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Erziehung und tumpheit im Parzival. Wolframs von Eschenbach

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Academic year: 2021

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort…...I Abstract……...II Abkürzungen………...III

0. Einleitung………...3

1. Erziehung und tumpheit………...9

1.1. Zum Thema Erziehung………...9

1.1.1. Begriffsbestimmung………...9

1.1.2. Zum Verhältnis von Erziehung und Bildung…………...10

1.2. Das Konzept tump(heit)………...15

1.2.1. Begriffsbestimmung………...15

1.2.2. tumpheitsbelege in der Parzival-Dichtung…...17

2. Parzivals Erziehung und die Potenzierung der tumpheit…………...21

2.1. Erziehung und tumpheit in und nach Soltâne………...21

2.1.1. Parzivals Erziehung in Soltâne………...21

2.1.2. Parzivals tumpheit nach Soltâne………...28

2.2. Erziehung und tumpheit in und nach Grâharz………...31

2.2.1. Parzivals Erziehung in Grâharz...31

2.2.2. Parzivals tumpheit nach Grâharz...39

2.3. Erziehung und tumpheit in und nach Fontâne la salvâtsche...43

2.3.1. Parzivals Erziehung in Fontâne la salvâtsche…...43

2.3.2. Parzivals tumpheit nach Fontâne la salvâtsche...52

2.4. Fazit………...53

3. Schlussbetrachtung………...57

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0. Einleitung

Die Literatur des Mittelalters hat sich viel mit der Frage der Erziehung des Individuums beschäftigt. Von Gattung zu Gattung kommt das Thema der Erziehung in unterschiedlicher Form vor. Tendenziell erscheint dieser Begriff eher modern zu sein, da im Mittelalter noch keine Erziehungskonzepte im engeren Sinne zu finden waren. Herbart1 definiert die Erziehung als „unentbehrliche pädagogische Hilfe für den Heranwachsenden auf dessen Wege zur ´inneren Freiheit´.“ (GEISSLER: 2006, 44) Die

Erziehung, so die Neuzeit, bemüht sich, das Individuum dazu zu bringen, sich selbst durch vernünftige Überlegungen bestimmen zu können. Das erzogene Wesen soll im Stande sein, durch die pädagogischen Einsichten zu einer Person gemacht, Entscheidungen für sich selbst treffen zu können. Ferner kommt der Begriff der Erziehung bei Durkheim als „die Einwirkung, welche die Erwachsenengeneration auf jene ausübt, die für das soziale Leben noch nicht reif sind“ vor (DURKHEIM: 1972, 30). So

definiert, versucht die Erziehung im Individuum ein Sein zu schaffen, das sich an die Lebensart seiner Gesellschaft anpassen kann, das heißt, ein Wesen, das wie die Seinen später handeln kann. Im Mittelalter, in dem man sich in einer Ständegesellschaft befindet, wurde das Individuum gemäß der Art seiner Herkunft erzogen, um aus ihm ein vernünftiges Wesen und einen für die Gesellschaft gut angepassten Menschen zu machen: Das Kind aus königlicher Herkunft soll Belehrungen in den königlichen Sitten bekommen und das Bauernkind soll als Bauer erzogen werden. Diese allgemeine Erziehungsperspektive des Mittelalters gilt als eine unumgängliche Regel, da sie von Gott selbst etabliert wurde. Ein Verstoß gegen diese Ordnung wird deswegen als ein Verbrechen betrachtet, das des Todes wert ist, wie man es in der Versnovelle Helmbrecht bemerkt. Ein Rückblick in die früheren Zeiten offenbart, dass die Erziehung andere Ziele verfolgte, und zwar wie Durkheim es weitererklärt: „In den Städten Griechenlands und des römischen Reiches hat die Erziehung das Individuum darin geübt, sich blind dem Kollektiv unterzuordnen, zur Sache der Gesellschaft zu werden“ (DURKHEIM: 1972, 23).

Hier tritt dagegen ein Individuum auf, das zum Gegenstand seiner Gesellschaft gemacht wird. Es wird eher nach dem Bedarf seines Milieus erzogen, das heißt, wenn das Milieu, in dem das Individuum lebt, sich in einem kriegerischen Zustand befindet, wird das Individuum so erzogen, dass es bei dem Krieg helfen kann. Der Begriff der Erziehung

1 Johann Friedrich Herbart (* 4. Mai 1776 in Oldenburg; † 14. August 1841 in Göttingen) war ein deutscher Philosoph, Psychologe und Pädagoge, der über den deutschen Sprachraum hinaus als Klassiker der Pädagogik gilt. Er wurde von Erich E. Geissler in seinem Lehrbuch zitiert. Geissler empfindet seine Definition der Erziehung als die beste, die es bisher gegeben hat.

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soll also die Zeitalter unterschiedlich geprägt haben, und dies je nach dem gewünschten Ziel.

Obwohl man die Erziehung immer wieder als einen modernen Begriff zu definieren vermag, hat das Mittelalter der Erziehung eine besondere Bedeutung beigemessen, indem viele Dichter dieser Zeit über das Thema der Erziehung geschrieben haben. Im Parzival als auch im Trojanerkrieg, im Renner, im Wigalois, im Helmbrecht und im Gregorius kommt der Begriff der Erziehung in irgendeiner Form vor und lässt wissen, wie die Erziehung in diesem Zeitalter gestaltet wurde. Sicher gibt es - je nach der Epoche - verschiedene Punkte in der Definition von Erziehung zu bemerken, aber das Kind bzw. das junge Alter kommt in den jeweiligen bisher gegebenen Erziehungssystemen als das Wesen vor, an dem die Erziehung ihr Ziel besser erreichen will, denn die Kindheit wurde als der Mangelzustand aller Art betrachtet (WINKEL: 1968,

74). Die Erziehung gibt sich deswegen zur Aufgabe, diesen Mangel im Kind zu beheben. Im jüngeren Alter wurden adelige Jungen sowie Mädchen regelmäßig so erzogen, dass sie nach den höfischen Lebenswerten leben konnten. Das jüngere Alter erweist sich also als eine geeignete Entwicklungsetappe, um aus den zarten Wesen erfahrene und gesellschaftlich gut angepasste Menschen zu machen. Nach Rudolph BRAUN: „The

children´s will has to be molded from an early age, so that it could be used to serve the interests of family politics, that is to say, to serve the interests of socio-cultural reproduction.“ (BRAUN: 1996, 259) Im Gegensatz zu den Mädchen, die in dieser Zeit

häufig als bereits erzogene Wesen dargestellt werden, werden die Jungen oft in Erziehungssituationen dargestellt.

Im deutschsprachigen Raum beruhte die Adelserziehung auf altgermanischen Gewohnheiten. „Die Ähnlichkeit mit altrömischen Wertnormen, gipfelnd in der virtus

-arete (Tüchtigkeit und Ehre), ist unverkennbar, unabhängig von der Frage, ob sich das

ritterliche Tugendsystem im 12. Jahrhundert aus der Cicero-Rezeption erklären lässt. In Anlehnung an die septem artes liberales wurden die Erziehungserfordernisse als ,,septem

probitates“ systematisiert (Schwimmen, Reiten, Pfeilschießen, Fechten, Jagen,

Schachspiel, Versemachen, beziehungsweise Kenntnis von Heldenliedern und Spruchweisheit mit Saitenspiel)“. (LexMA – Bd. III: 1980-1993, 2199) Die Erziehung junger Adliger wird in die drei Altersstufen der infantia, pueritia und adolescentia unterteilt. Joachim BUMKE hat die Ausbildung der jungen Adeligen sowohl in den

literarischen Zeugnissen als auch in den historischen Quellen in zwei unterschiedliche Bereiche geteilt. Auf der einen Seite steht das körperliche Training für die männlichen

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Adligen, die für eine Ritterlaufbahn vorgesehen sind und auf der anderen Seite steht die geistige Bildung, die auch die Vermittlung höfischer Verhaltensweisen und Umgangsformen umfasst. (vgl. BUMKE: 1994, 68) Wie sich die Vermittlung geistiger

Bildung vollzog, lässt sich kaum genauer sagen, weil sich darüber in historiographischen Quellen nur sehr pauschale Aussagen finden, so Lutz FENSKE. (FENSKE: 1990, 59) Der

Umgang mit Waffen und das Reiten ist das körperliche Training. Neben der körperlichen Ertüchtigung spielen die gesellschaftlichen Umgangsformen eine sehr wichtige Rolle bei der Erziehung. In diesen Bereich gehören auch für den Mann musikalische Fähigkeiten, wie das erwähnte Versemachen oder die Kenntnis von Heldenliedern, Spruchweisheiten mit Saitenspiel und Schachspiel. Letzteres nimmt in der mittelalterlichen Adelskultur eine herausragende Stellung ein, da es als das Spiel der Könige nur dieser vornehmen Gesellschaftsschicht vorbehalten ist und somit auch als Abgrenzung gegenüber den anderen Bevölkerungsschichten gilt. Die Erziehung der Jungen beruht also mehr auf dem Ritterleben, während die der Mädchen, sie zur „Hüterin aller echten Werte menschlicher Gesittung“ (NEIS: 1944, 90) zu führen versucht. Die Erziehung der Mädchen neigte dazu,

sie mit dem Haushalt vertraut zu machen. Sie werden zu Müttern, Erzieherinnern und Hüterinnen der höfischen Werte erzogen. Die Erziehung der Mädchen scheint sich also auf das Beibringen von Handfertigkeiten und Haushaltskünsten beschränkt zu haben. Wichtig ist aber zu wissen, dass die adligen Mädchen auch Unterweisungen in der Musik- sowie der Schreibkunst erhalten haben sollten, obwohl es nicht so verbreitet war (vgl. dazu SIEBURG: 2010, 51). Obwohl viel Mühe dabei aufgewendet wurde, lässt sich

fragen, ob die Erziehung in der damaligen Zeit ihr Ziel2 – das Individuum gemäß der Art seines Standes zu erziehen und es zu einem reifen bzw. erfahrenen Wesen zu machen, das heißt, die tumpheit zu überwinden, – immer erreichen konnte. Da „das Mittelalter in erster Linie am reifen, vollendeten Menschen interessiert ist“ (WINKEL: 1968, 67), sollte

die Erziehung sich viel Mühe gegeben haben, das Individuum von seiner tumpheit zu lösen, wobei tumpheit als das Konzept zum Kennzeichnen der Menschen ohne Erziehung im Mittelalter zu betrachten ist. Die Frage der tumpheit kommt in der Forschungsliteratur oft in Verbindung mit den Namen Joachim BUMKE, Heinz RUPP und Alois M. HAAS vor.

Bei allen wird dem Konzept tumpheit ein mangelhafter Zustand, sei es geistig oder physisch (Sinne), zugewiesen. In der Forschung ist dieses Konzept immer mit der Frage der Erziehung verbunden, wobei die tumpheit als die Bezeichnung für ein Individuum

2 „Aus der Perspektive der Erzieher, die den jungen Menschen Sprache, Religion, Kultur, Werte, Recht, Wirtschaftsformen etc. vermittelt, zielt Erziehung neben Mündigkeit auf die Eingliederung in das soziale Gefüge.” (SCHMITZ-STUHLTRÄGER: 2009, 25)

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ohne Wissen und ohne Tugend betrachtet wird.

Ein gutes Beispiel für die Erscheinung des Konzepts tumpheit zusammen mit der Frage der Erziehung ist die Dichtung Parzival. Entstanden in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts gilt diese Dichtung als eines der am meisten gelesenen Werke jener Zeit, wie die Überlieferung in den Handschriften zeigt. Der Erzähler schildert seinem Leser durch seine Aussagen Kenntnisse auf den Gebieten der Ritterschaft (vgl. Gahmuret, Parzival, Gawan u.a.), der Heilkunde (481, 5 – 483, 18), der Astronomie (453, 23 – 455, 1), der Geographie (vgl. die Aufenthaltsorte von Gahmuret, Parzival u.a.) und der Theologie (448, 1-26/462, 1 – 463, 28). Nicht nur diese Themen sind in der Dichtung zu finden, sondern auch das Thema Liebe kommt übergreifend vor. Wir erfahren z. B. in den ersten zwei Büchern etwas über die beiden Ehen von Gahmuret mit Belakane und Herzeloyde. Das Abenteuer Gawans in den Büchern VI-VIII und X-XIII ist ebenfalls durch seine Episoden mit unterschiedlichen Frauen und seine Ehe mit Orgeluse geprägt. Parzivals Ehe mit Condwiramurs und die Szene der Blutstropfen im Schnee treten, um dem Motiv der Liebe ein Gewicht zu geben. Weiterhin problematisiert Wolfram durch den Lebensweg der Hauptfigur Parzival die Fragen der Sünde bzw. der Schuld, der Erziehung und der tumpheit, die als bedeutungsvolle Motive der Handlung zu betrachten sind. Parzival ist zunächst nicht nur ein Sünder, der für den Tod seiner Mutter, für die Tötung seines Verwandten und für das Frageversäumnis auf der Gralsburg büßen soll, sondern auch der Knappe, der vil tumpheit wielt (124, 16), und der durch Erziehung, einerseits zu einem für die Gesellschaft gut angepassten Menschen gemacht und andererseits von seinem ungeschickten Verhalten befreit werden soll. Von der Kindheit bis zum reifen Alter, das heißt, bis er Gralskönig wird, wurde Parzival regelrecht erzogen. Weit davon entfernt dieses Beispiel als Abbild bzw. als Muster der höfischen Erziehung im Mittelalter zu betrachten, bestreitet aber niemand, dass die Dichtung Parzival pädagogische bzw. erzieherische Züge enthält: „Auch Parzivals Kindheit und Erziehung sind in die Romansphäre erhoben … kann auch Parzivals Kindheit und Erziehung hintergründig beispielhaft und lehrreich werden.“ (WINKEL: 1968, 73)

Durch die Erzählung über die Jugend des Helden bringt Wolfram von Eschenbach einerseits unterschiedliche Themen ins Spiel und lässt uns andererseits wissen, wie eine Erziehung in dieser Zeit gestaltet ist. Vor dem Hintergrund der Erziehungsgeschichte von Parzival greift Wolfram unterschiedliche Themen und Motive auf, um die Erziehungsmodelle seiner Zeit, aber nicht die des Idealwesens, zu reflektieren und zu diskutieren. Die Handlung schildert uns den Lebensweg bzw. die Erziehungsmomente

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der Hauptfigur Parzival. Von seiner Mutter Herzeloyde, über den Ritter Gurnemanz bis hin zu dem Einsiedler Trevrizent lässt der Erzähler die Entwicklungsetappen des Protagonisten zum Ausdruck kommen. Durch theoretische sowie praktische Unterweisungen wird der Held gemäß dem Bild des idealen Ritters der Artus- und Gralsgesellschaft erzogen. Ziel dieses Romans scheint, die Darstellung des vollkommenen Wesens zu sein, das heißt, das Individuum, das einerseits gemäß der Art seiner Herkunft erzogen wird und andererseits die tumpheit überwunden hat. Parzival hat durch sein Leben Unterweisungen erhalten, die ihn zu einem reifen Mann machen sollen. Trotz der Bemühungen seiner Erzieher zeigt Parzival dennoch auf seinem weiteren Weg einige Verhaltensweisen, die die Wirkung der Erziehung in seinem Leben in Frage stellen lassen. Man fragt sicher daher, ob er von seiner Unerfahrenheit befreit ist, oder ob er immer noch der reine tôr geblieben ist. Die Themen der Erziehung und der tumpheit kommen also als wichtige Episoden im Leben des Helden vor, deswegen habe ich diese Dichtung als Untersuchungsstoff gewählt, da die beiden Themen das Anliegen der vorliegenden Arbeit sind.

Das Thema der Untersuchung in der vorliegenden Arbeit betrifft ein aktuelles Problem, nämlich das der Erziehung und ihrer Wirkung auf das erzogene Wesen, da diese Tatsache in unserer heutigen Gesellschaft auch zu erleben ist. Kann man immer noch unerfahren bzw. unreif bleiben, obwohl man erzogen wird? Die Dichtung Parzival hat uns bewiesen, dass das möglich ist und zeigt daher, dass die Erziehung das Individuum nicht immer zum Idealbild führt. Was versteht das Mittelalter unter Erziehung? Wichtig ist zu erwähnen, dass ich mich in dieser Arbeit mit Erziehung beschäftigen möchte und nicht mit der Bildung. Denn man neigt dazu, diese Termini zu verwechseln. Was versteht man unter tumpheit, wenn man sie in Zusammenhang mit der Frage nach Erziehung bringt? Ab wann kann man von tumpheit sprechen? Die vorliegende Arbeit wird versuchen, diese Fragen zu beantworten.

Ziel dieser Arbeit ist also, die Art und Weise der Auseinandersetzung mit den Themen der Erziehung und der tumpheit in der deutschen Literatur des Mittelalters zu untersuchen. Beweisen möchte ich, dass die tumpheit nicht nur ein Mangel an Erziehung ist, aber auch, dass die Erziehung tumpheit potenzieren kann. Es wird darum gehen, die Erziehungsepisoden im Leben des Helden des gewählten Beispiels zu exzerpieren und sie mit der Frage der tumpheit zu konfrontieren und schließlich zu zeigen, ob Parzival gut erzogen wird und von seiner tumpheit befreit ist.

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mit der Frage der Erziehung und der tumpheit im Allgemeinen beschäftigen. Hier werde ich die beiden Begriffe in ihrer Vielfältigkeit definieren. Bei der Definition der Erziehung werde ich den Unterschied zwischen Erziehung und Bildung hervorheben, denn die beiden Termini lassen sich unterscheiden, obwohl das Mittelalter dasselbe Wort zuht benutzt, um über die Realität der Erziehung und Bildung zu sprechen. Weiterhin werde ich den Begriff tump(heit) definieren und dann die unterschiedlichen Passagen des ausgewählten Beispiels heraussuchen, die nicht auf die Hauptfigur der Dichtung hinweisen. Der zweite Teil setzt sich zum Ziel, einerseits die Erziehungsepisoden des Helden zu bearbeiten und andererseits die Erscheinungsformen der tumpheit im Leben Parzivals zu schildern. Parzivals Erziehung werde ich anhand fünf verschiedener Momente darlegen: seine Kindheit in Soltâne mit der Erziehung durch seine Mutter Herzeloyde und durch die Ritter, die Ritterlehre durch Gurnemanz in Grâharz und die religiöse Unterweisung durch den alten Ritter Kahenîs und dann durch den Eremiten Trevrizent in Fontâne la salvâtsche. Diese entsprechen den drei Phasen in der Entwicklung von Parzival. Zusammen mit den Erziehungsinhalten werde ich auf einige falsche Verhaltensweisen Parzivals eingehen, die seine tumpheit beweisen. In einem Fazit werde ich einige Merkmale zu den Erziehungsepisoden des Helden und zu den Erziehungsmethoden seiner Lehrer hervorheben. Darauf folgt die Schlussbetrachtung, die auf die Beantwortung der oben erwähnten Fragen eingehen wird, und dabei werde ich auch zeigen, inwiefern man Parzival für gut erzogen halten kann.

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1.1. Zum Thema Erziehung 1.1.1. Begriffsbestimmung

Der Begriff der Erziehung lässt sich heute schwer definieren. Die Forschung weist dessen Wurzel auf den Ausdruck „Kultur“ zurück, dessen Ursprung auf die römische Antike zurückgeht (vgl. dazu MUSOLFF: 1997, 264); bis zum Ende des 16. Jahrhunderts war der

Begriff Erziehung mit der Frage der Religion verbunden. Es entstanden in dieser Zeit Ausdrücke wie cultura Christa, cultura Dei, aber auch cultura daemonum (ebd. 265), um die Erziehung des Menschen zum Christen oder zum Diener des Teufels zu betonen; allmählich „hatte der Ausdruck inzwischen eine direkte Bedeutung im Sinn praktischer und theoretischer Erziehung und Selbstbildung erlangt.“ (ebd. 266) Damit besitze jeder einen allgemeinen Begriff von Erziehung, insofern er selbst erzogen worden ist und selber an anderen erzieherisch wirkt (SCHMITZ-STUHLTRÄGER: 2009, 23). Daher sind also

verschiedene Bedeutungen des Begriffs entstanden.

Aus dem althochdeutschen irziohan (vgl. dazu Duden: 2011, 548) entsteht das Wort erziehen aus dem Präfix „er“ und dem Stammwort „ziehen“, wobei das althochdeutsche Präfix ir „heraus“ bedeutet. Das Wort „erziehen“ heißt herausziehen, also von drinnen nach außen ziehen. Die Erziehung soll in diesem Sinne helfen, die in jedem versteckten Werte zu äußern. Dazu hat BREZINKA eine grundlegende

Erziehungsdefinition formuliert:

„Unter Erziehung werden Handlungen verstanden, durch die Menschen versuchen, das Gefüge der psychischen Disposition anderer Menschen in irgendeiner Hinsicht dauerhaft zu verbessern und seine als wertvoll beurteilten Bestandteile zu erhalten oder die Entstehung von Dispositionen, die als schlecht bewertet werden, zu verhüten.“ (BREZINKA: 1990, 95)

Diese Auffassung der Erziehung impliziert die Einflussnahme eines anderen Menschen. Das Hauptziel wäre also die Bestätigung und Verbesserung der inneren mitbekommenen Eigenschaften. KRON geht weiter und verknüpft den Begriff Erziehung mit

„Sozialmachung“.3 Bei KRON ist dieser Begriff der „Sozialmachung“ so zu verstehen, als dass er ihn von Sozialisation unterscheidet und deswegen erscheint seine Definition der Erziehung als etwas widersprüchlich. Denn, wie kann die Erziehung das Individuum sozialmachen, ohne es zu sozialisieren? MOLLENHAUER seinerseits versteht unter Erziehung

ein symbolisch vermitteltes kommunikatives Handeln (vgl. MOLLENHAUER: 1976, 168).

3„Erziehung sei ausschließlich im Sinne von „Sozialmachung“ zu verstehen. Enkulturation und Sozialisation sind daher von Erziehung zu unterscheiden.” (KRON: 2001, 55)

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Wir erkennen durch diese Auffassungen drei unterschiedliche Meinungen über die Erziehung, und zwar, die Verbesserung der inneren Eigenschaften, die Sozialmachung und das kommunikative Handeln. Die folgende Aussage Erich Webers über die Erziehung, wodurch er die Erziehung in Zusammenhang mit dem menschlichen Geburtszustand treten lässt, gibt zu verstehen, dass die Erziehung letztendlich die Entwicklung des Heranwachsenden beeinflusst haben sollte, um diesen zu einer Art Mündigkeit gelangen zu lassen:

„Das neugeborene Menschenkind ist ein ,hilfloser Nestflüchter´, dessen Sinnesorgane bereits funktionieren, der jedoch die spezifisch menschlichen Verhaltensweisen, nämlich den aufrechten Gang, die Sprache und das einsichtige (intelligente) Handeln noch nicht zu vollbringen vermag. Diese Fähigkeiten beginnt der Mensch erst nach der Geburt, in der Regel bis gegen Ende des ersten Lebensjahres, unter dem Einfluss seiner Umwelt zu erlernen.“ (WEBER: 1974, 62)

Durch diese Definition erfahren wir, dass die Erziehung als ein Mittel betrachtet wird, um das Kind zum Verstand zu führen.

Diese Definitionen erlauben uns zu erkennen, wie unterschiedlich der Begriff der Erziehung verstanden wird. In der Vielfältigkeit der Bedeutung dieses Begriffs tritt auch das hervor, was die Erziehung aus dem Leben Parzivals machen will, nämlich ihn in die Gesellschaft durch seine standesgemäße Erziehung zu integrieren und ihn zur Reife zu führen. Diese Auffassungen der Erziehung nach lassen verstehen, dass sich die Erziehung mehr um die Formung des Charakters des Individuums kümmert. Im Mittelalter aber hat man den Eindruck, dass dieses Zeitalter Erziehung und Bildung nicht voneinander trennte. Um die Konzepte der Erziehung und Bildung besser zu verstehen, folgt zunächst ein Kapitel über den Unterschied der beiden Begriffe mit Bezug auf das Mittelalter. 1.1.2. Zum Verhältnis von Erziehung und Bildung

In diesem Teil geht es darum, das allgemeine Bild der Erziehung und Bildung im Mittelalter zu bearbeiten, immer schon im Hinblick auf die Handlung im Parzival. Hier werden nicht alle Erziehungs- und Bildungsinhalte erläutert, sondern nur einige Aspekte ans Licht gebracht, um dadurch wichtige Unterschiede der beiden Begriffe herauszufinden. Die Wichtigkeit dieses Teil ist, dass ich mich in dieser Arbeit mit der Erziehung der Hauptfigur der gewählten Dichtung beschäftigen möchte.

Erziehung geht im heutigen Verständnis immer mit Bildung einher, da die Erziehung als das Ergebnis von Bildung betrachtet wird. Auch im Mittelalter waren diese beiden Begriffe vorhanden und ihre Wirkung war nicht von geringer Bedeutung.

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Ein bedeutender Unterschied ist die Verengung des Bildungsbegriffes in der Gegenwart unter der Bezeichnung „Kompetenz“, wobei der kompetente Mensch als derjenige definiert wird, der in den vielfältigen Bereichen des täglichen Lebens verlässliches Verfügungswissen, praktikables Orientierungswissen, sichere Urteilsfähigkeit und die nötige Handlungsfähigkeit besitzt (GEISSLER: 2006, 39). Diese Definition der Bildung

betrifft nicht nur die gesellschaftliche Lebensart, sondern auch die gesellschaftlichen Wissensvorteile.

Die deutsche Sprache des Mittelalters kennt nur ein Wort, um die Realitäten von Erziehung und Bildung zu definieren. Das Wort heißt zuht und erstreckt sich auf Bedeutungen wie ziehen, zerren, bilden, schaffen, Züchtigung, Strafe und Verweis (vgl. dazu LEXER: 1992, 339). Das Wort umfasst also, was das Mittelalter aus dem Individuum

zu einem idealerzogenen Wesen machen will. WINKEL erklärt das Wort in seiner

Dissertation Aspekte mittelalterlicher Erziehung weiter und beschreibt es als „ein Korrektiv, ein bändigendes und bindendes Prinzip in den Spannungen zwischen Trieb und Handlung, Wunsch und Vernunft, zwischen Individualismus und gesellschaftlichen Forderungen.“ (WINKEL: 1968, 104) Er unterscheidet deutlich die Wörter

„Individualismus“ und „gesellschaftlichen Forderungen“ und weist damit darauf hin, was in dieser Epoche unter Erziehung und Bildung zu verstehen ist. Während die Erziehung das Individuum zu einer Person guten Charakters machen will, versucht die Bildung das Wesen mit den allgemeinen Wissensprinzipien der Gesellschaft korrespondieren zu lassen. Die Bildung im Mittelalter soll wissensorientiert sein und bezieht sich daher auf das Feld des Wissens und der Kultur. Das Individuum soll durch Bildung zur Fähigkeit von Lesen und Schreiben gelangen. Die Bildung setzt damit Literarizität voraus. Das gutgebildete Wesen des Mittelalters stellt sich als Jemand vor, der nicht nur Lese- , Schreib- und Sprachfähigkeiten besitzt, sondern auch über eine Reihenfolge von Wissen in verschiedenen Bereichen verfügt, nämlich in den Fächern der septem artes liberales, unter die Musik, Dialektik, Medizin, u.a. zu zählen sind. Am anderen Pol des Wortes zuht steht das Konzept der Erziehung, womit sich das Mittelalter beim Heranwachsenden viel beschäftigt hat. Die Wichtigkeit der Erziehung im Leben des Einzelnen in dieser Zeit erweist sich dadurch, dass das Individuum schon im jungen Alter mit den erzieherischen Werten konfrontiert wird. Besonders bei der Erziehung soll das Individuum gemäß der Art seiner Herkunft erzogen werden, da wir es mit einer Ständegesellschaft zu tun haben. Das guterzogene Wesen gilt in dieser Zeit deswegen als dasjenige, das nicht aus dem Kreis seines Standes ausbricht (WINKEL: 1968, 79). Bei Mädchen als auch bei Jungen war

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die Erziehung in den religiösen Werten ein gemeinsamer Punkt, da das Mittelalter von der Idee Gottes durchdrungen war (GEORGVON SIMON: 1966, 207). Während die Mädchen

zu Haushüterinnen und Erzieherinnen erzogen wurden, empfingen die Jungen Unterweisungen im Rittertum bzw. im Kampfleben. Zu dieser Erziehung im ritterlichen Leben gehören nicht nur Kampftechniken, sondern auch Belehrung in dem, was man unter ethische Werte gruppieren kann (WINKEL: 1968, 89): Verhalten am Hof, Minne bzw.

Minnedienst, Treue, Erbarmen, Demut, Hilfsbereitschaft, Ehre, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Keuschheit usw. (vgl. auch NEIS: 1944, 90). Weiter erkennt das Mittelalter die Eltern als

die einzigen Personen an, bei denen das heranwachsende Kind gut erzogen werden kann. Es wurde fast wie eine Sünde angesehen, jemandem, der nicht zum Familienkreis gehört, die Erziehung seines eigenen Kindes zu überlassen, denn „der Erziehungsauftrag der Eltern wurzelt in den Geboten Gottes. Versäumnis lässt die Eltern schuldig werden“, wie Winkel es in seiner Dissertation erwähnt (WINKEL: 1968, 80). Wie groß die Bedeutung der

Familie bei der Erziehung der Kinder war, lässt sich durch die folgende Bestätigung verstehen:

„Die Perspektive der Familie als Ort der Kindererziehung, die bereits Divini illius

magistri eröffnet hat, wird in der Konzilserklärung weiter geführt. Die Familie

wird als ein Art „Hauskirche“ (LG 11, 2) betrachtet und als Ort dargestellt, wo Kinder sowohl für ihr persönliches und gesellschaftliches als auch für ihr Leben im Glauben mehr als anderswo geprägt werden.“ (SCHMITZ-STUHLTRÄGER: 2009, 328)

Winkel geht weiter und beschreibt Näheres über den Einfluss der Eltern bzw. der Familie auf den Heranwachsenden, indem er einen Text aus Birlingers Alemannia zitiert, in dem ein Sohn seinen Vater anklagt, dass er nie ein Dieb geworden wäre, wenn der Vater ihm eine treffende Erziehung angeboten hätte:

„wer sîn kint nit wîst und lêrt, das es in

wol kunt, und inen nit wert, das inen übel stunt, und inen gestat die wîl si jung sint, der wirt an inen sechen schant und laster vor den lütten,des hân ich gelesen ein gelîchnis von eines burgers sun, den füert man an den galgen, dô ruofte er sînen vater und sprach: ´lieber vatter, kum und küss mich noch einest vor mînem tôd´. der vatter wolde in hân geküsset, dô beis der sun dem vatter die nasen ab. dârum strâfte man in. dô sprach der sun: ´hette mich mîn vatter recht gezogen und mich gemeist – ret und gewîst und gelêrt ûff die

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ding, die guot wêrent gewest, ich wêre nie kein diep worden.“4

Dieser Textausschnitt beweist deutlich die wichtige Rolle, die die Mutter und der Vater bei der Erziehung ihrer Kinder gespielt haben sollten. Die Eltern waren einigermaßen schuld daran, was aus ihren Sprösslingen wurde. Was aber die Bildung angeht, war der Einfluss der Eltern fast gar nicht zu bemerken. Da „die Träger der Schriftkultur zunächst fast ausschließlich die Klöster und damit die Schicht der Geistlichkeit“ (SIEGBURG: 2010,

50) waren, sollte das Kind ohne Zweifel den Hof seiner Eltern verlassen, um an dem Unterricht an besonderen Höfen teilzunehmen. Dabei hat das Kind also einen Lehrer, der es in den gesellschaftlich wichtigen Wissensprinzipien lehrt. Obwohl man die Erziehung als einen Teil der menschlichen Bildung zu betrachten vermag, stellen die beiden Begriffe zwei unterschiedliche Realitäten dar. Da, wo Bildung wissensorientiert ist, erscheint die Erziehung eher als verhaltensorientiert. Die Bildung hilft dem Individuum, allgemein für Gesellschaften geltende Wissenssysteme zu besitzen und die Erziehung lenkt die Aufmerksamkeit des Erzogenen darauf, was seine Gesellschaft für Sitten, Werte, und Lebensart hat, um sie in sich zu haben und nach diesen zu leben. In dieser Logik ist Bildung auf ein bestimmtes Lebensalter begrenzt. Die Erziehung ist aber ein lebenslanger Prozess.

Ausgehend von diesem allgemeinen dargelegten Bild der Erziehung und Bildung können wir sagen, dass die Dichtung Parzival ein Abbild dieser Realität ist, in dem Sinne, dass in der Handlung Fächer der septem artes liberales zu finden sind. Dem Held der Dichtung ist aber keine Bildung zuteilgeworden, sondern er wurde nur erzogen. Wolfram schildert durch seine Erzählung dem Leser bzw. dem Hörer die Entwicklungsstufen seines Helden Parzival und die Wissensfähigkeiten5 der Figur Cundrie, die als diu maget witze rîche vorgestellt wird (Pz: 313, 1). Der Lauf der Geschichte skizziert uns die Lehren und die Unterweisungen, die Parzival in der höfischen Kultur erhalten hat, das heißt, das Leben in der Artusgesellschaft und in der Gralsgesellschaft. Besonders bei Gurnemanz erfährt er nicht nur Wahrheiten über Gott,

4 Zitiert von WINKEL (1968, 66).

5 Die Präsenz in dieser Erzählung von Bildung im Sinne des Mittelalters lässt sich durch die Erwähnung mittelalterlicher Wissensbereiche erkennen. Wie schon erwähnt, spricht das Mittelalter von Bildung, wo nur Geistiges zu finden ist. Diese Realität beweist sich in der Parzival-Dichtung, indem der Erzähler von der Figur Cundrie Folgendes sagt: „der meide ir kunst des verjach/alle sprâch si wol sprach/latîn, heidensch, franzoys/si was der witze kurtoys/dialetike und jêometrî/ir wâren ouch die liste bî/von astronomie.“ (Pz: 312: 19-25). Diese Passage erwähnt also, dass Cundrie nicht nur die Sprache, in der die Unterrichte damals weitergegeben wurden, kannte, sondern auch, dass sie in den Fächern der septem artes liberales, das heißt des Triviums (Grammatik, Rhetorik und Dialektik-Logik) und des Quadriviums (Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik), ausgebildet wurde.

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Heil und den Teufel (Pz: 169, 17-20), sondern er lernt auch wie er sich treffend als Ritter benehmen sollte. Er lernt sauber zu sein (Pz: 172, 1-5), sich gut zu verhalten (Pz: 170, 23-25), Frauen zu ehren, treu zu bleiben und nicht zu verraten (Pz: 172, 7-13). Gehen wir von dem Bildungsbegriff der modernen Forschung aus, die die Bildung auf Kompetenz bzw. Sachlichkeit auslegt, dann können wir sagen, dass Parzival durch das Erlernen des Reitens (Pz: 173, 27 – 174, 5) in diesem Sinne gebildet war. Obwohl durch dasselbe Wort bezeichnet, lässt sich deutlich erkennen, dass die beiden Begriffe mit verschiedenen Inhalten vorkommen.

Parzival tritt uns in verschiedenen Lebensaltern entgegen, die seiner Entwicklung entsprechen. Wir lernen ihn als Neugeborenes kurz vor dem Rückzug seiner Mutter in den Wald von Soltâne kennen und verfolgen seine Lebensgeschichte bis hin zu seinem reifen Alter, seiner Berufung zum Gralskönig im Erwachsenenalter. Das Neugeborene kommt zur Welt mit einer bemerkenswerten Schönheit und einer auffälligen Körpergestalt. Trotz dieser Merkmale stellt der Erzähler ihn als den Helden vor, an dem die wîsheit (Pz: 4, 18) und die witze (Pz: 112, 20) fehlen. Diese beiden Eigenschaften sollten wahrscheinlich wichtige Kennzeichen im Leben Parzivals sein, die durch Erziehung letztmöglich erreicht werden sollten. Die zahlreichen Erwähnungen des Begriffs wîs(heit) in der Dichtung treten wahrscheinlich auf, um die Wichtigkeit dieses Wertes zu betonen (vgl. dazu HAAS: 1964,28).

Die Handlung der Dichtung Parzival schildert die Entwicklungsetappen des Helden und dessen Mühe zur Überwindung der tumpheit, mit der sich der Held im Lauf seines Lebens oft konfrontiert sieht: „In der Geschichte Parzivals ist tumpheit notwendig ein zentrales Wort“ (HAAS: 1964, 26), weil es sich in der Mehrzahl auf die Hauptfigur

Parzival bezieht. Mit dem Substantiv tumpheit sind andere Bezeichnungen, nämlich

tôrheit, tumbe witze und unbescheidenheit (vgl. HAAS, 26), verbunden, die im Parzival auf

denselben und einzigen Zustand hinweisen. Wichtig ist auch, dass dieser Begriff als der andere Pol von wîsheit vorkommt, vorwiegend dadurch, dass der Held der ausgewählten Erzählung sich als „hêrre, in [ich?] bin niht wîs“ (Pz: 178, 29) betrachtet, während Gawan, eine andere Figur der Erzählung, von sich selbst sagt: „ich pin sô wîs“ (Pz: 323, 24). Der Abstand zwischen den Konzepten tumpheit und wîsheit lässt sich schon durch den Prolog am Anfang der Dichtung erkennen. Der Erzähler schildert uns da zwei Arten von Individuen, die sich in ihrer Denkweise voneinander unterscheiden:

diz vliegende bîspel ist tumben liute gar ze snel,

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sine mugens niht erdenken… ouch erkante ich nie sô wissen man, ern möhte gerne künde hân, wehler stiure disiu mӕre gernt und waz si guoter lêre wernt.“ (Pz: 1, 15-17 / 2, 5-8)

Mit diesem Beispiel wird dem Leser klar, dass die tumben liute hier den Sinn des

vliegende bîspel nicht begreifen oder sich nicht innerlich zu eigen machen wollen. Im

Gegensatz zu diesen aber steht eine andere Gruppe, die wissen man, die gute Lehren zu erkennen weiß und keine Gelegenheit verpasst, sie zu verinnerlichen. Es besteht also ein Abstand zwischen den Begriffen tumpheit und wîsheit, die die Erziehung umfassen will. Die Verständlichkeit dieses Begriffs bzw. des Konzepts tumpheit bei Parzival liegt sicher an den unterschiedlichen Verwendungen, die man diesem Begriff zuweist. Deswegen lohnt es sich, den Begriff tumpheit vor allem zu definieren.

1.2. Das Konzept tump(heit) 1.2.1. Begriffsbestimmung

Als ein wichtiger Begriff der Dichtung Parzival erscheint das Konzept tumpheit in vielen Versen und kommt entweder negativ oder positiv vor. Um dieses Wort zu definieren, werde ich mich auf den Definitionsansatz von HAAS beziehen, da dieser sich viel mit dem

Konzept und dessen Bedeutungen beschäftigt hat.

Das Wort tumpheit ist die substantivierte Form von tump. Das mhd. Stammwort

tump hatte seinen Ursprung in einer Wurzelerweiterung im Indogermanischen, im

Griechischen und im Gotischen, so HAAS. Im Indogermanischen heißt das Wort *dheu-,

*dheuә/dhuē und bedeutet „stieben, wirbeln, besonders von Staub, Rauch, Dampf;

wehen, blasen, Hauch, Atem; daher dampfen, ausdünsten, riechen, stinken …“ (HAAS:

1964, 16). Ferner ist die Idee von Rauch und Dampf im Indogermanischen auch im Griechischen zu finden, wo sie durch die Wörter *τύφω oder *τΰφος bezeichnet ist. Abgesehen von Rauch und Dampf erstreckt sich das Konzept tump im Griechischen auch auf die Bedeutungen „Benebelung, Torheit oder dummer Stolz“ (HAAS: 1964, 17), die

einigermaßen auf eine geistig behinderte Person hinweisen. Weiterhin ist das Konzept

tump im Gotischen zu finden, wo es unter den Formen *daufs, *daufr, und *dēaf auftritt.

Als Definition werden diese Begriffe als „taub, verstockt, stumpfsinnig und unsinnig“ (HAAS: 1964, 17) verstanden. Hier erstreckt sich der Begriff tump auf ein weiteres Feld,

nämlich das der Sinne und hier besonders auf die Hörfähigkeit.

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Bedeutungen: „schwach von sinnen od. verstande, dumm, töricht, unbesonnen, einfältig, unklug; unerfahren, jung, ungelehrt; stumm“ (LEXER: 1992, 233). Diese Definitionen des

Worts tump im Mittelhochdeutschen nähern sich denen der oben erwähnten. Sie gehen aber mehr auf den geistigen Zustand des Individuums ein. Das tumbe Individuum sollte keine richtige Erziehung genossen haben oder wisse nicht, geschickte Entscheidungen für sich selbst zu treffen. In dieser Definition erkennt man also nicht nur das Wesen des Kindes, das als der Zustand allen Mangels betrachtet wird, sondern auch das Individuum, das die Reife der Erziehung nicht erreicht hat. Ausgehend von der oben erwähnten Bedeutung von LEXER erklärt HAAS das Wort tumpheit weiter und erweitert es auf zwei

Bedeutungsseiten, die sich im einzelnen Fall verbinden oder unterschieden werden können (HAAS: 1964, 26). Er definiert das Wort bzw. das Konzept tumpheit, indem er es

einerseits unter „Unerfahrenheit, Mangel an Schulung und Erziehung, insbesondere Mangel an ritterlich-höfischen Wissensinhalten, Fertigkeiten und Lebensformen; ein Mangel an wahrer und letzter Bildung; ein Mangel auch an Gotteserkenntnis … es ist aber z. T. auch Sache der Reife, die Belehrung richtig aufzufassen“ (ebd. 26) und andererseits unter „Unbedachtheit, Unüberlegtheit, Neigung zu vorschnellem (und insofern törichtem) Tun, Mangel an Kritik und besonders Selbstkritik. Eine Dummheit im Sinne von Frechheit, Unverschämtheit, mit starker ethischer und religiöser Abwertung“ (ebd. 26) gruppiert. Der Begriff der tumpheit versteht sich also als mit dem Begriff der Erziehung verbunden, da der erste als ein Mangel des zweitens vorkommt. Diese Bedeutungsseiten des Worts tumpheit spiegeln also das Bild des Menschen im Mittelalter wider, der - nach der mittelalterlichen Anthropologie - „ohne Wissen, ohne Sprache, ohne Tugend“ (Innozenz III) geboren wird oder „unfähig zur Erkenntnis und zum richtigen Handeln“ (Vinzenz von Beauvais)6 ist. Durch diese Definitionen haben wir ein Individuum in zwei unterschiedlichen Zuständen: Das heißt, ein Individuum, das entweder keine erzieherischen Werte genossen hat, oder das nicht weiß, sich situationsgemäß zu benehmen oder allein wichtige Entscheidung zu treffen, obwohl erzogen. Diese Tatsache deutet BUMKE, wenn er über die erwartete Wirkung der

Erziehung im Leben des Kindes wie folgt spricht:

„Das Kind bedarf der Anleitung und Erziehung, um ein richtiger Mensch zu werden; vor allem das moralische Urteilsvermögen (die Unterscheidung zwischen Gut und Böse) und der richtige Gebrauch des Verstandes (die Fähigkeit zu diskursivem Denken) müssen ausgebildet werden.“ (BUMKE: 2004, 147)

(16)

Diese ausführliche Definition des Konzepts tump(heit) führt uns zu dem Schluss, dass das Wort tump nicht immer mit Wissen, Erziehung und Verhalten verknüpft war. Bevor es dazu kommt, wurde das Wort zuerst im Sinne von Dampf bzw. Rauch verwendet und später „wurde es ursprünglich ganz einfach als eine Minderung und Verschlechterung der äußeren Sinne, sei es nun des Gesichts- oder Gehörsinns“ (HAAS: 1964, 18) verstanden.

Man bemerkt diesen Begriffskonzepten entsprechend eine Entwicklung bei der Verwendung des Worts: Von der Bedeutung der Wortgruppe, die sich früher auf die äußeren Sinne bezieht, wandelt sich der Stammwortbereich zu der Unfähigkeit des Individuums, etwas zu verinnerlichen bzw. zu verstehen oder sich vernünftigerweise zu handeln. Wichtig zu erwähnen wäre aber, dass dieses Wort seinen Ursprung im Indogermanischen hat und dass die Bedeutung, die es allmählich erlangen sollte, nicht weit von dieser indogermanischen Quelle entfernt ist.

Die Frage der tumpheit bei Parzival erweist sich als komplex und wie schon oben erwähnt, erscheint das Konzept tump in der Handlung nicht immer abwertend. Um die unterschiedlichen Seiten des Worts tumpheit im Parzival besser zu verstehen, das heißt, die negative sowie die positive, bedürfen sie einer ausführlichen Analyse, die das Anliegen des nächsten Kapitels ist.

1.2.2. tumpheitsbelege in der Parzival-Dichtung

Dem Konzept tump(heit) hat die Parzival-Dichtung einen ganz hohen Wert beigelegt. Nicht nur kennzeichnet dieses Konzept allein das Leben der Hauptfigur Parzival, sondern der Lauf der Handlung weist auf andere Figuren hin, deren Verhalten manchmal mit dem eines tumben verglichen werden können. Die Forschung hat aber belegt, dass die hohe Anzahl des Worts tump mit der Figur Parzivals in Verbindung gesetzt ist. Wie HAAS

darauf hinweist, haben wir insgesamt 43 tumpheitsbelege.7 Unter tumpheitsbelegen verstehe ich die verschiedenen Passagen der Dichtung, in denen das Wort tump(heit) oder dessen Konzept, das heißt, die Wörter, die mit dem Verhalten eines tumben verknüpft sind oder die dessen Zustand zum Vorschein bringen, benutzt werden. Man zählt aus den 43 eben erwähnten Belegen 24 auf, die das Leben Parzivals alleine beschreiben, das heißt, mehr als die Hälfte in der ganzen Erzählung. Wie gerade angeführt kommt die Art und Weise der tumpheit in der Dichtung nicht immer durch die Wörter tump oder

tumpheit zum Ausdruck, sondern manchmal unter den Bezeichnungen tôr (tôrheit) oder 7 Diese Anzahl wurde zuerst von RUPP und SENN/LEHMANN überprüft und später von HAAS bestätigt (vgl. HAAS: 1964, 28-29).

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toersch. Hier lassen sich wiederum 13 bzw. 4 Belege erkennen, unter denen 6 bzw. 3

sind, die wieder das Leben Parzivals alleine beschreiben (vgl. HAAS: 1964, 28). Die

weiteren Erscheinungsformen des Konzepts tump(heit) in der Erzählung, das heißt, durch seine unterschiedlichen Ausdrücke sind mit den Figuren Isenhart (Pz: 26, 21), Hiutegêr (Pz: 37, 20), Razalîc (Pz: 42, 17), Herzeloyde (Pz: 110, 17), Antanor (Pz: 152, 24/153, 11), Meljanz (Pz: 392, 15), Gawan (Pz: 506, 14/508, 3/512, 16/515, 14/520, 19/530, 10), dem Boten Gawans (Pz: 653, 9) und Cundrie (Pz: 779, 7) verbunden. Bei diesen verschiedenen tumpheitsbelegen ist zu notieren, dass das Wort unterschiedliche Bedeutungen hat. Wie im Kapitel 1.2.1. erklärt, lassen sich die verschiedenen Bedeutungen des Worts tump auch bei diesen eben erwähnten Figuren erkennen, und zwar die Verdunklung der Sinne, der Mangel an Erziehung oder Urteilsfähigkeit und die Neigung zum unüberlegten Handeln. Bei Isenhart, Hiutegêr und Antanor erscheint das Konzept durch seine äußerlichen Aspekte, das heißt, die Verdunkelung der Sinne verbunden: „er was gein valscher fuore tôr (Pz: 26, 21); „sô wӕr mîn bester sin ein tôr“ (Pz: 37, 20) und „der durch swîgen dûht ein tôr“ (Pz: 152, 24), während es sich bei Razalîc und Meljanz eher auf die intellektuelle Fähigkeit bezieht: „nu sint mir mîniu

jâr-nâch grôzer tumpheit bewant“ (Pz: 42, 17); „diu prüevete gein mir tôren schimpf“ (Pz:

392, 15). Diese Realität kommt auch bei Parzival in abwertender Form vor: „Es ist ein Wort, das, wenn es auf Parzival angewendet wird, vornehmlich in negierter Form erscheint und mithin der tumpheit Parzivals nur noch mehr Anschaulichkeit verleiht.“ (HAAS: 1964, 28-29) Bei Herzeloyde sowie bei Gawan hat die Tatsache nicht immer eine

negative Konnotation: „er was zer wunden niht ein tôr“ (Pz: 506, 14). Das Wort tôr wird hier verwendet, um die Befähigung Gawans in der Heilkunde zu bestätigen, und dies, durch das Negationswort niht. Mit Hilfe seiner Fähigkeiten in der Heilkunde gelingt es ihm dem durchstochenen Ritter zu helfen, der im Wald neben seiner Freundin zu verbluten droht. Weiter begegnet Gawan einer Welt, die seine sichere Haltung in Frage zu stellen versucht. Es ist eine Burg, die auf einer Bergspitze gebaut wurde und der Weg, der dahin führt, ist spiralförmig. Dann sagt der Erzähler: „swâ si verre sach der tumbe/er

wând si liefe alumbe“ (Pz: 508, 3-4). Der tumbe sollte also eher glauben, dass sich die

Burg im Kreis dreht, obwohl es der Weg ist, der sich um die Burg dreht. Damit stellt sich das Wort tump in dem Sinne dar: der tumbe konnte die Gestalt der Burg mit den Augen nicht richtig auffassen. Während Gawan sich auf den Weg zur Burg machte, gewahrt er bei einer Quelle Orgeluse von Lôgroys. Beeindruckt von ihrer Schönheit zögert Gawan nicht, ihr seinen Dienst anzubieten. Nach einem Gespräch miteinander war Orgeluse

(18)

bereit, Gawan zu folgen. Aber nach der Weigerung Gawans, sie ohne Dienst zur Frau zu haben, verlangt Orgeluse von Gawan ihr Pferd abzuholen. Als er das Pferd abholen will, bemerkt er, dass es in der Nähe keinen Pflock gibt, um sein eigenes Pferd anzubinden. Da bittet er Orgeluse darum, sein Pferd zu halten und gibt ihr den Zügel in die Hand, um ihr irgendwie zu zeigen, dass sie das Pferd bei dem Zügel halten soll. Darauf erwiderte Orgeluse und sagt: „bî tumpheit ich iuch schouwe/sprach si:´wan dâ lac iwer hant/der

grif sol mir sîn unbekant´“ (Pz: 512, 16-18). Hiermit beweist sie, dass sie sich gut mit der

Sache auskennt. Gawan braucht sie nicht darauf hinzuweisen und das ist Grund genug ihn

tump zu schelten. Man erkennt hier einen naiven Gawan, dann einen unreifen. Gawan

geht, das Pferd zurückzubringen. Als er zurückgekommen ist, spricht sie ihn mit gans an und behauptet dabei, sie hätte noch keinen Mann getroffen, der soviel tumpheit in sich hat: „si sprach ´west willekom, ir gans/nie man sô grôze tumpheit dans“ (Pz: 515: 13-14). Orgeluse meint damit, dass Gawan sich nicht zu benehmen wisse oder nicht reif genug ist und sie kann sich daher nicht vorstellen, dass er ihr diens welt gewern will. In diesen Worten findet sich eine Entmutigung seitens Orgeluse an Gawan, denn sie hält ihn nicht für fähig genug, einen Dienst zu leisten. Dazu sagt HAAS: „In diesen Worten ist eine

Aufforderung enthalten, es doch sein zu lassen und diesen verderblichen Dienst aufzugeben.“ (HAAS: 1964, 40) Doch gelingt es Orgeluse nicht, ihn davon abzubringen.

Die beiden gehen also weiter eine lange Strecke zusammen. Auf ihrem Weg trifft Gawan auf Malcrêatiure, den Bruder von Cundrie; der glaubt, Gawan hätte Orgeluse entführt: „ir

dunket mich ein tumber man/daz ir mîne frouwe füret dan“ (Pz: 520, 19-20). Er schreibt

damit Gawan eine Entehrung der Frau zu. Man kann hier ein tumber man mit unerzogen oder ungelehrt verknüpfen. Auf diese unfreundlichen Worte erwidert Gawan und beweist Malcrêatiure, dass er sich gut mit den höfischen Verhaltensweisen auskennt. In seinem Zorn greift Gawan Malcrêatiure bei den Haaren und wirft ihn vom Pferd ab. Von da an reiten Gawan und Orgeluse weiter und Orgeluse will sich lieber von Gawan trennen, er aber ist dagegen, denn er glaubt, es gehöre auch zum Dienen. Zu diesem Benehmen Gawans sagt Orgeluse: „des dunct ir mich der tumbe/welt ir daz niht vermîden“ (Pz: 530: 10-11). Gawan wird durch die Liebe zu Orgeluse „blind“, deswegen wollte er ihr partout folgen. Obwohl auch bei Gawan negative Merkmale bei der Verwendung des Worts zu bemerken sind, treten sie aber nicht so stark wie bei Parzival auf. Dazu sagt HAAS

Folgendes: „Seine [Gawans] tumpheit ist daher wesentlich ein defizienter Modus der

tumpheit Parzivals.“ (HAAS: 1964, 47) Wir erkennen des Weiteren die Anlässe, bei denen

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treten, und zwar bezeichnet bei einem tumpheit eine gewisse Tölpelhaftigkeit, die sich meistens in roher Gewalt äußert, welche aber nicht aus einer Aggression entsteht, sondern aus Mangel an Urteilsfähigkeit und aus Unerfahrenheit, während sie sich bei dem anderen mit der Frage der „Liebe und Treue zur höfischen Gesittung“ (vgl. HAAS: 1964, 46)

identifiziert. Wie oben angeführt kommt das Wort bei Herzeloyde nicht abwertend vor. Denn sie weigert sich, aus Trauer tump zu werden. Sie sagt daher: „got wende mich sô

tumber nôt“ (Pz: 110, 17). Wenn wir auf den Kontext zurückgreifen, können wir hier dem

Wort tump „ein falsches Verhalten“ zuschreiben, weil sie sich damals mit dem Tod ihres Mannes Gahmuret und ihrem Sohn Parzival im Schoß konfrontiert sah und nicht wusste, was sie machen sollte. Die Vorstellung Antanors mit den Worten dem witzehaften tôren (Pz: 153, 11) öffnet dem Wort tôr ein weiteres Feld und lässt vermuten, ob hier gemeint wird, dass ein tôr witze besitzen kann. Es wäre meines Erachtens widersprüchlich, wenn wir die witze als ein Kennzeichen der gut erzogenen Leute betrachten. Doch es erweist sich, dass sich diese beiden Eigenschaften nicht in einer einzelnen Person finden können, wenn wir die Beschreibung der Haltung Cundries betrachten, die wie folgt von dem Erzähler eingeführt wird: „diu wîse, niht diu tumbe“ (Pz: 779, 7). Cundrie ist wîse, deswegen kann sie nicht gleichzeitig tump sein. Um aber die Zusammenstellung dieser Wörter bei Antanor zu erklären, sagt HAAS seinerseits, dass sie hier die „innere

Transparenz der tôrheit zur witze und umgekehrt bezeugen.“ (HAAS: 1964, 52) Die beiden

Wörter besäßen also einen gemeinsamen Punkt, der sie zueinanderstehen lässt. Schließlich erscheint das Wort im Zusammenhang mit der Figur des Boten Gawans. Gawan hat seinen Knecht zum Artushof geschickt. Als dieser zurückgekommen ist, will Arnive den Grund wissen, warum er hinausgeschickt wurde. Der Bote sagt, es wäre eine

tumpheit von ihm, wenn er den Grund verrät: „ez wære ouch mîne hêrren leit/bræch ich mit mæren eit/des diuhte ich in der tumbe“ (Pz: 653, 7-9). Der Knecht stellt sich hier also

nicht als unklug oder einfältig dar, und dies wegen der Treue, die er Gawan, seinem Herrn, geschwört hat. Diese Darstellung hat einerseits die verschiedenen Passagen, in denen das Wort bzw. die Realität tump(heit) in der Dichtung vorkommt und andererseits die unterschiedlichen Situationen, in denen der Begriff erscheint, ans Licht gebracht. Da die Frage nach der tumpheit und der Erziehung das Anliegen der Arbeit ist, wird darauf als Nächstes eingegangen und dies in Bezug auf die Hauptfigur Parzival des gewählten Beispiels.

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2. Parzivals Erziehung und die Potenzierung der tumpheit

Niemand macht heute das Thema Erziehung als eines wichtigen Aspekts, der bei der Erläuterung des Parzival zu berücksichtigen ist, streitig. Wenn das Deutsche

Universalwörterbuch Duden den Erziehungsroman bzw. den Bildungsroman als einen

„Roman, in dem die Erziehung eines jungen Menschen dargestellt wird“ (DUDEN: 2011,

548), oder wenn das Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft ihn als „erzählerische Darstellung des Wegs einer zentralen Figur durch Irrtümer und Krisen zur Selbstfindung und tätigen Integration in die Gesellschaft“ (WEIMAR: 1997, 230)

definieren, kommt es nicht abwegig vor, Parzival unter der Benennung Erziehungsroman zu klassifizieren. Die Erziehung im Parzival, anders als die von heute, hat die Individualität oder die Selbstbestimmung (vgl. GEISSLER: 2006, 44) nicht als erstes Ziel,

sondern die Sozialisierung des Individuums und die Überwindung der tumpheit, die als eine Eigenschaft des nicht erzogenen Wesens im Mittelalter betrachtet wird. Die

tumpheit, die immer wieder als ein an Erziehung, Verstand und Urteilsfähigkeit

mangelnder Zustand eines Individuums beschrieben wird, soll durch Anleitung und Erziehung verbessert werden. Doch die häufig erscheinenden tumpheitszüge im Leben Parzivals beweisen die Tatsache, dass das Thema der tumpheit mit dem der Erziehung zusammengehört und ein wichtiges Motiv in der Handlung bildet. Als Nächstes werden also die Erscheinungsformen der tumpheit, je nach den verschiedenen Erziehungsepisoden des Helden, ans Licht gebracht. Diese Erziehungsepisoden werde ich anhand der Erziehungsmomente in Soltâne, in Grâharz und in Fontâne la salvâtsche darstellen.

2.1. Erziehung und tumpheit in und nach Soltâne 2.1.1. Parzivals Erziehung in Soltâne

Wolframs Parzival fängt nicht mit der Geschichte der Hauptfigur Parzival an, sondern – nach dem Prolog – mit der Beschreibung seiner Eltern Gahmuret und Herzeloyde im 1. und 2. Buch. Die Informationen, die uns am Ende des 1. und 9. Buches übermittelt werden, weisen uns auf die Herkunft des Helden der Geschichte hin. Der Erzähler lässt uns deutlich wissen, dass Parzivals Eltern aus zwei unterschiedlichen Welten kommen, welche das Leben und die Erziehung Parzivals auch später beeinflussen werden. Der Leser erfährt durch die Informationen der erwähnten Textpassagen, dass Gahmuret

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durch seine Verwandtschaft mit Utepandragun aus der Artus-Familie8 (Pz: 56, 1-24) stammt und Herzeloyde als Enkelin Titurels zur Gralsgesellschaft9 (Pz: 501, 22-23) gehört.

Nach dem Tod ihres Mannes entscheidet sich Herzeloyde, ihren Sohn im Wald von Soltâne heranwachsen zu lassen (Pz: 117, 8-9), um ihn vor der höfisch-ritterlichen Welt zu schützen (Pz: 112, 19-20). Die Erziehung, die Parzival von seiner Mutter im Wald erhält, lässt sich – verglichen mit der Erziehung bei Gurnemanz und Trevrizent – als unzureichend bezeichnen, da der Erziehungsort außerhalb der Gesellschaft ist und die Erziehung in Eile vermittelt wird. Die Erziehung, die dem Helden in dieser Wildnis zuteilwird, bewertet der Erzähler negativ schon am Anfang der Erziehung, da er von seiner Mutter nur wenig erhält, was das allgemeine Leben der höfischen Gesellschaft angeht, das heißt, was eine höfisch-adäquate Erziehung betrifft: „der knappe alsus

verborgen wart/zer waste in Soltâne erzogn/an küneclîcher fuore betrogn“ (Pz: 117,

30-118, 1-2). Bevor er den Wald verlässt und die Lehren seiner Mutter mit auf seinen Weg nimmt, lernte er den gabilôtes swanc (Pz: 120, 2) und verbringt sein Leben im Wald als Jäger (vgl. Pz: 118, 5-6 und 120, 3-10). Abgesehen von der Mitleidsfähigkeit, die durch die Szene mit den Vögeln im Wald zu bemerken ist, erbt er von seiner Mutter Treue und Liebe (vgl. Pz: 111, 7/116, 1-30 und 118, 7-10). Seine kämpferische Reaktion den im Wald getroffenen Rittern gegenüber, nämlich seinen Spieß zu werfen fastend, kommt dem Leser als ein Zeichen der Erscheinung der Gahmuretes art in ihm: „dâ hôrter schal

von huofslegen./sîn gabylôt begunder wegen“ (Pz: 120, 15-16). Das Wort art kann

entweder Abstammung oder individuelle Natur bezeichnen, aber es bedeutet in der Regel beides: die Natur besitzt jede Person, weil sie von einer Abstammung kommt, die bestimmte Eigenschaften bezeichnet. Diese Tatsache des Vorhandenseins der Tugenden im Kind ohne Erziehung bestätigt WINKEL, wenn er – auf einen Text von Konrad deutend

– sagt: „Konrad ist somit also der Überzeugung, daß ein Kind, das von edlen Eltern abstammt, Tugend als Frucht seiner edlen Geburt schon mitbekommt, ohne daß erst besondere Erziehung vonnöten wäre“ (WINKEL: 1968, 82). Der aus der Begegnung mit

den Rittern kommende Wunsch des Helden Parzival Ritter zu werden: „Artûs küneclîchiu

kraft/sol mich nâch rîters êren/an schildes ambet kêren“ (Pz: 126, 12-14) und seine Bitte

um ein Pferd: „iesch von der muoter dicke ein pfert“ (Pz: 126, 20), können lediglich diese

8 „Der wichtigste Name ist Utepandragun (56, 12), der den literarisch Gebildeten als der Name von König Artus´ Vater bekannt war. So wird klar, dass Parzival väterlicherseits ein Mitglied der Artus-Familie ist.“ (BUMKE: 2004, 48) Vgl. auch Hugo KUHN: 1969, 153: „Gahmuret gehört jedoch zur Artusfamilie.“ 9 „Durch seine Mutter Herzeloyde stammt Parzival aus dem Gralsgeschlecht.“ (KUHN: 1969, 154)

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väterliche Art erläutern und bestätigen. Vor aller Erziehung besitzt der Held höfische Werte sowie kämpferische Techniken als Anlage bzw. als Erbe: Treue, Liebe, Mitleid, Kampfmut, Spießwerfen. Wie die Dichtung uns darüber berichtet, wurde Parzival von seiner Mutter alleine erzogen. Als Mutter und als Bindeglied zwischen Vater und Sohn hat Herzeloyde sich bemüht, ihrem Sohn eine sorglose bzw. eine angenehme Kindheit zu schaffen (vgl. Pz: 113, 1-4/117,14-19 u.a.). Es entstand daher eine Vertrauensstimmung zwischen Herzeloyde und ihrem Sohn. Herzeloyde ist die einzige Person, an die Parzival sich zuerst wendet, wenn er eine schlechte Erfahrung im Wald gemacht hat oder wenn er sich Sorgen über etwas macht. Er bekommt immer eine Antwort (vgl. Pz: 118, 18/125, 29-30 u.a.). Parzival findet aus diesem Grund in Herzeloyde eine Wissensreferenz und kann deswegen an ihren überlieferten Informationen nicht zweifeln. Das bestätigt sich, da die Frage der Erziehung im Mittelalter meistens mit der Idee der Familie bzw. der der Eltern vorkommt.

Wenn das Mittelalter den Erziehungsauftrag der Eltern in den Geboten Gottes wurzelt sieht (vgl. WINKEL: 1968, 80), kann zweifellos gesagt werden, dass das

Individuum als gut erzogen gilt, wenn dieser die Erziehungswerte durch seine Eltern erhält. Parzival befindet sich also in einer dem Höfischen ähnlichen Erziehungsatmosphäre. Das Verhältnis, das zwischen Herzeloyde und ihrem Sohn entstanden ist, wird das Benehmen Parzivals außerhalb des Waldes sehr beeinflussen. Herzeloyde hat aber eine besondere Art ihre Unterweisungen zu übermitteln. Bei der Lehre über Religion sowie bei der über die Verhaltensnormen der höfischen Gesellschaft schneidet sie nicht unmittelbar das Thema an, sondern beginnt ihre Belehrung mit „sun,

ich sage dirz âne spot“ (Pz: 119, 18) bzw. mit „ich will dich list ê lêren“ (Pz: 127: 14).

Sie führt ihre Lehre ein, indem sie deren Wahrhaftigkeit schon am Anfang erwähnt. Damit ist jede mögliche Kritik gegen den Inhalt ausgeschlossen. Diese Tatsache wird dadurch bestätigt, dass Parzival die Lehren hört, ohne seine Meinung dazu zu äußern oder Fragen darüber zu stellen. Es gibt hier also keinen Austausch, der aber für ein besseres Verständnis der übermittelten Informationen von großer Bedeutung sein sollte.

Die Unterweisungen Herzeloydes an Parzival beruhen einerseits auf der Frage der Religion (Pz: 119, 19-28) und andererseits auf allgemeinen Verhaltensregeln der höfischen Gesellschaft und der Ritterschaft (Pz: 127, 13-128, 10). Auf die Frage Parzivals: „ôwê muoter, waz ist got?“ antwortet Herzeloyde ihrem Sohn und belehrt ihn mit folgenden Hinweisen über das Wesen Gottes und das Wesen des Teufels:

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sun ich sage dirz âne spot. es ist noch liehter denne der tac, der antlitizes sich bewac nâch menschen antlitze. sun, merke eine witze, und flêhe in umbe dîne nôt: sîn triwe der werlde ie helfe bôt. sô heizet einr der helle wirt: der ist swarz, untriwe in niht verbirt. von dem kêr dîne gedanke, und och von zwîvels wanke“ (Pz: 119, 18-28)

Diese Lehre über Religion gibt Parzival eine klare Idee davon, was Gott und der Teufel sind. Das Bild dieser beiden Wesen wird auf die Ideen von lieht und vinster (Pz: 119, 29-30) reduziert, so der Erzähler. Herzeloyde ihrerseits stellt Gott als „liehter denne der tac“ dar und sagt von dem Teufel „der ist swarz“. Die beiden Adjektive „vinster“ und „swarz“ weisen hier auf die Dunkelheit hin und deuten völlig auf das Wesen des Teufels. Daher sind Herzeloyde und der Erzähler der gleichen Meinung über den Anschein dieses Wesens, dessen Wohnort die helle sein sollte. Des Weiteren spricht Herzeloyde über das Aussehen Gottes, der als das Ebenbild der Menschen eingeführt wird: „der antlitizes sich

bewac/nâch menschen antlitze“: Gott hat die gleiche Gesichtsgestalt wie der Mensch.

Von diesen Abbildungen her hebt sie die inneren Eigenschaften der beiden Wesen heraus. Parzival erfährt etwas hier über die Treue Gottes sowie über die Untreue des Teufels. Dadurch mahnt Herzeloyde ihren Sohn dazu und erwartet von ihm, dass er immer in seiner Besorgnis nach Gott fleht: „und flêhe in umbe dîne nôt“ und sich von dem Teufel abwendet: „von dem kêr dîne gedanke“, weil die Hilfe Gottes immer den Menschen zur Seite steht: „sîn triwe der werlde ie helfe bôt.“ Ihre Lehre stellt die beiden Wesen letztendlich in ein Gegenverhältnis, das heißt, der eine wird als das Gegenteil bzw. die Kehrseite des anderen vorgeführt, und dies von den äußerlichen Merkmalen bis zu den inneren Eigenschaften. Nach dieser Belehrung über die Religion und bevor Parzival sich auf den Weg macht, Ritter zu werden, bekommt er weitere Unterweisungen, die unter die höfischen Verhaltensnormen eingruppiert werden können. Die Verhaltensregeln über das Leben in der Gesellschaft geschehen nach der Begegnung Parzivals mit den Rittern im Wald. Von diesen Rittern, die hier als Erziehungsinstanzen betrachtet werden können, erfährt Parzival einiges über das Rittertum.

In seinem Gespräch mit den Rittern und durch die Erwähnung des Worts Ritter, wovon Parzival bisher noch nie gehört hat, stellt er die Fragen „du nennest ritter: waz ist

(24)

Parzival klar werden, dass König Artus die Rittereigenschaft verleiht. Dieser steht hier als die höchste Instanz des Rittertums oder als „Chef“ der Ritter: „daz tuot der künec Artûs“ (Pz: 123, 7). Parzival wird sogar gelobt, indem ein Ritter ihm die Ritterart zuschreibt: „ir

mugt wol sîn von ritters art“ (Pz: 123, 11). Parzival ist also ritterlicher Art und besitzt aus

diesem Grund Merkmale, um Ritter zu werden. Dazu sagt WEDDIGE Folgendes: „Nach der

„Definition“ im Parzival verleiht also König Artus den Titel eines Ritters demjenigen, der von ritters art ist: Man wird nicht von vornherein als Ritter geboren, aber man bringt die Disposition zum Ritter mit.“ (WEDDIGE: 1997, 173) Parzival erfährt nur, wer die

Ritterschaft verleiht, aber nichts darüber, was Ritterschaft ist. Das lässt daher vermuten, dass selbst diese Ritter keine Ahnung über die Bedeutung der Ritterschaft haben oder selbst unerfahren sind. Parzival hat die Ritterschaft seinerseits verstanden und verknüpft sie mit dem Pferd und der Rüstung, wie wir es bei seiner Ankunft an der Burg Grâharz bemerken werden. Doch hört Parzival nicht mit diesen erwähnten Fragen auf, da seine Neugier noch nicht gestillt ist. Auf das Schwert des Ritters deutend stellt er wieder eine Frage, und zwar: „war zuo ist diz guot …?“ (Pz: 124, 2). Um ihm zu antworten, verknüpft der Ritter das Schwert mit dem Kampf und stellt es als ein Wehrmittel zum Schlagen dar: „der fürste im zeigete sâ sîn swert/nu sich, swer an mich strîtes gert/des selben wer ich

mich mit slegn“ (Pz: 124, 5-7). Dazu schließt der Ritter eine weitere Erklärung über seine

Rüstung an, der er ein Schutzmittel gegen die Verletzungen bzw. die Schläge des Gegners zuweist: „für die sîne muoz ich an mich legn/und den schuz und für den

stich/muoz ich alsus wâpen mich“ (Pz: 124, 8-10). Diese Belehrung gibt Parzival einen

Überblick über die äußere Gestaltung des Ritters der Artusgesellschaft und entspricht, in Bezug auf die Geschichte Gahmurets im 1. und 2. Buch, dem allgemeinen Bild des Ritters. Für die Forschung dient diese Begegnung Parzivals mit den Rittern zur Hervorhebung der tumpheit des Helden. Walter SCHRÖDER will in dieser Begegnung einen

dichterischen Plan Wolframs sehen, um den „bloßen Naturzustand der völligen Unwissenheit und Unschuld“ (SCHRÖDER: 1953, 13) zu zeigen. HAAS hingegen will in

dieser Begegnung „einen gültigen Modellfall des Menschen“ (HAAS: 1964, 70) beweisen,

zu dem „die tumpheit als ein Anfängliches zu gehören“ (ebd. 70) scheint. Mit den Aussagen Parzivals erkennt der Leser also die Unerfahrenheit des Helden, die ein Status des Individuums ohne Erziehung ist.

Herzeloydes Versuch, den Jungen von den Gefahren bzw. Verlockungen des Rittertums fernzuhalten, misslingt durch diese Begegnung gründlich und sie ist infolgedessen verpflichtet, ihn mit den Regeln des Lebens am Hof vertraut zu machen.

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Die Informationen, die Parzival bei den Rittern bekommen hat, haben seine Mutter gezwungen, ihm Näheres über die Ritterschaft mitzuteilen, aber mit der Absicht, dass er zu ihr zurückkommt, falls er aufbrechen sollte, denn sie will nicht, dass ihr Sohn dasselbe Todesschicksal wie Gahmuret erleidet. Diese Lehre enthält höfische Werte über das gute Verhalten gegenüber den Leuten im Allgemeinen und der Frau im Spezifischen und über die Rache:

„dune solt niht hinnen kêren, ich will dich list ê lêren. an ungebanten strâzen soltu tunkel fürte lâzen: die sîhte und lûter sîn, dâ sollte al balde rîten în. du solt dich site nieten, der werlde grüezen bieten. Op dich ein grâ wîse man zuht will lêrn als er wol kan, dem soltu gerne volgen, und wis im niht erbolgen. sun, lâ dir bevolhen sîn, swa du guotes wîbes vingerlîn mügest erwerben unt ir gruoz,

daz nim: ez tuot dir kumbers buoz. du solt zir kusse gâhen

und ir lîp vast umbevâhen: daz gît gelücke und höhen muot, op si kiusche ist unde guot. du solt och wizzen, sun mîn, der stolze küene Lähelîn

dînen fürsten ab ervaht zwei lant, diu solten dienen dîner hant, Wâleis und Norgals.

ein dîn fürste Türkentâls

den tôt von sîner hende enphienc: dîn volc er sluoc unde vienc“

(Pz: 127, 13-128, 1-10)

Der Inhalt dieser Lehre umfasst, was Herzeloyde – in dieser Situation – ihrem Sohn über Rittertum beibringen kann. Sie rät ihrem Sohn, ungebanten strâzen und tunkel fürte zu vermeiden, solange er reiten muss. Die fürte als die seichte Stelle eines Flusses soll er nur überqueren, wenn es sîhte und lûter ist. Fraglich ist, was sie hier mit tunkel fürte meint: Spielte sie darauf an, den Fluss bei Nacht nicht zu durchreiten? Oder den Fluss nur zu überqueren, wenn die Sonne ihre Strahlen darauf (lûter) wirft? Parzival hat es seinerseits verstanden und wird sich später danach benehmen. Da das Leben des Ritters mit höfischen Werten verknüpft ist, lehrt Herzeloyde Parzival höflich zu sein. Doch nichts anderes als „der werlde grüezen bieten“ sagt Herzeloyde ihrem Sohn, um ihm den Wert

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der Höflichkeit näher zu bringen. Damit rät sie ihm, alle freundlich zu grüßen, was er dann übertreibt, indem er pingelig jeden grüßt und hinzufügt: „sus riet mîn muoter“ (Pz: 138, 8). Höflich wird er sich aber nur eine Weile zeigen, denn er benimmt sich unhöflich Gawan gegenüber, indem er auf dessen Gruß nicht antwortet (vgl. die Bluttropfszene im 6. Buch: Pz: 282, 24-300, 26). Zu den vertrauenswürdigen und gelehrten Leuten zählt Herzeloyde den grâ wîse man und rät daher ihrem Sohn, den Lehren eines solchen Mannes Aufmerksamkeit zu schenken. Er soll sich nicht weigern, eines solchen Mannes Unterweisung zu vertrauen, da dieser viele Kenntnisse besitzt: „zuht will lêrn als er wol

kan“ (Pz: 127, 22). Weiter versucht sie, Parzival das Wesen der höfischen Dame, der guoten wîp, anzuvertrauen. Den Körper der höfischen Dame erklärt sie ihrem Sohn als

ein Mittel für Glück bzw. für gute Laune oder gegen die Traurigkeit: „und ir lîp vast

umbevâhen/daz gît gelûcke und hôhen muot“ (Pz: 127, 30-128, 1). Diese Realität erlebe

er nur, wenn die Frau kiusche unde guot ist. Sie mahnt ihren Sohn dazu, das vingerlîn der Frau zu erwerben und sie zir kusse gâhen, solange er die Gelegenheit dafür hat. Anschließend erzählt Herzeloyde ihrem Sohn die Hintergrundgeschichte seiner Familien. Hierbei erfährt Parzival nicht nur etwas über die zwei Länder seiner Familien, sondern auch über den Fürsten Lähelin, der diese Länder erobert hat: „der stolze küene

Lähelîn/dînen fürsten ab ervaht zwei lant“ (Pz: 128, 4-5). Herzeloyde regt Parzival dazu

an, diese Länder zurückzugewinnen: „diu solten dienen dîner hant/Wâleis und Norgals“ (Pz: 128, 6-7). Parzival hört von seiner Mutter, dass der Fürst Lähelin einen seiner Fürsten getötet hat und einen Teil seiner Leute bei sich gefangen hält: „ein dîn fürste

Türkentâls/den tôt von sîner hende enphienc/dîn volc er sluoc unde vienc“ (Pz: 128,

8-10). Er hat daher einen Racheplan für seinen weiteren Weg. Bemerkenswert ist aber, dass sie ihm hier weder den Namen seines Vaters noch dessen Herkunft nennt. Sie erzählt ihm sogar nichts über ihre eigene Herkunft.

Vielfältig ist ihre Lehre, obwohl inhaltlich unzureichend: „Als Parzival die Mutter verlässt, besitzt er nichts von all dem, was ein Mensch braucht: Keine ausreichende Kenntnis der christlichen Religion, kein Wissen, keinen Verstand, keine moralische Unterscheidungsfähigkeit.“ (BUMKE: 2004, 147) Diesen Lehren wird Parzival aber

wortwörtlich folgen, was seine tumpheit bzw. seine Denkunfähigkeit beweisen und betonen wird. Die Erziehung, die Parzival im Wald von Soltane, bei den Rittern und bei Herzeloyde zuteil wird, enthält nicht alle Themen, wie das Mittelalter sie versteht. Diese Tatsache lässt sich nicht nur aus dem Inhalt der Lehren heraussuchen, sondern auch aus dem Erziehungsmilieu. Eine Erziehung auf das Ziel der Übermittlung der höfischen

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