Geographica Helvetica 1982
-
Nr. 1 Herbert WannerWissenschaftstheoretische
Aspekte
einer
Definition
von
Geographie
Am 22.12.1980 hat das Geographische
Institut
derUniversität
Zürich durch Konsens in eineninstitutionellen
Akt folgendeDefinition
be¬schlossen:
Die Geographie untersucht Natur und
Gesell¬
schaft mit dem
Ziel,
räumliche Systeme undProzesse zu
erklären.
Diese
Definition
war für mich der Anlass, umüber
disziplingeschichtliche
underkenntnis¬
theoretische
Hintergründe einerDefinition
zusprechen.
Forschungslogische versus institutionelle Aspekte
Die
Definition
einer Fachwissenschaftbeinhal¬
tet
diestillschweigende
Voraussetzung, dasssich Wissenschaften voneinander abgrenzen
las¬
sen. Der
Einteilung
von Wissenschaft ineinzel¬
ne Fachwissenschaften
steht
jedoch entgegen,dass
seit
1945 in verschiedenen Fachwissenschaf¬ten, so auch in der Geographie,
interdiszipli¬
näre Strömungenaufgetreten
sind. "Systematisch erzeugt manInterdisziplinarität
durchadjekti¬
vische Kopplung wie
"Politische
Psychologie",
"Mathematische
Linguistik"
(Lorenzen1974/133). Dieser Trend
ist
teilweise
so weitvorangeschritten,
dass die Abgrenzungeinzelner
Fachwissenschaften aus
forschungslogischen
Grün¬ den in Fragegestellt
werden kann. Damitist
aber die Notwendigkeit der
Definition
von Fach¬wissenschaften
nicht
verschwunden, da die Wis¬senschaft
institutionell
in Abteilungenunter¬
teilt
wird.
Bei einer solchenDefinition
wirkeninstitutionelle
undforschungslogische
Kompo¬nenten mit. Damit
ist
sowohl derwissenschafts¬
theoretische
als auch derwissenschaftssoziolo¬
gische Aspekt der Entwicklung mit in Betracht
gezogen. "Aber die
Institution
ist natürlich
imner
viel
langsamer als die Repräsentantenihres
forschungslogischen
Gewissens "(Eisel 1981/188). Aus
institutioneller
Sicht hat dieDefinition
eines Fachgebietes die Funktion, ver¬schiedene Abteilungen voneinander abzugrenzen. Oft wird dabei so
verfahren,
dass aus der Tota¬lität
der Welt einObjektbereich
ausgegliedert
wird,
der dann alsspezifisches
Forschungsob¬jekt
einer Fachwissenschaft bezeichnet wird."In den meisten Diskussionen über die Natur der Geographie und
ihr
Untersuchungsgebiet sind zwei Themen dominant, einInteresse
an 'Raum' und einInteresse
an der Beziehung zwischenMensch und Natur" (Sayer 1979/20, Uebersetzung
vom
Verfasser).
Disziplingeschichtlich
hat sichdas Schwergewicht von der Mensch-Natur Beziehung auf den Raumbezug
verlagert
(Sayer 1979/20).Erdkunde entstand "als eine
theoretische
Speku¬lation
über das Mensch-NaturVerhältnis"
(Eisel 1981/177). Damitist
es eine Frage der Gewich¬ tung, ob die Geographie denNatur-
oder den Gei¬steswissenschaften zugeordnet
wird.
An der Uni¬versität
Zürichist
das GeographischeInstitut
den Naturwissenschaften zugeordnet.
Disziplin¬
geschichtlich ist
dies durchaus begründbar.Heute
ist
diese Zuordnungnicht
mehr unbedingtselbstverständlich,
da sich dersozialwissen¬
schaftliche
Zweig der Geographie starkentwic¬
kelt
hat. An einigen anderenUniversitäten
derSchweiz
ist
die Geographie denGeistes-
und So¬zialwissenschaften
zugeordnet."Die Grundannahmen des Faches der Geographie insgesamt, die sich aus ihrem 'System' und
trennscharfen
Grenzen zu anderenDisziplinen
legitimierten,
wurden in Fragegestellt
durchden Beginn der fachintemen Diskussion und
durch den drohenden externen
'Positionsverlust'
im Fächerkanon der Schule, Hochschule und ange¬
wandten Wissenschaft" (Rhode-Jüchtern 1975/10)
Disziplingeschichtlich ist
seit
den 50er Jahren eine immerstärkere
Aufspaltung in dieTeildis¬
ziplinen
physische-
undSozialgeographie
zu ver¬zeichnen. Dies hat soweit
geführt,
dass vonver¬
schiedenen
Vertretern
die Spaltung des Fachesgefordert
wurde. Die Krise der Geographie, derPositionsverlust
und die Spaltungstendenzen ha¬ben zu einer
Legitimationsangst geführt,
dieschon
seit
längeremlatent
vorhanden war undsich vor allem
institutionell
ausgewirkt hat.Um sich als
Institution
durchsetzen oder min¬destens behaupten zu können, versuchten die Geo¬
graphen ein Forschungsobjekt vorzuweisen, wel¬
ches in der
Wirklichkeit
vorgegebenist
(cfHard 1973/11).
Herbert Wanner, Geographisches
Institut
derDiese Aufspaltungstendenz
ist
auch für die For¬ schergemeinschaft des GeographischenInstituts
kennzeichnend. Extreme wie
Pollen-
undC14-Ana-lyse im Rahmen der
Postglazialforschung,
digi¬
tale
Satellitenbildverarbeitung,
Tourismus inEntwicklungsländern und
Erfolgskontrollen
vonregionalen
Planungsstrategien
sind am selbenInstitut
vertreten.
Diesessetzt
sich also ausForschergruppen mit verschiedensten
fachlichen
Interessen
zusannen. In derDefinition
des Fach¬gebietes mussten dann genannte
divergierende
Interessen auf einen Nenner gebracht werden.
Das Problem wurde so
gelöst,
dass der Objektbe¬reich
so weit gefasst wurde, bis von keinerForschergruppe mehr Einwände kamen. So wurde
sichergestellt,
dass jeder mit seiner gegenwär¬tigen Forschungstätigkeit
auch unter der neuenDefinition
weiterarbeiten
konnte wie bis anhin.Die
Definition sollte
den Grundkonsensaller
Be¬teiligten
zum Ausdruck bringen. Man ging dabeinicht
nach einemprotokollarisch
festgelegten
Verfahren vor, dh. weder nach methodischen noch nach systematischen Gesichtspunkten. Damit
ist
in
dieser
Definition
nicht
dieforschungslogi¬
sche, sondern die
institutionelle
Komponentestark betont.
Dabei hätte gerade diedisziplin¬
geschichtliche Arbeit
Anregungen für die eigene Forschung bringen können. In der vorliegendenForm hat die
Definition
vorwiegend einelegiti-matorische Funktion gegen aussen, gegen innen
bringt
sie den Machtkampf zwischenverschiede¬
nen Forschergruppen zum Ausdruck. Eine neue De¬
finition
soll
janicht
nur die Funktion haben,abzugrenzen, sondern vage ausgedrückt, erste
Hinweise über Problemstellungen,
Grundbegriffe
und Methoden einer Wissenschaft zu geben.
Betrachtet
man dieforschungslogische
Komponen¬te, so
stellt
manfest,
dass "dieAufteilung
der Welt oder der Erscheinungen und die
Eintei¬
lung der Wissenschaften
selbst
imner weniger anthropomorph werden." "DieEntanthropcrorphi-sierung beruht aber
nicht
allein
auf der Benüt¬zung
hochempfindlicher
Geräte und der Ausdeh¬ nung desVariablenbereichs.
Die Wissenschaftenstellen
Hypothesen und Theorien über die Welt auf, die zwar unsere Erfahrungenerklären sol¬
len, die sich aber in mehrfacher
Hinsicht
von den Hypothesen derAlltagserfahrung unterschei¬
den. Auchhier
versuchenwir,
über dassinnlich
Wahrnehmbare hinauszugehen" (Vollmer 1980/168).Der Uebergang von der physiognomisch
orientier¬
ten Landschaftsgeographie zu den modernen An¬
sätzen der Geographie, also der Paradigmenwech¬
sel, kann im
Lichte dieser
Entanthroporoorphisie-rung
betrachtet
werden.Neben den
institutionellen
und den forschungs¬logischen
Einflüssen
auf eineDefinition,
wol¬len wir uns nun einem
wissenschaftsexternen
Ein¬fluss
zuwenden. Nach Schultz (cf 1980/272)ist
die Abhängigkeit derDefinition
vemZeitgeist
in der Geographie allgemein anerkannt. Die we¬
nigsten sähen jedoch
darin
einen Grund, den Ge¬ danken von der ewigen Geographie und ihrem na¬türlich
vorgezeichneten Entwicklungsgang aufzu¬geben. Die
einheitliche
Geographie kann esje¬
doch
nicht
geben; 'Geographie'ist
einhistori¬
scherBegriff
mit bestürmtenInhalten,
welchervon Person und Ort abhängig
ist.
DieDefinition
von Geographie
ist
nicht
ausschliesslich
Ange¬legenheit
von Geographen, sondern dieallgemei¬
ne
gesellschaftliche
Situation legt
der Geogra¬ phie Fragen vor. "Das Fach Geographieüberlebt
nicht
durch blosseObjektdefinition.
An dieStelle
traditionell fixierter
Forschungsgegen¬ stände müssenproblemorientierte
Fragestellungen
treten. Derartige Fragestellungen
machen Fach¬ grenzenüberflüssig"
(Geografiker 1969 Heft 3,S. 15
zitiert
nach Schultz 1980/263).Von der Einheit zur pluralistischen Heterogenität
Die Gliederung der Geographie in ihre
Teilgebie¬
te war
früher
einevieldiskutierte
Frage. In der Gegenwartist
sie abgelöst worden durch die Kon¬troverse
um dieHeterogenität
des Faches. NachJohnston (1979/188) hat die Humangeographie ge¬
genwärtig
nicht
eine einzelnedisziplinare
Ma¬trix.
Sie besass dies auchseit
dem ZweitenWeltkrieg nicht.
Esgibt
aber mehrerediszipli¬
nare Matrizen, die um einestabile
Position
oder um Dominanzkonkurrierten.
"Mit der BehavioralGeography, der Weifare Geography, der Radical
Geography und anderen 'Geographies'
ist
ein ganzer Strauss von Ansätzen im Fachaufgetaucht"
(Beck 1981/165). Erste
Indizien
diesesAuffäche-rungstrends versuchten
einzelne
Geographen mit dem Venn-Diagramm zu veranschaulichen (z.B. Bar¬tels
1968/181). FürBartels
(1980/34)ist
diezeitgenössische
Geographie gekennzeichnet durch eineHeterogenität
undInkctnmensurabilität.
""Es
bleibt...
nur diepluralistische
Sicht auf einelogisch nicht
zu ordnendeFülle
älterer
und neuerer Forschungsansätze
(Bartels
1980/ 44). Die Auffassung von derEinheit
der Geogra¬ phie deckt sich mit derpositivistischen
Annah¬me der
'unity
of method' (Sayer 1979/20). ImUebergang von der Geographie als
Einheit
zurheterogenen Geographie
zeigt
sich auch eine ge¬ wisse Abkehr vemPositivismus,
indem mit einerVielzahl
von Ansätzen auch eine methodische Plu¬ralität
erreicht
wurde. Diese Entwicklung vonder
Einheit
zurpluralistischen
Heterogenität
kann nun
nicht
mehrbefriedigend
mit demPara-digmenkonzept von Kuhn
erklärt
werden. Sover¬
wirft
z.B. Johnston das Paradigmenkonzept (1979/ 187). Für Feyerabendbleibt
nach einer Reihe vonwissenschaftsgeschichtlichen
Studien nur noch dievieldiskutierte
Feststellung übrig:
'anything
goes' (1980/100ff).
Trotz
dieser Heterogenität
in den modernenAnsätzen der Geographie versuchte das
Institut
eine
Definition
zufinden,
welche dieInteres¬
sen der verschiedenen Forschergruppen
'unter
einen Hut1
vereint.
Dies kann als Versuch ge¬wertet
werden, diefachliche Einheit
aus derheu-tige Zeit
zuretten.
Mit denBegriffen
'System','Prozess' und
'erklären',
welche eine methodo¬logische
Einheit repräsentieren,
kann dieDefi¬
nition
nicht
für einenspezifischen
modernenAnsatz stehen. Die
Heterogenität
der Geographiewird mit der
Definition
eben geradenicht
ange¬ sprochen, sondernihr
Ausgangspunktist
die Ein¬heit
des Faches.Bartels zeigt,
dass sich dieLandschaft in einer systemtheoretischen
Auffas¬
sung
aufgelöst
hat (1968/70) Auch Schultz undBrunner sprechen von einer
Selbstauflösung
derIandschaftsgeographie.
Dadurch, dass dieBegrif¬
fe
'Landschaft'
und 'Untersuchungsgebiet' aus¬tauschbar geworden sind,
ist
'Landschaft'
zurLeerfonrel degeneriert
(cf Schultz 1980/251ff,
Brunner 1981/147ff).
EinBegriff,
welchernichts
einschränkt,
ist
auch keinoperationales
Instru¬
ment mehr, er hat seinen
Inhalt
verloren.
Wenndie Vorgabe eines Untersuchungsgebietes die
ein¬
zige Einschränkung
ist,
dann kann in der Geogra¬ phie jedesbeliebige
Problem untersucht werden,es
gilt
"Geography is what geographers do". Da¬mit hat die Geographie auch die
Problemstellung
verloren.
"Die Landschaftsgeographen habengar keine Probleme mehr entdeckt (Beck 1981/166),
dh. es fanden keine Problemverschiebungen mehr
statt,
welche einenFortschritt
hätten ausmachen können.lakatos
nennt "eine Problemverschiebungprogressiv,
wenn sie sowohltheoretisch
als auchempirisch
progressiv
ist,
unddegenerativ,
wenn dasnicht
derFall
ist"
(Lakatos 1974/155ff).
In der
Definition
sind an dieStelle
des Land¬schaftsbegriffes
dieBegriffe 'Natur'
und 'Ge¬sellschaft'
getreten,
womitnicht
nur die Spal¬tung des Faches, sondern auch das Ende der Land¬
schaftsgeographie bekundet wird.
Hinter
dieser scheinbarenDifferenz
zwischen'Landschaft'
so¬wie 'Natur und
Gesellschaft'
steht verbindend,dass beide
für
einenicht
genau fassbareTotali¬
tät
stehen. DieDefinition
sagt jedochnichts
aus über das
Verhältnis
zwischen Mensch und Na¬tur.
Damitbleibt
einezentrale Problemstellung
mit
alter Tradition unberücksichtigt.
Erkenntnistheoretischer Zugang zur Definition
Erkenntnistheorie
befasst sich mit der Frage,wie eine Wissenschaft zu den
Grundbegriffen
und zu ihren Objekten, dh.letztlich
zu Erkenntniskamt.
"Architektur,
Psychologie,Soziologie,
Politologie
etc. (sind) mögliche Partner der Geographie iminterdisziplinären
Zusanmenhang..Erkenntnistheorie, Wissenschaftstheorie
undMethodologie dagegen (sind)
überdisziplinär...
Die Theorie und Methoden der
Sozialwissenschaft
gehen damit etwa die Geographie in jedem
Falle
etwas an, unabhängig von der
jewsiligen
Grenz-bestinmung zur
Soziologie"
(Rhode-Jüchter 1975/ 18). Das Objekt einer Wissenschaft wirdnicht
einfach vorgefunden, sondern esist
etwas Theo¬retisches
und muss von Forscherkonstruiert
wer¬den, dh. eine Wissenschaft
erfordert
als er¬kenntnistheoretischen
Akt dieKonstitution ei¬
nes Gegenstandsbereiches. Gegenstände müssen be¬
grifflich
gefasst werden. Sie sindsprachliche
und damit auch
theoretische
Konstrukte. "Wis¬senschaften operieren meistens mit einem Ob¬
jekt,
das von ihnen sodargestellt
wird wie einRealobjekt.
Normalerweise folgen aus diesemRealobjekt auch die sogenannten adäquaten Metho¬ den und die
Fragestellungen.
Dieklassische
Landschaftskunde
ist
ein sehr gutesBeispiel
da¬für...
"(Eisel 1981/185). Nach
Bartels
ist
aufdem Hintergrund eines
realistischen statt
nomi-nalistischen
Verständnisses dieTheoriebildung
in der Geographie
vernachlässigt
worden (cf1980/35). Der
realistischen
Auffassung stehtdie
ncminalistische
gegenüber, bei welcher"der 'Name' des Objektes im Sinne eines
defi¬
nierten
Objektesaufgefasst"
wird (Eisel 1981/ 185). Oder anders gesagtgilt
nachncminalisti-scher Auffassung, dass wir
erst
mit denBegrif¬
fen die Welt in Gegenständeaufteilen.
Anschlies¬
send an die
Konstitutionsphase
des Gegenstandesfolgt
der Aufbau einer adäquaten Methodologie.Oft wird jedoch
bereits
der Gegenstand aufgrund gewisser methodologischer Ideale gefunden.Hard
beschreibt
diestillschweigenden
Voraus¬ setzungen, die bei der Frage 'Wasist
Geographie'gemacht warden (1973/9-32). Eine dieser Voraus¬
setzungen
ist,
dass die Geographie einen in derWirklichkeit
vorgegebenen Gegenstand hat, und dass dieser Gegenstanddisziplinhistorisch
dauer¬haft
ist.
So gesehenist
die Auffassung von Geo¬graphie und damit von Wissenschaft eine
reali¬
stische.
Hardzeigt,
dass ein Zusanmenhang zwi¬ schenwissenschaftlichen
Fragen und den Gegen¬ständen der Wissenschaft besteht. Daraus erge¬ ben sich Frage-Antwort Komplexe. Aendern sich
die Frageweisen einer Wissenschaft, so ändern sich auch die Gegenstände. Frageweisen sind
bestürmt durch das
Erkenntnisinteresse
des For¬ schers. Die Frage nach dem Forschungsobjekt derGeographie wurde
oft
alsontologisches
Problemaufgefasst.
Es wurdeversucht,
das Forschungs¬objekt
als ein Abbild derWirklichkeit
auszuwei¬sen. Solche
ontologische
Aspekte äussern sichetwa in den Fragen nach dem 'Wesen der Land¬
schaft ', dem 'Gegenüber von Mensch und Welt als
dem Ganzen
alles
Seienden'. Diese Ausrichtungkann im Zusanmenhang mit der
Legitimations-
undPositionskrise
der Geographiebetrachtet
werden. Diese Krisewirkt
sich, wie oben gezeigt wurde, vor allem aufinstitutionelle
Belange aus. Dieshat dazu
geführt,
dass beim Versuch, den "For¬schungsgegenstand durch die
Wirklichkeit
ver¬bindlich
vorzugeben, (dieser)ontologisch
über¬höht wurde" (Hard 1973/11
ff).
Von derontologi-schen Ueberhöhung kann eine
Linie
zurTotalität
der Landschaft und damit zurSelbstauflösung
ge¬zeichnet werden.
Nach Hard hat dieser Frage-Antwort Komplex
typi¬
sche Antwortformen. Eruntergliedert
die Antwor¬ten in die
Teile
A und B, wobei A die Methodolo¬ gie, dieForschungslogik,
den 'Context ofJusti-fication',
also das 'Wie' der Geographie meint.Teil
Bstellt
den Gegenstand, das 'Universe ofDiscourse',
dieProblemstellung
und die Perspek¬Wert-entscheidung darüber, was behandelt werden
soll.
Wenn wir nun die
Definition
des GeographischenInstituts
anhand dieses Schemas von Hard bespre¬chen, so sind die
Begriffe
'System','Prozess',
'erklären'
und'räumlich
(als Ordnungsschema von Daten)'demTeil
A, dieBegriffe
'Natur' und'Gesellschaft'
demTeil
B zuzuordnen. Wendenwir uns nun dem
Teil
A zu. Hard sagt von den Be¬griffen
'Natur'
und'Gesellschaft',
dass sie Ge¬genstände
darstellen,
aus denen die vorwissen¬schaftliche
Welt aufgebautist.
Damit sind die Gegenstände nochnicht
alstheoretische
Konstruk¬te
formuliert.
Wenn wir nun zuTeil
B wechseln,so erkennen wir in den
Begriffen
'erklären',
'System', 'Prozess' und
'räumlich'
die methodo¬logische Grundlage des Faches.
Zu den einzelnen Begriffen der Definition
Nach
Bartels
(1980/37)ist
der Konsistenzgradund die
definitorische
Durchgestaltung des Be¬griffsmusters
einer Forschungsrichtung einewichtige
Kategorieihrer Beurteilung.
"DieBe-stinmung eines
Begriffs
kannnicht
wahr oderfalsch
sein, wohl aber mehr oder weniger sinn¬voll.
Sinnvoll
ist
es für einZiel,
das mit derVerwendung des
Begriffs
verfolgt
wird. Kann mandie Ziele der
begrifflichen
Arbeit
angeben, sohat man
folglich
eineMöglichkeit,
für oder ge¬gen eine Begriffsbestimmung zu argumentieren.
Diese Ziele können
ausserwissenschaftliche
oderinnnenwissenschaftliche
sein" (Schweriner 1981/87). Ausser dem
theoretischen Ziel
'zuerklären'
enthält
dieDefinition
keinpraktisches
Ziel unddamit auch keine
Problemstellung
mitlebenswelt¬
lichen
Problemen wie z.B.Siedlungs-,
Bevölke¬ rungs-, Umwelt- oder Planungsproblemen,"...ein
komplexes Problem wie z.B. "die Verstädterung"
oder "die Umweltkrise"
ist
alsIntegral
aller
Forschungsrichtungen... weiter entwickelt
alsdie Ergebnisse
einzelner Disziplinen
oder Frage¬stellungen"
(Rhode-Jüchtern 1975/29). Deshalbkönnen solche Probiene auch
nicht
die Problemeeiner einzigen Wissenschaft sein, dh. die Pro¬
blemstellung entbindet nicht
davon, den spezi¬fischen Aspekt, dh. das
Interesse
an diesem Problem zuformulieren.
Es kannnicht
genügen,die
Grundbegriffe
aus derAlltagssprache
zu entlehnen. Wir verwenden "zur Formulierung un¬serer Theorien eine eigens dafür
konstruierte
wissenschaftliche
Sprache. Wir wissen,
dassunsere
natürliche
Sprache....
für die genaue undkritische
Erfassung der Weltnicht ausreicht.
Manche
Begriffe,
diebereits
in der Umgangs¬sprache eine vage Bedeutung haben, werden
präzisiert.
Andere wieEntropie...
werdenvöllig
neu geschaffen, weil dieAlltagssprache
gar kein Wort für diebetreffende
Struktur
bereitstellt"
(Vollmer 1980/168).Es
sollen
liier
noch die einzelnenBegriffe
derDefinition
diskutiert
werden. Bemerkenswertist,
dass der
Begriff
'Beschreibung',
welcher dieDefinitionen
von Geographie so langedominiert
hatte, nicht
vorkommt. An seineStelle
ist
derBegriff
'erklären' getreten,
womit eine Orien¬tierung
auf Theorie bekundet wird.Mit dem
Begriff
'räumlich'
ist
dasspezifisch
Geographische in der
Definition
verankert.
"Ichhabe
sofort
den Daumen auf das Wort'räumlich'
gehalten und habe
gefragt,
was passieren würde,wenn man dies wegliesse. Es wäre eine
Defini¬
tion
gewesen, in die man ganzviele
Wissenschaf¬ ten hätte einsetzen können... Was mich an derDefinition stört,
ist,
dass derBegriff
'räum¬lich'
zu wenig seine Richtungzeigt
und zufor¬
mal
ist."
(Eisel 1981/189). "Meinebisherige
Strategie
war...
zu zeigen, was jederBegriff
von Raum
impliziert,
was ergesellschaftstheo¬
retisch
heisst
und was darausfolgt..."
(Eisel/
188). Wenn jedoch 'Raum' nur die Funktion hat, die Geographie als eigenständige Wissenschaft
zu
legitimieren,
so kann dieser 'Raum' auch als Freiraum verstanden werden, um konkrete Probleme und Interessen zuverfolgen
oder auch um Träurreund Utopien bearbeiten zu können. Als
paradig-matisches
Beispiel
kann'Utopia'
von Thoma Mo-rusangeführt
werden, in welchem eine stark geographisch ausgelegtegesellschaftliche
Utopievorgelegt
wurde. Damit der Raumbegriff jedochnicht undurchsichtig
und so zum'trojanischen
Pferd' wird, muss Transparenzgefordert
werden. Dies kann durchverstärkte wissenschaftliche
Diskussionen um die
Inhalte
undPositionen
der Geographieerreicht
werden.'System' kann
definiert
werden als eine Menge von Elementen, die inRelation
stehen. Die Ele¬mente sind mit bestürmten Eigenschaften verse¬
hen. Systemtheorie
ist
eine formale Sprache, die aus sehr wenigenBegriffen
besteht. Ihr Vor¬teil
besteht in derOperationalisierbarkeit.
IhrNachteil
ist,
dass jedes Problem (u.a. auch eineFülle
vonIndividuellem)
reduziert
werden mussauf die
Grundbegriffe
'Element',
'Eigenschaft'
und
'Relation'.
Nach Baker (1981/439)
ist
der Raumbegriff eben¬ sowenig Grundlage der Geographie wie derZeit¬
begriff
Grundlage der Geschichteist.
Mit demBegriff
'Prozess' wird die Dimension'Zeit'
ab¬gedeckt. Der Einschluss der Zeitdimension ergab
sich in verschiedenen
historischen
Schulen derDisziplin,
in denen die Genese, dh. diege-schichtlich-idiographische
Kausalerklärung der Gegenwart aus der Vergangenheit im Vordergrundstand
(Bartels
1968/90). Die Zeitdimension kann auf verschiedenen Artenaufgefasst
und in einengeographischen Ansatz eingebaut werden. Bird
(1980/137) nennt zwei
grundsätzlich verschiede¬
ne Typen von Prozessen. Erstens, den mechani¬
stischen,
welcher durch eine frühere Ursache und eine spätere Wirkung gekennzeichnetist.
Zweitens denteleologischen
Prozess, welcher aneinem
Zielzustand
orientiert ist.
DieDefini¬
tion lässt offen,
welcher der beiden Prozess¬Nach Hard
stellen
dieBegriffe
Natur undGesell¬
schaft die Gesamtheit der
Realität
dar. Wendenwir uns nun dem
Begriff
'Natur'
zu. "Die Natur¬ wissenschaftenkonstituieren...
ihren Gegenstandselbst,
dh. sie bestirnten dieGrundbegriffe
...".
Damit"erzeugen...
die Naturwissenschaftenerst
ihre'Natur',
dienicht
die Natur vor un¬seren Augen
ist,
sondern die Natur, wie sie sichuns
erst
durch dieses unser unterscheidendesund
herstellendes
Handelnzeigt"
(Schwenner1981/89). So kann "Natur im Sinne der
neuzeitli¬
chen
Naturwissenschaft
betrachtet
(werden), dh.unter
Abstraktion
von der konkreten Phänomenolo¬ gie alsabstraktes
System von Kraftausübung,Energiefluss
usw." (Eisel 1981/176). Oder auchNatur als "System von Bewegung und
Kraftaus¬
übung" (Eisel 1981/180).Für den
Begriff
'Gesellschaft',
welcher in meh¬reren
Disziplinen
verwendetwird,
geltenähnli¬
che semiotische (sprachsymbolische) Probiene
wie für den
Landschaftsbegriff
(Bartels
1980/37). Als mehrdeutiger
Grundbegriff
derSoziolo¬
gie sind etwa die
miteinander verflochtenen
So¬zialbeziehungen zwischen Menschen
geneint.
Ge¬sellschaft
kann in einemWortfeld angesiedelt
werden zusanmen mit
Begriffen
wie Gruppe,Klas¬
se,
Institution,
Staat und Ganreinschaft. In ver¬schiedenen
Gesellschaftstheorien
stehen sichaber verschiedene
wissenschaftstheoretische
undpolitische
Positionen
gegenüber.Im Folgenden kann versucht werden, die in der
Definition
vorgeschlagenenGrundbegriffe
zusam¬men mit konkreten Problemstellungen zu
theore¬
tischen
Ansätzen zu verknüpfen. DieGrundbegrif¬
fe können zueinander in Beziehung gesetzt und
zum Aufbau eines
Begriffsapparates
verwendetwerden.
Beispielsweise
kann nach dem Ansatz vonEisel versucht werden, Zusanmenhänge zwischen Raumkonzeptionen und
Gesellschaftstheorien auf¬
zudecken. Oder man versucht in einem Forschungs¬
programm Zusammenhänge zwischen
Gesellschafts¬
theorien
undNaturbegriffen
zu finden. Damitkönnte ran
nicht
nur das in der jüngeren Ver¬gangenheit etwas
vernachlässigte Verhältnis
zwi¬schen Mensch und Natur wieder
aktualisieren,
sondern auch mögliche Erklärungen für
Um«elt-probleme anbieten.
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