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Österreichische Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie
Österreichische Gesellschaft für Rheumatologie Offizielles Organ der
Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des Knochens und Mineralstoffwechsels
Ö S T E R R E I C H I S C H EG E S E L L S C H A F T
ÖGKM
F Ü R K N O C H E N U N D M I N E R A L S T O F F W E C H S E L
Die Anamnese - die Kriterien in
der Rheumatologie
Rintelen B, Leeb BF
Journal für Mineralstoffwechsel
J. MINER. STOFFWECHS. 3/ 2003
32
Eine 41jährige Patientin, gelernte Kindergärtnerin, wird vorstellig mit chronischen lumbosakralen Schmer-zen ausstrahlend in beide Beine, chronischen Schmerzen im Schulter-gürtel ausstrahlend bis zu den Hän-den, bamstigem Gefühl in beiden Händen verbunden mit Kraftlosigkeit. In der Anamnese erhebbar sind Krampfanfälle seit dem 20. Lebens-jahr, beschrieben als Muskelver-krampfungen sowohl an den unteren als auch oberen Extremitäten, weiter auch Fieber über 40°C über 1 Tag zirka 3 x monatlich auftretend. An Vorerkrankungen erhebbar sind: Verbrühungen als Kind an der oberen Extremität links, ein Reitunfall mit 21 Jahren mit einer Fraktur des 1. Lenden-wirbels, ein Autounfall mit 25 Jahren mit einer Fraktur des 3. und 4. Len-denwirbels, die Patientin trägt einen Port-a-Cath seit dem 32. Lebensjahr wegen einer COPD. Mit 32 Jahren hatte die Patientin eine tiefe Bein-venenthrombose mit Lungenembolie, mit 32 Jahren eine Cholezystektomie. Mit 39 Jahren gibt die Patientin eine Fundoplicatio bei Refluxkrankheit an, seit dem 40. Lebensjahr sei ein Diskusprolaps C5/6 und C6/7 bekannt. Ebenfalls seit dem 40. Lebensjahr sei eine KHK durch eine Koronarangio-graphie gesichert. Mit 41 Jahren erlitt die Patientin einen Subileus, deswegen hatte die Patientin mehrere Darm-operationen. Eine Raynaud-Sympto-matik wird ebenso wie eine Sicca-Symptomatik bejaht. Die Patientin hat keine Kinder, hatte einen Abort. Im Status sind sämtliche peripheren Gelenke frei beweglich, es lassen sich weder geschwollene noch druck-schmerzhafte periphere Gelenke palpieren. Die Wirbelsäule ist klopf-dolent, der Lasègue ist beidseits end-lagig ab ca. 50° positiv, die motorische Kraft ist seitengleich, jedoch sowohl an der unteren als auch oberen Ex-tremität vermindert. Die Muskeleigen-reflexe sind seitengleich sowohl an Armen als auch Beinen. Es zeigt sich an der linken oberen Extremität eine großflächige Narbe nach Verbrennung, am Abdomen auffällig sind multiple
Narben mit großteils nicht typischer chirurgischer Schnittführung, weiter zeigen sich ältere Schnittverletzungen beidseits an den unteren Extremitäten und auch an den Handgelenken. Beid-seits am Unterschenkel findet sich – links ausgeprägter als rechts – in Höhe der Tuberositas tibiae ein psoriasifor-mes Exanthem.
Die Patientin legt folgende Befunde vor:
a) In einem MRI der HWS zeigen sich multisegmentale Diskusherniatio-nen C4–7 ohne EiDiskusherniatio-nengung der ab-gehenden Nervenwurzeln. b) Eine Nervenleitgeschwindigkeit
(NLG) beidseits des N. medianus spricht für ein Karpaltunnelsyndrom beidseits.
c) Im erhobenen Routinelabor zeigen sich keine Auffälligkeiten.
d) Im Röntgen beider Hände und Vorfüße finden sich unauffällige Verhältnisse.
e) Das Lungenröntgen ist unauffällig. f) Im Röntgen der gesamten
Wirbel-säule finden sich ein Keilwirbel Th12 und eine Deckplattenim-pression L3; L1 ist ventral höhen-gemindert, es zeigt sich insgesamt eine skoliotische Fehlhaltung. In Anbetracht der multipel vorgetra-genen durchgelittenen Erkrankungen wird an eine Systemerkrankung (Vaskulitis) gedacht (Subileus, Krampf-geschehen, nachgewiesenen KHK, Beinvenenthrombose, Abort, Arthral-gien, FUO). Diesbezüglich erhobene Laborwerte sind jedoch alle im Normbereich (ANA mit Subsets, anti-DNA, c-ANCA, p-ANCA, C3, C4, CIC), lediglich die Anticardiolipin-AK waren im IgM-Bereich leicht erhöht. Zum Ausschluß einer zerebralen Vas-kulitis wurde ein MRI des Schädels mit einem unauffälligen Ergebnis durchgeführt. Ein neurologisches Konsil zeigt einen unauffälligen so-matischen Status.
Im weiteren Verlauf wird eine Einzel-anamnese mit der Freundin der
Pati-entin durchgeführt: Die PatiPati-entin ist seit 1981 in psychiatrischer Behand-lung bei mehrmaligen Suizidversu-chen, unter anderem Selbstverstüm-melung mit heißem Öl, Bauchstich-verletzungen mit anschließender Beinvenenthrombose und Pulmonal-embolie sowie mehrfachen Sprüngen von einem Balkon mit oben beschrie-benen Knochenbrüchen. Die geschil-derten Krampfanfälle wurden als „arc de circle“ geschildert. Die Pati-entin ist seit mehr als 18 Jahren pen-sioniert.
Die Diagnose lautet somit Schizo-phrenie sowie Cervikolumbalsyndrom bei Z. n. traumatischen Wirbelkörper-frakturen.
Die Diagnose war – wie so oft in der Rheumatologie – nur durch die Anamnese und besonders in diesem Fall durch Vertrauensbildung möglich. Dadurch hätte man gleich erfahren können, daß die Wirbelkörperfraktu-ren sowie die multiplen Narben am Bauch durch Suizidversuche entstan-den, die Beinvenenthrombose mit anschließender Pulmonalembolie einer postoperativen Komplikation entsprach, das Carpaltunnelsyndrom bds. ebenfalls durch Narben nach Suizidversuchen entstand, die ge-schilderten Krampfanfälle im Rahmen der Psychose zu sehen sind. Die Pati-entin ist durch viele Spitalsaufnah-men geschult, auf spezielle Fragen – wie zum Beispiel Augen- und Mund-trockenheit – entsprechend zu ant-worten.
Kriterien in der Klassifikation von rheumatischen Erkrankungen sind sinnvoll und schlußendlich auch wegweisend in der Diagnose, eine unkritische und unreflektierte An-wendung beim Einzelpatienten kann aber durchaus irreführend sein.
Korrespondenzadresse: OA Dr. Bernhard Rintelen II. Med. Abtlg.,
NÖ Zentrum für Rheumatologie (Vorstand: Prim. Dr. Burkhard Leeb) HUMANIS Klinikum NÖ;
Standort Stockerau
A-2000 Stockerau, Landstraße 16–18
B. Rintelen, B. Leeb
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FALLBERICHT
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