Ina Wunn
Mualla
Sel~uk
(Hrsg.)
Islam, Frauen
und Europa
Islamischer Feminismus
und Gender Jihad - neue Wege
fur
Muslirninnen in Europa?
/
Inhal tsverzeichnis
Geleitwort
Vorwort der Hpr,:m"O"phprlT1'"lPT1
7 8
Frauen, Islam und KelIgIOsItat
Ina Wurm und
Zur Einftihrung: Von der "Rolle der Frau" zum "Gender Jihad"
ein historischer Abriss ... 11
Mualla Se10uk
Die Definition von "Jihad" und die Bedeutung fur die
in einer Welt des relisdosen Pluralismus ... 45
Constantin Klein
Sind Frauen grundsatzlich relil!.ioser als Manner?
Zur Konstruktion eines universellen Geschlechtsunterschieds ... . 58
Adem Aygun
Religiositat muslimischer Frauen in Deutschland:
zwischen Sakularitiit, und Wertekonservativismus 85
Bertram Schmitz
theologischen Pramissen der Methoden
feministischer Koraninterpretation 105
Bertram Schmitz
Vom Koran zu Muhammad und Maria 119
AIle Rechte vorbehalten
Nahide Bozkurt
2013 W. GmbH Stuttgart
Urnschlag: Peter Horlacher Frauen im Koran und der historische Kontext 124
Satz: Andrea Siebert, Neuendettelsau
W. Kohlhammer Druckerei GmbH + Co. KG, Stuttgart der l~rau im Islaln ... . 131
Printed in Germany ISBN 978-3-17-021152-0
6 Inhaltsverzeichnis
Islam und Feminismus im sozialen Kontext
der Frau aus der Sieht meiner Erfahrung 147
Feminismus, Sakularitat und Islam.
Frauen zwischen Modernitat und Traditionalismus 159
Corrina Gomani
"Rittlings auf den Barrikaden" - Zur komplexen Pro-Glaubensaktivistinnen und Feministinnen.
islamischer
Jntersuchungsfeld Musliminnen Machtanalytische Annaherungen an das
im Kontext Integration, Gender und Islam 176
Nina Clara Tiesler
Verlust der Fixierung auf Religion und Tradition: Zur Konstruktion muslimischer Identitat in Offentlichen und
sozialwissenschaftlichen Diskursen 207
Feministische Netzwerke und Organisationen
Claudia Derichs
Transnationale Netzwerke muslimischer Frauen
Eindri.icke am BeisDiel von Muswah for Eaualitv in the Family ... . 225
Zrinka Stimac
Islamische Frauenorganisation Kewser:
Zwischen spiritueller Erweckung und Frauenemanzipation 241
Abstracts 261
Die AutorInnen 267
Geleitwort
Recht hat das Ziel, den Menschen ein Leben in Offenheit, Sicherheit und Ord nung unter sozialen und menschlichen Bedingungen zu und be stimmt aus diesem Grunde die Rechte und Pt1ichten des Individuums. U m dieses Ziel zu erreichen, ist es unvermeidbar, dass sich die Werte LInd Normen der Ge sellschaft in diesem Recht widerspiegeln.
Aus dies em Grund weisen die rechtliche Lage der Frauen sowie die Einste! und Ansichten uber ihre Rechte und Pt1ichten Unterschiede auf, je nach dem, in welchem Zeitalter oder Umfeld diese Frauen leben und haben. Bis auf Ausnahmen waren Frauen im Lauf der Geschichte von der politi schen Macht ausgeschlossen. Selbst heute kann man noch feststellen, dass Frauen teilweise nicht die zivilen und politischen Rechte wie :Manner besitzen. Mehr noch als Grunde spielen dabei jedoch die sozio-kulturellen und wirtschaftlichen Bedingungen eine wichtige Rolle.
Urn zu verstehen, welche Bedeutung und Wertschatzung der Islam den Frauen zuerkennt, muss man die der Frauen in der pra-islamischen Gesell schaft betrachten und mit den des Koran vergleichen. 1m islamischen Glauben es, was Menschlichkeit oder die Hingabe zu Gott betrifft, keinen Unterschied zwischen Mann und Frau. Ebenso wenig
schiede hinsichtlich der grundsatzlichen Rechte und Verantwortung von Mann und Frau. Dennoch haben manche islamischen Gelehrten im Laufe der Ge schichte behauptet, dass Frauen keine Hihrungsrolle im politischen und schaftlichen Leben ubernehmen konnen. Dies jedoch immer mit den ligen sozio-okonomischen und kulturellen Gegebenheiten zusammen.
f\D.ge.serlen von der sakular Turkei, wo die Frauen heute sowohl im wirtschaftlichen als auch im Leben eine Vielzahl von Hih rungspositionen besetzen, ist es Frauen auch in stark islamisch Uin dem wie Pakistan oder Bangladesch bis zur Staatsspitze aufzusteigen. Der Islam hat die hierfur notigen Grundvoraussetzungen wa.hrend alles weitere der der Gesellschaft uberlassen wurde. Religiose Inter l)fetationen, die besagen, dass Frauen keine Offentlichen Aufgaben ubemehmen
begrenzt am sozialen Leben teilnehmen sollen, sind daher nur bedingt religiosen Gelehrten mit ihren Erfahrungen und kulturellen Hintergrunden zuzuschreiben. Es ist daher offensichtlich, dass Gerechtigkeit und Frieden zwischen Mann und Frau auf jeder Ebene fur ein friedliches Zusam menleben und das Wohlbefinden einer Gesellschaft unerlasslich ist.
Gemeinsames wiinschenswertes Ziel ist es, Diskriminierung sowohl von Frauen als auch von Mannern abzuschaffen, den Mensch als solchen zu respek tieren und ihn in Umgebung, unabhangig vom Geschlecht und unter allen Bedingungen als gleichgestellt zu betrachten.
Verlust der Begriffe, Fixierung auf Religion und
Zur Konstruktion muslimischer Identitit
in offentlichen und sozialwissenschaftlichen
Diskursen
Clara Tiesler
While we fought a seven year war to be able to call
ourselves Algerians and no more Muslims or indige
flOUS as the french colonisers did - we novl' gone
back to colonial and fundamentalists have impo
sed on all Algerian people a single forced Muslim
exclusive of any other. Moreover, this label is being adopted by many people outside Algeria who, a decades ago would not have dared to call us Mus
lim (but respectfully and now feel
dissatisfied with our sole national insist on labelling us by religion, ethnicity or
happened to me many times), and do even see a
problem in insisting on it (Marie-Aimee rlelie
Lucas, 1996).
Drcihundert Aktivistinnen aus mehrheitlich islamischen Landem kamcn Ende Oktober 2005 zum ersten zum Thema Islamischer Feminismus in Bar celona zusammen. In der westlichen Presse v{llrde tiber den Kongress als "launch event" und Aufruf zum internationalen jihad" berichtetl Ein Appell
rich tete sich an nicht-muslimische Feministinnen: Die Organisatoren und Orga nisatorinnen wtinschten sich mehr Zusammenarbeit, aber auch, dass nicht-mus limische Feministinnen sich mit ihren anti-islamischen Vorurteilen auseinander setzen rntissten.2 Das Verhaltnis zwischen den verschiedenen und
in sich hetero genen BeweQum:en von islamischen Feministinnen3, feministischen
Siehe z. B. BBC News, "Islam feminists urge gender jihad", by Danny Wood, 31.10.2005; The
Guardian, "Muslim women launch international ,gender jihad"', by Giles Tremlett, 31.10.2005.
Hauptrednerinnen Kongresses war Amina Wadud, Autorin des Buches Inside
- Women's Reform (Wadud 2006).
BBC News, "Islam feminists urge gender jihad", by Danny Wood, 31.10.2005.
VgL Badran, Margot, Feminism in Islam: Secular and Religious Convergences, 2009; Barlas, Asma, Believing in Islam, 2002.
209 Islam und Feminismus im sozialen Kontext
208
(Lazleg 1988, Mohanty 1988, 2009, Badran 2009).
Die historisch internationale Sichtbarkeit sich Bahn brechender Frau enbewegungen aus mehrheitlich islamischen Landern fallt in westlichen Uindern in ein verhartetes Diskursklima. Die Grunde hierfUr sind vielfaltig. Rom melspacher weist auf eine der wesentlichen Schwierigkeiten der
schaft hin, namlich "zu erkennen, dass ihr Konzept von Emanzipation selbst und Widerstand gegen ihre Emanzipationsvorstellungen emanzipato risch sein kann".6 Ein Teil der Problematik wurzelt im Konstrukt einer verzerrten cler "muslimischen Frau"! und ihr voran stehen diskursive Konstrukte von muslimischer "IdentWit" in nicht-1l1usli1l1i schen Gesellschaften. Anhand von Beispielen aus Offentlichen und sozialwissen schaftlichen Diskursen wirft das vorliegende einen Blick auf die Geschichte diskursiver Konstruktionen muslimischer Subjektivitat und ihren entscheidenden Vvendepunkt ab 1989. Wahrend Diskurse nicht immer ausgenommen) tiber Muslime "im ·Westen" seit fast zehn Jahren ent scheidend von der "War on Terror" Rhetorik bestim1l1t werden, entwickelten sich jene Konstruktionen muslimischer "ldentitat", wie sie heute noeh bestim mend scheinen, schon im gesellschaftlichen und politis chen Klima nach dem Ende des Kalten oder, wie der Historiker Eric Hobsbawm es benannte,
~~-+.. - ..", dem Zeitalter der Extreme.
Musliminnen4 und nicht-muslimischen Feministinnen ist
Secular Women's in Contemporary Egypt. In: Imam, Ayesha and Morgan, Jenny and Yuval Davis, Nira, of Fundamentalisms, 2004, pp. 144
Nadje, A mirror of political contemporary and debates VgL A)-Ali,
women activists. In: Kienle, Eberhard (ed.), Politics from (lhnvE'.
Middle East in the age reform, 2003.
Lazleg, Marnia and Difference: The of Writing as a Woman on Women in Algeria, Vol. 14, No.1 1988, pp. 81-107; Mohanty, Chandra Talpade, Under Western Eyes: Feminist Scholarship and Colonial Discourses, Review, No. (Autumn 1988), 1988, pp. 61-88; Rommelspacher, Birgit, Feminismus kul turelle Kontroversen um Emanzipation muslimischen Frau. In: Berghahn Petra Rostock (Hrsg.), aus dem Konflikte sind. Debatten um Kopftuch in Deutschland, Osterreich Schweiz. Bielefeld: 2009, S. 395-412; Badran, Margot, Feminism in Islam: Secular and Religious Convergences,
Politik und Zeitge·
VgL Rommelspacher, Birgit, Zur Emanzipation "der" muslimischen
schichte, H5/2009 Jan. S. 38.
and Belonging Among Moroccan
Salih, Ruba, Gender in
A and Salih, R., in Europe: Secular 1I0rmativi ties, bodily performances and multiple publics, Social Anthropology, 17: 2009, S.
Vgl. Nina Clara, Europaisierung des Islam und Islamisierung der Debatten: Zur Karriere
Forschungsgegenstandes in Diskursen, 2007 und eingehender
Ties-Clara, Religioses sakularer Diskurssprache: Selbstpositionierungen mus
limischer Minderheiten in den SoZialwissenschaften,
Verlust der Begriffe, Fixierung auf und Tradition
J.,-uHU.l<llisierunll clef Debatten9
Am Rande einer Veranstaltungsreihe der Grunen nahen rtemnch-tsoll-::::.tlttung, die fUr den mit Muslimen warb und ihn mittels 6ffentlicher Diskussions runden in verschiedenen deutschen Stadten umsetzte, fillIte im Mai und Juni 2000 eine kontroverse Debatte die Leserbriefseiten der Berliner
(taz). Einer der Leserbriefe stammte von Micha Brumlik. Er kritisiert, dass auch gestandene Linke, sobald es um islamische Religionsgemeinschaften ginge, die Optik des einnehmen wi.irden, unter der sie selbst }eua\..HU.'r,
gelitten hatten. Brumlik kntipft an Max Frischs beriihmte Worte an, die vor Jahrzehnten der "Gastarbeiter" so treffend formuliert hatte, namlich,
dass man Arbeitskriifte gerufen habe undMenschen l!ekommen seien.
Inzwischen herrscht Konsens, dass die sind, aber
noch rzicht dariiber, Menschen sind. Dabei die multi
kulturelle Szene umtreibende Frage, ob die
bracht oder erst als Reaktion auf hiesige ausgebildet haben,
unerheblich. Niemand - akademischen Religionssoziologen inte
ressiert sich schliejJlich warum jemand katholisch bleibt oder aus der
lutherischen Landeskirche austritt. (Brumlik, taz 17.118.06.2000, zitiert nach
Hartmann/Krannich 2001)
Brumliks Kommentar in dieser Debattel l zielt dar auf, dass die wo, wann
Der folgcnde Abschnitt stammt aus meinem Buch in Europa. Religion
unter veranderten gesellschaftlichen das 2006 im Lit-Verlag, Munster er
ist.
D-1J5L'''Vji'';;U wurae die Debatte Beitrag Eberhard Seidels, Inlandsressortchef der
politisch links und minderheitspolitisch korrekt geltendcn Gestritten wurde darum, welchc Muslime oder islamische Organisationen in einen miteinbezogen werden sollten und wo, Anbetracht des Verdachts auf verfassungswidrige Elemente in manchcn ttir kischen Kulturvereinen, Grenzen lagen. Auf die Leserbrief-Kontroverse folgte cine heftige Debatte in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung und aufletztere ein das Berichterstattung tiber die Diskussionsveranstaltung selbst bei weitem iibertraf (Hartmann, Thomas/Margret Krannich, Muslime im sakularen Rechtsstaat, 2001, S. 103).
Nachzulesen in: Hartmann, Thomas/Margret Krannich, Muslime im Re[htsstaat,
wo zusatzlich zu den Diskussionsbeitragen der Veranstaltungsreihe "Muslime - Neue in Kultur und Politik" die Leserbriefe abgedruckt Die Veranstalter sahen das Interesse an der Vortrags- und Diskussionsreihe in einem aktuellen Kontext grundet: "Deutschland realisiert, dass es Einwandcrungsland ist, und breite Kreise der schaft stellen den Fragen und Problemen, die damit hangen. Die theoretischen Diskurse Umgang mit ,Differenz.' werden praktisch. Die Folgen davon im Alltag haben wir aile Die Konsequenzen gesellschaftliche Ordnung erschlieBen sich erst in einem theoretischen Diskurs" (Hartmann, Thomas, Muslime im Rechtsstaat, 2001,
S. 7). Hartmann unterstreicht zwar, dass praktischc, gesellschaftliche zur Diskussion stehen und ermoglichte dass der thcoretische Diskurs liber gesellschaftliche Ordnung von den eingeladenen muslimischen [ntellektuellen, die eindeutig aktive Gesellschaftsmitglieder stimuliert wurde. 1m Titel der Veranstaltung allerdings werden