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Trends und Perspektiven in der
Psychiatrie: Psychiatrie, raus aus
der Tabuzone!
Kasper S
Journal für Neurologie
Neurochirurgie und Psychiatrie
Das Buch wendet sich an Männer als potentielle Leser, schließt aber Frauen ausdrücklich mit ein, da sie oft die „Ge-sundheitshüter“ ihrer Ehemänner/Partner seien.
Im Zentrum der Darstellung steht die „Psychologie der Män-ner“, u.a. Aspekte der Männlichkeit und der Stressbewälti-gung bei Männern und insbesondere die Depression bei Män-nern bzw. der Prototyp der „männlichen Depression“ und der Weg, häufi g über eine chronische Stressbelastung, dorthin. Die Autorin sieht insbesondere im gesellschaftlich angesehe-nen „Männlichkeits“-Ideal ein Grundproblem für diese Ent-wicklung. Dieses Ideal prägt verschiedene Verhaltensweisen des Mannes wie die Tendenz, sich in der Arbeitswelt und sons-tigen Situationen zu überfordern, ein Übermaß von Stress in allen möglichen Lebensbereichen zu ertragen, stressbedingte körperliche und psychische Symptome nicht zu erkennen bzw. nicht wahrhaben zu wollen u.a. Auch die Tendenz, Gefühle für sich zu behalten, über Beschwerden nicht zu klagen, der Gesundheit keine nennenswerte Bedeutung im Alltagsleben einzuräumen, keine Vorsorgeuntersuchungen durchführen zu lassen und möglichst wenig in ärztliche Behandlung zu gehen, gehören zu diesem „Männlichkeits“-Ideal.
Irgendwann überwältigt die Depression dann den Mann, die aber selbst von Fachleuten oft nicht erkannt wird, da bestimm-te Symptomkonsbestimm-tellationen, wie die Neigung zu Aggressivi-tät, Alkoholabusus und externalisierendem Verhalten, vom Arzt nicht als Depressionssymptome (Prototyp der männli-chen Depression!) erkannt werden. Die Autorin stellt die inte-ressante Hypothese auf, dass die im Vergleich zu Frauen
deut-lich niedrigere Depressionsrate bei Männern weitgehend ver-schwinden würde, wenn die „männliche Depression“ erkannt würde und hat dazu einen eigenen Fragebogen als Screen-ing-Instrument entwickelt. Auch das Geschlechter-Paradox – Männer haben viel seltener Depressionen, begehen aber viel häufi ger Suizid als Frauen – würde sich dann aufl ösen.
All dies wird sehr detailliert (279 Seiten) und sachkundig dargestellt, u.a. unter Einbeziehung mehrerer eindrucksvol-ler Kasuistiken, und mit ausgewogenen Hinweisen zu den je-weiligen psychotherapeutischen, psychopharmakologischen und sonstigen neurobiologischen Behandlungsmöglichkei-ten.
Ein primär für Laien geschriebenes, durchaus aber wissen-schaftlich argumentierendes Buch, das auch von Fachleuten aus dem medizinischen und psychologischen Bereich mit Ge-winn gelesen werden kann, da es viele Informationen vermit-telt, die selbst in entsprechenden Lehrbüchern für Ärzte oder Psychologen nicht enthalten sind.
Die Autorin fi ndet einen auch für Laien gut verständlichen Stil, ohne dabei wichtige theoretische Konzepte zu vernach-lässigen und schreibt so spannend, dass man das Buch fast wie einen Kriminalroman liest. Obwohl sie Professorin für Sozial-wissenschaft ist (Psychiatrische Klinik der Ludwig Maximi-lians Universität München), fokussiert sie nicht nur auf so-zialpsychologische Konzepte, sondern bezieht gut balanciert auch neurobiologische Modelle zur Beschreibung und Erklä-rung von Stress und Depression mit ein.
Anne Maria Möller-Leimkühler
Vom Dauerstress zur Depression
Wie Männer mit psychischen Belastungen umgehen
und sie besser bewältigen können
Gebunden mit Schutzumschlag, 282 Seiten
22,99 € / 23,60 € (A)
J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2012; 13 (1) 3
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Psychiatrie, raus aus der Tabuzone!
In den vergangenen Jahren hat sich die Stellung psy-chiatrischer Erkrankungen im Rahmen der Medizin in den deutschsprachigen Län-dern weiter etabliert und auf-grund der vorhandenen For-schungsergebnisse wurde ein Grundverständnis für psychi-atrische Erkrankungen erar-beitet, sodass diese nun als Erkrankungen des Gehirns mit systemischer Auswirkung verstanden werden. Es ist jedoch evident, dass es sich dabei um keine Erkran-kungen mit Läsionen (wie z. B. beim Schlaganfall oder bei Multipler Sklerose) handelt, sondern um eine Erkrankung von Gehirnsystemen und darüber hinaus auch um eine Erkrankung von Systemen, die einer-seits das Gehirn und anderereiner-seits psychosoziale Fak-toren miteinbeziehen.
Da psychiatrische Erkrankungen aus komplexen ge-netischen Risikofaktoren und erworbenen Entwick-lungsfaktoren resultieren, sind das Grundverständnis von „Nature“ versus „Nurture“ und deren entspre-chende Gewichtung von großer Bedeutung, genauso wie bei internistischen Erkrankungen, wie z. B. bei Hypertonie und Diabetes mellitus. Bei diesen letzt-genannten internistischen Erkrankungen sind die psychosozialen Bedingungskonstellationen ebenso von entscheidendem Einfluss für den Ausbruch sowie für den Verlauf. Während in früheren Jahren die Lager zum Teil in das „Psycholager“ und in das „biologi-sche bzw. Pharmalager“ gespalten waren, haben die Erkenntnisse der vergangenen Jahre dazu beigetra-gen, dass ein interdisziplinärer und multifaktoriel-ler Ansatz dem Verständnis der Patienten gerechter wird.
Eine Reihe von Publikationen lässt erkennen, dass die durch die Krankheit verlorenen Lebensjahre („Dis-ability-Adjusted Life Years“ [DALY]), das heißt die Krankheitslast, für neuropsychiatrische Erkrankun-gen mit 28 % den größten Anteil aller medizinischen Erkrankungen ausmachen, gefolgt von kardiovas-kulären und onkologischen Erkrankungen. Trotz die-ser deutlichen Zahlen stehen für neuropsychiatrische Erkrankungen die Ressourcen nicht im gleichen Aus-maß zur Verfügung [1].
Aus der im Oktober 2011 in der renommierten Zeit-schrift Nature publizierten Arbeit von Smith, die den
griffigen Titel „Trillion-Dollar Brain Drain“ [2] trägt, geht hervor, dass die Gesundheitsprobleme, die durch psychiatrische Erkrankungen verursacht werden, in Europa nicht durch entsprechende Investitionen in der Forschung berücksichtigt werden. Aus dieser Unter-suchung kann weiters entnommen werden, dass im Vergleich zu anderen medizinischen Erkrankungen für die Erforschung von Gehirnerkrankungen nur disproportional wenige Ressourcen bereitgestellt werden. Darüber hinaus ist auch von Interesse, dass sich pharmazeutische Firmen zunehmend aus dem Bereich der Psychopharmakologie zurückziehen und so auch dadurch von industrieller Seite eine Parallele gegeben ist. Von den Erkrankungen, die das Gehirn betreffen, machen psychiatrische Erkrankungen weit über die Hälfte aus – affektive Erkrankungen stehen dabei an der Spitze, gefolgt von Demenzen.
Smith kommt zu dem Schluss, dass mehr für die Er-forschung von psychiatrischen Erkrankungen ausge-geben werden sollte, um diese besser verstehen und dadurch auch besser behandeln zu können. Eine wei-tere Schlussfolgerung aus dieser Arbeit ist, dass ver-gleichsweise zu viele Mittel für andere somatische Er-krankungen bereitgestellt werden und dass psychiatri-sche Erkrankungen nach wie vor von sekundärer Be-deutung sind.
Die Zukunft der Psychiatrie hängt im Wesentlichen davon ab, dass die psychiatrischen Erkrankungen weiter erforscht, diagnostiziert und behandelt werden und dass Bestrebungen hintan gehalten werden, psy-chiatrische Erkrankungen vorwiegend im Rahmen von Public Health zu diskutieren. Eine diesbezügliche Entwicklung zeichnet sich in den skandinavischen Ländern ab, eine Entwicklung, die z. B. in Italien dazu geführt hat, dass psychiatrische Erkrankungen schlechter finanziert und dadurch schlechter be-forscht und behandelt werden. Die Entwicklung in eine Zwei-Klassen-Medizin ist dadurch die logische Folge, wie man aus der Entwicklung von finanziell bessergestellten Patienten in Italien und den USA sehen kann.
Literatur:
1. Prince M, Patel V, Saxena S, et al. No health without mental health. Lancet 2007; 370: 859–77.
2. Smith K. Trillion-dollar brain drain. Nature 2011; 478: 15.
O. Univ.-Prof. Dr. h. c. mult. Dr. Siegfried Kasper Editor Psychiatrie O . Uni v.-Pr of . Dr
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