Ansätze zur Begrenzung des Wachstums der Gesundheitskosten, in:
Ideen für die Schweiz – 44 Chancen, die Zukunft zu gewinnen, 2013 avenir-suisse.ch/23678
Kantonsmonitoring: Spi- täler zwischen Politik und Wettbewerb – Betriebliche Autonomie im kantonalen Vergleich, 2008
avenir-suisse.ch/366
Gesundheitskosten in der alternden Gesellschaft – Weshalb nicht die Zunah- me älterer Menschen, sondern falsche Anreize die Gesundheitskosten unter Druck setzen, 2005 avenir-suisse.ch/417
GESUNDHEITSWESEN
Zementierte Konstruktions- mängel der Kran- kenversicherung
Im Dezember 1994 ebnete das Volk in einer Referendumsabstimmung den Weg für die damals längst überfällige Reform der aus dem frühen 20. Jahrhundert stammenden gesetzlichen Grundlagen der Krankenversi- cherung. Das neue Krankenversicherungsge- setz (KVG) sollte den Leistungswettbewerb ankurbeln und zur Eindämmung der Koste- nexplosion im Gesundheitswesen beitragen.
Der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandprodukt war seit 1960 von 3,3%
auf fast 9% gestiegen.
Das 1996 eingeführte Gesetz orientiert sich – mit Einschränkungen – an den Prin- zipien des «regulierten Wettbewerbs» im Gesundheitswesen. So brachte es etwa die Möglichkeit des Kassenwechsels ohne finan- zielle Einbussen («Freizügigkeit») und die Schaffung von Versicherungsmöglichkeiten mit Prämienrabatten bei eingeschränkter Wahl der Leistungserbringer. Auch das Ver- sicherungsobligatorium und das System der Prämienverbilligungen zur gezielten Entlas-
tung der wirtschaftlich Schwachen wurden mit dem KVG eingeführt.
Diagnose «gut, aber teuer»
20 Jahre später ist klar, dass sich die in das KVG gesetzten Erwartungen mehrheitlich nicht erfüllt haben. Gewiss bietet die Schweiz eine insgesamt hochwertige Gesundheitsver- sorgung mit garantiertem Zugang für alle Einwohner. Allerdings steigen die Gesund- heitskosten fast jedes Jahr stärker als das BIP.
Die Prämien sind den Löhnen als Folge der Kostenentwicklung im ambulanten Sektor davongeeilt, und die Aufwendungen für die aus den allgemeinen Staatsmitteln alimen- tierten Prämienverbilligungen haben sich mehr als verdoppelt. Andere Industrieländer geben weit weniger für die Gesundheitsver- sorgung aus, weisen aber eine ähnlich hohe Lebenserwartung auf. Die Diagnose liegt nahe, dass sich die Schweiz den Luxus eines ineffizienten, weil unnötig teuren Gesund- heitswesens leistet.
Natürlich ist der Anstieg der Gesund- heitskosten teilweise mit dem medizinischen Fortschritt und mit einer gesellschaftlichen Präferenz für eine hochstehende Gesund- heitsversorgung zu erklären. Daneben spie- len aber auch institutionelle Faktoren eine Rolle. Das KVG weist einige schwerwiegende Konstruktionsmängel auf, die einen effek- tiven Leistungswettbewerb verhindern. Zu nennen ist etwa das marktfremde Element des Kontrahierungszwangs, das die Versiche- rer ihrer Verhandlungsmacht gegenüber den Leistungserbringern beraubt. Gleichzeitig
belohnt die Einzelleistungsvergütung die Mengenausweitung anstelle der sorgfältigen Abwägung von Kosten und Nutzen einer Behandlung. Im stationären Bereich hemmt die Mehrfachrolle der Kantone als Planer, Finanzierer, Eigentümer und Regulatoren der Spitäler die Strukturbereinigung. Hier funktioniert die Corporate Governance ein- deutig nicht. Die föderalistisch verzettelte Spitallandschaft mit vielen sehr kleinen Spi- tälern ist nicht nur teuer, sondern angesichts kleiner Fallzahlen bei komplexen Eingriffen auch unter Qualitätserwägungen problema- tisch.
Reformstau könnte alles aufs Spiel setzen Die Politik hat bisher die Bereitschaft ver- missen lassen, die systemfremden, schon lange bekannten Wettbewerbshemmnisse des KVG an der Wurzel anzugehen und sich stattdessen auf wenig wirksame Symptom- bekämpfung – Zulassungsbeschränkungen, Senkungen der Medikamentenpreise etc. – beschränkt. Auch deshalb schwelt die vom Stimmvolk mehrfach abgelehnte, auf ein planwirtschaftliches Gesundheitswesen ab- zielende Idee einer Einheitskasse hartnäckig weiter. Je stärker die Kosten und die Umver- teilung zunehmen, desto eher könnte die Stimmung im Volk einst kippen. Diese Ent- wicklung gilt es im Sinne einer liberalen, auf Angebotsvielfalt und Wahlmöglichkeiten beruhenden Gesundheitsversorgung zu ver- hindern. Ohne mutige Reformen zur Stär- kung des Leistungswettbewerbs wird es nicht gehen. DH
Vorlage 562. Managed Care. Fak. Refe- rendum
Vorlage 581. Medizinische Grundversor- gung. Obl. Refe- rendum
Vorlage 586. Für eine öffentliche Krankenkasse. Volks- initiative
Vorlage 534. Für Qualität und Wirtschaftlich- keit in der Kran- kenversicherung. Obl. Referendum
Vorlage 475. Für tiefere Arznei- mittelpreise. Volks- initiative
Vorlage 499. Gesundheit muss bezahl- bar bleiben. Volks- initiative
Vorlage 528. Für eine soziale Einheitskranken- kasse. Volksinitiative
Vorlage 472. Für tiefere Spitalkosten. Volks- initiative
17.06.201218.05.201428.09.201401.06.200804.03.200115.05.200311.03.200726.11.200020151995 Vorlagen 415, 416. Krankenversicherungs- gesetz. Fak. Referendum Für eine gesunde Kranken-
versicherung. Volksinitiati
ve
04.12.1994
Quelle: OECD Quellen: BAG, Birkmeyer et al. (2003), OECD
Quelle: BAG Quellen: OECD, Weltbank, eigene Berechnungen
Luxuriöse Ausstattung Kleine Spitäler, tiefe Fallzahlen
Hohe Lebenserwartung, sehr hohe Gesundheitsausgaben
1996 2014
Prämienverbilligung pro Kopf der Bevölkerung in Fr.
76 78 80 84
82
70 74
72
Lebenserwartung bei Geburt (Jahre)
0 1000 2000 3000 4000 5000 6000 7000 8000
Gesundheitsausgaben in USD pro Kopf (kaufkraftbereinigt)
Anzahl Geräte pro Mio. Einwohner (2013)
0 100 200 300 400
207
486
Schweiz OECD
Mammographen MRI-Geräte
(in Spitälern) PET-Geräte CT-Scanner 0
5 10 15 20 25 30 35
Betten pro Spital (2013)
OECD Schweiz 0
50 100 150 200
Anzahl Schweizer Spitäler nach Zahl der Fälle (2013)
1-2 Eingriffe 14,6 %
3-5 Eingriffe 6-16 Eingriffe
>16 Eingriffe
Mortalität nach Fallzahlen Entfernung der Bauchspeicheldrüse
11,0 % 7,2 % 3,8 %
9 8 13 17
Italien
Japan
ISL FRA
Norwegen Niederlande Deutschland Dänemark
BEL AUT
Costa Rica
Chile Estland
Polen
China
Slowakei Tschechien
Litauen Lettland Mexiko
Kolumbien Brasilien Ungarn
Russland Indonesien
Spanien
UK NZ
FIN Südkorea
Israel
Griechenland Portugal Slowenien
Schweiz SWE
USA
Türkei
50 000
16,4%
9-11%
7-9%
5-7%
<5%
BIP pro Kopf (2013, USD)
Gesundheitsausgaben in % des BIP
1996 2000 2005 2010 2015
Quellen: BFS, BAG, eigene Berechnungen
140 160 180 220
200
100 120
Inflationsbereinigte Entwicklung, Index (1995=100)
Prämien rennen den Löhnen davon
Standardprämie (Grundversicherung Erwachsener) Kosten obligatorische Krankenpflege pro Kopf Gesamte Gesundheitskosten pro Kopf BIP pro Kopf
Lohn
Übung und Erfahrung sind bei komple- xen medizinischen Eingriffen wichtige Erfolgskriterien. Ein prägnantes Beispiel sind Bauchspeicheldrüsen-Operationen:
Gemäss einer amerikanischen Studie liegt das mit solchen Eingriffen verbun- dene Mortalitätsrisiko in Spitälern, die jährlich mehr als 16 solcher Eingriffe vornehmen, unter 4 Prozent. In Spitälern mit weniger als sechs Fällen pro Jahr beträgt die Mortalitätsrate hingegen mehr als 10 Prozent. In der Schweiz gab es im Jahr 2013 nicht weniger als 17 Spitäler, die einen bis fünf solcher Ein- griffe vornahmen. Ein Strukturwandel im Spitalwesen ist nicht nur aus finanziel- len Gründen angezeigt, sondern könnte auch zur Qualitätssteigerung beitragen.