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JEDER IST SCHULD, VOR ALLEM DER ARCHITEKT,

No documento HEUTE LEISTEN MUSS: (páginas 65-69)

GROHE: Herr Professor Prix, welche Geschichte sollen einmal Ihre Häuser erzählen?

Prof. Wolf D. Prix:Gebäude sollen prinzipiell Geschich- ten erzählen. Warum? Weil wir als Bewohner von Groß- städten die Identifikation mit unserer näheren Umgebung verlieren. Und ich denke, nur markante und profilierte Bauten ermöglichen uns wieder Identifikation, d.h., eigenwillige Gebäude sind ein emotionales Bindeglied zwischen Bewohnern und Stadt.

Sie sind eine Ausnahmeerscheinung der

gegenwärtigen Architektur. Woher holen Sie sich Ihre Inspirationen?

Bauen und Architektur sind zwei verschiedene Dinge:

Architektur operiert immer auf einer Metaebene, einer Ebene, die man vielleicht als dreidimensionale Sprache unserer komplexen Gesellschaft beschreiben kann.

Meine Freunde und ich sind nun dabei, das Vokabular dieser Sprache zu erweitern.

P R O F E S S O R W O L F D . P R I X

Bei Ihrem Projekt Hot Flat haben Sie bewusst die Außenhülle des Gebäudes verletzt, was viele Zeitge- nossen provozierte. Bedarf eine lebendige Baukultur der gestalterischen Provokation?

Wir haben nie Provokation um der Provokation willen betrieben. Aber du provozierst automatisch, wenn du die Grenzen der Konvention überschreitest.

Immer schon habe ich mich mit dem Wohnen als Rück- grat einer Stadtentwicklung beschäftigt. Da bin ich in Wien richtig, weil das das Thema in dieser Stadt ist. Die Hot Flat löst die Aufgabe, selbstgestalteten, ökonomisch billigen Wohnbau zu errichten – mit übrigens einem Parkplatz gleich vor der Tür, auch im 12. Stock und einem pfeilartigen Gemeinschaftsraum, der die Außen- hülle des Gebäudes verletzt und deshalb merkbar für die Bewohner ist.

Ökonomischen Wohnraum zu schaffen für die Breite der Bevölkerung, das trifft in vielen Wohnun- gen dieser Welt gar nicht zu. Die sind überteuert.

Schon möglich. Das liegt an der falschen Wohnbaupolitik der verschiedenen Städte.

Wohin geht dann die Reise mit unserer Baukultur?

Da würde ich sagen: ins Nirwana. Heute ist unsere Baukultur zur Anschuldigungskultur geworden. Jeder ist schuld, vor allem der Architekt, dass es nicht so geht, wie es gehen sollte. Das hat mit der Einführung der Projekt- steuerer angefangen, die eher Projektverhinderer als Projektsteuerer sind.

Aber der Architekt hat doch auch immer eine Mitschuld getragen.

Ich wüsste gerne, wo. Ich kann bei unseren Bauten und auch bei jenen vieler meiner Kollegen, wenn das Zeit- oder Budgetlimit überstiegen wird, nachweisen, dass der Architekt daran nicht schuld ist. Ganz im Gegenteil, er hat darauf hingewiesen, dass u. a. falsche politische Entschei- dungen, falsche Zeitvorstellungen und Auftraggeberent- scheidungen zu dieser Steigerung geführt haben.

Was kann man nun dagegen tun, frage ich mich. Es gibt eine Antwort: eine neue Entwurfsmethode mit und an der wir gerade arbeiten. Diese ermöglicht es dem Architek- ten, komplexe Gedanken einfach zu Papier zu bringen und darüber hinaus auch die Steuerung der Bauten bud- get- und zeitmäßig selbst in die Hand zu nehmen.

Ich selbst bin Mitglied des Boards bei Gehry Technology – wir arbeiten hier an einer Technologie, die wir auch in unserem Studio anwenden. Insofern wir alle übereinstim- men, könnte dies eine neue Baukultur, die auch den Namen Kultur verdient, provozieren. Mit dem Ergebnis, dass es zwischen allen baubeteiligten Teams zu einer Win-Win-Situation und nicht zu einer I-Win-Situation kommt. Jeder sollte gewinnen, nicht nur einer.

Sind wir in der Bau- und Immobilienbranche weit davon entfernt?

Heute glaubt ein Auftraggeber, er bekommt, symbolisch gesprochen, den dreifachen BigMac zum einfachen Preis.

In der Baubranche weiß der Manager genau, dass dies nicht möglich ist, aber, um den Auftrag zu bekommen, bietet er den einfachen Preis an, um nachher dann mit verschiedenen Tricks gegen den Architekten einen höheren Preis wiederzubekommen.

Aber was man aus der Praxis so hört, wird diese gelebte Interdisziplinarität auch vom Architekten verhindert. Viele Architekten lassen sich nicht gerne reinreden.

Ich spreche nicht für alle Architekten. Ich sage nur, wie wir das handhaben. Wir arbeiten jetzt an dieser neuen Technologie, dem Building Information Modeling. Wir wissen zu jedem Zeitpunkt, aus welchen Teilen sich das Gebäude genau zusammensetzt. Änderungen sind somit sofort kalkulierbar und in Zeit- und Geldwerten ausge- drückt. Auch das könnte ein neuer Schritt in Richtung einer neuen Baukultur sein.

Vor 20, 30 Jahren war das ein Thema, das wir mit Frank Gehry diskutiert haben: Wie können wir beweisen, dass eine komplexe Architektur der einfachen Kistenbauarchi- tektur ökonomisch gleichwertig, ideell aber weit überle- gen ist.

Wir sprechen gerade über billig und schnell. Wir leben in einer Fastfood-Gesellschaft. Das hat sicher- lich auch direkte Folgen auf die Architektur. Man lässt sich nicht mehr die Zeit, etwas entstehen zu lassen.

Wenn ich billig husch-pfusch baue, gibt es die Bauschä- den früher, als man denkt. Ich rede hier der Langsamkeit nicht das Wort, aber die Leute, die heute zu den histori- schen Gebäuden wie Schönbrunn oder Stephansdom laufen, sind sich dessen nicht bewusst, dass ebendiese Gebäude heute nicht mehr baubar wären. Sie wären nicht zu finanzieren, man bekäme keine Baugenehmi- gung und sicherlich wären die Wutbürger dagegen.

Es gibt eines zu bedenken: Architektur ist schwer an Gewicht. Gewicht kostet Geld. Und wo Geld im Spiel ist, mischt sich die Politik ein. Das heißt, wir müssen als Ar- chitekten auch politisch denken können, ohne tagespoli- tisch zu werden. Ich verlange von den Politikern, dass sie nicht hinter, sondern vor mir stehen. Das heißt, wenn er etwas von Architektur versteht, hat er auch den Archi- tekten zu vertreten. Wenn nicht, soll er sich nicht einmi- schen.

Was waren in Ihrer Architekturkarriere die größten Bereicherungen?

Der spannendste Augenblick ist immer die Grundsteinle- gung von einem Projekt. Denn das ist der Moment, in dem ein Gedankengebäude zum realen Gebäude wird.

Für mich als Architekten ist das immer das Aufregendste, obwohl ich in diesem Moment sehe, dass beim Bauen, also beim Realisieren noch viele Probleme auf mich zukommen werden. Aber wir wurden auch dazu ausge- bildet, Problemlöser zu sein. Wobei wir unsere Probleme nicht immer auf einer konventionellen Ebene lösen wol- len. Deshalb suchen wir Vorbilder in anderen Bereichen.

Zum Beispiel in der Spielstrategie des Fußballclubs FC Barcelona. Eine Methode, die wir jetzt in unserem Studio übernommen haben. Auch von dem Boxer Muhammed Ali haben wir uns eine Methode abgeschaut: Die Me- thode des Cross. Einen Cross schlagen heißt, den Angriff sehen und über die Angriffshand drüber schlagen, den Angriff abwehren und so das Problem lösen, bevor es zum Problem wird. Eine ganz wichtige Taktik für einen Architekten, der strategisch denken kann. Er sieht das Problem und löst es, bevor es zum Problem wird. Das heißt im Weiteren, wir müssen nicht reaktive, sondern aktive Problemlöser sein.

Sie haben jetzt einen Wunsch frei in Bezug auf Architektur und Baukultur. Wie würde dieser Wunsch lauten?

Ich möchte gern, dass das Building Information Modeling zur neuen Baukultur wird, dann könnte die jetzige Bau- Unkultur zu einer Architekturkultur werden.

P R O F E S S O R W O L F D . P R I X

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