DasProblemdesBöseninderPhilosophie
JózefTischners
1TadeuszGADACZ
Kraków
ABSTRACT
The paper presents several understandings of evil distinguished by Józef Tischner, such as axiologicalevil,agathologicalevilandstructuralevil.Whileexposingthephenomenological approachofTischner,Gadaczdiscussesevilas‘aphantom’thataccompaniestheverysource formofexperiencewhich,accordingtoTischner,standsfortheepisodeofmeetinganother man.Inthisperspectiveevilasaghostprovestobethesourceexperienceaswell,alikethe episode of meeting being the source of the happening of the good and freedom. Therefore, theoriginalexperiencedoesnotinformuswhethersomethingexistsoritshouldbesuchand so,butrathertellsusthatthereissomethingwhichoughtnottobe.
ZuseinheißtinWirklichkeit:
ausdemNichtsdesunsumgebendenBösen Guteszustandezubringen2
(Tischner1991:121).
Das Problem des Bösen3ist für Tischner ein ewiges philosophisches
Pro-blem,dasmitderconditiohumanazusammenhängt.Inseineraxiologischen InterpretationdesplatonischenHöhlengleichnissesschreibtTischner:
WasmachtunsdieseErfahrungsichtbar?Nun,dieWelt,inderwirleben,istnichtjene Welt, wie sie sein könnte und sollte. Die ursprüngliche axiologische Erfahrung sagt uns
1 DiepolnischeVersiondiesesAufsatzeserschienalsTadeuszGadacz(2005):Problem
zławilozoiiJ.Tischnera,HoryzontyWychowania4,21–40.
2 Alle Übersetzungen den zitierten Werken von Józef Tischner wurden vom Verfasser
angefertigt.
3 „Böses“ wird hier auch das genannt, was im Deutschen häuig als „Übel“
wiederge-geben wird („geringeres Übel“, „moralisches Übel“). „Böses“ und „Übel“ werden im Polnischeneinheitlichalszłobezeichnet(vgl.daslateinischemalum).
nicht,dassetwasdaseinsollte,wasnichtdaist.Siesagtunsauchnicht,dasswirdaseine tun,dasanderelassensollen.Alldieserweistsichalssekundär.PrimäristnurdiesesEine: esgibtetwas,wasesnichtgebensollte.DiesichtbareWeltistdieVortäuschungeinerWelt. PrometheusistandieWandgenagelt—aberwarum,wofür?WirallelebenineinerHöh- levollerSchatten—warumsindwirhierangekettet?WarumleidendieGerechten?Wa-rummussteSokratesaufsolcheWeisesterben?Primäristimmereines:esgibtetwas,was esnichtgebensollte(Tischner1982a:485–486)
Das 20. Jahrhundert, Zeuge der Konzentrationslager und der Gulag, zwingtunszudem,dieFragenachdemBösenerneutzustellen.DasBöse desNazismusunddesKommunismus,sagtTischner,lässtesunsinsei-ner Radikalität möglich erscheinen, dass unser Leben in die Zeit eines modernenManichäismusfällt.
Ganz allgemein gesprochen: der Manichäismus hat sich heutzutage zu einer Philoso-phieentwickelt,dienichtdieNichtexistenzdesGutenverkündet,sondernbehauptet, dasGuteexistierenurinsofernundinHinsichtdarauf,dassesdemBösenalsNahrung dient.DerletzteAktdesmenschlichenDramasgehörtdenDämonen.DasBösealsin-telligenter Parasit gestattet dem Guten ein Wachstum bis zur Zeit der Ernte; sodann stelltsichheraus,dassesnurgewachsenist,umdenTriumphdesBösenzuvergrößern. Der grundlegende Sinn des menschlichen Dramas ist vom Bösen vorgegeben worden (Tischner1991:109).
DersoverstandeneManichäismushatzweiGesichter:Nihilismusund Pessimismus.DerNihilismusbehauptet,dassobjektiveundverbindliche Wertenichtexistieren.DerPessimismusgehthingegendavonaus,dass sie zwar existieren, jedoch in unerreichbarer Ferne für den schwachen Menschen. Der Umstand, dass diese moderne Form des Manichäismus denkmöglichist,zwingtunsmitallerMacht,dieFragenachdemBösen erneutzustellen.
DasBöseistjedoch,ebensowiedasGute,keinGegenstand,sondern etwas, woran der Mensch teilhat. Daher ist es nicht objektivierbar, und das wiederum heißt: es ist unbestimmbar. Wir können nur danach fra-gen, wie es in Erscheinung tritt. Tischner erwägt drei Erscheinungswei- sen:dieaxiologische,dieagathologische(dialogische)unddiestrukturel-lebzw.dämonische.
DieWurzeldesBösenistdemnacheinmannigfaltigverstandeneraxiolo-gischerSubjektivismus.DasBösekannaufGrunddiverserStörungender WertehierarchieindieExistenzeintreten.AlserstedieserStörungentritt uns moralische Einseitigkeit bzw. Enge entgegen: im Streben nach der UmsetzungniedererWertewerdenhöhereignoriert.
DieFreudeangewissenAnnehmlichkeitenundBequemlichkeitenkannderGesundheit desMenschenabträglichsein,dieeinseitigeEntwicklungkörperlich-vitalerWertekann die Entwicklung geistiger Werte beeinträchtigen und ein einseitiges Sich-Verlieren in dieSphäregeistigerWertekanndenMenschenfürdasunzugänglichmachen,waswirk-lichheiligist(Tischner1982:77).
EinseitigkeitkannauchinumgekehrterRichtungvorliegen,dannnäm-lich,wennimStrebennachderUmsetzunghöhererWertediealsniedriger eingestuftenWerteübergangenwerden.EineandereArtaxiologischenSub-jektivismusistdieArglist:höhereWertewerdenmitdemZielverwirklicht, einenWertniederenRangeszuerlangen.DieskannalsVerlogenheitoder NiedertrachtzuTagetreten.AlsBeispielfürVerlogenheitsahTischnerdie Haltung Raskolnikows an (Schuld und Sühne). Dieser entschied sich zum MordanderWucherin,umanGeldfürdenAbschlussseinesRechtsstudi- umszukommen.DiesubjektivenAbsichtendesHandelndenvermögenje-dochdieobjektiveWerteordnungnichtzuändernund„sindnichtsweiter als ein Ausdruck menschlichen Willens, der in seinem Wirken entweder ‘gut’oder‘böse’ist,derentwederdemRufderWertefolgtoderdiesenRuf miteigenenSchreienübertönt“(Tischner1982:81).
HatteTischnerindererstenPhaseseinesDenkenseineobjektiveWer-tehierarchiealsursprünglichangenommen,soerkannteerinderdarauf folgendenPhase,inwelcheauchdieEntdeckungderagathologischenDi-mension fällt, dass hier die Anwesenheit des anderen Menschen ur-sprünglich ist. So schrieb er bereits in derEthik der Werte und der Hoff-nung :„NichtdieWerte,nichtdieNormenundnichtdieGebotesind‘zu-erst da’, sondern die Anwesenheit des anderen Menschen“ (Tischner 1982:85).DieErfahrungderAnwesenheitdesanderensahTischnervon
nun an als Grunderfahrung an4. Der Begriff der Agathologie erschien
erstmaligzweiJahrespäter(1978)inderArbeitDaswertorientierteDenken (Myśleniewedługwartości)5undginganschließendindiePhilosophiedes
Dramasein.DiesewarTischnerseigenesModellderPhänomenologie. DasWesenjeglichenDramasbestehtfürTischnerimDramavonGut und Böse, bzw., um genau zu sein, von Böse und Gut. Wir lesen: „das
4 Vgl.Tichner(2003:128).
5 Der Titel des ganzen Sammelbandes wurde diesem in ihm stehenden Aufsatz
GutebeindetsichzwarnäheranunsererGeschichte,aberdasBöseliegt unseren Erfahrungen näher. Eine Philosophie, die sich zur Anwendung der phänomenologischen Methode bekennt, ist gewissermaßen von vornhereindazuverurteilt,derErforschungdesBösendenPrimatvorder Erforschung des Guten einzuräumen“ (Tischner 1991: 98). Und weiter: „DasDramavonGutundBöseversammeltinsichalleArtendesDramas. [...]NurderMenschistSubjektdesDramasvonGutundBöse,dennnur derMenschhataneinemwieamanderenteil;ihmisteszuverdanken— oder anzulasten — dass das Gute und das Böse in die Welt gelangen“ (Tischner 1991: 98).Dieses Drama ist in seinem Wesen metaphysisch.
„DerMenschnimmtamDramateil,unddurchseineSeinsweise‘spricht’ er die Metaphysik von Gut und Böse ‘aus’“ (Tischner 1991: 98).Erst in
einemsekundärenSinnistdasDramaethischundreligiös.NachTisch-ner müssen wir das Böse vom Unglück unterscheiden. Damit wollte TischnerdasBöseaufdasHandelnvonPersonenzurückführen.DasBöse istinterpersonell.
Das Unglück ist nur in der Beziehung des Menschen zur Szene des Dramas, das heißt zur Welt, möglich zu verstehen, das Böse hingegen trittindenBeziehungenzwischendenHeldendesDramaszutage.Esist Verrat,Lüge,Verachtung,Diebstahlu.a.EsistdaherkeinSeiendes,kein Gegenstandbzw.Sache6.DasUnglückwiederum,vonTischnermitunter
auch als ontologisches Böses bezeichnet, tritt am vollständigsten in der ErfahrungdesTodesinErscheinung.„FürdieontologischeInterpretati-on ist der Tod das Böse alles Bösen“ (Tischner 1998: 187)7. Will man
TischnersUnterscheidungzwischenUnglückundBösemaufdiebekann-teUnterscheidungbeziehen,dieGottfriedWilhelmLeibnizinder Theo-dizee trifft,soentsprichtTischnersBegriffdesUnglücksdemmetaphysi-schen und physitrifft,soentsprichtTischnersBegriffdesUnglücksdemmetaphysi-schen Bösen (bzw. „Übel“) bei Leibniz, und Tischners Begriff des Bösen dem Leibniz’schen moralischen Bösen (bzw. „Übel“). SomitverdientnachTischnersAuffassungausschließlichdasmoralische Böse die Bezeichnung „Böses“, denn als einziges hat es seinen Verursa- cherineinemMenschen.DasBöseistwesentlichmitdemGutenverbun-den,unddasGutemitdemBösen.„DasWesendesDramasistohnedie BegriffedesGutenunddesBösenundenkbar“(Tischner1991:16).
Mög-lich ist das Drama daher in einem agathologischen Horizont. „Der aga- thologischeHorizont“,schreibtTischner,„istsobeschaffen,dassalleEr-scheinungsweisen meiner Person und des anderen Menschen unter der
6 Vgl.Tischner(1991:17).
7 Die deutsche Ausgabe dieses Buches (Tischner 1989) stand bei der Übersetzung des
Macht eines eigentümlichen Logos stehen — des Logos von Gut und Böse,BesserenundSchlechteren,AufstiegundUntergang,SiegundNie-derlage, Erlösung und Verdammnis“ (Tischner 1998: 63).Dies bedeutet
fürTischner,zumErsten,dassdasBöseimzwischenmenschlichenRaum inErscheinungtrittunduntrennbarmitdemGutenverbundenist.Zum Zweiten bedeutet dies, dass das Böse außerhalb des Seins ist. Die Ideen desGuten,WahrenundSchönensindnuraufeinerEbeneewigerIdeen austauschbar.InderendlichenErfahrungdermenschlichenExistenzste-hen sie miteinander im Streit. Der agathologische Raum ist daher der RaumdesDramas.
DieTranszendentaliendeckensichmöglicherweiseirgendwoindenHöhenvonAbstrak-tion und Ewigkeit. Werden sie jedoch so erfahren, wie sie im menschlichen Drama der Vergänglichkeitauftreten,beindensiesichmiteinanderineinemKonliktzustand suige-neris. Daher erhebt sich die Frage: ist das Sein wirklich Sein oder nur ein Anschein von Sein?EnthülltdasSchönevorunsdieWahrheitderWeltodernährtesunsmitbloßen Lügen?Istdas,wasalsguterscheint,wirklichgut?IstdieWahrheitauchdannwahr,wenn sieunsunglücklichmacht?Istesbesser,mitLügenzuleben,dieunsglücklichmachen, odermitWahrheiten,dieunsUnglückbringen?WeildieTranszendentalienimStreitste-hen,entdecktderMensch,dassseineWeltRisseaufweistunddasserselbsteinWesenist, durchdasRissegehen—imeigentlichen,nichtimzufälligenSinneeindramatischesWe-sen(Tischner1998:53).
Eine Antwort auf die radikale Frage, woher das Böse stammt, wäre demnach erst dann möglich, wenn wir einige andere Fragen beantwor- ten:WarummussderRaum,indemwirleben,vomStreitzwischenGu-tem,WahremundSchönemgeprägtsein?Warummüssenwirineinem solch dramatischen Raum leben? Auf diese und ähnliche Fragen gibt es jedochkeineAntworten.DaherhältTischnernurfest,dassderMensch eindramatischesWesenist,dasheißteinWesen,welchesdasGutenur umdenPreisdesBösenerfahrenkann.DieEntdeckungdesagathologi-schen Horizonts bzw. Raumes bedeutet freilich nicht, dass Tischner auf dieaxiologischeDimensionverzichtenwürde.In DaswertorientierteDen-kenschreibterüberbeideDimensionenmenschlicherErfahrung:
kommt es zur axiologischen Erfahrung, die im Kern besagt: „wenn du willst, kannst du...“.Jetzterstversucheichzuerkennen,waszutun,wievorzugehen,werzuretten, wem hinterherzulaufen und was aufzugeben ist. Die agathologische Erfahrung ist vor allem eine offenlegende, die axiologische hingegen eine entwerfende, projizierende bzw.projektierende(Tischner1982a:490f.).
Man kann es auch folgendermaßen sagen: „das Agathologische be-wirkt, dass die Existenz als solche zum Problem wird“ (Tischner 1998: 69). Das Problem bringt den Menschen dazu, sich der Begrenztheit der Menschlichkeit zu stellen. Dabei zeigt das Agathologische Handlungs-richtungenauf.
DieGabedesagathologischenHorizontsistdas„Antlitz“,sagtTisch-nerunterBerufungaufdasKonzeptdesAntlitzesbeiEmmanuelLévinas. SachenhabeneinAussehen,MenschenhabeneinAntlitz.Ursprungder BegegnungunddesDramasistdieOffenbarungdesAntlitzes.„DasAnt-litz ist Ausdruck jener existentiellen Bewegung, in welcher der Mensch sichdafürzurechtfertigenversucht,dasserdaist,undinwelcherersei-ne Existenz dem Schutz des Guten anempiehlt, das ihm Hoffnung bringt“(Tischner1998:85).
DasAntlitzisteineSpurdesGuten,seineAn-kündigung, zugleich aber enthüllt es mögliches Böses. Der andere zeigt sichmiraufdemWegederAnwesenheitundSeinsintuition.DiesesSein istjedochnichtvonderErfahrungdesBösen,dasihmdroht,trennbar8.
InderMetaphorikdesAntlitzesbeziehtsichTischneraufeinanderesbi- blischesBildalsLévinas,nichtaufWitwe,WaiseundAusländerdesAl-tenTestaments,sondernaufdasKreuzdesNeuenTestaments.Tischner ruftdiedreiSätzeinErinnerung,dieJesusamKreuzsprach:„Vergibih-nen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, „Mein Gott, warum hast du michverlassen“,„IndeineHändelegeichmeinenGeist“.DerersteSatz offenbartdenHeroismusdesAntlitzes,derzweiteseineTragik,derdritte die Hoffnung auf Erlösung9. Das Drama eröffnet die Möglichkeit eines
Heroismus, aber ebenso die Möglichkeit einer Tragik, die auf dem Sieg desBösenüberdasGuteberuht.DerheroischeTriumphdesGutenüber dasBösekanneinTriumphderMachtsein,diedieUnzerstörbarkeitdes Guten sichtbar macht, oder ein Triumph der Wahrheit, die durch alle Illusionen hindurch dennoch zum Vorschein kommt. Das Ideal eines heroischenTriumphswäredieVerbindungvonMachtundKlarheit,wo-bei das Gute zugleich als unzerstörbares und klares erschiene. Anderer-seitsjedoch„endetdieTragödiemiteinemEreignis,inwelchemdasGute seineOhnmachtimStreitmitdemBösenentblößt“(Tischner1998:64).
DieMöglichkeitderTragödieunddiePerspektivedesTragischenisteine unabtrennbareMöglichkeitjeglichenDramasundjeglicherBegegnung.
FürTischnertranszendiertdieAgathologiedieOntologie.Ausdiesem GrundpolemisierteergegenHeideggersFundamentalontologie.Erwarf Heidegger vor, dass in seiner Philosophie eine Agathologie — also eine PhilosophievonGutundBöse—fehlt,daernieüberdieEbenedesSin-nesvonSeinhinausgeht.
HeideggersWeltistperfektmitBedeutungenausgefüllt:eineBedeutungverweistaufdie andere,allesist„etwas-im-Hinblick-auf-etwas“;alleskommtausdemDaseinhervorund kehrtzumDaseinzurück.IndieserWeltfehltjedochdas,wasam„menschlichsten“ist: esgibtkeinZuhause,inwelchemdasmenschlicheGuteentsteht,esgibtkeinenTempel, wo der Mensch Gott begegnet, es gibt keinen Friedhof, wo er den Toten begegnet. [...] Vom Gesichtspunkt der reinen Ontologie aus gesehen bleibt unklar, warum das Dasein imHinblickaufdenTodinSorgeist.SeinoderNichtsein—kommtdasnichtaufsGlei-chehinaus?DieSorgegibterstdannihretiefeBedeutungfrei,wennwirihrenuntersten Grundenthüllen:dieAnwesenheitdesBösen(Tischner1991:102).
Die Agathologie ist die Wurzel der Metaphysik. Dem Dasein geht es in seinem Sein nicht ums Sein, sagt Tischner, sondern um Rechtferti-gung,umErlösung10.DieInspirationzurPolemikgegenHeideggerfand
Tischner bei Lévinas. Von ihm übernahm er auch die Inspiration zur Deontologisierung des Guten. Das Gute ist für Lévinas „jenseits des Seins“,unddieLogikdesSeinsunterscheidetsichvonderLogikdesGu- ten.DieVerantwortungisteineVerantwortungfürdasBöse,dasdenan-derenereilt.DasVerantwortungsbewusstseinlässtsichjedochnichtmit HilfeontologischerKategorienerklären.„SeiendesalsSeiendesistnicht füranderesSeiendesverantwortlich.Verantwortungistdort,woeinBe-wusstseinfürGutundBöseist“,schreibtTischner(1991:111).
Anderer-seits war er vollkommen außerstande, Lévinas’ Identiizierung von Sein und Bösem zu akzeptieren. Für Lévinas ist die Existenz als solche böse, denn sie folgt der Logik des Überlebens. Deshalb ist sie auf Rechtferti-gung angewiesen. „Lévinas hat nichts dagegen, das Sein der Macht des Manichäismus zu unterstellen“, schreibt Tischner (1991a: 8).Sein
aga-thologisches Konzept des Bösen ist daher auch eine Polemik gegen den StandpunktLévinas’.
InseinerAgathologiedesBösenhinterfragtTischnersowohlThomas’ von Aquin privative Auffassung vom Bösen (es existiert nicht, sondern ist ein Mangel an Gutem) als auch die manichäische (es existiert unab- hängigvomGuten).BeimVersuch,überdiesenunversöhnlichenGegen-satzhinauszukommen,stelltTischnerdieTheseauf,dassdasBöseweder
ein Nichtsein noch mit dem Sein identisch ist. Was also ist das Böse? EsisteineErscheinung.
UnserStandpunktwahrtdieHarmoniemitderklassischenPhilosophiedesBösen,die verkündet,dassdasBöseeinMangelamSeinist.DennwasisteineErscheinungande-resalseinMangelamSein,dersichalsSeinausgibt?Andererseitsgeratenwirebenso wenig in Widerspruch mit der manichäischen Auffassung, nach welcher das Böse als eigenständigesSeiendesexistiert.MöglicherweiseexistiertestatsächlichindieserWei-se. Wir beschränken uns jedoch auf die Untersuchung von Erscheinungen. So haben wiramAusgangspunkteineneutraleHaltungeingenommenundunsfürkeinederbei-denzerstrittenenParteienausgesprochen(Tischner1998:299).
ZwischenSeinundNichtseingibtesetwas„Drittes“:dieErscheinung,genauer:dentrü-gerischen Anschein. Das Böse, wenn es auch nicht real existiert, „gibt sich doch den Anschein“(Tischner1991:17).
Tischnerschlägtsomitvor,vonderontologischenAnalysedesBösen zur phänomenologischen überzugehen. Die Ontologie will das Problem desBösenaufdasProblemdesSeinsreduzieren.DieontologischeFrage richtetsichaufdieSeinsweisedesBösen,währendes„derphänomeno-logischen Fragemethode um das Wesen des Bösen geht, um die Aus- leuchtungdiesesPhänomensundseineAbgrenzungselbstnochvonsol-chen Phänomenen, mit denen das Böse aufs engste verbunden ist“ (Tischner 1998: 176).Zur Auffassung vom Bösen als trügerischem
An- scheingelangteTischnervonderSeitederWesensbeschreibungdesBö-sen.DasBösedrohtundlocktzugleich.WäredasBöseetwasReales,das heißtetwasbereitsVerwirklichtes,sokönnteesnichtdazuverlocken,es zuverwirklichen.Mankannaberauchnichtsagen,dassdasBösenicht existiert, dann in diesem Falle könnte es niemanden in Schrecken ver- setzenundniemandemdrohen.DaherlässtsichdasProblemderSeins-weise des Bösen nicht entscheiden und wir müssen es in der Schwebe belassen. Um dies zu tun, führen wir die Problematik des Bösen in die SphärederPhänomenalitätzurück.HierhineinführtunsdieAuffassung vomBösenalsErscheinung.WirfragensomitnichtmehrnachderExi-stenz des Bösen, sondern vertreten die These, dass es gegeben ist, das heißt: real erfahren wird. Tischner will also untersuchen, wie das Böse wirkt und wie seine Wesensdynamik in Erscheinung tritt, nicht hinge-gen,obundaufwelcheWeiseesexistiert.
jeneVieldeutigkeit,dieschonausderExistenzmehrererGesichtspunkte, unterdeneneinunddieselbeSachebetrachtetwerdenkann,hervorgeht“ (Tischner1998:151f.).DasBösedrohtundlockt.Tischneristdaherder
Ansicht,dasesmehrereMöglichkeitsbedingungenfürdasPhänomendes Bösengibt.Diesist,erstens,LeidimZusammenhangsowohlmiteinem bereitsvollbrachtenalsauchmiteinemzunächstnurdrohendenBösen. DasBösebedrohtmitdemTod(hieranalysiertTischnerdieHerr-Knecht- -BeziehungbeiHegel),mitLeiden(dieRededesGroßinquisitorsbeiDo-stojewski) und schließlich mit Verdammnis (symbolisiert von Kierke-gaardsKrankheitzumTode ).DiezweiteMöglichkeitsbedingungistdasil-lusorische Gefühl des Angenehmem und Glück, welches uns das Böse verspricht.FürdieseBedingungistdasMotivderTäuschungkonstitutiv. Diese beiden Möglichkeitsbedingungen enthüllen die Doppelgesichtig-keit des Bösen, das zugleich abstoßend und faszinierend ist. Die dritte undletzteMöglichkeitsbedingungistdieAnwesenheitdesanderenMen-schen. Das Böse taucht immer im zwischenmenschlichen Bereich auf. Wenn es droht und lockt, so muss es mehr sein als eine gewöhnliche, passive Erscheinung. Der Begriff des täuschenden Anscheins setzt eine gewisse Aktivität und damit auch Subjekthaftigkeit des Bösen voraus. DieserUmstandverweistunsauchaufdasProblemderExistenzdesBö-sen, ungeachtet Tischners Versuche, es auszuklammern. Tischner selbst erinnerthierandiebiblischeErzählungvomSündenfall.ZwischenAdam undEvaerhebtsichsowohldieStimmedesGuten(Gottes)alsauchdie desBösen(desDämons).„ExistiertdieserDrittereal?DieseFragebedeu-teteineunaufhörlicheBedrängnisfürdieOntologiemitihremGlauben, dassnurdaswirkenkann,wasrealist.DerhandelndeMenschunterliegt aber den Einlüssen sowohl dessen, was ist, als auch dessen, was nicht ist“(Tischner1998:300).DiesistauchdasWesendesDramas.„DasBöse
bestehtdarin,dasssichguteWeseneinanderentgegenstellenundFein-dewerden.Aberwasbringtsiegegeneinanderauf?Wer?EinFatum,eine Blindheit,einDämon?[...]BevornochdaseineGutezumGegnerdesan-deren wurde, hatte sich das Böse zwischen sie gedrängt und war zum GrundprinzipderTragödiegeworden“(Tischner1998:65).
Descartes’bösartigerDämonherrscht,indemersichderTäu-schung bedient; er hintergeht die Menschen. Das als trügerischer An-scheinverstandeneBösebirgtUnwahrheit,dasheißtIllusionoderLüge. EsverstecktdasGuteaußerhalbseinerselbstundhindertdenMenschen daran,eszuerreichen.„IndieserMetapherwirddasBöseaufein‘Absin-ken in die Unwahrheit’ reduziert. Belogen vom bösartigen Genie, weiß derMenschnicht,wasertut.DasbösartigeGeniewirftdenMenschenin eineDunkelheit,indersichnochdieedelstenTateninihrGegenteilver-kehren“ (Tischner 1998a: 16). Deshalb — dies sei hier am Rande be-merkt — vertrat Tischner die Ansicht, dass „die Philosophie Descartes’ eherindenKategoriendesDialogsalsderSeinsphilosophiezuinterpre-tierenist“(Tischner1998:217)..DemWirkendestrügerischenAnscheins
ist jedoch eine Grenze gesetzt: der Wille. Der Mensch erbost, weil die Möglichkeit des Bösen existiert. Als solcher wird der Mensch aber erst dann böse, wenn er sich diese Möglichkeit zueigen macht. Das Böse brauchtdenMenschen,umzuentstehen.
EsvermagdenMenschennichtzuvernichten,wennnichtderMenschsichselbstver-nichtet.DaherstelltdasBösenichtnurdieVernunft,sondernauchdenWillenaufdie Probe. Hier enthüllt der trügerische Anschein seine Macht und zugleich Ohnmacht. Seine Ohnmacht deswegen, weil er als trügerischer Anschein allein auf sich gestellt nichtszustandebringt.DocherzeigtauchseineMacht,dennerkanndieimMenschen schlummernden Kräfte ausnutzen und ihn gegen seinen Willen dazu bewegen, sich selbstzuvernichten(Tischner1998:193).
Die verschiedenen Dimensionen des dialogischen Bösen beschreibt TischnerinseinerPhilosophie des Dramas:„NachHusserlsAbsichtsollte diePhänomenologie,gestütztaufdasursprünglicheErfahrendesjewei-ligenGegenstands,dieWissenschaftvomWesenderErscheinungensein. Dahermusssiealso,umdasWesendesPhänomensdesBösenzuergrün-den,dieErfahrungderBegegnunginbesondererWeiseberücksichtigen“ (Tischner 1998: 175)..Authentische Begegnungen befreien vom Bösen,
weilsiedasLandunsererVerbannungineingelobtesLandverwandeln.
Die Welt des Menschen ist die Szene seines Dramas. Der Mensch kommt zur Welt, suchtsichindieserWelteinZuhause,errichtetseinemGotteinenTempel,bautWege, hateineWerkstätte,indetdieFriedhöfeseinerVorfahrenvor,woauchereinesTages ruhenwird.Wasbedeutet:dieWeltistdieSzenedesDramas?Esbedeutet:dieArtund Weise,wiewirdieWelterfahren,istuntrennbarmitderArtundWeiseverbunden,wie wirdieMenschenerfahren,vorallemabermitderArtundWeise,wiewirdasDrama vonMenschundMenscherleben(Tischner1998:220).
machtdasLandzumgelobtenLand.Tischnerunterscheidetviergrund- legendeOrtedesgelobtenLandes:Haus,Werkstätte,TempelundFried-hof.DasBösemachtausdemHauseinVersteck,ausderWerkstätteein Zwangsarbeitslager,verwüstetdenTempelundverwandeltdieFriedhöfe inOrtetrügerischenAnscheins.
InseinemBuchDerStreitumdieExistenzdesMenschen erweitertTisch- nerseinKonzeptdesdialogischen—imeigentlichenSinneantidialogi-schen—Bösen,wieesinderAgathologiesichtbarwird,umdasKonzept desstrukturellenBösen.BezugspunktisthierfürTischnerderKantische BegriffvomradikalenBösen.DiesesbedeuteteinAbweichenvonPrinzi-pienunderwächstausmenschlicherSchwäche.Tischnermeintjedoch: „KantwagtsichnichtbisaufjeneEbenevor,diedemTunzugrundeliegt. WirkönnensieimallgemeinstenSinnealsEbeneder‘Teilhabe’mensch-lichen Daseins an ‘Strukturen’ bezeichnen“ (Tischner 1998a: 29). Kant unterschätztedas„GewichtdesBösen“,dasbisindenBereichderPrin-zipienvorzudringenvermag.„DerMenschderAufklärungerwiessichals Tänzer,derzwarguttanzt,jedochzurfalschenMusik.Kantsagte:‘tudei-nePlicht’.Diejenigen,dieüberzeugtwaren‘ihrePlichtzutun’,fanden sich nachher auf den Anklagebänken der Nürnberger Prozesse wieder“ (Tischner1998a:31).VollinErscheinungtratdasstrukturelleBöseinden
Charakter. Dabei gelten ihm nicht nur die deutschen Todeslager als VerkörperungdesdämonischenBösen,sondernauchdieStrukturendes totalitären sowjetischen Staates mitsamt seinen Lagern. Das Böse er-schiendortinGestaltderÜberzeugung,dassmanfürdiehöchsten,von der kommunistischen Macht verkörperten Werte die nächstliegenden Wertezuopfernhabe.TischnererinnertandenFalldes13jährigenPro-ni Kolybin, der seine Mutter denunzierte, weil sie für ihre hungernden Kinder ein wenig Getreide aus dem Kolchos gestohlen hatte. Tischner schreibt: „Die manichäische Werteverkehrung betrifft auch den Begriff des Heroismus. [...] Man muss den Mut haben, Böses zu tun, damit aus BösemGutesentsteht“(Tischner1998a:53).
Es gibt somit drei Erscheinungsweisen des Bösen: als axiologisches, agathologisches und strukturelles. Wir wollen jedoch die Frage stellen: WarumgibtesBöses?WiekannseinWirkengerechtfertigtwerden?Hier betretenwirdenBereichderTheodizee,derTischnernichtallzuvielAuf-merksamkeitwidmete.SeineAntwortaufdiehiergestellteFrageistnicht neu,sondernaustraditionellenArgumentenaufgebaut:Wirkönnendem anderenMenschennichtbegegnen,ohnedieMöglichkeitdesBösenan-zunehmen. Tischner bezieht sich hier auf die Tradition der Erkenntnis durchNegation.
ImDramastehenGutundBösenichtwieimReichderBegriffeweitvoneinanderent- fernt,sondernsieverschlingensichineinanderineinergemeinsamenZeit,einemge-meinsamen Raum, ein und demselben Menschen. In ihrer Verschlingung bestimmen sieeinewesentlichePerspektivederGeschichtlichkeitdesMenschen.WasdieRuhefür denTonunddasLichtfürdieFarbeist,dasistdasGuteunddasBösefürdasmensch-licheAntlitz(Tischner1998:84).
Der Ton ist unmöglich ohne Ruhe — sollte das Böse möglich sein ohneGutes?
DasDenkenerwachtnichtaufGrundbloßenSehensdessen,wasist.Esentstehtauch nichtdurcheineIntuition,diebesagt,dassetwasfehltoderdassetwaseineMischung vonSeinundNichtseinist.DasDenkenistkeineeinfacheWiderspiegelungeinesSach-verhaltes. Das eigentliche Motiv des Denkens — das Motiv, welches das Denken aus dem Schlaf erweckt — ist die „Verlechtung der Eigenschaften“, die die menschliche Tragikausmacht(Tischner1982a:491).
Tragisch ist vor allem die Freiheit. Hier stoßen wir auf ein weiteres Motiv für die Antwort auf die Frage: „Warum gibt es das Böse?“. In der PhilosophiedesDramasistdieFreiheitdieFähigkeit,zwischenGutund Bösezuwählen.
DasBösegehtschonalleinmitseinenDrohungenundVerlockungendavonaus,dass im Menschen ein gewisser Freiheitsraum existiert. Je mehr das Böse lockt und droht, um so deutlicher gibt es zu verstehen, dass der Mensch einen Freiraum für Entschei-dungenhat,eineFreiheit.AlsGabewiderWillenbringtunsdasBösealsodieErfahrung derFreiheit—einerFreiheit,dieaufdieProbegestelltwird(Tischner1998:178).
Indem wir die Freiheit als Seinsweise des Guten bestimmen, müssen wir laut Tischner die Möglichkeit des Bösen als Voraussetzung für die Freiheit annehmen. Ist nun die Freiheitserfahrung eine vom Bösen ge-brachteGabewiderWillen,oderistnichteherdieMöglichkeitdesBösen eineMöglichkeitsbedingungderFreiheit?
Wieauchimmerwirversuchen,dieseschwierigeFragezubeantwor-ten, eines scheint zweifellos gewiss: Auf die Frage „Warum gibt es das Böse?“kanneskeinetheodizealeAntwortgeben,wennunseinBösesge-genübersteht, das weder droht noch lockt, sondern lähmt. Diese Erfah-rung scheint Tischners Unterscheidung zwischen Bösem und Unglück aufzuheben. Das Unglück, das Hiob traf, war kein Böses im Tischner- schenSinne,daeskeinenVerursacherhatte.Eswardaherkeindialogi- sches(zwischenmenschliches)Böses.HiobhattejedochseineAuseinan-dersetzung mit Gott, der dieses Unglück, wenn nicht verursachte, so doch duldete. In der Perspektive der Theodizee, das heißt im Bezug auf Gott,istauchUnglückBöses.DenErfahrungenHiobswidmeteTischner drei kurze Texte. Die beiden ersten sind Einführungen zu Theaterinsze-nierungen:DasBuchHiobinderÜbersetzungvonCzesławMiłosz(1982) undHiob von Karol Wojtyła (1991). Die hier vorgebrachten Argumente sind traditionell und gänzlich unzufriedenstellend. Im ersten Text sagt Tischner:„DasBuchHiobhandeltvonderTreueeinesMenschen,derauf die Probe gestellt wird“ (Tischner 2004: 35).Im zweiten Text lesen wir,
dassdasLeidtrotzseinerUnergründlichkeitSituationenschafft,indenen derGlaubedesMenschenwächstundzurReifegelangt11.Erstderdritte
TextTischners,derzuseinemStreitumdieExistenzdesMenschengehört, ist voller Dramatik. Der von seiner Erfahrung mit dem Bösen (in Tisch- nersSprache:Unglück)schwergeprüfteHiobisteineMonadeohneFen-ster.Eristandersalsdieanderen,vonihnengetrennt.AuchfürGottist er dies. Von seinen „Freunden“ trennt ihn das Böse, der Verdacht,
erhabegesündigt.DiewirklicheAndersheitkommtausdemBösen,aus derTeilhabeamBösen.SowurdeHiobzueinerverschlossenenMonade. DieFreundeversuchenihnzutrösten.„DochjemehrTröstungensiean-häufen,umsotieferwirddieAndersheit“(Tischner1998a:224).Daher bezeichnet Tischner das Böse als „Antigravitation“. Das Böse stößt alles und alle ab12.Hiob führt die Auseinandersetzung jedoch nicht nur mit
seinenFreunden,sondernvorallemmitjenemAnderen.
HiobträgtdenAndereninsich.ErträgtihninsichalsseinwesentlichesLeid.Aufdem GrunddeskörperlichenSchmerzes,untereinerSchicht,dieausWundengewebtist,am UrsprungdesUnglücks,dasihnereilte,erstrecktsichEr—derjenige,dersosehranders ist,wiemenschlicheWundenundLeidenanderssind.[...]DerAndereist„anders“,und dochisterinihm,inHiob.EristseinureigenstesUnglück,seinpersönlicherFluch.Der AndereistinsInnerederMonadevorgedrungenundhatihreFensterzugeschlagen.Die Monade ist gar nicht so sehr „fensterlos“, vielmehr sind „ihre Fenster zugeschlagen“. DerAndereistderSchmerz,deresnichterlaubt,sichselbstzubesitzen.Esistunmög- lich,mitdemAnderenzuleben,aberunmöglichistesauch,ohnedenAnderenzule-ben(Tischner1998a:226).
Deshalb stoßen wir beim Versuch einer Antwort auf die Frage „Wa-rum gibt es das Böse?“ an die Grenzen der Phänomenalität. „Wa„Wa-rum zeigt sich ihm der Andere in der Verschiedenartigkeit des Schmerzes? Warumerlaubternichtdem,derfürsichist,sichmitsichselbstzuver-söhnen und er selbst zu sein? Warum ist der Andere gegen Hiob und zwingtHiob,einSeiendes-gegen-sich-selbstzusein?AufdieseFragengibt eskeineAntwort“,schreibtTischner(1998a:225).Hioblebtsomitander
GrenzezwischenRacheundSchweigen.AufdereinenSeitekönnteerRa-chenehmen,wieihmseineFrauzuredet:„VerlucheGottundstirb“.Auf der anderen Seite erstreckt sich das Schweigen: „Die Fenster der Mona-densindzugeschlagen.Stille.VonZeitzuZeitgehtdurchdieseStillenur eineKlage,dieTraurigkeitdesAnblicks,dieHoffnungslosigkeitdesGra-ses,dasaufdemWegwächst.Hierwareinmaljemandentlanggegangen, umansFensterzuklopfen“(Tischner1998a:243).
GibtesirgendeineandereMöglichkeit,nichtnurdiezugeschlage-nen Fenster der Monade zu öffnen, sondern auch die Verlockung des neuzeitlichenManichäismuszuüberwinden?DerimTitelseinesBuches angesprocheneStreit um die Existenz des MenschenistfürTischnernicht so sehr ein Streit darum, ob nach dem „Tod Gottes“ der Mensch noch existiert,alsvielmehrdarum,wiewirunsvonderHerrschaftdesDämons befreien können. Kant, beispielsweise, dagegen behauptete, dass hierzu nur ein „guter Wille“ und die Zusammenarbeit der menschlichen
meinschaft vonnöten ist. Tischner meinte, dass der Mensch auf Gnade angewiesenist.MitSicherheitwerdenwirunsvonderHerrschaftdesDä-monsnichtdurchHohn,den„ToddesMenschen“oderdie„Krankheit zumTode“befreienkönnen.
Hohnist,aufdermoralischenEbene,eineErscheinungsformjenerFreiheit,diesichdie Negation zum Prinzip gemacht hat. Hohn ist eine besondere Art zerstörerischen Ge- lächters,dasdasSeiendenichtinseinerExistenz,sonderninseinemWertzerstört.Da-mitaberderHohnwirklichHohnsei,brauchterUniversalität.WederbeiSokratesnoch beiNietzschewarderHohnuniversell.EinbiszumbitterenEndekonsequenterHohn würde vor nichts haltmachen und nichts wäre ihm heilig. [...] Wer höhnt, verlockt dazu,diehöchstenWertezubesudeln.Erschlägtvor,denwichtigstenKampfverloren zu geben, und bietet dafür einen Stolz an, der sich aus einer in ihrer Art einmaligen Kraftprobenährt(Tischner1992:154).
angetragen wird. Die Gabe der Gnade ist selbstlos und richtet sich an eineFreiheit.DerMenschistfürTischnereinWesen,dasvorallemder Gnadebedarfundfähigist,sieanzunehmen.DieGnadeistein„Heilmit-telgegendasBöse“,dasindieTiefedesMenschenvorgedrungenist.Das Wort„Heilmittel“—wiejedeandereBezeichnungderGnade,etwaOf-fenbarungoderRechtfertigung—enthülltunszugleichdasKonzeptdes Bösen als „Krankheit“, Verblendung oder Verdammnis. „Das Gute ist gnadenreich, das Böse gnadenlos. Die Gnade erklärt, was unerklärbar schien: wie kann in der Welt des Bösen — inmitten der Logik einer als Rache aufgefassten Gegenseitigkeit — das Gute erscheinen?“ (Tischner 1998a: 220). Die Gnade hat darüber hinaus die Struktur der Hoffnung. Bereits in Tischners frühem BuchDie Welt der menschlichen Hoffnung tauchteeinMotivauf,dasihndasganzeLebenbegleitensollteunddas wirdaheralsSchlüsselmotivansehendürfen.HoffnungundGnadesind identisch.„WennderKernmeinesWesensbedrohtist,suchtmeineHoff-nung nach Gründen für ein Vertrauen, und sie sucht sie an der Quelle meinesDaseins“(Tischner1992:297).ImHorizontderHoffnungerweist sichdieExistenzdesBösenalsscheinbareExistenz13.
LITERATUR
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