• Nenhum resultado encontrado

Entwicklungen im Aus- und Inland

No documento Menschenrechte in der Schweiz (páginas 72-75)

III. Die Umsetzung auf nationaler Ebene

1. Gerichtliche Beschwerdemechanismen

1.6. Sachverhalte mit Auslandsbezug

1.6.5. Entwicklungen im Aus- und Inland

Art. 4-7 StGB. Allenfalls können die Muttergesellschaften belangt werden, wenn ihnen ein pflichtwidriges Untätigbleiben im Rahmen von Art. 102 StGB vorgeworfen werden kann. In diesem Fall könnte der Ort des Begehens (also des Untätigbleibens) in der Schweiz liegen, sodass es sich nicht um einen extraterritorialen Sachverhalt im eigentlichen Sinn handelte und die Zuständigkeit der Schweizer Gerichte aus dem Territorialitätsprinzip folgen würde. In der Praxis dürfte es gleichwohl schwierig sein, eine entsprechende Handlungspflicht der Muttergesellschaft nachzuweisen und rechtlich zu begründen.275

verurteilte die Tochter von Shell zu einer noch nicht bezifferten Schadensersatzleistung, wies hingegen alle weiteren Klagen ab.278 Die unterliegenden Kläger legten Berufung ein.

Eine ähnliche Klage wurde im März 2012 von einer Gruppe von 11‘000 Nigerianern im [170]

Namen ihrer Gemeinde Bodo am High Court in London im Vereinigten Königreich gegen Shell eingereicht.279 Das Verfahren ist noch hängig.

Auf einen besseren Durchgriff zielten auch verschiedene Klagen vor US- [171]

amerikanischen Gerichten unter dem Alien Tort Statute (ATS).280 Das ATS ist ein Gesetz aus dem Jahr 1789, das Ausländern einen Gerichtsstand in den USA gibt, wenn sie aufgrund einer Verletzung des „law of nations“ Schadenersatz aus unerlaubter Handlung (tort) verlan- gen. Gestützt auf dieses Gesetz führten in verschiedenen, miteinander verwandten Fällen die Opfer von menschenrechtswidrigen Handlungen in Nigeria, bzw. deren Hinterbliebene, Klage gegen die aus ihrer Sicht für das Handeln der nigerianischen Tochtergesellschaft verantwort- lichen Mutterunternehmen Royal Dutch Petroleum Company mit Sitz in den Niederlanden und Shell Transport and Trading Company mit Sitz im Vereinigten Königreich. In einem dieser Verfahren, dem Fall Kiobel aus dem Jahr 2002, wurde Shell vorgeworfen, sich der Beihilfe zu verschiedenen schweren Delikten, die für Klagen unter dem ATS von Relevanz seien, schuldig gemacht zu haben. Im Juni 2010 lehnte das angerufene Bezirksgericht seine Zu- ständigkeit in diesem Fall ab, da die Kläger nicht genügend Verbindungen von der nigeriani- schen Tochtergesellschaft der Shell zu den Vereinigten Staaten aufzeigen konnten. Das Be- rufungsgericht bestätigte im September 2010 das Urteil, begründete seinen Entscheid aber mit der fehlenden Passivlegitimation von Unernehmen, da diese nicht in den Anwendungsbe- reich des ATS fallen würden.281

Die Kläger wandten sich schliesslich an den US Supreme Court. Dieser ging von einer [172]

allgemeinen Vermutung gegen eine extraterritoriale Anwendung des Gesetzes aus, die weder durch dessen Text, Entstehungsgeschichte oder Zweck umgestossen werden könne. Die Vermutung diene dazu, einen Zusammenstoss zwischen US-amerikanischem und fremdem Recht zu vermeiden.282 Aus diesem Grund bestätigte der Supreme Court das Urteil in letzter Instanz, ohne sich allerdings zu der Frage zu äussern, inwiefern Schadenersatzklagen gegen multinationale Unternehmen unter dem ATS überhaupt möglich sind. Das Urteil lässt auch die Frage offen, wie eng die Anknüpfung eines Falles an die USA für die Anwendung des ATS in einem spezifischen Fall sein müsste. Immerhin unterstützten vier der neun Richter eine alternative Begründung des Urteils, nach welcher sie die Anwendung des ATS auf ext- raterritoriale Sachverhalte jedenfalls dann bejahen würden, wenn ein Fall das Interesse der USA berührte, nicht zu einem „sicheren Hafen“ für Folterer oder andere Feinde der Mensch- heit zu werden.283 Im spezifischen Fall fehlten aber die notwendigen Anknüpfungspunkte zu den USA, weshalb eine Anwendung des ATS auch der alternativen Begründung zufolge nicht gegeben war.284

278 Ibid., E.4.43 und E. 5.1.

279 High Court (UK), Bodo v. Shell, Particulars of Claim, Claim NO. HQ11X01280.

280 Alien Tort Claims Statute (1789), 28 U.S.C. § 1350.

281 Kiobel et al. v. Royal Dutch Petroleum Co. et al., 621 F. 3d 111 (2010) (2nd Court of Appeals).

282 Kiobel et al. v. Royal Dutch Petroleum Co. et al., 569 U.S. (2013), Opinion of the Court, S. 4.

283 Ibid, Breyer, J., concurring in judgement, S. 1 ff.

284 Die Verneinung der Anwendbarkeit des ATS aufgrund ungenügender Anknüpfungspunkte erinnert an die Argumentationsweise europäischer Gerichte.

Die Zuständigkeitsfragen, mit denen sich die Gerichte in den Niederlanden, dem Verei- [173]

nigten Königreich und den Vereinigten Staaten derzeit auseinandersetzen, betten sich in die weiteren Diskussionen rund um die extraterritoriale Verantwortlichkeit von Staaten im Be- reich der Menschenrechte ein. Sie sind deswegen auch für Schweizer Unternehmen relevant, da solche Präzedenzfälle im Ausland nicht nur das Verhalten der betroffenen Unternehmen auf dem Markt, sondern auch die Rechtsentwicklung in der Schweiz beeinflussen könnten, und zwar sowohl auf der Ebene der Gesetzgebung wie auch der Rechtsprechung.

Auch in der Zivilgesellschaft sind verschiedentlich Forderungen nach strengeren Haf- [174]

tungspflichten von Muttergesellschaften für ihre Auslandtätigkeiten laut geworden.285 Um zu verhindern, dass sich Unternehmen ausserhalb der Zuständigkeiten einzelner Staaten eine rechtliche Grauzone schaffen, die sich der rechtsstaatlichen Kontrolle entzieht, forderten in der Schweiz rund 50 Organisationen im Rahmen der Kampagne „Recht ohne Grenzen“ von Bundesrat und Parlament, durch Anpassung der gesetzlichen Bestimmungen die Sorgfalts- pflicht von Schweizer Unternehmen in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt ausdrücklich festzuhalten und auf ausländische Tochterfirmen und Zulieferer auszuweiten. Darüber hinaus sollte Opfern von entsprechenden Verstössen Zugang zu Schweizer Gerichten gewährt und die Anwendung schweizerischen Rechts ermöglicht werden. Der Nationalrat hat am 14. Dezember 2012 beschlossen, der Petition keine Folge zu leisten;286 verschiedene parla- mentarische Vorstösse, welche Anliegen der Petition aufnehmen, sind hängig.287

In einer im Rahmen der Kampagne in Auftrag gegebenen Studie288 wird vorgeschlagen,

[175]

durch einen neu eingefügten Art. 717 Abs. 3 OR die Mitglieder des Verwaltungsrates eines Unternehmens dazu zu verpflichten, alle notwendigen Massnahmen zu ergreifen, damit im Rahmen ihrer eigenen Tätigkeiten sowie der Aktivitäten ihrer Tochtergesellschaften, Subun- ternehmen und Zulieferer die Menschenrechte und die Umwelt respektiert werden. Ein neuer Artikel 722 Abs. 2 OR soll eine Solidarhaftung von Mutterunternehmen für widerrechtliche Handlungen von Tochtergesellschaften oder Zulieferern vorsehen. Durch Anpassung des IPRG soll im Fall einer entsprechenden Klage die Anwendung von Schweizer Recht zulässig (neu Art. 155 lit. j IPRG) und die Zuständigkeit Schweizer Gerichte begründet werden (neu Art. 129 Abs. 2 IPRG). Auch soll der Begriff des Sitzes einer juristischen Person künftig nicht nur über den statuarischen Sitz, sondern auch über den Sitz der zentralen Administrati- on oder den Ort, an welchem die operativen Geschäfte hauptsächlich abgewickelt werden, definiert werden und so an den Begriff, wie er im Lugano-Übereinkommen verwendet wird, angepasst werden. Prozessrechtlich befürwortet die Studie eine Verstärkung der Verbands- klage und eine Erleichterung der Beweisführung für allfällige Opfer von Menschenrechtsbe- einträchtigungen.

Die Studie strebt zudem Änderungen im materiellen Strafrecht und im Strafprozess- [176]

recht an: Zum einen soll die Maximalstrafe, die Unternehmen auferlegt werden kann, von

285 Z.B. die Forderung der European Coalition for Corporate Justice nach der Einführung einer Haftpflicht von in Europa ansässigen Unternehmen für ihre Auslandtätigkeiten: FILIP GREGOR, Principles and Pa- thways: Legal opportunities to improve Europe’s corporate accountability framework, November 2010, S. 19 ff., abrufbar unter: <http://www.corporatejustice.org/IMG/pdf/eccj_principles_pathways _webuseblack.pdf> (besucht am 3. Juni 2013).

286 Vgl. <http://www.parlament.ch/d/suche/seiten/geschaefte.aspx?gesch_id=20122042> (besucht am 3. Juni 2013).

287 Vgl. Nationalrat, Interpellation 12.3449 (Ingold); Interpellation 12.3456 (Haller); Postulat 12.3503 (Graf- fenried); Interpellation 12.3520 (Moser).

288 Membrez, Studie 2012.

5 Millionen Franken auf 50 Millionen Franken angehoben werden und die originäre Strafbar- keit von Unternehmen um die Straftatbestände Völkermord, Verbrechen gegen die Mensch- lichkeit, Kriegsverbrechen sowie um andere schwere Rechtsgutsverletzungen, insbesondere von Leib und Leben, erweitert werden (Revision von Art. 102 StGB). Zum anderen sollen Verbände von nationaler Bedeutung bei spezifischen Straftatbeständen die Möglichkeit ha- ben, Geschädigte in einem Strafverfahren zu vertreten.

No documento Menschenrechte in der Schweiz (páginas 72-75)