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Verwaltungsrechtliche Beschwerdemechanismen

No documento Menschenrechte in der Schweiz (páginas 50-53)

III. Die Umsetzung auf nationaler Ebene

1. Gerichtliche Beschwerdemechanismen

1.2. Verwaltungsrechtliche Beschwerdemechanismen

Die Einleitung eines öffentlich-rechtlichen Verfahrens bei einer unternehmensbedingten [101]

Menschenrechtsgefährdung ist in verschiedenen Konstellationen denkbar. Zum einen kann es zu einer Beeinträchtigung von Grundrechten kommen durch ein Unternehmen, das – bei un- terschiedlichem Grad an staatlicher Einflussnahme – von den Behörden mit der Erfüllung öffentlicher Aufgaben betraut wurde. Dies wäre zum Beispiel dann der Fall, wenn Post- oder Bahnbetriebe im Rahmen ihrer staatlichen Aufgaben157 zwischen Kunden ungerechtfertigt diskriminieren würden. Zum anderen stellt sich die Frage, inwiefern der Staat von betroffe- nen Personen belangt werden kann, wenn er es im Hinblick auf eine Beeinträchtigung von Grundrechten durch Unternehmen unterlassen hat, seiner positiven Schutzpflicht nachzu- kommen. Es kommen hier insbesondere Situationen in Betracht, in denen der Staat es ver- säumt hat, gesetzliche Grundlagen zum Schutz Einzelner zu schaffen, oder wenn Gesetze entsprechende Lücken aufweisen bzw. im Widerspruch zu Völkerrecht und Verfassung ste- hen.158 Die Vernachlässigung der staatlichen Schutzpflichten kann insbesondere dann identi- fiziert und allenfalls korrigiert werden, wenn ein Fall vor eine überstaatliche Instanz gelangt, in deren Kompetenz es liegt, die Behörden wegen Verstössen gegen völkerrechtlich geregelte Schutzpflichten zu belangen – von Bedeutung ist hier insbesondere der EGMR.

1.2.1. Unternehmen, die öffentliche Aufgaben erfüllen

Die Verwaltung kann Private, insbesondere auch Unternehmen, mit der Erfüllung von [102]

staatlichen Aufgaben betrauen (Art. 178 Abs. 3 BV; Art. 2 Abs. 4 RVOG). So nehmen pri- vate Akteure im Auftrag des Gemeinwesens etwa Aufsichtsfunktionen wahr oder treten auf Bestellung des Staates als alleiniger Anbieter bestimmter Dienstleistungen auf.159 Private Verwaltungsträger sind in der unmittelbaren Erfüllung von Verwaltungsaufgaben grundsätz- lich an die Grundrechte gebunden (Art. 35 Abs. 2 BV). Der Staat kann die Bindungswirkung der Grundrechte also nicht umgehen, indem er die Erfüllung seiner Aufgaben an Private dele- giert.160 Er muss die zivilrechtlichen Verwaltungsträger vielmehr beaufsichtigen und haftet subsidiär, wenn diese Dritten widerrechtlich Schaden zufügen (Art. 19 Abs. 1 Bst. a VG).

1.2.2. Verfahren

Ein mit öffentlichen Aufgaben betrautes Unternehmen ist befugt, im Rahmen dieser [103]

Aufgaben Verfügungen zu erlassen (vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. e i.V.m. Art. 5 VwVG). Wird eine

157 Art. 13 und 14 Postgesetz vom 17. Dezember 2010 (SR 783.0), Art. 1 Abs.2, Art. 5-6 Eisenbahngesetz vom 20. Dezember 1957 (SR 742.101).

158 Im Fall EGMR, Rantsev v. Cyprus and Russia, 25965/04 (2010) stellte der EGMR fest, dass eine zyprio- tische Regelung, welche vorsieht, dass Nachtclubbesitzer u.a. Einreisevisa für ausländische Artistinnen beantragen müssen, die Abhängigkeit der betroffenen Frauen erhöhe und damit allfälligen Menschenhan- del begünstige (Rz. 291). Die Regelung verletze daher Art. 3 EMRK. Im Fall EGMR, Von Hannover v.

Germany, 59320/00 (2004) wurde Deutschland wegen einer Verletzung von Art. 8 EMRK verurteilt, weil die höchstinstanzliche Auslegung der relevanten Gesetzgebung der Klägerin zu wenig Schutz vor Eingrif- fen in ihr Privatleben bot (Rz. 72 ff.) Ähnlich fiel das Urteil im Fall EGMR, VgT v. Switzerland, 24699/94 (2001) aus: Mit der bundesgerichtlichen Auslegung der im Fall relevanten Gesetzgebung habe die Schweiz die Meinungsäusserungsfreiheit des Klägers verletzt. Weitere Ausführungen zum Fall hinten un- ter Rz. 107.

159 TSCHANNEN,§ 7, Rz. 47.

160 Vgl. ANDREAS AUER/GIORGIO MALINVERNI/MICHEL HOTTELIER, Droit constitutionnel suisse, Vol.II, Les droits fondamentaux, 2. Aufl., Bern 2006, Rz. 121 ff.

Person durch eine entsprechende Verfügung in ihren Grundrechten beeinträchtigt, kann sie diese durch Rekurs oder Beschwerde vor den gesetzlich vorgesehenen Instanzen anfech- ten.161 Handelt es sich dabei um ein von einer kantonalen Behörde beauftragtes Unterneh- men, gibt es oft eine übergeordnete Behörde als verwaltungsinterne Beschwerdeinstanz, bevor der Fall einem Gericht vorgelegt werden kann. Nur für Entscheide mit vorwiegend poli- tischem Charakter können die Kantone anstelle eines Gerichts eine andere Behörde als un- mittelbare Vorinstanz des Bundesgerichts einsetzen (Art. 86 Abs. 3 BGG). Die Entscheide können mit bestimmten Ausnahmen (Art. 83 BGG) und unter Berücksichtigung der Streit- wertgrenze (Art. 85 BGG) allenfalls mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenhei- ten (Art. 82 ff. BGG) oder unter Umständen mit der subsidiären Verfassungsbeschwerde (Art. 113 ff. BGG) beim Bundesgericht angefochten werden. Für die Anfechtung von Verfü- gungen von Bundesbehörden ist das Bundesverwaltungsgericht zuständig (Art. 31 ff. VGG).

Die Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts können grundsätzlich mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht weitergezogen werden (Aus- nahmen werden in Art. 83 BGG geregelt).162

Nach Ausschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzuges (sowie unter weiteren Vo- [104]

raussetzungen) wird der Rechtsschutz durch den Zugang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als regionale Menschenrechtsinstanz ergänzt (Art. 34 Satz 1 EMRK). Stellt der Gerichtshof eine Verletzung der Konvention fest, so gilt dies innerstaatlich als Revisions- grund, wenn eine Entschädigung die Folgen der Verletzung nicht auszugleichen vermag und die Revision notwendig ist, um die Verletzung zu beseitigen (Art. 122 BGG). Der Zugang zum Ausschuss für Menschenrechte für eine Verletzung von UNO-Pakt II bleibt hingegen ausgeschlossen, da die Schweiz das entsprechende Fakultativprotokoll nicht ratifiziert hat.

1.2.3. Bindungswirkung der Grundrechte auf Unternehmen

In einem Streitfall zwischen dem Verein gegen Tierfabriken (VgT) und der Schweizeri- [105]

schen Post ging es um die Frage, ob die Post den Versand von zwei Publikationen des VgT verweigern durfte. Das Bundesgericht erklärte das Vorgehen der Post für widerrechtlich, da die Weigerung des Versandes gegen die guten Sitten verstosse. In seinen Erwägungen un- tersuchte es u.a., inwiefern die Post als (damals noch) selbstständige Anstalt des öffentli- chen Rechts im Bereich der Wettbewerbsdienste an die Grundrechte gebunden ist. Es kam zum Schluss, dass keine Grundrechtsbindung der Post gestützt auf Art. 35 Abs. 2 vorliege, da die Post im Bereich der Massensendungen keine staatlichen Aufgaben wahrnehme, son- dern vielmehr Dienstleistungen erbringe, die von jedem anderen auch erbracht werden könn- ten.163 Das Gericht verneinte auch eine Bindungswirkung gestützt auf Art. 35 Abs. 1 BV,

161 Besteht die Beeinträchtigung hingegen in einem Realakt, kann in der Regel eine Verfügung erwirkt wer- den, indem beispielsweise von der zuständigen Behörde verlangt wird, dass sie die Widerrechtlichkeit von Handlungen durch eine Verfügung feststellt (Art. 25a VwVG). Auch mit öffentlich-rechtlichen Auf- gaben des Bundes betraute Unternehmen müssen bei streitigen Ansprüchen wegen Personen-, Vermö- gens- oder Sachschäden nach öffentlichem Haftungsrecht eine Verfügung (Art. 19 Abs. 3 VG) erlassen.

Besteht keine Möglichkeit, eine anfechtbare Verfügung zu erwirken, kann eine Klage eingereicht werden.

In diesem Fall entscheidet ein Gericht als erste Instanz (auf Bundesebene das Bundesverwaltungsgericht nach Art. 35 VGG oder das Bundesgericht nach Art. 120 BGG).

162 Vgl. ALAIN GRIFFEL, Rechtsschutz, insbesondere Verfassungsgerichtsbarkeit, in: Giovanni Biaggini/Thomas Gächter/Regina Kiener (Hrsg.), Staatsrecht, Zürich u.a. 2011, §27., Rz. 54 ff.

163 BGE 129 III 35, E. 5.2, S. 40.

weil der Bundesgesetzgeber im Postgesetz (PG)164 vorgesehen habe, dass die Post mit Aus- nahme des Universaldienstes denselben Regeln unterstehe wie private Anbieter, damit sie im freien Wettbewerb gleich lange Spiesse habe wie ihre Konkurrenten.165 Der Entscheid wurde von einem Teil der Lehre, der für öffentliche Unternehmen eine vollumfängliche Grund- rechtsbindung annimmt, stark kritisiert.166

Im März 2011 entschied das Bundesverwaltungsgericht über die Grundrechtsbindung [106]

der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB AG) bezüglich der Nutzung von Bahnhofswänden als Werbefläche.167 Die Beschwerde richtete sich gegen eine Verfügung der SBB AG, die der Beschwerdeführerin den Aushang eines Plakats, welches die Siedlungspolitik der israelischen Regierung kritisierte, im Bahnhof Zürich verboten hatte. Die Beschwerdeführerin machte in der Beschwerde einen Verstoss gegen die Meinungsäusserungsfreiheit geltend. Das Bundes- verwaltungsgericht stellte in seinem Urteil fest, dass die SBB AG an die Grundrechte gebun- den sei, wenn sie staatliche Aufgaben wahrnehme. Dies sei nicht nur in Bezug auf den Per- sonenverkehr, sondern auch beim Betrieb der Eisenbahninfrastruktur der Fall. Die Publikums- anlagen – zu welchen auch die Bahnhofswände zu zählen seien – stellten eine Sache im Gemeingebrauch dar, die eine spezifische Zweckausrichtung aufweise. Eine kommerzielle Nutzung der Bahnhofswand sei somit zwar nicht ausgeschlossen, dürfe aber dem Bahnver- kehr nicht hinderlich sein, da finanzielle Interessen gegenüber dem staatlichen Interesse zu- rückzutreten hätten.168 Weiter stellte das Gericht fest, dass im Zusammenhang mit der Rege- lung der Nutzung der Bahnhofswand grundrechtliche Ansprüche aufgrund der Meinungsfrei- heit entstehen könnten, nämlich ein bedingter Anspruch auf gesteigerten Gemeingebrauch.

Die Verweigerung der Bewilligung des Plakataushangs, die eine Einschränkung der Mei- nungsfreiheit darstelle, sei deshalb unzulässig, weil sie einer Verhältnismässigkeitsprüfung nicht standhalte.169 Die SBB AG zog den Fall vor das Bundesgericht, welches den Entscheid mit Urteil vom 3. Juli 2012 bestätigte.170

Im Fall VgT gegen die Schweiz171 stellte der EGMR fest, dass ein Staat seine Schutz-

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pflichten jedenfalls dann verletzt, wenn er eine Einschränkung eines konventionellen Rechts, die in einer demokratischen Gesellschaft über das Notwendige hinausgeht, durch ein höchst- instanzliches Urteil gutheisst: Als der VgT 1994 in Reaktion auf verschiedene Werbespots der Fleischindustrie einen kurzen Werbefilm für einen verringerten Fleischkonsum über die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft ausstrahlen lassen wollte, lehnte die AG für das Werbefernsehen (die heutige Publisuisse) die Ausstrahlung aufgrund des „eindeutig poli- tischen Charakters“ des Spots ab. Nachdem das Bundesgericht als letzte innerstaatliche In- stanz die Beschwerde des VgT gegen diese Verfügung abgewiesen hatte,172 wandte sich der Beschwerdeführer an den EGMR und rügte eine Verletzung seiner Meinungsäusserungsfrei- heit nach Art. 10 EMRK. Im Verfahren vor dem Gerichtshof stellte sich die Schweizer Regie-

164 Postgesetz vom 30. April 1997, aufgehoben durch Art. 39 Postgesetz vom 17. Dezember 2010 (SR 783.0).

165 BGE 129 III 35, E. 5.3, S. 41.

166 Vgl. z.B. ULRICH HÄFELIN/GEORG MÜLLER/FELIX UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl., Zürich u.a. 2010, Rz. 1239; MÜLLER, S. 59 ff, Rz. 14 ff.

167 BVGE A-7454/2009 vom 29. März 2011.

168 BVGE A-7454/2009 vom 29. März 2011, E. 8.6.5, S. 15.

169 BVGE A-7454/2009 vom 29. März 2011, E. 9.6, S. 20 und E. 10.4.3 ff., S. 23 ff.

170 Urteil des Bundesgerichts 2C_415/2011 vom 3. Juli 2012.

171 EGMR, VgT v. Switzerland, 24699/94 (2001).

172 BGE 123 II 402.

rung unter anderem auf den Standpunkt, dass die Schweiz für eine allfällige Verletzung von Art. 10 EMRK durch die AG für das Werbefernsehen nicht verantwortlich sei, da diese eine privatrechtliche Gesellschaft sei und die Behörden keine Aufsichtsfunktion ihr gegenüber innehätten.173 Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft nehme bei der Ausstrah- lung von Werbefilmen keine staatliche Aufgabe wahr und könne sich deshalb auf die Ver- tragsfreiheit berufen. Die Frage, die sich stelle, sei also, ob der Schweiz die positive Pflicht zugefallen wäre, die volle Wirkung der Meinungsäusserungsfreiheit zwischen den privaten Parteien zu garantieren, und ob das Gesetz, auf dessen Grundlage die AG für das Werbe- fernsehen die Ausstrahlung von Werbefilmen politischen Charakters verweigern kann, mit Art. 10 EMRK vereinbar sei.174 Der Gerichtshof weist in diesem Zusammenhang auf die Exis- tenz positiver Schutzpflichten des Staates hin,175 hält es aber nicht für nötig, sich zur Wir- kung von Konventionsrechten zwischen Privatpersonen zu äussern.176 Er stellt lediglich fest, dass dem Beschwerdeführer aufgrund der bundesgerichtlichen Auslegung des interstaatli- chen Rechts eine politische Äusserung verboten werden durfte. Damit falle eine allfällige Verletzung der Meinungsäusserungsfreiheit nach Art. 10 EMRK in die Verantwortung des Staates.177 Da der EGMR das Verbot als unverhältnismässig beurteilte, kam er zum Schluss, es liege eine Verletzung von Art. 10 EMRK vor.178

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