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Mehr Freiheiten für die Unternehmen

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Academic year: 2023

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Mehr Freiheiten für die Unternehmen

zur Bekämpfung der Corona-Pandemie

Peter Grünenfelder, Jérôme Cosandey, Patrick Dümmler, Lukas Rühli, Samuel Rutz, Marco Salvi

Die bundesrätlichen Massnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie stellen einen massiven Eingriff in das Grundrecht der Wirtschaftsfreiheit dar. Eine erfolgreiche Bewältigung der Corona-Krise kann aber nur in einer Balance aus restriktiven Erlassen und dem Gewähren von mehr Freiheiten erfolgen. «Social Distancing» stellt eine adäquate gesundheitspräventive Massnahme für Gesellschaft und Wirtschaft dar. Produktion, Konsumation, Nachfrage und Angebot sollten zeitlich und räumlich auf sieben Wochentage ausgedehnt und nicht auf fixe Tages- oder Nachtzeiten limi- tiert werden. Damit können einerseits Stosszeiten in der Konsumation von Gütern und Dienstleistungen geglättet werden, und andererseits kann die Flexibilisierung der betrieblichen Aktivitäten, der Produktions- und Arbeitszeiten die Einhaltung der Abstandsregeln erleichtern. Regulative Entschlackungen sind notwendig im Arbeitsgesetz, bei den Ladenöffnungszeiten, in der Logistik und im Warenverkehr, für die Grenzgänger sowie in der Administration im Spital- wesen. Im Schweizer Gesundheitswesen ist die Belastung der Krankenhäuser sehr asymmetrisch. Während einige einen Fachkräftemangel verzeichnen, gibt es Kliniken, die wegen unzureichender Infrastrukturen für die Aufnahme von Covid-Patienten Anträge auf Kurzarbeit eingereicht haben.

Hier sind kreative Lösungen für Personal-Pooling gefordert.

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Nach Branche, in % Landwirtschaft, Forstwirtschaft

Gesundheit, Soziales Technik, Informatik Strategie, Führung Finanzen, Recht Analyse, Forschung, Entwicklung Kontrolle, Sicherheit Medien, Journalismus Konstruktion, Baugewerbe Politik, Verwaltung Erziehung, Unterricht Transport, Verkehr Produktion, Reparatur, Reinigung Administration, Organisation Beratung, Verkauf Gestaltung, Kommunikation Tourismus, Gastgewerbe, Hotellerie Sport, Wellness, Schönheit

-100 -80 -60 -40 -20 0 20 40

¢ Weniger Aufträge ¢ Mehr Aufträge Saldo Abbildung 1

Alle Branchen leiden, aber manche leiden mehr

Die Grafik zeigt den Anteil der befragten Arbeitnehmenden, die eine Veränderung (Abnahme /Zunahme) ihrer Arbeitsbelastung im Vergleich zur Vorkrisenzeit angegeben haben. Die Zahl misst das Saldo der positiven und negativen Antworten. Die Umfrage wurde

von sotomo /SRF am 24. März 2020 veröffentlicht.

Quelle: Bosshardt et al. (2020), eigene Berechnungen Avenir Suisse

I _ Einleitung

Zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie hat der Bundesrat zahlreiche Massnahmen angeordnet, die einen massiven Eingriff in das Grundrecht der Wirtschaftsfreiheit bedeuten. Der bundesrätliche «Notstopp»

brachte das Angebot und die Nachfrage zahlreicher Branchen und Betriebe zum Erliegen (Grünenfelder et.al 2020a). Seither verschlechtert sich die Auftragssituation vieler Unternehmen von Tag zu Tag. Während die Zulieferbetriebe der betroffenen Branchen stark tangiert sind, verzeichnen auch die vom bundesrätlichen Tätigkeitsverbot nicht betroffenen Sektoren steigende Absatzschwierigkeiten im In- und Ausland. Beim Bezug von Vorprodukten zeichnen sich Engpässe ab, und für die Exportindustrie wird erwartet, dass in zwei Monaten bis zu 85 % aller Exportunternehmen mit Lieferengpässen in der einen oder anderen Form zu kämpfen haben (Economiesuisse 2020). Ebenfalls erhebliche wirtschaftliche Schäden davontragen wird die Luftfahrtindustrie: der internationale Luftfahrtverband IATA schätzt, dass die Passagiererträge um 252 Mrd. $ schrumpfen und der Erlös gemessen in Passagierkilometern global um 38 % sinken wird (Iata 2020).

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Um unter diesen erschwerten Bedingungen die Produktion, die Logistik und Dienstleistungserstellung aufrechtzuerhalten, sind die Unternehmen in besonderem Masse auf flexible gesetzliche Rahmenbedin- gungen angewiesen. Das gleiche lässt sich auch für das Gesundheitswesen sagen, dass steigende Zahlen an Covid 19-Erkrankten zu bewältigen hat.

Einige wenige Teilflexibilisierungen hat der Bundesrat bereits erlassen. Für das Gesundheitspersonal wurden Bestimmungen des Arbeitsgesetzes angepasst, und für die Wirtschaft vorab jene Regelungen fle- xibilisiert, die die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln an sieben Tagen pro Woche sicherstellen sollen.

Zugleich schränken die Bundesbehörden aber auch unternehmerische Freiheiten von Branchen ein, die gar nicht vom bundesrätlichen Tätigkeitsverbot erfasst wurden. Neu kann der Bundesrat auf Gesuch der Kantone in besonderen Gefährdungslagen eine Einstellung der Tätigkeit von Wirtschaftsbranchen anord- nen. Dazu kommt der Anspruch auf Umkehr der Beweislast, wonach die Unternehmen nun gegenüber den Behörden darlegen müssen, dass sie die gesundheitspräventiven Massnahmen erfüllen. Das stellt einen bedeutenden Paradigmenwechsel dar. Mit der sich auf Notrecht abstützenden Covid-19-Verordnung finden neu auch die Sozialpartner Eingang in die betrieblichen Entscheidungsabläufe.

Strategien und politische Bestrebungen, die auf ein konsequentes Verbot oder weitgehende Einschrän- kung von unternehmerishen Aktivitäten abzielen, blenden aus, dass anstelle behördlich verfügter Betriebs- einschränkungen die konsequente Anwendung des «Social Distancing» eine adäquate gesundheitspräven- tive Massnahme für Arbeitnehmende und Konsumenten darstellt. Damit müssen einerseits Stosszeiten in der Konsumation von Gütern und Dienstleistungen geglättet werden. Andererseits muss die Flexibilisie- rung der betrieblichen Aktivitäten, der Produktions- und Arbeitszeiten die Einhaltung der Abstandsregeln besser ermöglichen. Dazu braucht es bei den im Notrecht erlassenen Verordnungen mehr regulative Fle- xibilisierungen.

II _ Flexibilisierung des Arbeitsgesetzes

Die Pandemie hat aufgezeigt, welch hohen Wert Online-Handel, Kurierdienste und Liefer-Plattformen für die Gesellschaft haben. Letztere ermöglichen kontaktlosen Einkauf und tragen somit sowohl zur Minimie- rung der Ansteckungen als auch zur Linderung der wirtschaftlichen Einbussen des Lockdowns bei. Bis vor kurzem wurde ihre Rolle immer wieder kritisiert. Emblematisch ist der Fall von «Amigos», der wieder zum Leben erweckten Social-Shopping-Plattform der Migros: Über diesen Dienst können Migros-Kunden für- einander einkaufen, sodass Personen aus Risikogruppen und Menschen in Quarantäne die Möglichkeit haben, sich nun Lebensmittel und Waren des täglichen Bedarfs kostenlos nach Hause bringen zu lassen.

Eigentlich hatte die Migros die Plattform im Dezember letzten Jahres eingestellt, nicht zuletzt wegen ar- beitsrechtlicher Hürden. Stein des Anstosses war der arbeitsrechtliche Status der (damals bezahlten) «Brin- ger», die zwar objektiv Eigenschaften von Selbständigen und Angestellten vereinen, aber von den Gewerk- schaften (und vermehrt auch den Gerichten) als gewöhnliche Angestellte betrachtet wurden.

Ähnliche Auseinandersetzungen haben in der Vergangenheit die Verbreitung von Plattformen wie Uber oder Deliveroo in der Schweiz gebremst, was nun Konsequenzen für die öffentliche Gesundheit hat, da viele bestehende (klassischen) Lieferdienste wie LeShop oder Coop@home stark überlastet sind. Die wirt- schaftlichen Folgen des Lockdown liessen sich mildern, wenn sich das innovative Segment der Plattform- wirtschaft freier entwickeln könnte. Deshalb sollte der Bund umgehend, zumindest für die Dauer des Lock- downs und unmittelbar danach, eine freiwillige Einstufung als «Selbständiger» aus Sicht der Sozialversicherungen zulassen.

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Box 1

Die kontraproduktive Rolle der Gewerkschaften in der Coronakrise

Während zahlreiche Unternehmen in der Pandemiekrise um ihre Existenz kämpfen, gefährden die Gewerkschaften die bewährte Sozialpartnerschaft. Sie fordern öffentlich einen umfassenden Shutdown für all jene Teile der Wirtschaft, die sie als «nicht essenziell» einschätzen, und Firmen sollen erst dann wieder öffnen dürfen, nachdem sie den Nachweis erbracht haben, dass sie die Hygienemassnahmen des Bundes einhalten (Tages-Anzeiger 2020). Damit wird unter dem Deckmantel der Gesundheitsprävention versucht, die ganze Schweizer Wirtschaft unter Generalverdacht der Nicht-Einhaltung der gebotenen Schutzmassnahmen zu stellen. Auch dass ein umfassender Shutdown volkswirtschaftliche Schäden von rund 30 Mrd. Fr. pro Monat kosten würde, nimmt man offensichtlich in Kauf (Grünenfelder et.al 2020b). Die Gewerkschaftsvertreter gehen auch gegen Branchen vor, die gar keinem behördlichen Tätigkeitsverbot unterliegen. So versuchten sie wiederholt, sich widerrechtlich Zutritt zu Baustellen zu verschaffen um die Einhaltung der Gesundheitsbestimmungen zu überprüfen (eine Aufgabe, die den kantonalen Aufsichtsbehörden obliegt) oder gar eine Einstellung der Bautätigkeiten zu erzwingen.

Will man – wie von den Gewerkschaften postuliert – nur die «essenziellen» Teile der Wirtschaftstätigkeit von einem Shutdown ausschliessen – blendet man aus, dass die Abgrenzung zwischen «essenziellen» und «nicht-essenziellen» Branchen unzählige Probleme schafft. In unserer arbeitsteiligen, hoch-komplexen Gesellschaft bestehen grosse wechselseitige Abhängigkeiten, eine messerscharfe Zuordnung in eine der beiden Kategorien ist kaum möglich. Hinzu kommt, dass es auch wirtschaftliche Aktivi- täten gibt, die zwar «nicht-essenziell» sind, aber auch kaum zur Verbreitung des Virus beitragen.

Es bestehen weitere arbeitsmarktliche Regulierungen, die einer effizienten Bekämpfung der Pandemie di- rekt im Weg stehen. Mit einer temporären Aufhebung – natürlich bei entsprechender Abgeltung – von Nachtarbeitsverboten und von nicht sicherheitsrelevanten Ruhezeitbestimmungen könnte verhindert wer- den, dass zu viele Arbeitnehmende gleichzeitig tätig sind und etwa die Abstandvorschriften nicht einhal- ten. Mittels der Flexibilisierung des Arbeitsrechts könnte sichergestellt werden, dass etwa im Detailhandel die Regale auch in der Nacht gefüllt werden können. Dies hätte nicht nur den Vorteil, dass die Kontakte zwischen Kunden und Angestellten minimiert würden, sondern könnte auch mithelfen, das Phänomen der Hamstereinkäufe infolge leerer und halbleerer Regale einzudämmen.

Box 2

Unbürokratische «Arbeitnehmerüberlassung» in Österreich

Österreich führt im Zuge der Pandemiekrise das System der «Arbeitnehmerüberlassung» ein. Arbeitnehmer, die wegen Geschäftsschliessungen zurzeit ohne Tätigkeit sind und Kurzarbeitsentschädigungen beziehen, können so bei Bedarf unbüro- kratisch an jene Branchen «ausgeliehen» werden, die dringende Nachfrage nach Arbeitskräften haben. Eine solche Massnahme könnte auch in der Schweiz den von einem Nachfrageüberhang betroffenen Branchen helfen, schnell zu Mitarbeitern zu kommen und würde gleichzeitig die Bundeskasse entlasten.

III _ Flexibilisierung der Ladenöffnungszeiten

Die Botschaft «Bleiben Sie zu Hause» wird auf allen Kanälen verbreitet und pausenlos repetiert. Trotzdem gibt es Gründe, weshalb die Menschen ihre Häuser verlassen müssen. Gemäss einer Studie im Auftrag der SRG haben 85 % der Schweizer Bevölkerung in der vergangenen Woche ihr Zuhause verlassen, am häufigs- ten (in 77 % der Fälle) um einzukaufen (Bosshardt et al. 2020).

Nicht nur junge, sondern auch ältere Menschen gehen weiterhin «posten»: Von den befragten Personen über 65 Jahren gaben mehr als 60 % an, ihr Zuhause in der zurückliegenden Woche für Einkäufe verlassen zu haben. Auch wenn der Detailhandel zahlreiche Massnahmen ergriffen hat, bleiben die Läden «Hot spots», an denen sich die Bevölkerung (ob sie dies will oder nicht) zwangsläufig kreuzt. Umso wichtiger wäre es, dass alle möglichen Vorkehrungen getroffen würden, um den Kontakt in den Läden – unter den

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Einkäufe Spaziergänge Arbeit Sport Arztbesuch oder ähnliches Wanderungen Freunde/Bekannte in anderen Wohnungen treffen Ausflüge an andere Orte Ich bleibe zuhause Abbildung 2

Wofür zurzeit das Haus verlassen wird

Der häufigste Grund weshalb das Zuhause zurzeit verlassen wird, ist um Einkäufe zu tätigen. Weitere oft genannte Gründe sind Spaziergänge und die Arbeit.

Quelle: Bosshardt et al. (2020)

0 % 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 %

77 47

40 18

12 7 5

16

Kunden, aber auch zwischen den Kunden und dem Personal – zu minimieren. Eine wichtige Massnahme, die genau in die gewünschte Richtung wirken würde, wäre die Flexibilisierung und Ausdehnung der La- denöffnungszeiten. Damit könnten Stosszeiten vermieden und die Ladenbesuche besser über den Tag und die Woche verteilt werden.

Wie präsentiert sich die heutige regulatorische Situation im Bereich der Ladenöffnungszeiten in der Schweiz? Auf Bundesebene gibt es aktuell kein eigenes Ladenöffnungsgesetz – das Vorhaben einer Harmo- nisierung scheiterte 2015 im Ständerat. Somit bleibt die Regelung der Ladenöffnungszeiten vorerst Sache der einzelnen Kantone. Trotzdem gibt es gewisse Vorgaben des Bundes, die von allen Kantonen eingehal- ten werden müssen, und die sich auf die maximal möglichen Ladenöffnungszeiten auswirken: So regelt das Arbeitsgesetz die Arbeits- und Ruhezeiten der Angestellten: Tagesarbeit (6.00 bis 20.00 Uhr) und Abend- arbeit (20.00 bis 23.00 Uhr) sind bewilligungsfrei. Nacht- und Sonntagsarbeit ist hingegen grundsätzlich verboten, und Ausnahmen bedürfen einer Bewilligung. Sofern kein kantonales oder kommunales Gesetz die Ladenöffnungszeiten weiter einschränkt, gelten daher Montag bis Samstag 6.00 bis 23.00 Uhr als ma- ximale Öffnungszeiten.

Notwendig ist in der aktuellen Krisensituation, dass die Kantone den Spielraum, den ihnen die Bundes- gesetzgebung bei den Ladenöffnungszeiten bietet, ausnutzen. Dies bedeutet konkret:

_Keine Einschränkungen der Ladenöffnungszeiten an den Werktagen (Montag bis Samstag) zwischen 6.00 und 23.00 Uhr.

_Kulante Auslegung des Kriteriums der technischen und wirtschaftlichen Unentbehrlichkeit als Bewilli- gungsgrund für Nachtarbeit zwischen 23.00 und 6.00 Uhr.

_Temporäre Aufhebung des Verbots, Läden an Sonntagen, öffentlichen Ruhetagen sowie offiziellen Fei- ertagen zu öffnen.

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Selbstredend gilt auch: Diese Massnahmen wären auf Lebensmittelläden und sonstige Anbieter des tägli- chen Bedarfs (z.B. Kioske und Tankstellenshops) zu beschränken, und die Angestellten müssten für ihren

«Sondereinsatz» entschädigt werden.

IV _ Flexibilität im Gesundheitswesen

Spitäler und Gesundheitsorganisationen müssen zum Teil rund um die Uhr betrieben werden, um die Si- cherheit und Gesundheit der Patienten gewährleisten. Das Arbeitsgesetz (ArG) trägt dieser Tatsache Rech- nung und hat in einer Verordnung Sonderbestimmungen für Spitäler, Pflegeheime, Spitex-Organisationen, Arztpraxen, Apotheken und Bestattungsunternehmen erlassen (Bundesversammlung. 1964). Diese Sonderbestim- mungen erlauben mehr Spielraum bei der Festlegung der Dauer der Tag-, Abend- und Nachtarbeiten, er- möglichen eine Verlängerung der Arbeitswoche auf sieben aufeinanderfolgende Tage und definieren die tägliche Ruhezeit. In Anbetracht der ausserordentlichen Situation hat der Bundesrat am 13. März 2020 die Sonderbestimmungen des Arbeitsgesetzes für Gesundheitsorganisationen flexibilisiert (Bundesrat 2020): _In den Spitalabteilungen, die infolge der Covid-19-Erkrankungen eine massive Zunahme der Arbeit er-

fahren, ist die Geltung der Bestimmungen des Arbeitsgesetzes betreffend Arbeits- und Ruhezeiten so lange sistiert, wie es die ausserordentliche Lage erfordert.

_Zeitliche oder finanzielle Kompensationen sind aber weiterhin zu gewähren.

_Die Arbeitgeber sind weiterhin verantwortlich für den Schutz der Gesundheit ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und müssen insbesondere dafür sorgen, dass diesen ausreichende Ruhezeiten gewährt werden.

Dank diesen neuen Regelungen können zum Beispiel Spitäler den Personaleinsatz bei Notfalldiensten und Intensivpflegestationen neu in zwei Schichten von zwölf Stunden statt drei Schichten von acht Stunden organisieren. Diese Regelung reduziert die Zahl von Ärzten und Pflegefachpersonen, die täglich unterwegs sind (und damit die Ansteckungsgefahr des Personals) und die allfällige Verbreitung des Virus beim Schicht- wechsel.

Box 3

Mehrheitlich konstruktive Reaktionen auf arbeitsrechtliche Flexibilisierungen im Gesundheitswesen

Die Reaktionen auf die Lockerung der Verordnung durch den Bundesrat fielen unterschiedlich aus. Der Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) kritisierte sie scharf und verlangte den sofortigen Rückzug der Bestimmung (VPOD 2020). Der Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK) sowie der Verband Schweizerischer Assistenz- und Oberärzte (VSAO) aber waren weniger konfrontativ. Sie gelangten an den Bundesrat sowie an den Spitalverband H+, um Klarheit in der Frage zu erlangen, wie die Spitäler den Gesundheitsschutz des Personals und ausreichende Ruhezeiten gewähr- leisten wollen (20 Minuten 2020). Gemäss Rückmeldungen aus Spitälern, Pflegeheimen und Spitex-Organisationen wird die Flexibilisierung der Vorgaben durch den Bundesrat vom Personal voll mitgetragen und die Arbeitsmoral zeichnet sich durch enormes Engagement und Solidarität für Kollegen und Patienten in dieser Phase der Krise aus (KSA 2020).

Entlastung von administrativen Aufgaben

Trotz Pandemiekrise verbringen Ärzte und Pflegefachpersonen nach wie vor sehr viel Zeit mit administra- tiven Aufgaben. Für die Dauer der Krise wäre es nützlich, auf die nicht dringenden administrativen Auf- gaben zu verzichten – oder sie zumindest zu suspendieren. Damit könnten Personalressourcen freigegeben werden. In Alters- und Pflegeheimen oder bei Spitex-Organisationen könnte die «Bedarfsermittlung», die Voraussetzung für die Finanzierung durch die Krankenkasse und den Staat ist, nur beim Heimeintritt bzw.

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beim ersten Kontakt vorgenommen werden. Auf die regelmässigen Überprüfungen sollte, solange sich der Zustand des Patienten nicht stark verändert, verzichtet werden. Auch die Routinekontrollen der Kranken- kassen oder der kantonalen Behörden sowie die Erhebung von Daten für kantonale und nationale Statis- tiken sollten für die Dauer der Krise ausgesetzt werden.

Unbürokratische Vermittlung von medizinischem Fachpersonal

Mit der neuen Verordnung vom 13. März hat der Bundesrat Spitäler und Kliniken, Arztpraxen und Zahn- arztpraxen verboten, nicht dringend angezeigte medizinische Untersuchungen, Behandlungen und Thera- pien (Eingriffe) durchzuführen (Bundesversammlung 2020). Dieser Entscheid führt jedoch zu einer paradoxen Si- tuation: Während manche Organisationen mit Fachkräftemangel konfrontiert sind, und auf die Anstellung von Studenten der Medizin oder der Pflegewissenschaften (NZZ 2020, RTS 2020) und den Einsatz von Zivilschutz oder der Armee angewiesen sind, sind andere Kliniken, die keine ausreichenden Infrastrukturen für die Aufnahme von Covid-Patienten haben, mit Überkapazitäten konfrontiert. So haben das Basler Privatspital Bethesda, die Kliniken der Hirslanden-Gruppe und auch des Swiss Medical Networks Anträge auf Kurz- arbeit eingereicht (Medinside 2020). Bei manchen Institutionen betrifft die Kurzarbeit bis zu 70 % des Pflege- personals. Die Unterbeschäftigung infolge des Bundesratsentscheids trifft auch die Arztpraxen. Allein im Kanton Waadt sind 2,5 Pflegeassistenten pro Arztpraxis von Arbeitslosigkeit bedroht, das entspricht 2700 Personen (Forum 2020).

In der kurzen Frist sind Lösungen anzustreben, die eine einfache, pragmatische Vermittlung von Perso- nal über die Institutionen hinweg ermöglichen. Damit könnten nicht nur Personalengpässe in den Co- vid-Pflegezentren vermieden, sondern auch die Fixkosten bei den medizinischen Institutionen mit Über- kapazitäten reduziert werden. Besonders hilfreich sind hier Vereinbarungen zwischen einzelnen Institutionen oder die Schaffung eines Ressourcen-Pools, etwa nach dem Beispiel der Online-Plattform Careanesth im Kanton Zürich (siehe Box 4).

Box 4

Careanesth: Online-Plattform für medizinisches Personal

Über die von Careanesth AG betriebene Online-Plattform können medizinische und pflegerische Fachpersonen autonom ihre verfügbaren Arbeitstage und Dienste angeben. Ein Spital bzw. eine Gesundheitsinstitution im Kanton Zürich kann so bei Bedarf rasch und unkompliziert zusätzliches qualifiziertes Personal anfordern. Über SMS und E-Mail werden Fachpersonen umgehend über ihren Einsatz informiert. Die Plattform funktioniert auch für den Austausch von Fachpersonal unter den Spi- tälern. Die Gesundheitsdirektion übernimmt die Kosten für den Betrieb der Plattform (Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich 2020).

Einsatz von ehemaligen (pensionierten) Ärzten und Pflegefachleuten

Ehemalige Mitarbeiter können eine wertvolle Ressource sein, weil sie die nötigen Kompetenzen haben und die internen Prozesse eines Spitals oder einer Pflegeinstitution bereits kennen. Ihre «Reaktivierung» kann somit schnell und gezielt Entlastung bringen. Aus liberaler Sicht sollte dieser Schritt aber auf freiwilliger Basis erfolgen. Der Kanton Graubünden geht allerdings einen Schritt weiter. Die Bündner Regierung hat beschlossen, dass sich alle Personen melden müssen, die einen Beruf aus dem Pflegebereich erlernt haben, jedoch nicht mehr in diesem tätig sind, und die auch nicht einer Risikogruppe angehören. Diese Fachper- sonen könnten in einer späteren Phase zu einem Einsatz verpflichtet werden (Kanton Graubünden 2020).

Viele Institutionen berichten über zahlreiche spontane Meldungen von pensionierten Mitarbeitern, die ihre Erfahrung und Kompetenz zur Bewältigung der Krise zur Verfügung stellen wollen. Da Pensionierte aufgrund ihres Alters zur Risikogruppe zählen, sollte eine direkte Exponierung dieser Personen vermieden

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werden. Eine Möglichkeit für einen Einsatz sind Telefon-Hotlines zur Entlastung der Pflegenden und Ärz- te. Das Luzerner Kantonsspital steht bereits in Kontakt mit pensionierten Mitarbeitern, die nach Bedarf aufgeboten werden können (NZZ 2020). Der Kanton Bern hat ebenfalls ein Callcenter eingerichtet, von dem aus medizinisches Fachpersonal den Spuren der Viruserkrankten nachgeht. Das Kantonsarztamt setzt da- bei ebenfalls auf pensionierte Ärzte und freiwillige Fachleute (Medinsinde 2020).

V _ Flexibilisierung für Grenzgänger

Knapp 330 000 ausländische Grenzgänger arbeiteten Ende 2019 in der Schweiz, rund 55 % kamen aus Frank- reich, 23 % aus Italien und 18 % aus Deutschland. Administrative Einschränkungen aufgrund der Coro- na-Pandemie erschweren den Austausch über die Grenze. So müssen aufgrund der Personengrenzkontrol- len der Schweiz ausländische Arbeitskräfte nicht nur ein gültiges Reisedokument vorweisen, sondern auch über einen gültigen Aufenthaltstitel verfügen, dazu gehören auch Grenzgängerbewilligungen.

Viele Grenzgänger sind im Detailhandel und im Gesundheitswesen tätig

Die meisten Grenzgänger arbeiten im Detailhandel (7 % aller Grenzgänger im Q4 2019), gefolgt von der Vermittlung von Arbeitskräften (5,9 %) und Tätigkeiten im Gesundheitswesen (5,8 %). Im Schnitt arbeitet jeder fünfte Grenzgänger in einer Branche, die in der aktuellen Krisensituation als besonders relevant an- gesehen werden kann. 6 % aller Beschäftigten in der Schweiz sind Grenzgänger.

Tabelle 1

Wo die Grenzgänger arbeiten (Q4, 2019)

Beispiele relevanter Branchen in der Krise Anzahl Grenzgänger Anteil aller Grenzgänger

Detailhandel 23 051 7,0 %

Gesundheitswesen 18 982 5,8 %

Logistik 8250 2,5 %

Pharma 7542 2,3 %

Nahrungsmittelproduktion 4569 1,4 %

Landwirtschaft 2073 0,6 %

Energieversorgung 1182 0,4 %

Paket- und Postdienste 832 0,3 %

Telekommunikation 408 0,1 %

Wasserversorgung 301 0,1 %

Total 67 189 20,4 %

Quelle: BFS (2020c)

Pendler aus dem Ausland oftmals ein wichtiger Teil der Belegschaft

Einen besonders hohen Anteil an Grenzgängern in der jeweiligen Branche weisen die Grenzkantone aus.

In Genf arbeiten am meisten Grenzgänger – über 6700 Personen – im Detailhandel, und jeder Dritte Be- schäftigte stammt aus dem Ausland, und über 39 % beträgt gar der Anteil der Grenzgänger in der Nah- rungsmittelproduktion. Mit einem Anteil von 25,7 % Grenzgänger – gemessen an allen Beschäftigten in den krisenrelevanten Branchen – hat Genf unter allen Schweizer Kantonen den höchsten Wert, dicht ge-

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¢ 0 bis unter 1 %

¢ 1 bis unter 5 %

¢ 5 bis unter 15 %

¢ über 15 % Abbildung 3

Genf, Tessin und Basel Stadt – viele Grenzgänger in Krisen relevanten Branchen_1

In acht Kantonen sind über 5 % der Mitarbeiter in den Krisen relevanten Branchen Grenzgänger. Ihr Ausbleiben würde wichtige Teile der Versorgung der Schweiz beeinträchtigen, u.a. die Pharmaproduktion, den Detailhandel, die Logistik, die Produktion von Nahrungsmitteln oder die Gesundheitsversorgung.

Quelle: BFS (2020a,b)

0,7 %

0,3 %

0,1 %

0 % 0,2 %

0,5 %

0,1 % 0,1 %

0,4 %

0,4 %

0,5 % 1,1 %

1,3 %

1,8 %

1,2 %

4,0 % 4,0 %

3,0 % 8,7 %

6,3 % 6,9 %

13,8 %

13,8 % 16,1 %

22,2 % 25,7 %

folgt vom Tessin mit 22,2 %. Im Tessin sind Grenzgänger vor allem im Detailhandel (36,6 %), der Pharma- (30,1 %) sowie der Nahrungsmittelproduktion (28,5 %) vertreten.

In Basel Stadt kommen gut 50 % aller in der Nahrungsmittelproduktion Beschäftigten aus dem nahen Ausland (BFS 2020a,b; neueste Zahlen für 2017), im Detailhandel sind es über ein Fünftel. Doch auch abseits der gro- ssen, grenznahen Zentren arbeiten in manchen relevanten Branchen überdurchschnittlich viele Grenzgän- ger: Im Kanton Waadt z.B. sind 13 % der Beschäftigten in der Nahrungsmittelproduktion Grenzgänger, und im Kanton Graubünden je 7 % im Detailhandel und der Logistik tätig.

Einreise erleichtern – Ausreise sicherstellen

In mehreren für die Krise als relevant eingestuften Branchen sind Grenzgänger ein unverzichtbarer Teil der Belegschaft – nicht nur im medial stark beachteten Gesundheitswesen. Es liegt deshalb im Interesse der Schweiz, Verzögerungen beim Grenzübertritt in die Schweiz sind zu vermeiden. Kreative Lösungen

1 Methodische Anmerkung: Die Grenzgängerstatistik beruht auf Schätzungen und folgt somit einer anderen Methodik als die Erhebung der Beschäftigten. In rund zwei 2 % der Zahlen Kanton-Branche-Grenzgänger führt dies zu einer zu geringen Anzahl an Beobachtun- gen, so dass Annahmen getroffen werden mussten.

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werden teilweise bereits umgesetzt: Kleinere Grenzstellen, die nur Arbeitende in der Schweiz passieren las- sen, eigene Schnellspuren bei grösseren Grenzanlagen oder spezifischen, am Auto angebrachten Auszeich- nungen, die ein rasches Passieren der Grenze gestatten.

Dies ist jedoch nur die eine Seite: Eines der Nachbarländer der Schweiz könnte seine Bürger in Zukunft auch daran hindern auszureisen. Insbesondere Gesundheits- und Pflegepersonal, die in der Schweiz arbei- ten, könnten auch in ihrem Heimatland eingesetzt werden. Dass die Schweiz zurzeit mehrere Patienten aus den Nachbarländern, insbesondere aus Frankreich behandelt, hat weniger mit einer rein humanitären Geste zu tun, sondern mit der Überlegung, dadurch den Druck auf die Gesundheitsversorgung in der Grenzregion des Nachbarlandes zu dämpfen (vgl. Box 5).

Box 5

Französische Grenzgänger als Pflegepersonal in Schweizer Spitälern

Im Bereich Gesundheit verzeichnen die Kantone Genf (20,7 %), Jura (12,8 %) und Tessin (12,6 % die höchsten Werte an Grenzgängern. Diese Abhängigkeit vom ausländischen Personal drohte, das System zum Kollaps zu bringen, als klar wurde, dass Frankreich sein Pflegepersonal gesetzlich dazu verpflichten könnte, im Land zu bleiben (SRF 2020, NZZ 2020). Die Unsicher- heit in der Schweiz war in Folge so gross, dass der Kanton Basel-Stadt vorübergehend Bettenkapazitäten für die Arbeitnehmer aus dem Ausland in Hotels reservierte. Unterdessen hat sich die Situation normalisiert und der ungehinderte Grenzübergang von Schweizern, die im Ausland leben, aber in der Schweiz arbeiten, sowie von Grenzgängern geniesst nach wie vor hohe Priorität.

VI _ Flexibilisierung im nationalen und internationalen Warenverkehr

Wenn Arbeitsabläufe und Kundenströme stärker auf alle 24 Stunden des Tages und sieben Tage der Woche verteilt werden, sollte auch die Logistik die gleichen Möglichkeiten haben – denn die üblichen Güterver- kehrsbeschränkungen würden die volle Ausnutzung dieses Potenzials ansonsten verhindern. Dazu braucht es weitere temporäre Lockerungen von regulatorischen Bestimmungen im Logistikbereich, der bereits mit extremen Nachfragespitzen konfrontiert ist (und der ständigen Möglichkeit eines krankheitsbedingten Ausfalls von Arbeitnehmenden), und anderseits mit einer massiven Verschlechterung der Auftragslage zu kämpfen hat. Wenn im grenzüberschreitenden Transport ohnehin schon mit Behinderungen zu rechnen ist, ist es umso wichtiger, den Binnentransport möglichst friktionsfrei laufen zu lassen.

Bereits am 20. März hat das ASTRA gewisse Erleichterungen im Gütertransport verfügt (Astra 2020).

Sie gelten allerdings nur für Güter der Grundversorgung:

_Fahrzeuge, deren erlaubtes Gesamtgewicht im Fahrzeugausweis reduziert wurde, können wieder mit dem ursprünglich gemäss Herstellerangaben zulässigen Gesamtgewicht verwendet werden.

_Fahrten versorgungsrelevanter Güter (inkl. Güter des täglichen Bedarfs) sind vom Sonntags- und Nacht- fahrverbot ausgenommen.

_Die für Berufschauffeure erlaubten Gesamtlenkzeiten wurden etwas erhöht, und die vorgeschriebenen Ruhezeiten etwas gesenkt.

Diese Verfügungen sind allerdings nur mit einer Bestätigung der «Wirtschaftlichen Landesversorgung (LW)» gültig. Diese wird an einzelne Unternehmen bzw. die von ihnen beauftragten Transportunterneh- men erteilt. Die Erleichterungen dürfen zudem nur beansprucht werden, wenn es die Situation erfordert und sie weder durch organisatorische Massnahmen noch durch die Wahl eines anderen Verkehrsmittels verhindert werden können. Das dies der Fall ist, muss der Transporteur auf Verlangen der Kontrollbehör- den nachweisen können. Das klingt nach viel Papierkrieg für einen relativ geringen Nutzen. Auf einen sol-

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chen Nachweis der Unvermeidbarkeit der Inanspruchnahme dieser Ausnahmeregelungen sollte deshalb verzichtet werden. Zudem sollten diese Gütertransporterleichterungen auf die gesamte Branche erweitert werden, statt auf Güter der Grundversorgung beschränkt zu bleiben.

Aufhebung der Sonntags- und Nachtfahrverbots

Eine besonders wichtige Massnahme wäre die Aufhebung des Sonntags- und Nachtfahrverbots, das grund- sätzlich für Lastwagen ab 3,5 Tonnen bzw. für Anhängerlastwagen ab 5 Tonnen gilt. Um in der Nacht und an Sonntagen Güter, die nicht zur Grundversorgung gehören, zu transportieren, muss ein Transportunter- nehmen bisher beim Ausfuhrkanton eine Sonderbewilligung beantragen, in der es nachweist, dass sich diese Fahrt unter keinen Umständen vermeiden lässt. Dieses Regime sollte während der Corona-Krise auf- gehoben werden. Das würde nicht nur mehr Sicherheit in der Versorgung von Endkunden schaffen, son- dern auch mehr Flexibilität schaffen zur Instandhaltung Wertschöpfungsketten, an denen mehrere Unter- nehmen über zu transportierende Vorleistungen beteiligt sind. Bayern (DE), das Tirol (AT) und Italien sind diesen Weg schon gegangen.

Explizit erlaubt hat der Bund in seinem Beschluss vom 21. März, dass Postunternehmen für die Dauer der Krise an allen sieben Tagen Lebensmittel und Gegenstände für den täglichen Bedarf an die Bevölke- rung ausliefern dürfen. Diese Massnahme ist zu begrüssen.

Abschaffung der Zölle im internationalen Warenverkehr

Während der freie Personenverkehr in Europa weitgehend zum Erliegen gekommen ist, fliessen die Wa- renströme – mit Einschränkungen – weiter über die Grenzen. Dass auch dieses System fragil ist, zeigen die Exportbeschränkungen für medizinische Güter, die inzwischen 54 Länder verfügt haben (Evenett 2020) und die auch die Schweiz betreffen, weil Deutschland und Frankreich wichtiges Material für das Gesundheits- wesen an der Grenze zurückhielten. Nach einer Intervention der EU zugunsten der EFTA-Staaten (inklu- sive der Schweiz) sind die Lieferungen inzwischen in der Schweiz eingetroffen.

Kurzfristig, um Importe zu erleichtern und zu beschleunigen, hat die Eidgenössische Zollverwaltung

«Green Lanes», vorrangige Fahrspuren für wichtige Güter, eingeführt (EZV 2020). Ausserdem sollen auch die Abfertigungszeiten im Bedarfsfall ausgeweitet werden können.

Neben exportseitigen Beschränkungen behindern auch Zölle importseitig den grenzüberschreitenden Warenverkehr. Die Schweiz hätte es in der Hand, den Import-Warenfluss administrativ zu vereinfachen und finanziell zu entlasten. Der Bundesrat plant seit über einem Jahr, die Zölle auf Industrieprodukte ab- zuschaffen. Hier ist zu prüfen, ob aus Gründen der Versorgungssicherheit die Abschaffung der Zölle nicht temporär per Notrecht dekretiert werden soll.

VII _ Fazit: Bewältigung der Pandemiekrise durch Balance aus Restriktion und Freiheit

Angesichts der Pandemiekrise ist mehr Flexibilität der Behörden gegenüber der Wirtschaft gefordert. Die Aufrechterhaltung der Wirtschaftstätigkeit unter erschwerten Bedingungen und unter Einhaltung der auf- grund der Pandemie angezeigten Hygienemassnahmen verlangt regulative Vereinfachungen.

«Social Distancing» als Losung kann am besten dann gewährleistet werden, wenn Produktion, Konsu- mation, Nachfrage und Angebot zeitlich und räumlich auf sieben Wochentage ausgedehnt und nicht auf fixe Tages- oder Nachtzeiten limitiert werden. Wo Bedarf besteht, soll eine raschere Mobilisierung der Ar- beitskräfte erfolgen können. Dazu bedarf es einer Flexibilisierung des Arbeitsrechts und der Ladenöffnungs-

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zeiten. Auch die Logistik sollte im 24-Stunden-Turnus ermöglicht werden, um die inländischen Lieferket- ten zu stabilisieren. Zur Gewährleistung eines höheren Grades an Versorgungssicherheit sollte die Schweiz unilateral Zollschranken abbauen.

Mit der Ausrufung der ausserordentlichen Lage durch den Bundesrat wurde mit dem Ziel der Eindäm- mung der Pandemiewelle die Wirtschaftsfreiheit für Unternehmen und Werktätige deutlich eingeschränkt, mit Veranstaltungs- und Versammlungsverboten und der Aussetzung der Eidgenössischen Abstimmung politische Rechte und individuelle Freiheiten stark beschnitten. Zugleich sollte aber aus gesundheitsprä- ventiven Gründen eine Flexibilisierung von einschlägigen Bestimmungen für den Werkplatz Schweiz er- folgen. Eine erfolgreiche Bewältigung der Coronavirus-Krise kann nur in einer Balance aus restriktiven Erlassen und dem Gewähren von mehr Freiheiten erfolgen.

Was zu tun ist?

Bereich

Arbeitsgesetzgebung

_ Unbürokratische Überlassung von Arbeitnehmenden _ Einführung des Status des «selbstständigen Angestellten»

_ Lockerung der Nachtarbeitsbestimmungen

Ladenöffnungszeiten

_ Keine Einschränkung an den Werktagen zwischen 06.00 und 23.00 Uhr

_ Kulante Auslegung des Kriteriums der technischen und wirtschaftlichen Unentbehrlichkeit als Bewilligungsgrund für Nachtarbeit zwischen 23.00 und 06.00 Uhr

_ Temporäre Aufhebung des Verbots, Läden an Sonntagen, öffentlichen Ruhetagen sowie offiziellen Feiertagen zu öffnen

Gesundheitswesen

_ Plattformen für Ressourcen-Pooling

_ Auf nicht zwingende Kontrollen der Krankenkassen und der Kantone bei Gesundheitsinstitutionen verzichten

_ Den freiwilligen Einsatz von ehemaligen (pensionierten) Mitarbeitern im Gesundheitswesen zulassen

Grenzgänger _ Schnellspuren für den Grenzübertritt von Grenzgängern bzw. Bevorzugung beim Grenzübertritt _ Ungehinderte Ein- und Ausreise von Grenzgängern

Warenverkehr

_ Temporäre Aufhebung des Sonntags- und Nachtfahrverbots _ Unilaterale Abschaffung der Industriezölle

_ Aussetzung der Zollerhebung zur administrative Vereinfachung des Imports

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Literatur

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Lektorat: Verena Parzer-Epp, Layout und Infografiken: Carmen Sopi

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Es drängt sich also der Gedanke auf, dass nicht nur der Stein und die Form seiner Inschrift eine neuzeitliche Imitation sind, sondern auch der Text in dieser Form nicht echt ist, und