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5. DARSTELLUNG DER ERGEBNISSE

5.1 D IE K ATEGORIEN

5.1.1 A USSTATTUNG DER F RAUEN

Umwelt intern (Ui) – Die biologische Ausstattung

Die erste Kategorie umfasst die biologischen Determinanten wie Alter, Herkunft, aber auch das Beziehungsmuster und Kinder als Faktor im Rahmen der Ressourcenanalyse. Diese soziodemographischen Aspekte werden eingangs beschrieben. Nach Geiser werden im Rahmen der biologischen Ausstattung neben Alter oder Herkunft auch die Probleme und Ressourcen hinsichtlich der biologischen Zustände, die die Gesundheit der Individuen betreffen, analysiert (vgl. Geiser 2015: 99f).

Alter

Das Alter der Interviewpartnerinnen war unterschiedlich. Die jüngste der Inter- viewpartnerinnen war 29 Jahre alt und die Älteste 46 Jahre. Innerhalb der Altersverteilung war ersichtlich, dass Frauen zwischen 29 – 32 Jahre die Mehrheit der Frauen gebildet haben. Diese Verteilung der Altersgruppe spiegelt sich auch in der Statistik der Frauenhäuser wider12.

Herkunft und Migration

Wie bereits erwähnt, hatten die ersten sechs Interviewpartnerinnen türkischen Hintergrund.

Die anderen vier Frauen kamen aus unterschiedlichen Ländern des afrikanischen und asiatischen, sowie aus dem europäischen Raum.

Sieben der Frauen kamen im Rahmen einer Familienzusammenführung (Aufenthaltsrecht durch einen Partner) nach Österreich. Eine der türkischen Frauen ist in Österreich geboren.

Eine der Frauen konnte sich als EU-Bürgerin ohne Visum in Österreich aufhalten. Eine der Interviewpartnerinnen, die im Rahmen der Arbeitseinsetzung ihr Visum in Österreich bekam, verlor ihr Aufenthaltsrecht nachdem sie schwanger wurde und nicht arbeiten konnte. Dieser Umstand wurde durch eine Eheschließung mit ihrem Partner gelöst, um ein Aufenthaltsrecht im Rahmen der Familienzusammenführung zu bekommen. Dies hat unter anderem auch die Auswirkung, dass sie sich offiziell nicht scheiden lassen kann, um ihr Aufenthaltsrecht, das an ihren Partner gebunden ist, nicht zu verlieren, bis sie das Recht auf ein eigenständiges Aufenthaltsrecht bekommt.

Beziehungsmuster

Unter Beziehungsmuster wurden die unterschiedlichen Formen der Gewaltbeziehungen der Interviewpartnerinnen ausgeführt. Bei allen zehn Interviewpartnerinnen handelte es sich um Partnergewalt.

Neun der Frauen waren mit den gewalttätigen Männern verheiratet, eine der Frauen lebte in einer Lebensgemeinschaft. Fünf der türkischen Frauen sind durch die Heirat nach Österreich immigriert, davon wurde eine der Frauen als Minderjährige (mit 15 Jahren) zwangsverheiratet. Die anderen vier Frauen wurden ebenso nach Abschluss der

12 siehe im Theorieteil: 2.3. Statistik zur häuslichen Gewalt in Österreich

56 Sekundarschule durch die Eltern zwangsverheiratet. Die Zwangsverheiratung als Faktor für häusliche Gewalt wurde im Theorieteil näher erklärt. Die anderen zwei Frauen sind, wie bei den türkischen Frauen, durch die Ehe nach Österreich immigriert. Zwei weitere Frauen waren zu Ausbildungszwecken in Österreich und haben ihre Partner durch Online-Dating- Plattformen kennengelernt. Sieben der Frauen waren in kulturell homogenen Beziehungen.

Das heißt, sie waren auch mit Männern mit demselben Hintergrund verheiratet bzw. lebten in einer Lebensgemeinschaft. Die anderen drei der Frauen führten binationale13 Ehen.

Die Beziehungen der Frauen waren zudem von unterschiedlicher Dauer. Die kürzeste Beziehung dauerte 1,5 Jahre. Die Dauer der Beziehungen war unterschiedlich und variierten mehrheitlich von 2 – 7 Jahren. Eine der Frauen trennte sich von ihrem Mann, mit der sie 10 Jahre verheiratet war. Einer der Interviewpartnerinnen konnte sich aus ihrer 16- jährigen Ehe lösen. Dies zeigt, dass Frauen sich auch von längeren, destruktiven Beziehungen lösen können und dass jede von Gewalt betroffene Frau ihren individuellen, inneren Prozess hat, um sich aus der Gewaltbeziehung trennen zu können.

Kinder

Neun der interviewten Frauen hatten Kinder. Die Anzahl der Kinder variierte zwischen 1 und 3 Kindern. Eine der Frauen hatte keine Kinder.

Die Interviewpartnerinnen, die Mütter waren, unterstrichen, dass sie erst die Entscheidung ins Frauenhaus zu gehen klar treffen konnten, als sie Gefahr für ihre Kinder gesehen haben. Die Angst, es könnte ihren Kindern etwas zustoßen, erleichterte für sie die Entscheidung sich an einen sicheren Ort zu begeben. Demgemäß werden von den Müttern die Kinder als Motivation und Ressource empfunden. So auch die Interviewpartnerin 6,

„Ich habe zwei Kinder. Sie sind alles für mich. Sie wurden meine Lebensfreude. Ich versuchte mich für sie am Leben zu halten.“ (Interview 6: 60)

Die Kinder sind demnach Motivator, die Gewaltbeziehung zu beenden. Die Aussage der Interviewpartnerin 2, macht deutlich, dass sie sich selbst zweitrangig sieht und die Gewaltbeziehung dulden könne, wenn die Kinder nicht wären.

„Wenn ich allein wäre, würde ich es dulden oder vielleicht wäre ich gegangen, aber ich musste es für meine Kinder tun. Ich bereue es auch nicht.“ (Interview 2: 85f)

Der Gedanke, die Ehe für die Kinder aufrechtzuerhalten und die Gewalt zu dulden, um eine zerrüttete Familie zu vermeiden, spiegelt sich in den Interviews wider. Auch die Interviewpartnerin 4 konfrontiert sich mit diesem Thema,

„Während meiner Ehe habe ich versucht, mein „Nest“14 nicht zu zerstören, dann habe ich gesehen, dass auch mein Kind darunter leidet, während ich versuche, dass mein Kind nicht

13 binational: zwei Nationen oder Staaten gemeinsam betreffend (vgl. Duden o.J.)

14 Das Wort „Nest“ wurde wortwörtlich vom türkischen übersetzt und so behalten. Gemeint ist „Zuhause“, als ein sicherer Ort für ihre Mitglieder.

57 ohne Vater bleibt, leidet mein Kind. Was hat das dann für einen Sinn, wenn das Kind verletzt ist?“ (Interview 4: 184ff)

Auch an einer anderen Stelle die Interviewpartnerin 3,

„Du15 willst es für die Kinder aushalten, aber nach einer Weile sagst du, es reicht.“

(Interview 3: 56f)

Durch diese Aussagen der Interviewpartnerinnen kann davon ausgegangen werden, dass Kinder als Ressource für eine Trennung gesehen werden. Die gewaltbetroffenen Frauen, die für sich selbst die Entscheidung zur Trennung nicht treffen können, übernehmen die Verantwortung für ihre Kinder. Es kann also davon gesprochen werden, dass sie die Gefährdung des Kindeswohls erkennen und dementsprechend handeln. Auch Abbas und Olsen stellten im Rahmen ihrer Forschung fest, dass Kinder als Motiv oder Auslöser für die gewaltbetroffenen Frauen auftreten, um Hilfe von außen zu suchen (vgl. Abbas, Olsen 2010: 138).

Der körperliche Zustand der Frauen

Aus der Theorie, aber auch aus den Interviews wurde ersichtlich, dass Frauen unter unterschiedlichen gesundheitlichen Problemen leiden bzw. litten. Durch psychische Unterdrückung und durch die verschiedenen Arten von Gewalt litten und leiden Frauen unter Belastungsstörungen wie Depressionen, Panikattacken oder traumatischen Störungen.

Diese Belastungen und Krankheiten führten für die Frauen dazu, sich eine Zeit lang von der Gesellschaft zu isolieren. Sie konnten keiner Beschäftigung nachgehen wie z.B. die Interviewpartnerin 8, die wegen ihrer damaligen psychischen Situation nicht arbeiten konnte.

„In der Zeit war ich noch im Krankenstand und dann war ich wieder arbeiten“ (Interview 8:

235)

Wie auch bei Interviewpartnerin 6, die angibt nach bzw. während ihrer destruktiven Beziehung gesundheitliche Probleme zu haben,

„Meine Migräne begann. Ich habe Migräne. Ich habe auch die Kropf-Krankheit. Dann hatte ich viele gesundheitliche Probleme durch Stress und Trauer.“ (Interview 6: 103f)

Nach Bernasconi wird bei biologischen und körperlichen Problemen das Bedürfnis nach physischer Integrität verletzt (vgl. Staub-Bernasconi 2018: 213). Bei den gewaltbetroffenen

15Im Rahmen der Interviews war öfters ersichtlich, dass Frauen in der 3. Person von sich sprachen. Nach den Untersuchungen eines Wissenschaftlerteams aus Michigan State University, sprechen diejenigen Personen in der 3. Person von sich, wenn sie eine emotionale Distanz zum Erzählten schaffen möchten. So hilft diese Art Stress- und Emotionen zu bewältigen (vgl. Moser et al. 2017: o.S.)

58 Frauen, die diesen Mangel und diese Verletzung ihrer Bedürfnisse erleben, verursacht dies gesundheitliche Probleme, die schließlich wieder zu sozialen Problemen führen. Es ist ein Kreislauf, der durch ein soziales Problem (Häusliche Gewalt) verursacht wird und über ein physisches/psychisches Problem, wiederum zu einem sozialen Problem (Isolation von der Gesellschaft durch Krankheit) führt. Diese Theorie bestätigt auch die Interviewpartnerin 7,

„Ich war wirklich in einem schlechten Zustand, ich habe geweint, geweint, geweint.“

(Interview 7: 424) und führt weiter aus, „Ich habe mich gefühlt, dass ich hier im Gefängnis bin.“ (Interview 7: 177)

Das Gefühl des Gefangenseins findet sich in vielen Teilen der Interviews. Wie auch die Interviewpartnerin 9, die sich mit einem Vogel in einem Käfig vergleicht.

„[...], so wie ein Vogel und gibst du diesen Vogel in eine, wie sagt man das?“ [Ergänzung der Interviewerin: „Meinen Sie Käfig?“] „Ja, und ich konnte nicht hinausgehen.“ (Interview 9: 172)

An einer anderen Stellt führt die Interviewpartnerin 6 aus,

„Ich war wie in einem offenen Gefängnis und jeden Moment kann dieser Typ, seine Hand heben und gegen meinen Kopf schlagen.“ (Interview 6: 5f)

Es ist feststellbar, dass das Bedürfnis nach Freiheit, nach Autonomie, aber auch das Bedürfnis nach Unversehrtheit, das Bedürfnis nach Schutz vor Verletzung und Gewalt, wie im theoretischen Teil nach Obrecht beschrieben, enorm beschädigt wird. Dennoch konnten die Frauen, durch die Entscheidung ins Frauenhaus zu gehen, das Gefühl des Gefangenseins durchbrechen. Um den Blickwinkel auf die Ressourcen zu richten, ist es hierbei wichtig, auch die innere Kraft der Frauen zu würdigen. Denn es bedarf neben einem inneren Prozess, auch einer inneren Stärke, um die Entscheidung zur Trennung zu treffen.

Neben ihren Kindern, die eine Ressource oder einen Motivator bedeuten, um die Entscheidung ins Frauenhaus zu gehen, treffen zu können, kann sich die Kraft und Stärke auch aus äußeren Faktoren wie etwa sozioökonomischen oder soziokulturellen bilden. Im nächsten Teil der Arbeit werden die externen Faktoren, die zu einer Trennung führten, analysiert.

Umwelt extern (Ue) – Die soziale Ausstattung

Im nächsten Teil der Arbeit werden die Subkategorien der sozialen Ausstattung von den interviewten Frauen dargestellt.

Die sozioökonomische Ausstattung

Innerhalb der sozioökonomischen Eigenschaften, wie bei Staub-Bernasconi und Geiser beschrieben, können Probleme als auch Ressourcen auftreten. Die vorhandenen Determinanten in dieser Kategorie sind wichtig, um ein eigenständiges Leben führen zu können und stellen eine Basis dar, um sich in die Gesellschaft integrieren und eine soziale Position einnehmen zu können (vgl. Geiser 2015: 102).

59 Als erstes wird im Rahmen der soziökonomischen Eigenschaften der Punkt ‚Bildung

beschrieben. Es geht aus den Interviews hervor, dass drei der türkischen Frauen einen Pflichtschulabschluss besitzen. Die anderen drei haben eine berufsbildende mittlere Schule besucht. Davon konnte eine der türkischen Frauen die Sekundarschule nicht zu Ende führen. Eine der Frauen hat einen Lehrabschluss. Drei der restlichen Interviewpartnerinnen besaßen einen Universitätsabschluss im Masterniveau. Eine davon war dabei, ihre Habilitation zu beginnen.

Das heißt, alle der Frauen hatten einen gewissen Bildungsstand. Dabei war ersichtlich, dass die türkischen Frauen die niedrigsten Bildungsabschlüsse besaßen. Jedoch gaben sie alle den Wunsch an, weiter in die Schule gehen zu wollen. Durch die Eheschließung und Einreise nach Österreich war eine Weiterbildung jedoch nicht mehr möglich. Durch Druck der Familie und gesellschaftliche, kulturelle Bedingungen (wie bereits im Theorieteil erörtert) wurden die Frauen sehr jung (auch als Minderjährige) verheiratet.

Die Interviews zeigen auf, dass hauptsächlich die türkischen Frauen unter diesem familiären Druck und den kulturellen Bedingungen gelitten haben. Dies zeigt die Aussage einer türkischen Interviewpartnerin:

„Ich wurde in der Mittelschule abgeholt, um zu heiraten. Sie konnten nicht einmal bis zum Ende der Mittelschule warten. Ich bin dann hergekommen. Sie wissen bereits, wovon ich spreche, sie waren nie eine Familie, die mir erlaubt hätte in die Schule zu gehen oder zu arbeiten.“ (Interview 3: 89ff)

Andernorts wird die Aussage getroffen, „Ich habe das Gymnasium beendet, ich wollte in die Universität, aber sie haben mich zwangsverheiratet.“ (Interview 2: 189)

Auch die Interviewpartnerin 4 bringt ihr Leiden darüber zum Ausdruck,

„Ja, ich habe das Gymnasium besucht, aber ich wollte zur Universität, ich hatte zwei Kurse, um das Diplom zu bekommen, aber durch die Ehe, blieb es unvollendet.“ (Interview 4: 116f) Der Wunsch der Frauen, sich weiterbilden zu wollen, ist in den Interviews ersichtlich.

Zudem entsteht – je höher der Bildungsabschluss – ein Selbstvertrauen bei den Frauen.

So auch Interviewpartnerin 8, die einen Masterabschluss besitzt und die Diskrepanz zwischen sich und ihrem Partner folgendermaßen erlebte,

„Er war mit mir irgendwie eifersüchtig. Du gibst mir keine Aufmerksamkeit wegen deinem Studium. Und was soll ich tun? Du hast kein Ziel, machst du dir ein Ziel, für persönliche ich weiß nicht, finde dir ein Hobby.“ (Interview 8: 251f)

Wie auch andernorts „Ich bin ausgebildet und er denkt anders und ich denk anders.“

(Interview 8: 13)

Aus bedürfnistheoretischer Sicht, so Geiser (vgl. 2015: 102), stellt die soziale Ausstattung hinsichtlich einer guten, formalen Bildung eine Bedingung zur Deckung biologischer und psychischer Bedürfnisse dar. Denn der Zugang und die Nutzung von Bildung sind grundlegende Voraussetzungen für eine soziale Teilnahme (ebd.) und eine gute, formale Bildung kann den Zugang zu Wissen und zu gesellschaftlichen Gütern ermöglichen.

60 Daraus kann abgeleitet werden, dass Frauen mit guten Bildungsabschlüssen auch eher einen Zugang zum Arbeitsmarkt besitzen. Damit wird der zweite Punkt im Rahmen der sozioökonomischen Faktoren „Beruf/Beschäftigung/Erwerbstätigkeit“ aufgezeigt.

Die geführten Interviews machten deutlich, dass mehrheitlich die türkischen Frauen vom Arbeitsmarkt isoliert waren. Drei der türkischen Frauen gaben an, nie gearbeitet zu haben.

Dies wurde damit begründet, dass sie von ihren Männern kontrolliert wurden und nicht die Möglichkeit hatten, einer Beschäftigung nachzugehen. Die Kontrolle durch ihren Mann stellt beispielsweise die Interviewpartnerin 2 folgendermaßen dar,

„Wenn ich gearbeitet hätte (2 Sek.), wobei das mit meinem Mann unmöglich war. Er ist gegen berufstätige Frauen, für ihn sind berufstätige Frauen, irgendwelche Frauen, die nichts Gutes machen.“ (Interview 2: 195f)

Die anderen drei türkischen Frauen waren zu dem Zeitpunkt berufstätig bzw. hatten Berufserfahrung. Die Erwerbstätigkeiten variierten von Einzelhandel bis Selbständigkeit.

Die restlichen Interviewpartnerinnen waren zum Zeitpunkt der Interviewführung berufstätig oder sie gingen einer anderen Beschäftigung nach wie z.B. ein Praktikum oder Besuch eines Kurses des AMS16. Hier war auch ersichtlich, dass die Frauen in unterschiedlichen Branchen wie Gastronomie oder etwa als Lehrkraft tätig waren.

Die Berufstätigkeit und der Erwerb eines eigenen Einkommens, hatte zur Folge, dass Frauen sich selbstständiger fühlten. Dies hatte nach einer Aussage auch Einfluss auf die Beziehung.

„Es war gut, dass ich angefangen habe zu arbeiten, weil ich gemerkt habe, dass ich auf meinen eigenen Beinen stehen könnte, er hat das auch gemerkt.“ (Interview 4: 165f) Im Rahmen einer gesicherten Arbeitsstelle nimmt bei den sozioökonomischen Ressourcen auch das Erwerbseinkommen eine wichtige Rolle ein. Die Erwerbstätigkeit und das eigene Einkommen werden in der systemischen Denkfigur als Quelle betrachtet um ein au- tonomes Leben führen und dieses selbst kontrollieren und beeinflussen zu können. In Anbetracht der beschriebenen Bedürfnistheorie von Obrecht stellt die finanzielle Unabhängigkeit und die Verfügbarkeit eigener finanzieller Mittel ein Grundbedürfnis von Individuen dar, um die Ziele und Wünsche innerhalb der gesellschaftlichen Normen zu erreichen. Dies wird auch mit dem Zitat einer Interviewpartnerin gestützt,

„Ich möchte mir auch was kaufen, ich will von ihm nicht Geld nehmen [...] das war auch ein Grund, wo ich nicht von ihm abhängig sein wollte“ (Interview 8: 46)

Oder an einer anderen Stelle wird folgende Aussage getroffen,

„Ich habe keine Arbeit gehabt. Nur zuhause war für mich langweilig. Ich wollte hinausgehen“ (Interview 9: 313)

16 Arbeitsmarktservice

61 Diese Aussagen zeigen auf, dass auch Frauen mit Migrationshintergrund nach Zielen und Normen streben, um ihre Bedürfnisse und Wertkriterien zu erfüllen. Die Unzufriedenheit durch die Situation der Arbeitslosigkeit spiegelte sich auch in den Interviews wider, so auch die Interviewpartnerin 8.

„Ich bin gekommen und ein Jahr kein Job, hat nur er gearbeitet, das war für mich ganz schwer.“ (Interview 8: 44f)

Oder an einer anderen Stelle „Ich wollte normal arbeiten und mein Mann sagt, Nein! Ich wollte normale Arbeit.“ (Interview 9: 48f)

Wie auch die Interviewpartnerin 7, die keine Jobchancen bekommen hat, obwohl sie die deutsche Sprache beherrscht,

„Ich habe Deutsch gelernt, warum glauben sie nicht, dass ich Deutsch reden kann, sie haben mich nicht einmal zum Vorstellungsgespräch eingeladen, da war ich wirklich deprimiert.“ (Interview 7: 213ff)

Diese beiden Aussagen zeigen auf, dass die gesellschaftlich-sozialpolitischen Probleme sich in allen Ebenen der sozialen Systeme von Makro- bis Mikrosysteme, d.h. bis im kleinsten System der Familie widerspiegeln. Die Vorenthaltung der soziökonomischen Ausstattung durch mächtigere Akteure (sei es von einem anderen Individuum oder vom sozialen System) stellt, so Staub-Bernasconi, eine Verletzung des Bedürfnisses nach relativer Autonomie, sowie nach gesellschaftlich relevanten soziokulturellen Mitgliedschaften, subjektiv relevanten Zielen und sozialer Anerkennung dar (vgl. Stau b- Bernasconi 2018: 213).

Die Aussagen machen deutlich, dass Frauen trotz Hürden bestrebt sind, ihre Bedürfnisse und Ziele zu erreichen. Obwohl nicht alle Frauen einen hohen Bildungsabschluss oder ein eigenes Erwerbseinkommen besaßen, ist den Frauen dennoch die Loslösung von der Gewaltbeziehung gelungen. Dies zeigt auf, dass es nicht nur auf die sozioökonomischen Gegebenheiten ankommt. Als Ressource kann hier der Wille und der Wunsch der Frauen sich weiterzubilden und weiterzuentwickeln genannt werden.

Wie bereits beschrieben, können Frauen, die ein gutes Einkommen und eine gute formale Bildung besitzen, eine soziale Position, Status und soziale Anerkennung erlangen. Durch Mangel dieser Eigenschaften erfolgt ein Status- bzw. Prestigeverlust, der als ein soziales Problem definiert wird. Diese soziale Position hat wiederum Folgen auf die Aufrechterhaltung der Konsum-, Bildungs- und Freizeitmöglichkeiten (vgl. Geiser 2015:

104).

Die nächste Subkategorie widmet sich den soziokulturellen Eigenschaften der Frauen.

Die soziokulturelle Ausstattung

Die soziokulturellen Eigenschaften beschreiben die zugeschriebenen Eigenschaften, derer man sich nicht entledigen oder die man nicht ändern kann (vgl. Geiser 2015: 105). Es handelt sich um zugeschriebene Eigenschaften, die auf der sozialpolitischen und gesellschaftlichen Ebene zu sozialen Problemen führen können und daraus in Folge

62 Isolation und Ausschluss aus der Gesellschaft bzw. wie bereits beschrieben Intersektionalität erfolgt. Die Isolation kann nach Geiser selbst gewählt werden, aber auch von mächtigeren Akteur*innen erzeugt werden.

Der Sprache wird im Rahmen der systemischen Sozialen Arbeit, aber auch in der Bedürfnistheorie eine wichtige Bedeutung zugemessen. Die Sprache, so Geiser,

„[...], ist das grundlegende Kommunikationsmittel (Bedingung für Kooperation!), [H.i.O].“

(Geiser, 2015: 158) Das heißt, Kommunikation ist unentbehrlich für soziale Beziehungen.

Dies weiß auch die Interviewpartnerin 8 und bestätigt die obige These folgend,

„Kommunikation ist sehr wichtig, in alles, in Familie, in Beruf, wohin du gehst, das brauchst du, kommunizieren.“ (Interview 8: 180f)

Im Rahmen dieser Arbeit werden die Deutschkenntnisse und in Folge die sprachlichen Barrieren als Thema behandelt. Die Interviewpartnerinnen thematisieren die sprachlichen Barrieren als Hindernis, sich in die Gesellschaft integrieren zu können. Die Relevanz der Aneignung von Sprachkenntnissen, definiert die Interviewpartnerin 2:

Wenn ich mein eigenes Einkommen hätte, die Sprache gekonnt hätte und wüsste, wo, was ist, ich brauchte ihn nicht. Ich denke ich könnte es schaffen. Wenn meine Familie mich so unterstützt hätte wie heute, wäre ich in der Lage gewesen, auf eigenen Beinen zu ste- hen.“ (Interview 2: 242ff)

Umgekehrt werden Frauen trotz vorhandener Sprachkenntnisse ausgeschlossen, wie bereits im Rahmen der Zugangsmöglichkeiten zum Arbeitsmarkt erläutert:

„Ich habe Deutsch gelernt, warum glauben sie nicht, dass ich Deutsch reden kann? Sie haben mich nicht einmal zum Vorstellungsgespräch eingeladen, da war ich deprimiert.“

(Interview 7: 213ff)

Die Interviewpartnerin 10 gibt an,

„Gott sei Dank kann ich Deutsch, Gott sei Dank kenn ich mich bei einigen Sachen aus. Ich habe gute Freundinnen. Ich war beim Jugendamt und ließ mich beraten, dass die Kinder trotzdem mit mir bleiben, dass es sowas gibt auch Frauenhaus und Frühe Hilfen und diese Angst war dann langsam weg.“ (Interview 10: 333ff)

Obiges Zitat deutet darauf hin, dass die Beherrschung der deutschen Sprache für die interviewten Frauen eine Quelle darstellt, sich zu artikulieren und um Wissen und Informationen einzuholen. Im Gegensatz dazu sind sprachliche Barrieren eine Hemmschwelle und ein Hindernis sich im sozialen Leben einzugliedern und folgend auch Hilfe bei Behörden oder Ämtern zu suchen. So auch Interviewpartnerin 8,

Also, jetzt meine deutsche Sprache ist jetzt besser geworden, vorher kann ich nicht sagen, dass ich alles verstanden habe, ich habe gar nichts verstanden, wem soll ich was erzäh- len?“ (Interview 8: 172)

63 Die Hemmschwelle und die Hemmung, die durch mangelnde Deutschkenntnisse entsteht, wird mit der folgenden Aussage der Interviewpartnerin verständlicher,

„Ich ging einfach um die Eingangstür der Polizei herum. Ich spreche kein Deutsch, wer soll mich unterstützen?“ (Interview 3: 232f)

Durch diese zwei Zitate wird deutlich, dass die sprachliche Barriere für die Frauen ein Hindernis darstellt, sich an Behörden oder Beratungsstellen zu wenden. Das Gefühl nicht verstanden zu werden oder die Angst sich nicht erklären zu können, führte dazu, die Gewaltbeziehung weiterhin auszuhalten. Die sprachliche Barriere als Faktor für die Duldung der Gewaltbeziehung wurde im Theorieteil erörtert.

Durch sprachliche Barrieren und Hemmschwellen können soziale Probleme als Interaktionsprobleme entstehen und dies gefährdet, so Geiser, insbesondere die soziale Integration, die zu Positionsproblemen führen, wie z.B. die Gefährdung der sozialen Integration in das Erwerbsleben (vgl. Geiser 2015: 60).

Neben der Sprache kommt auch den Werten und Normen innerhalb der soziokulturellen Eigenschaften eines sozialen Systems eine wichtige Bedeutung zu. Werte und Normen eines sozialen Systems vermitteln individuellen Akteuren eine Orientierung (Geiser 2015:

158). Die Werte und Normen einer religiösen oder ethnischen Gruppe können innerhalb einer Gesellschaft demnach die soziale Teilnahme- und Teilhabechancen von Individuen fördern oder behindern (ebd.).

Die Interviewpartnerin 8, macht auf diese Differenz aufmerksam mit der Aussage,

„Ihr17 habt andere Mentalität und wir sind anders, auf jeden Fall wir denken anders als ihr.“

(Interviewpartnerin 8: 175)

Und ihre Hemmschwelle aufgrund sprachlicher Barrieren wird im Folgenden deutlich:

Egal wie gut ein Mensch ist, er wird mich nicht verstehen, ich kann das nicht erklären, ich könnte das nicht erzählen auf Deutsch.“ (Interview 8: 174f)

Bei der Interviewpartnerin ist ersichtlich, dass sie eine kulturelle Differenz von Werten wahrnimmt und dementsprechend befürchtet, sowohl aufgrund unterschiedlicher Werthaltungen als auch aufgrund der sprachlichen Barriere, nicht verstanden zu werden.

Auch die Ressourcen hinsichtlich der unterschiedlichen sozialen Abstammungen und der unterschiedlichen Muttersprachen der Frauen mit Migrationshintergrund, werden häufig außer Acht gelassen. Die Frauen tragen durch ihre Mehrsprachigkeit nämlich zu Diversität bei, die innerhalb des gesellschaftlichen Systems genutzt werden könnte. So auch Interviewpartnerin 7, die den Wunsch äußert den Personen in ähnlicher Lage helfen zu wollen,

17 auf die Interviewführerin zeigend