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Landessozialgericht Baden-Württemberg

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Geschäftsbericht

Landessozialgericht Baden-Württemberg

Geschäftsjahr 2019

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Vorwort des Präsidenten des Landessozialgerichts Baden-Württemberg

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

ich freue mich sehr, Ihnen den Geschäftsbericht des Landessozialgerichts Baden-Württemberg für das Jahr 2019 an die Hand zu geben.

Die Erfahrung der Corona-Pandemie und des

weitreichenden Lockdowns im öffentlichen Leben ab Ende März 2020 lassen die Erinnerung an das vorige Jahr schon verblassen. Die Justiz und damit auch das Landessozialgericht haben ihren Geschäftsbetrieb zeitweise stark zurückfahren und die Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort und zu Hause kurzfristig neu organisieren müssen. Gleichzeitig war aber der Zugang der Bürgerinnen und Bürger zur Rechtsprechung jederzeit zu gewährleisten. Und es war notwendig, voraussichtlich für längere Zeit, die Rechtsprechung unter Einhaltung strenger Abstands- und Hygieneregelungen neu zu organisieren. Für die mündlichen Verhandlungen mussten kurzfristig Schutzmaßnahmen in den Sitzungssälen eingebaut werden. Für das Landessozialgericht kam als Herausforderung hinzu, dass kurz vor Beginn des Lockdowns, am 3. März 2020, für die gesamte Rechtsprechung die elektronische Verfahrensakte eingeführt worden war. Dabei waren zum Beispiel alle Richterinnen und Richter und Teile der Verwaltung mit Notebooks und gesicherten Zugängen in unsere Datenverarbeitungssysteme ausgestattet worden. Dies hat die Arbeit im Homeoffice sehr erleichtert.

Das Jahr 2019 war im Vergleich dazu von dem normalen Geschäftsbetrieb der Sozialgerichtsbarkeit geprägt. Weiterhin beschäftigte uns dort der Datenschutz, der nach dem In-Kraft-Treten der Europäischen Datenschutzgrundverordnung strenger und wichtiger geworden ist. Nicht nur kontrolliert die Sozialgerichtsbarkeit auch die Einhaltung des Datenschutzes in den Verwaltungen der Sozialleistungsträger. Sondern auch bei der Arbeit in den Gerichten gab es Veränderungen. So können Tagesordnungen für Sitzungstage nicht mehr vollständig an verschiedene Sozialleistungsträger verschickt werden. Dadurch wird es diesen erschwert, die Teilnahme an den Verhandlungen zu bündeln und sich gegenseitig vertreten zu lassen.

Durch die Übersendung teilanonymisierter Tagesordnungen konnten wir dieses Problem aber lösen. Die im Bundesvergleich insgesamt kurzen Verfahrensdauern

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konnte die Sozialgerichtsbarkeit in Baden-Württemberg beibehalten. Allerdings sank schon im letzten Jahr die Zahl der Verfahrenseingänge nur noch leicht. Die gute wirtschaftliche Lage bescherte uns zwar weiterhin wenige Verfahren aus der Arbeitsförderung, allerdings stiegen die Eingänge im Bereich der existenzsichernden Leistungen (Grundsicherung für Arbeitsuchende, Sozialhilfe, Asylbewerberleistungsgesetz) leicht an.

Für die Zeit nach der Corona-Krise ist dagegen wieder ein stärkerer Anstieg zu erwarten.

Angesichts von zurzeit mehr als 10 Millionen angemeldeten Fällen von Kurzarbeit und deutlich steigender Arbeitslosigkeit ab April 2020 werden wahrscheinlich die Streitigkeiten in der Arbeitsförderung zunehmen. Das Gleiche gilt im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation vieler selbstständiger Gewerbetreibender und die finanzielle Lage vieler Familien für die Grundsicherung für Arbeitsuchende bzw. den Kinderzuschlag. Ferner hat der Gesetzgeber die Streitigkeiten über die Gewährung von Zuschüssen an Maßnahmeträger im Sozialleistungsbereich auf Grund des

„Sozialdienstleister-Einsatzgesetzes" aus dem März 2020 den Sozialgerichten zugewiesen. Diese werden bei uns auch statistisch gesondert erfasst.

Für ihre hervorragende Arbeit, ihren erheblichen Einsatz während der Corona-Krise und für ihre Aufstellung für die künftigen Herausforderungen danke ich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Sozialgerichtsbarkeit herzlich. Die Sozialgerichte des Landes sind gut gerüstet, um weiterhin dem hohen Anspruch gerecht zu werden, den Bürgerinnen und Bürgern Rechtsschutz zur Verwirklichung ihrer sozialen Rechte zu gewähren.

Ihr Bernd Mutschler

Präsident des Landessozialgerichts

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Inhalt

I. Die Sozialgerichtsbarkeit in Baden-Württemberg ... 5

II. Geschäftsentwicklung ... 6

1. Landessozialgericht Baden-Württemberg ... 6

a) Eingänge und Erledigungen ... 6

b) Entwicklungen in den einzelnen Rechtsgebieten ... 6

c) Verfahrensdauer ... 7

d) Überblicke über die Entwicklungen der letzten Jahre: ... 7

e) Übersicht nach Rechtsgebieten 2019 ... 9

2. Sozialgerichte ... 9

a) Eingänge und Erledigungen ... 9

b) Verfahrensdauer ... 10

c) Überblicke über die Verfahren vor den Sozialgerichten: ... 10

III. Die Einführung der elektronischen Gerichtsakte am LSG ... 11

IV. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg während der Covid-19- Pandemie ... 12

V. Fortbildung/Projekte 2019 ... 14

VI. Wichtige Entscheidungen des Landessozialgerichts im Jahre 2019 ... 16

1. Krankenversicherungs- und Kassenarztrecht ... 16

2. Entschädigungsrecht ... 17

3. Rentenversicherung ... 18

4. Unfallversicherung ... 19

5. Arbeitslosenversicherung ... 20

6. Grundsicherung für Arbeitsuchende, Sozialhilfe und Asylbewerberleistungs- gesetz ... 21

7. Recht der schwerbehinderten Menschen ... 22

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I. Die Sozialgerichtsbarkeit in Baden-Württemberg

Die Sozialgerichtsbarkeit gewährleistet in ganz Deutschland Rechtsschutz in nahezu dem gesamten Sozialrecht. Sie entscheidet zum Beispiel bei Streitigkeiten mit der gesetzlichen Rentenversicherung, den gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen, der Bundesagentur für Arbeit, den Unfallversicherungsträgern, den Jobcentern, Sozialämtern und Versorgungsämtern. Hinzu kommen unter anderem das Kassenarztrecht und kleinere Sozialrechtsbereiche wie Elterngeld oder Kinderzuschlag.

In Baden-Württemberg sind acht Sozialgerichte mit Sitz in Freiburg, Heilbronn, Karlsruhe, Konstanz, Mannheim, Reutlingen, Stuttgart und Ulm eingerichtet, die orts- und bürgernah die erste Anlaufstelle für rechtssuchende Bürgerinnen und Bürger sind. Zuständig für ein Verfahren ist meistens das Gericht am Wohn- oder Arbeitsort des Bürgers. Die zweite Instanz, das Landessozialgericht hat seinen Sitz zentral in Stuttgart.

Im Jahre 2019 waren in Baden- Württemberg am LSG 46,1 Stellen für Richterinnen und Richter vorgesehen, an den Sozialgerichten zusammen waren es 113,1. Zahlreiche Stellen, auch beim LSG, sind in Teilzeit besetzt. Regelmäßig absolvieren Richterinnen und Richter der Sozialgerichte eine in der Regel einjährige Erprobung am LSG, um sich für eine Verwendung in der zweiten Instanz oder in den Gerichtsleitungen zu qualifizieren.

Eine Besonderheit der Sozialgerichtsbarkeit ist die Beteiligung ehrenamtlicher Richterinnen und Richter. Sie stammen unter anderem aus den Kreisen der Arbeitnehmer und Versicherten, der Arbeitgeber, der Menschen mit Behinderung, der Vertreter der Kommunen und im Kassenarztrecht der Ärzte, Zahnärzte und Psychotherapeuten. Sie bringen ihre besonderen Erfahrungen aus der Berufswelt und dem Sozialleben ein und verankern die Rechtsprechung der Sozialgerichte in besonderer Weise in der Bevölkerung. Ihre Amtszeit beträgt 5 Jahre. 2019 waren am LSG 226 und an den Sozialgerichten 1393 ehrenamtliche Richterinnen und Richter tätig.

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Sie werden in aller Regel mindestens mehrmals im Jahr zu den mündlichen Verhandlungen herangezogen, in denen sie mit gleichem Stimmrecht wie der oder die Berufsrichter entscheiden.

II. Geschäftsentwicklung

1. Landessozialgericht Baden-Württemberg

a) Eingänge und Erledigungen

Im Jahr 2019 gingen beim LSG insgesamt 3.124 Berufungen und 451 Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (sog. Eilverfahren) neu ein. Die Eingänge waren erneut rückläufig (Berufungen 2018: 3.280; Eilanträge 2018: 498). Außerdem wurden 2019 insgesamt 37 Klageverfahren (Landessozialgericht als 1. Instanz) anhängig gemacht, davon 29 wegen vorgeblich überlanger. Am 31.12.2019 waren 3.170 unerledigte Verfahren (Berufungen) anhängig (gegenüber 3.106 Verfahren am 31.12.2018).

b) Entwicklungen in den einzelnen Rechtsgebieten

Eine höhere Zahl an Berufungen gab es im Bereich Asylbewerberleistungsgesetz (8 Berufungen gegenüber 4 im Vorjahr) und in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II („Hartz IV“: 357 Berufungen gegenüber 284 im Vorjahr).

Dagegen gingen die Berufungen in anderen Rechtsgebieten zurück. Im Einzelnen betraf diese Entwicklung die Kassenarztangelegenheiten (2019: 43 Berufungen; 2018: 65), die Verfahren zur Feststellung der Selbstständigkeit oder Beschäftigung (BA-Verfahren, 2019 waren dies 125 Berufungen gegenüber 140 im Jahre 2018), die Krankenversicherungsangelegenheiten (2019: 406 Berufungen; 2018: 500) und die Verfahren aus der gesetzlichen Unfallversicherung: (2019: 418 Berufungen; 2018: 471).

Die Eingangszahlen der übrigen Sachgebiete, insbesondere der gesetzlichen Rentenversicherung, bewegten sich etwa auf dem Niveau des Vorjahres.

Der Hauptanteil der Beschwerden in Eilverfahren entfiel auch im Jahr 2019 auf die Grundsicherung für Arbeitssuchende. Es handelte sich um 216 Verfahren (2018:

221), das waren 48 % aller Eilverfahren. Mit 84 Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Berufung (NZB) sowie 188 sonstigen Beschwerdeverfahren (bei insgesamt 139

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Nichtzulassungsbeschwerden und 435 sonstigen Beschwerden in allen Rechtsgebieten) war auch bei diesen Verfahrensarten die Grundsicherung am häufigsten betroffen.

Die größte Zahl an Berufungen (946) betraf auch im Jahr 2019 Streitigkeiten um Bescheide der Deutschen Rentenversicherung (2018: 941), im Wesentlichen mit dem Ziel einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Streitigkeiten aus dem Schwerbehindertenrecht nahmen den zweiten Platz in der Eingangsstatistik ein. Mit insgesamt 479 Berufungen lagen sie auf dem Niveau des Vorjahres. Drittplatziert waren Berufungen auf dem Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung mit 418 Eingängen.

Erst auf dem vierten Platz folgten die Streitigkeiten aus dem Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung (ohne Kassenarztangelegenheiten) mit 406 Eingängen und schließlich die Streitigkeiten aus dem SGB II mit den erwähnten 357 Berufungen.

c) Verfahrensdauer

Die durchschnittliche Verfahrensdauer der Berufungen lag 2019 bei 11,6 Monaten (2018: 11,4). Der Anteil der Verfahren, die älter als 3 Jahre sind, betrug nur 0,76 %.

d) Überblicke über die Entwicklungen der letzten Jahre:

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e) Übersicht nach Rechtsgebieten 2019

2. Sozialgerichte

a) Eingänge und Erledigungen

Auch bei den acht Sozialgerichten in Baden-Württemberg gingen die Eingänge 2019 tendenziell erneut zurück. Insgesamt wurden dort 30.487 Klagen und 2.496 Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt (zusammen 32.983). Die meisten Klageverfahren betrafen die gesetzliche Krankenversicherung (ohne Kassenarztangelegenheiten), nämlich 7.300 (ca. 24 %) der neuen Klagen. Dem folgen Streitigkeiten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, im Wesentlichen wegen einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (5.188 Klagen). Streitigkeiten des Schwerbehindertenrechts belegen den vierten Platz mit 4.244 neuen Klagen.

Anschließend folgen Angelegenheiten der Bundesagentur für Arbeit (1.807 Klagen) und die Unfallversicherung (1.780 Klagen). Im einstweiligen Rechtsschutz stellten auch hier die Verfahren der Grundsicherung für Arbeitsuchende mit 1.376 Eingängen den größten Anteil (55 %).

Die Anzahl der unerledigten Verfahren konnte von 32.101 im Vorjahr auf 30.596 offene Verfahren am 31.12.2019 reduziert werden. Insgesamt wurden 31.985 Klagen und 2.496 Eilrechtsverfahren erledigt.

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b) Verfahrensdauer

Die durchschnittliche Laufzeit aller Klagen vor den Sozialgerichten bewegte sich im Jahr 2019 mit 11,3 Monaten auf dem Niveau des Vorjahres (2018: 11,2 Monate). Nur 1,46 % der Verfahren war älter als 3 Jahre.

c) Überblicke über die Verfahren vor den Sozialgerichten:

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III. Die Einführung der elektronischen Gerichtsakte am LSG

Im März 2020 wurde bei allen Senaten des Landessozialgerichts die elektronische Akte für die Gerichtsverfahren („eAkte“) eingeführt. Die Arbeit der beiden „Pilotsenate“, die schon seit über einem Jahr ihre Verfahren elektronisch geführt hatten, war erfolgreich.

In Zeiten der eAkte kommunizieren Behörden und Anwälte elektronisch mit dem Gericht.

Außerdem kann z.B. digitale Akteneinsicht über einen Internet-Zugang genommen werden, sodass keine Akten mehr verschickt werden müssen. Der Datenschutz wird natürlich jederzeit gewahrt.

Und weiterhin können sich Kläger und Beklagte, die keinen Anwalt haben, schriftlich oder persönlich an das Landessozialgericht werden und ihre Anträge und Begehren hier aufnehmen lassen. Diese werden dann in der neuen Scan-Stelle bearbeitet und in der eAkte abgespeichert. Ebenso erhalten solche Beteiligten weiterhin alle gerichtlichen Schreiben auf Papier. Mit der

eAkte erhoffen sich das Land Baden-Württemberg und die Sozialgerichtsbarkeit Einsparungen an Papier und Kosten für Ausdrucke, Versand und Zustellungen. Die Arbeit in den Gerichtsverfahren soll schneller werden, es bleibt mehr Zeit, sich auf die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger zu konzentrieren. So kann eine eAkte parallel bearbeitet werden, z.B. von den Richterinnen und Richtern und gleichzeitig von den Geschäftsstellen des Gerichts. Auch ist der weitere Fortgang eines Verfahrens nicht erschwert, wenn sich die Akte z.B. bei einem Sachverständigen befindet.

Für die Sozialgerichtsbarkeit hieß die Einführung der eAkte Abschied zu nehmen von

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der fast zwei Jahrhunderte alten „Badischen Aktenordnung“ und von den dort geregelten besonderen Arten, Akten zu lochen, zu binden und zu lagern. Die speziellen Aktenknoten und die besonderen badischen Locher und Aktenstecher, die mit dieser Aktenführung verbunden waren, werden bald nicht mehr benötigt.

Auch die acht Sozialgerichte in Baden-Württemberg arbeiten inzwischen mit der eAkte. Als letztes von ihnen hat im Juni 2020 das Sozialgericht Heilbronn die elektronische Verfahrensführung aufgenommen, wegen der Corona-Pandemie etwas verspätet. Damit ist auch ein schneller elektronischer Aktenaustausch zwischen den Sozialgerichten und dem Landessozialgericht gewährleistet, sodass z.B.

Berufungsverfahren zügiger durchgeführt werden können.

IV. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg während der Covid- 19-Pandemie

Auch im Landessozialgericht wurde ab dem 16. März 2020 der Geschäftsbetrieb auf das unbedingt Nötige heruntergefahren, um soziale Kontakte und damit das Risiko einer Ansteckung mit dem neuartigen Corona-Virus zu vermeiden.

Die Richter konnten ihre Präsenzzeiten weitgehend verringern und ins Homeoffice wechseln, insbesondere weil das LSG kurz zuvor mit der elektronischen Aktenführung gestartet war. Allerdings mussten die Verbindungen in das Gericht und untereinander, auch in den jeweiligen Senaten, noch mit Telefon gehalten werden. Eine Video- Konferenz-Software für die Richter (Skype for Business) konnte leider nur in sehr geringer Zahl bereitgestellt werden. Bei einer weiteren Verbesserung der Ausstattung kann wahrscheinlich dauerhaft ein größerer Teil der richterlichen Arbeit vom Homeoffice aus erledigt werden, weil dann z.B. auch senatsinterne Besprechungen und die Vorberatungen der Verhandlungen online durchgeführt werden können.

Die Geschäftsstellen und die Verwaltung des LSG waren während des gesamten Lockdowns besetzt und erreichbar. Hierzu haben sich dankenswerterweise viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereit erklärt. Vor allem musste - wie an den acht Sozialgerichten in Baden-Württemberg auch - die Rechtsantragstelle geöffnet bleiben, damit Anträge weiterhin persönlich zur Niederschrift gestellt werden konnten. Gerade die Sozialgerichtsbarkeit ist für Streitigkeiten über solche Sozialleistungen zuständig, die in der wirtschaftlichen Krise aufgrund der Lockdown-Verordnungen für viele Menschen

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wichtig wurden, z.B. das Kurzarbeitergeld oder das Arbeitslosengeld II der Jobcenter.

Die Ausbildung der Rechtsreferendare wurde Ende April auf virtuellen Unterricht umgestellt. Auch dafür wurde eine Software für Video-Meetings bereitgestellt, und zwar landesweit einheitlich „WebEx“ von Cisco. Die Erfahrungsberichte sind gut. Die Ausbilderinnen und Ausbilder wurden in Probe-Meetings, überwiegend vom Regierungspräsidium Stuttgart organisiert, für den virtuellen Unterricht geschult.

Während des Lockdowns haben deutlich mehr Prozessbeteiligte, vor allem Anwälte und die Sozialleistungsträger, auf die an sich vorgeschriebene mündliche Verhandlung verzichtet, sodass die Rechtsprechung mit schriftlichen Entscheidungen weitgehend uneingeschränkt weiterlaufen konnte. Der Bund hat außerdem mit einem befristeten Änderungsgesetz in § 199 Sozialgerichtsgesetz Erleichterungen in das sozialgerichtliche Verfahren eingeführt, z.B. Video-Gerichtsverhandlungen gestärkt.

Diese Möglichkeit wurde, z.B. im 4. Senat des Landessozialgerichts, erfolgreich genutzt.

Bei der Wiederaufnahme des Präsenzbetriebs Ende April hatte das Landessozialgericht einen seiner Säle mit transparenten Trennwänden und ausreichenden Abstandsflächen für die Verhandlungen unter neuen Hygienebedingungen fit gemacht:

Gegenstand der Rechtsprechung war die Covid-19-Pandemie auch. So war zunächst am Sozialgericht Konstanz ein Eilverfahren anhängig, in dem ein Empfänger von Arbeitslosengeld II von seinem Jobcenter zusätzliches Geld verlangte, um sich -

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den Empfehlungen der Bundesregierung zu Beginn der Pandemie folgend - einen Vorrat an Lebensmitteln und Hygieneprodukten anzulegen. Aus anderen Ländern wurde von Verfahren berichtet, in denen von den Jobcentern Leistungen für das Homeschooling, also für W-lan-Anschlüsse, Hardware und Lernmaterial begehrt wurden, nachdem die Schulen geschlossen waren und die Schulträger den Familien oftmals diese Materialien nicht bereitgestellt haben. Im Landessozialgericht war die Pandemie mehrfach die Begründung für Verlegungsanträge, nachdem die mündlichen Verhandlungen wieder angelaufen waren. Oftmals gaben die Senate diesen Anträgen statt. Im Mai hat der Bundesgesetzgeber die Streitigkeiten nach dem im März erlassenen

„Sozialdienstleister-Einsatzgesetz“, mit dem die Sozialleistungsträger zu Zuschüssen an Maßnahmeträger und Sozialdiensterbringer verpflichtet werden, den Sozialgerichten zugewiesen. Das Landessozialgericht hat die statistische Erfassung dieser Verfahren geregelt. Generell werden die wirtschaftlichen Folgen der Krise wahrscheinlich auch in der Sozialgerichtsbarkeit die Verfahrenszahlen wieder steigen lassen.

V. Fortbildung/Projekte 2019

Auch im Geschäftsjahr 2019 nahmen wieder viele Richter/innen die zentralen Fortbildungsangeboten an der Deutschen Richterakademie mit Sitz in Trier und Wustrau wahr und reisten zur 51. Richterwoche des BSG nach Kassel.

In Baden-Württemberg begannen die Fortbildungen 2019 bereits am 20. Februar mit den seit Jahren etablierten „Tübinger Begegnungen“ in der Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen. Die Referenten dieses gemeinsam mit der DGUV veranstalteten unfallversicherungsrechtlichen Fachtages waren hochkarätig besetzt und deckten eine Vielzahl aktueller unfallrechtlicher Fragestellungen ab. Neben dem Ärztlichen Direktor der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Prof. Dr Stöckle und dem Präsidenten des Landessozialgerichts Baden-Württemberg Bernd Mutschler referierten Claudia Drechsel-Schlund (Geschäftsführerin der Bezirksverwaltung Würzburg der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege), Alexander Löhrke (Richter am Sozialgericht Heilbronn), Prof. Dr. med. Michael Wich (Stellvertretender Klinikdirektor Unfallkrankenhaus Berlin) sowie Prof. Dr. med. Dr.

Dipl.-Ing. Bernhard Widder (Neurowissenschaftliche Gutachtenstelle am Bezirkskrankenhaus Günzburg).

Am 07. März 2019 leitete Remco Salomé (Anästhesist und Medizincontroller;

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Geschäftsführer der Medcontroller GmbH) in den Räumlichkeiten des LSG das Seminar

„Praxisnahe Einführung in die Abrechnung stationärer Krankenhausleistungen, Fragestellungen bei der Kodierung und daraus entstehende Rechtsfragen“.

Die zweitägige Landestagung aller Richterinnen und Richter der Sozialgerichtsbarkeit in Baden-Württemberg fand am 27. und 28. Mai 2019 erstmals im bwgvhotel – Akademie Hotel in Karlsruhe statt. Prof. Dr. Malte Graßhof (Präsident des Verfassungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichts Stuttgart) hielt den Eröffnungsvortrag „Der Verfassungsgerichtshof Baden-Württemberg – Status, Aufgaben und Herausforderungen“. Weitere Referenten waren Richter am LSG Hamburg Dr. Anders Leopold („Datenschutz im sozialgerichtlichen Verfahren nach Einführung der DSGVO“) und Dipl.-Psychologin Kathrin Streich („Umgang mit schwierigen Prozessbeteiligten“). Am 2. Tag fanden wieder die beliebten und kollegial geleiteten Arbeitsgruppen statt.

Die Landestagung mit medizinischem Schwerpunkt fand am 26. September 2019 in Stuttgart statt. Dr. Maria Klose (Leiterin des Sozialmedizinischen Zentrums Stuttgart der DRV Baden-Württemberg) eröffnete mit dem Vortrag „Begutachtung und Leistungsbeurteilung in der Rentenversicherung“. Am Nachmittag referierte Prof. Dr.

Andreas Stevens (Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Medizinisches Begutachtungsinstitut Tübingen) über „Psychiatrische Begutachtung von Unfall/BK-Folgen und MdE-Schätzung“. Den Abschlussvortrag hielt der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. Rainer Passon zum Thema „Der Gutachtensauftrag des Sozialgerichts – Einblicke in die praktische Herangehensweise eines Gutachters“.

Für die Richterinnen und Richter der Sozialgerichtsbarkeit Baden-Württemberg fand das Fortbildungsjahr 2019 im Rahmen einer am 23. Oktober 2019 bei der Fa. Ed. Züblin AG durchgeführten gemeinsamen Fortbildungstagung mit der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg seinen Abschluss.

Ergänzend zu den für alle Richter/innen offenen Angeboten gab es am 23. Juli 2019 erstmalig seit längerem wieder eine speziell auf die Wünsche und Bedürfnisse von Berufseinsteigern ausgerichtete Tagung für Assessorinnen und Assessoren der Sozialgerichtsbarkeit des Landes Baden-Württemberg, in deren Rahmen erfahrene Richter/innen eine Vielzahl von Fragen ihrer jungen Kollegen/innen beantworteten. Als Referenten standen den Assesoren/innen RLSG Dr. Daniel O´Sullivan, Vors. RVG Dr.

Daniel Ostertag, RinSG Dr. Nora Rzadkowski, RSG Dr. Benjamin Schmidt und

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RLSG Dr. Christian Burkiczak mit Rat und Tat zur Seite.

Für die Servicekräfte beider Instanzen fand am 08. und 09. April 2019 die bekannte und bewährte zweitägige Tagung in Stuttgart-Hohenheim statt. Am ersten Tag schulte die Diplom-Psychologin (TU Berlin) Tanja Köhler die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Thema „Entspannter Umgang mit Veränderungsprozessen am Beispiel der e-Akte

“. Am Folgetag gab Thomas Wunderberg von e³ trainings, Karlsruhe einen Impulsvortrag „Improved Reading + Genial Digital“ über gehirngerechte Lese- und Merkstrategien für einen bewussten Umgang mit langen, digitalen Texten und Dr.

Carolin Schmidt-Volkmar vom Referat für Information und Kommunikation Ministerium der Justiz und für Europa Baden-Württemberg lieferte „Aktuelle Informationen zum eJustice-Programm“.

Die zweitägige Fortbildung für den gehobenen Dienst fand schließlich am 09. und 10. September 2019 statt. Am ersten Tag leitete Dipl. Verwaltungswirtin Petra Perlenfein, Karriereakademie Stuttgart, einen Workshop zum Thema „Resilienz - Berufliche Herausforderungen gekonnt meistern“. Am zweiten Tag gab die Fachanwältin für Arbeitsrecht RAin Caroline Charissé, WSW - Kanzlei Offenburg, einen Überblick über aktuelle Fragen des Arbeitsrechts bevor Oberregierungsrätin Birgit Walter einen Rückblick über „45 Jahre Sozialgerichtsbarkeit“ hielt.

VI. Wichtige Entscheidungen des Landessozialgerichts im Jahre 2019

1. Krankenversicherungs- und Kassenarztrecht

Das Krankenversicherungsrecht betrifft nicht nur die Ansprüche kranker und behinderter Versicherter. Auch Abrechnungsstreitigkeiten zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern, z.B. Krankenhäusern, machen einen Teil der Verfahren aus.

Bereits Ende 2018 war bundesweit eine Klagewelle der Krankenkassen gegen Krankenhäuser und andere stationäre Leistungserbringer über die Sozialgerichte hinweggerollt. Die Ursache waren gesetzliche Veränderungen bei der Verjährung von Erstattungsansprüchen für zu Unrecht gezahlte Krankenhausvergütungen durch das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz. Diese Verfahren konnten im Jahre 2019 weitgehend erledigt werden, auch weil sich noch 2018 die Deutsche Krankenhausgesellschaft, der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Verbände der Kassenarten auf Bundesebene unter Vermittlung des Bundesgesundheitsministers auf eine gemeinsame

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Empfehlung für alle Klagefälle und Aufrechnungen geeinigt hatten. Eine ähnliche Welle wurde auf Grund einer weiteren Gesetzesänderung durch das „MDK-Reformgesetz“

Ende 2019 erwartet, ist aber bislang nicht in dem befürchteten Umfang entstanden.

Ein Beispiel für eine Entscheidung in dem komplexen Rechtsgebiet der Abrechnung ist das Urteil des 11. Senats vom 23. Juli 2019 (L 11 KR 4533/18). Dort war eine Versicherte dreimal in kürzesten Abständen in demselben Krankenhaus behandelt worden, und zwar bei dem ersten und dritten Aufenthalt wegen derselben Diagnosen. Das Krankenhaus hatte Fallpauschalen für alle Aufenthalte gesondert abgerechnet, während die Krankenkasse der Versicherten auf eine Zusammenrechnung des ersten und dritten Aufenthalts bestand, weil die mittlere Behandlung wegen einer anderen Diagnose den Zusammenhang nicht unterbrochen habe. Der 11. Senat gab der Krankenkasse recht, weil nach der Fallpauschalenverordnung zwei Aufenthalte binnen 30 Tagen in demselben Krankenhaus mit derselben Hauptdiagnosegruppe zusammengeführt werden müssen und der mittlere Aufenthalt hier keine Zäsurwirkung entfaltet habe.

In den Verfahren Versicherter gegen ihre Krankenkasse geht es oft auch um eine bestimmte medizinische Behandlung. So hat der 11. Senat in einem Eilbeschluss am 15. Juni 2019 (L 11 KR 1738/19 ER-B) auf den Antrag eines Versicherten mit Amyotropher Lateralsklerose (ALS) hin entschieden, dass neben der Frequenztherapie nach Dr. Rife auch die Immuntherapie mit BG-Mun nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehört, weil BG-Mun kein arzneimittelähnliches Medizinprodukt ist, sondern ein funktionelles Lebensmittel ohne wissenschaftlich belegte spürbar positive Entwicklung auf den Krankheitsverlauf (vgl. Pressemitteilung vom 16.10.2019).

In dem politisch sehr umstrittenen Gebiet der Beitragspflicht von Zahlungen aus einer privaten Altersversorgung gibt es viele Abgrenzungsfragen. So hat sich das LSG im Jahre 2019 z.B. mit einer als Direktversicherung abgeschlossenen Lebensversicherung (Urteil vom 23. Juli 2019, L 11 KR 3507/18), mit den obligatorischen und überobligatorischen Leistungsanteilen einer schweizerischen Pensionskasse (Urteil vom 28. Juni 2019, L 4 KR 1556/18) oder einer Versorgungszusage auf Kapitalbasis, einer „Deferred Compensation“ (Urteil vom 14. Mai 2019 – L 11 KR 4035/18), beschäftigt.

2. Entschädigungsrecht

Das Recht der Sozialen Entschädigung, oft noch „Versorgungsrecht“ genannt, umfasst

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heute im Wesentlichen Impfschäden, die Folgen einer Gewalttat und die Folgen des Dienstes bei der Bundeswehr. Gerade das Opferentschädigungsrecht ist seit dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz Ende 2016 in die Diskussion geraten und wird derzeit reformiert und zusammengefasst werden, wahrscheinlich in einem neuen Vierzehnten Buch Sozialgesetzbuch (SGB XIV).

Ein häufiger Grund für Streitverfahren im Opferentschädigungsrecht sind behauptete Misshandlungen und sexuelle Missbrauchstaten in der Kindheit mit der Folge einer psychischen Erkrankung. Hier bemüht sich der beim LSG alleinzuständige 6. Senat regelmäßig um eine umfassende Aufklärung und führt umfangreiche Ermittlungen durch. Oftmals jedoch lassen sich behauptete Gewalttaten vor vielen Jahrzehnten, gerade im innerfamiliären Bereich, nicht mehr nachweisen. Dies zeigt sich z.B. in dem Urteil vom 6. Dezember 2018 (L 6 VG 2096/17), das sich mit behaupteten Kindesmisshandlungen in der Zeit von etwa 1974 bis etwa 1990, die z.T. im Ausland begangen worden sein sollten, befasst hat.

3. Rentenversicherung

Die streitigen Verfahren der gesetzlichen Rentenversicherung betreffen oft eine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderungsrente. Eine solche Rente setzt voraus, dass das Leistungsvermögen wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als drei oder zumindest weniger als 6 Stunden arbeitstäglich gesunken ist. In der Praxis wird oft um das Leistungsvermögen gestritten. Nur selten ist streitig, ob überhaupt eine Krankheit oder Behinderung vorliegt. Vor diesem Hintergrund hat der 8. Senat am 19.

Februar 2010 entschieden, dass bei einer HIV-Infektion kein Rentenanspruch besteht, wenn diese medikamentös unter Kontrolle ist und daher von einem normal funktionierenden Immunsystem ohne erhöhte Infektanfälligkeit auszugehen ist (L 8 R 2066/18).

Um Altersrenten wird verhältnismäßig selten gestritten. Hier gab es noch vereinzelte Verfahren anerkannter Spätaussiedler zur Anerkennung von Beschäftigungs- und Beitragszeiten in den Ländern des früheren Ostblocks nach dem Fremdrentengesetz.

So hat der 7. Senat in seinem Urteil vom 21. Februar 2019 (L 7 R 4280/17) die unterschiedlichen Anforderungen an den Nachweis von Beschäftigungs- und Beitragszeiten in der früheren Sowjetunion im Vergleich zu Rumänien herausgearbeitet.

Auch die 2012 eingeführte Altersrente für besonders langjährig Versicherte, die grundsätzlich 45 Beitragsjahre voraussetzt, führt nach wie vor zu Verfahren. Für diesen

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Zeitraum werden z.B. Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld vor Rentenbeginn nur anerkannt, wenn der Arbeitgeber des Versicherten insolvent geworden oder seinen Geschäftsbetrieb aufgegeben hatte. Hierzu hat der 2. Senat entschieden, dass eine Geschäftsaufgabe schon dann vorliegt, wenn die gesamte Produktionstätigkeit aufgegeben wurde, aber der Arbeitgeber im Handelsregister nicht gelöscht wurde und weiterhin sein Unternehmensgrundstück durch Verpachtung nutzt (Urteil vom 3. Juli 2019 – L 2 R 247/18 –).

Im Bereich der Hinterbliebenenrenten musste der 2. Senat (Urteil vom 9. Oktober 2019, L 2 R 3931/18) entscheiden, ob eine „Versorgungsehe“ vorlag. Witwen- und Witwerrente wird nicht gewährt, wenn der Versicherte früher als ein Jahr nach der Eheschließung verstirbt, es sei denn, es gibt gewichtige Anhaltspunkte, dass die Heirat nicht nur der Erlangung der Hinterbliebenenrente dient. Die Entscheidung des 2. Senats betraf einen Versicherten mit einem langjährigen Prostatakarzinom, das am Ende der Erkrankung stark metastasierte. Jedoch war der Gesundheitszustand bei der Heirat besser gewesen, das prostataspezifische Antigen war bis unter die Nachweisgrenze gesunken. Außerdem konnte die Witwe nachweisen, dass die Heirat schon länger geplant gewesen und wegen anderer Umstände als der Krebserkrankung verschoben worden war. Aus diesen Gründen hat der 2. Senat eine Versorgungsehe verneint und Witwenrente zugesprochen (vgl. Pressemitteilung vom 10. Oktober 2019).

4. Unfallversicherung

In der gesetzlichen Unfallversicherung wird oft um die Anerkennung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und - daraus folgend - um Verletztenrenten gestritten. Auch Streitigkeiten zwischen den Arbeitgebern und den Berufsgenossenschaften wegen der Höhe der Beiträge kommen relativ oft vor.

Zu den Arbeitsunfällen gehören auch Unfälle auf dem Weg zur Beschäftigung oder zurück. Versichert ist hier aber nur die allgemeine, verkehrsspezifische Gefahr.

Verrichtet der Versicherte eine private Tätigkeit und verunfallt dabei, besteht kein Schutz. Hierzu hat der 12. Senat am 03. September 2019 entschieden, dass nur die nachgewiesene private Handynutzung am Steuer eines Kraftfahrzeuges den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung ausschließt und dass allein das Auffinden eines Mobiltelefons auf dem Schoß des verunfallten Versicherten nicht den Schluss zulässt, es habe sich keine spezifische, versicherte Verkehrsgefahr verwirklicht (L 12 U 2610/18).

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Häufige Berufskrankheiten sind Meniskusschäden (BK 2102), die Gonarthrose im Kniebereich (BK 2112), die Lärmschwerhörigkeit (BK 2301) oder Erkrankungen der Atemwege. Eine Folgefrage in diesem Zusammenhang betraf das Urteil des 6. Senats vom 21. März 2019 (L 6 U 1806/18). Dort hatten die Ärzte des Versicherten auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin die Berufskrankheit (BK 4105, eine Asbesterkrankung) nicht an die Berufsgenossenschaft gemeldet, bevor er starb. Seine Witwe erhielt zwar später Witwenrente. Aber der Anspruch des Versicherten auf seine eigene Rente, den er zu Lebzeiten hatte, war mit seinem Tode erloschen und nicht vererbt worden, weil nach dem Verfahrensrecht solche Ansprüche nur vererbt werden, wenn zur Zeit des Todes zumindest schon ein Verwaltungsverfahren anhängig ist.

Ein eher kleiner Bereich des Beitragsrechts ist die Nachhaftung eines Unternehmens für nicht abgeführte Beiträge ihrer Subunternehmer (Generalunternehmerhaftung).

Diese Nachhaftung war bislang im Wesentlichen auf Bauunternehmen beschränkt und wurde jetzt im Juni 2020 auf Transport- und Logistikunternehmer für die von ihnen beauftragten Kurierfahrer erstreckt. Die Bauunternehmerhaftung ist beschränkt, es gilt eine Bagatellgrenze von € 275.000,-. Hierzu hat der 6. Senat am 29. August 2019 (L 6 U 3728/18) - zu Gunsten kleinerer Bauunternehmen - entschieden, dass diese Bagatellgrenze schon dann eingreift, wenn alle Subunternehmeraufträge des haftenden Bauunternehmens diese Summe nicht erreichen, und nicht nur dann, wenn das gesamte Bauvorhaben unterhalb dieser Schwelle bleibt.

5. Arbeitslosenversicherung

Die Zahl der Verfahren aus der Arbeitslosenversicherung war angesichts der guten wirtschaftlichen Lage im letzten Jahr weiterhin niedrig. Weiterhin wird relativ oft um die Berechtigung von Sperrzeiten gestritten, die eintreten, wenn ein Versicherter ohne wichtigen Grund z.B. selbst sein Arbeitsverhältnis auflöst oder nicht zu Fortbildungsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit erscheint. Eine weitere Frage betrifft die ausreichenden Vorversicherungszeiten für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld („Anwartschaftszeit“). Hierzu hat z.B. der 13. Senat des LSG entschieden, dass eine Umschulung, die ein Träger der Sozialversicherung als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben bewilligt hat und für die der Rehabilitand Übergangsgeld erhält, versicherungspflichtig in der Arbeitslosenversicherung ist, wenn sie im Rahmen eines Berufsausbildungsvertrages nach dem Berufsbildungsgesetz in einer außerbetrieblichen Einrichtung durchgeführt wird (Urteil vom 19. März 2019 – L 13 AL 4184/17).

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6. Grundsicherung für Arbeitsuchende, Sozialhilfe und Asylbewerberleistungsgesetz

Im Bereich der existenzsichernden Leistungen war die Zahl der Verfahren im Jahre 2019 schon wieder leicht angestiegen.

Weiterhin ist dabei vor allem die Grundsicherung für Arbeitsuchende („Hartz IV“), die 2019 bundesweit von 5,5 bis 6,0 Millionen Menschen bezogen wurde, streitträchtig.

Auch mehr als 15 Jahre nach ihrem In-Kraft-Treten sind regelmäßig auch grundsätzliche Fragen zu entscheiden.

So hatte sich der 7. Senat in seinem Urteil vom 27. Juni 2019 (L 7 AS 1391/17) mit dem Verhältnis der Grundsicherung zum Familienrecht zu befassen. Er hat dabei entschieden, dass Zahlungen aus einem Zugewinnausgleich nach der Scheidung einer Ehe im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft, die der Leistungsbezieher erhält, als Einkommen einzustufen sind und nicht als Vermögen (und daher weitergehend anzurechnen sind), weil Zugewinnausgleichsforderungen erst während des Scheidungsverfahrens entstehen, es sich also nicht nur um eine Umschichtung schon vorhandenen Vermögens handelt.

Einen erbrechtlichen Einschlag hat dagegen das Urteil des 3. Senats vom 27. Juni 2019 (L 3 AS 2553/19). Danach steht fest, dass auch der bloße Erbanteil des Leistungsbeziehers an einem im Eigentum einer Erbengemeinschaft stehenden Haus (das er nicht selbst bewohnt) Vermögen ist, auch wenn es sich um eine

„Gesamthandsgemeinschaft“ handelt, und dass dieser Vermögenswert „verwertbar“ im Sinne des Grundsicherungsrechts ist, solange der Leistungsbezieher einen Auseinandersetzungsanspruch gegen die übrigen Miterben innehat, auch wenn er diesen nicht geltend macht.

Verfahren aus der Sozialhilfe betreffen seltener die laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt, die nur für voll erwerbsgeminderte Menschen in Frage kommen.

Häufiger betreffen Prozesse die Hilfen in besonderen Lebenslagen.

Zu diesen besonderen Hilfen gehört die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen.

Hier hat z.B. der 2. Senat des LSG - wie schon das Sozialgericht Reutlingen - einem 1980 geborenen, bei seinen Eltern lebenden Kläger mit einer spastischen Tetraparese gegen den Sozialhilfeträger einen Anspruch auf einen Schwenk-Hub-Sitz für das Kfz seiner Eltern zugesprochen (Urteil vom 17. April 2019 – L 2 SO 2287/18).

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Mit der Abgrenzung zwischen dieser Eingliederungshilfe und der ebenfalls sozialhilferechtlichen Hilfe zur Pflege befasst sich das Urteil des 7. Senats vom 16. Mai 2019 (L 7 SO 4797/16). Danach kann ein behinderter Mensch für die Tätigkeit im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfBM) weiterhin Eingliederungshilfe erhalten, auch wenn er zugleich in einer vollstationären Pflegeeinrichtung wohnt und bereits Hilfe zur Pflege bezieht. Beide Leistungen sind nach Ansicht des 7. Senats weder zweckidentisch noch ist die Eingliederungshilfe nachrangig.

Die - wenigen - Fälle nach dem Asylbewerberleistungsgesetz betreffen vor allem die Anspruchseinschränkungen (§ 1a AsylbLG), die unter anderem dann eintreten, wenn der Asylsuchende bereits einen Schutzstatus in einem anderen Land genießt (vgl. die Dublin-III-Verordnung der EU), die einer vollziehbaren Ausreisepflicht nicht nachkommen oder die ihren Aufenthalt in Deutschland vorwerfbar verlängern, weil sie z.B. an der Aufklärung ihrer Identität und Nationalität nicht ausreichend mitwirken.

Hierzu hat das LSG entschieden, dass auch die Gewährung internationalen Schutzes durch die Republik Griechenland im Jahr 2017 die Anspruchseinschränkung auslöst, weil eine Ausreise dorthin zumutbar sei, auch wenn Zweifel daran beständen, dass Griechenland dorthin zurückkehrende Flüchtlinge europarechtskonform ausreichend versorge (Beschluss des 7. Senats vom 14. Mai 2019 – L 7 AY 1161/19 ER-B).

7. Recht der schwerbehinderten Menschen

Das Recht der schwerbehinderten Menschen, das in Baden-Württemberg von den 35 Versorgungsämtern in den Landratsämtern durchgeführt wird, führt angesichts der großen Zahl Betroffener regelmäßig zu hohen Verfahrenszahlen. Sehr medizinisch geprägt sind dabei die Verfahren über die Höhe des „Grades der Behinderung“, der in 10-er-Schritten von 20 bis 100 festgestellt werden kann, wobei Schwerbehinderung ab einem GdB von 50 vorliegt. Daneben betreffen die Prozesse die verschiedenen Nachteilsausgleiche für behinderte Menschen („Merkzeichen“), z.B. „G“ (gehbehindert, Ermäßigung bei der Kfz-Steuer oder im ÖPNV), „aG" (außergewöhnlich gehbehindert, Behindertenparkplätze), „H“ (hilflos, z.B. Freibeträge bei der Einkommensteuer) oder

„RF“ (Unmöglichkeit der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen, führt zu einer Ermäßigung der Rundfunkbeiträge um 2/3). In diesem Rahmen wurde z.B. entschieden, dass das Merkzeichen „B“ (Notwendigkeit ständiger Begleitung im öffentlichen Verkehr, kostenlose Mitfahrt des Begleiters) auch dann zuzuerkennen ist, wenn zwar keiner der

„Regelfälle“ vorliegt, aber der behinderte Mensch an mehreren, unterschiedlichen

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Behinderungen leidet, die allesamt sein Bewegungsvermögen im Straßenverkehr so einschränken, dass sie in einer "funktionellen Gesamtschau" den Grad des Merkzeichens „B“ erreichen (Urteil des 8. Senats vom 22. März 2019 – L 8 SB 3550/18).

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Richter am Landessozialgericht Joachim von Berg Richter am Landessozialgericht Dr. Daniel O´Sullivan

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