er M ensch m öchte bestimmte W eisungen em pfan­ gen oder doch mindestens ein Program m erfahren, nachdem er sich richten kann. Ein Teil der A nziehungskraft der katholischen K irche besteh t darin, daß sie beides anbietet. W a s sagt nun die Kirche des Evangelium s?

Nach dem bisher A usgeführten dürfte und sollte deutlich g ew o r­ den sein, daß es kein evangelisches Sozialprogram m als solches gibt. M artin Luther w ürde das genau so verw orfen haben, w ie er den G e­ danken einer christlichen G esellschaft an sich oder den eines christli­ chen Schusterhandw erkes abgelehnt hat. W oh l gibt es christliche und evangelische Politiker, H andw erker, Kaufleute, Fabrikanten und A rbeiter. Früher hat man gemeint, die K irche solle sich damit begnügen, diesen in G ottesdienst und sonst das Evangelium zu predigen und dabei hoffen, daß es sich im beruflichen Leben schon ausw irken wird. D er A m sterda­ mer B ericht betont, daß in der T a t „der größte B eitrag , den die Kirche zur Erneuerung der G esellschaft leisten k a n n . . . die Erneuerung ihres eigenen L ebens in Glauben und in G ehorsam gegen ihren H errn“ ist (Sek t. III, A bsch. 23). „D er Einfluß der gottesdienstlichen Gem einden“, so heißt es w eiter, ist dabei besonders groß, „w enn diese Gem einden M enschen aus vielen sozialen Gruppen um fassen“ . E s w ä re jedoch falsch, w enn w ir annehmen, die soziale Funktion erschöpfe sich darin. Auch außerhalb des G ottesdinstes im engeren Sinne, der gew iß immer der M ittelpunkt allen kirchlichen L ebens bleibt — und es stimmt etw as nicht, w enn man ihn gering achtet, — muß das W o rt G ottes gesagt und g ehört w erden. Die K irche soll ihre Glieder auch dahin bringen, „in neuer W eise danach zu fragen, w orin ihre christliche V erantw ortung b esteh t“, ob sie nun A rbeitgeber od er A rbeitnehm er sind oder einen anderen B eru f ausüben, in dem sie Entscheidungen treffen müssen( Absch. 27). W enn diese im christlichen Sin n e fallen sollen, muß man zuvor den anderen anhören können, eine Fähigkeit, die unserem Geschlecht bei seiner großen W ortfertig k eit immer m ehr verloren geht, da unser Reden mit anderen m eistens den C harakter des M onologs, der S e lb st­ rechtfertigung od er der Berechnung trägt. D er A m sterdam er B ericht

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begrüßt es, daß e s b ereits schon Gruppen von Christen gibt, „die in ihrer A rbeit ganz ähnliche Problem e zu lösen haben“ und die zu ­ sammen leben und beraten, „um zu entdecken, w as ihnen als Christen zu tun obliegt“ (Absch. 27). Bei solchen brüderlichen Aussprachen müßte und dürfte es sich heraussteilen, w ie entfrem det w ir gerade an unserer A rbeitsstätte dem lebendigen Christentum sind.

A ber auch mit einer „Einübung im Christentum “, die der Glaube verlangt, w elcher immer mehr ist als religiöses Denken, Fühlen und W ollen, ist noch nicht alles gesagt. Zu bestimmten Zeiten wird von der Kirche erw artet, daß sie „durch ihre R äte oder durch in ihren Namen dazu beauftragte P erson en “ ein klares W o rt zu den „konkreten Form en des Unrechts, der Unterdrückung und des sozialen G ottesdienstes” in aller Ö ffentlichkeit sagt. Es kann ein w eisendes oder w arnendes W o rt sein (Absch. 25). E s muß deutlich hart, aber doch nicht ohne L iebe und V erständnis geredet w erden. Auf keinen Fall soll sie aber irgendeine Selbstverständlichkeit der Zeit w iederholen, christlich begründen oder auch einfach das ablehnen, w as jed er heute verw irft, da solches nur peinlich w irkt, sondern es muß eine biblische A ntw ort auf eine allgemein gefühlte Not sein.

X . H a t d i e K i r c h e v o r d e r N i c h t - o d e r N a c h c h r i s t ­ l i c h e n W e l t ö f f e n t l i c h e i n e s o z i a l e F u n k t i o n ?

W enn die K irche eine soziale Kundgebung erläßt, kann man den Ein wand hören: D as ist zw ecklos, denn die meisten hören sie nicht, oder w enn diejenigen, an die sie besonders g erichtet ist, sie doch vernehm en, beachten sie nicht das G ehörte. Einmal kann dieser Einw and der Kirche Anlaß zur Selbstprüfung sein: Hat sie auch deutlich, konkret, nicht zu diplomatisch gesprochen, und hat sie w irklich auf M enschendienst dabei verzichtet. W enn sie in dieser Beziehung ein gutes G ew issen hat, darf sie nicht schw eigen. W ir sahen ja oben, die ganze W elt untersteht grundsätzlich Gott in Christus, auch die ihm entfrem dete g ehört als der verlorene Sohn ihm. Thielicke sagt darum: „ W ir dürfen nicht kleingläubig fragen, w ie w ir die Ö ffentlichkeit meistern sollen, weil der M eister öffentlich ist“ (a. a. 0 . S . 126). E ine g ^ ch ich tlich e Ü ber­ legung mag es verdeutlichen: Nachdem die abendländische M enschheit einmal die C hristusbotschaft vernom m en hat und von ihr W irkungen ausgegangen sind (Sklavenbefreiung, b essere Stellung der Frauen, hu­ mane Behandlung der G efangenen), kann sie diese nur ablehnen oder annehmen. M ag sie in den letzten Jahrhunderten m ehr geneigt sein, die von ihr em pfangenen Einflüsse w ieder vergessen zu wollen und darum der Kirche nur eine E xistenz im W inkel als unverbindliches Schm uckstück der G esellschaft zuzuerkennen, so bleibt doch die B o t­ schaft von Christus öffentlich, selbst w enn man seine K irche in ein g e ­ tarntes oder offenes Ghetto abdrängt. Freilich ist der Gemeinde Jesu nicht verheißen w orden, daß sie W elt und Ö ffentlichkeit v or dem Ende der G eschichte jem als ganz gew innen, vielm ehr das Gegenteil, daß sie um Jesu willen gehaßt wird. S ie darf aber deshalb nicht aus der Not eine- falsche Tugend m achen und in unbiblischer „Innerlichkeit” sich auf

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sich selbst zurückziehen und abseits vom Strom des Lebens w arten, ob' nicht noch einige m ehr aus der M asse der V erlorenen auf ihre) B otsch aft hin in ihre A rche kommen w ollen. S ie ist a l l e r W elt die Predigt des Evangelium s Christi schuldig, das in Zuspruch und Anspruch „unser ganzes L eb en “ umfaßt, w ie es im zw eiten S a tz der B arm er Erklärung heißt.

E s sollte deutlich w erden, w ie sich dies als die „soziale Funktion der K irche“ ausw irken kann. W enn w ir dabei zugleich im Auge behalten, daß der Endsieg Christi erst im letzten G ericht vor aller W elt deutlich w ird und bis dahin das K reuz ü ber der Kirche steht, sind w ir auch zugleich vor der G efahr der sozialen Betriebsam keit bew ahrt, die meint, daß w i r alles m achen können, w enn w ir eis nur mit der rich­ tigen Gesinnung und einer entsprechenden Geschicklichkeit anfassen und vielleicht neue Ämter und V ereinigungen schaffen, um auf diesem „G ebiet“ zu arb eiten ; der Teufel steht dann gew öhnlich im H inter­ grund und sieht sein Reich w achsen. Neben der B etriebsam keit ist aber noch die verlogene, christlich g etarn te R esignation eine G efahr. Denn der Zusam m enhang von G ottes G erechtigkeit und M enschengerechtigkeit gilt nicht nur für Christen, sondern auch für N ichtchristen (Vgl. Schrey, a. a. O. S . 433). Die Kirche hat beide daran zu erinnern. S ie d arf es tun, w eil sie w eiß, daß einmal der Zeitpunkt kommen w ird, an dem die Heiden sagen w erden: Kommt, laßt uns zum Hause des Herrn hin­ aufziehen (Jes. 2, 3). D ann w ird der Glaube „schauen, w as er geglaubt hat. Und der U nglaube muß schauen, w as er n i c h t geglaubt h at” . Thielicke, a. a. O. S . 127). D a aber das Reich G ottes seit und in Christus bereits im Kommen ist, w irk t seine im Ganzen der großen W elt verborgenen H errlichkeit bereits schon in diese noch sündige W eltzeit hinein. Jen e ist schon sichtbar in der dienenden Liebe, in der Anerkennung des anderen als eines M itbruders und G eschöpfes G ottes und im Zeugnis der mahnenden und w eisenden R ede als Licnt der W e lt (M atthäus 5, 14). D arin besteht d er christliche B eitrag zur sozialen'

F rage. Dr. E. Fülling.

Kommunismus, Kapitalismus und Christentum.

A. J. Renner. (F ü r die „Diários Associados“ ).

In s D eutsche ü bertragen von H errn Dr. K . Becker.

Der Züricher U niversitätsprofessor Emil B ru nner, D oktor der T h e o ­ logie, hat soeben sein R eferat über das T hem a veröffentlicht, das uns1 zur Ü berschrift dient und d as er auf dem K ongreß der E vangelischen Kirchen in Amsterdam im August 1948 gehalten hat.

In einem Artikel w ies ich bereits auf die B eschlü sse jener V ersam m ­ lung hin, die uns damals unvollständig überm ittelt w orden sind, w ie sich jetzt aus der Lektüre der Schrift entnehm en läßt, welch letztere, ich der Aufm erksam keit eines Freundes verdanke.

Im ersten Teil seiner Abhandlung untersucht dieser hei vorragendtei T h eologe von einem idealen Beobachtungspunkt aus, w ie e s die

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