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3. DIE SYSTEMTHEORETISCHE SOZIALE ARBEIT

3.1 D AS S OZIALE P ROBLEM UND DER A UFTRAG FÜR DIE S OZIALE A RBEIT

3.1.1 A USSTATTUNGSPROBLEME EINES I NDIVIDUUMS

Mit Ausstattung sind die individuellen Eigenschaften des Menschen gemeint, hierbei han- delt es sich um folgende Ausstattungseigenschaften (vgl. Geiser 2015: 93ff).

Die biologischen Ausstattungsprobleme – Umwelt intern (Ui)

Im Rahmen der Systemtheorie, wie bereits geschildert, stellt der menschliche Organismus ein Biosystem innerhalb eines Systems dar. Der Mensch wird im Rahmen dieses Verständnisses als ein biopsychisches System mit einem peripheren Nerven- und Zentralnervensystem mit Gehirn und Rückenmark, als grundlegende Komponenten, verstanden. Innerhalb dieses Biosystems können Probleme und biologische Prozesse oder Zustände entstehen, die für die betroffenen Personen zu Nachteilen wie z.B. Isolation und Ausschluss von sozioökonomischen, -ökologischen oder -kulturellen Bedingungen führen.

Diese Isolation verletzt die Befriedigung der Bedürfnisse nach psychischer Integrität und existenzieller Sicherheit eines Menschen (Geiser 2015: 99). Unter körperlichen Zuständen bzw. Prozessen versteht Geiser das Alter, das Geschlecht, die Herkunft, die Hautfarbe, das Gewicht, aber auch das äußere Erscheinungsbild (vgl. ebd.). Die psychischen und biologischen Prozesse, die nicht erwartungsgemäß verlaufen oder vorhanden sind, beeinträchtigen das Denken, Fühlen und Handeln, sowie das Wohlbefinden (vgl. ebd.: 99).

Die biologische Ausstattung eines Individuums wird nach Geiser mit folgenden Fragen erörtert: „In welchem körperlichen Zustand befindet sich das Individuum?“, „Sind Körperfunktionen beeinträchtigt?“, „Welche biologischen Eigenschaften führen zu Problemen und welche Ressourcen können (re-)aktiviert werden?“ (Geiser 2015: 98). Je nach Problematik, Mangel oder Überschuss an körperlichen Eigenschaften können soziale Probleme entstehen. Die gesundheitlichen Probleme, die von Staub-Bernasconi als soziale Probleme definiert werden, sind unter anderem Alkoholkonsum/Alkoholprobleme, Drogenkonsum/Drogenabhängigkeit, körperliche Behinderung, sexuelle Auffälligkeiten wie z.B. Perversion und auch Verletzungen durch Gewalteinwirkungen, Selbstverletzungen, Körpermerkmale etc. (vgl. Staub-Bernasconi 2018: 206; 213). Diese Beeinträchtigungen

38 weiten sich als soziale Probleme aus, wenn - trotz „Abweichungen“ von der biologischen oder gesellschaftlichen Norm – die Bedürfnisse, nach physischer Integrität, nach den für die Reproduktion des Organismus erforderlichen Austauschstoffen, nach sexueller Aktivität, sozialer Anerkennung und Unversehrtheit verletzt werden (vgl. Staub-Bernasconi 2018: 213). Geiser, unterstreicht zudem, dass auch das biologische Geschlecht zu Isolation und Ausschluss aus der Gesellschaft führen kann wie z.B. geringe Bildungschancen von Mädchen und Frauen, oder auch Gewalt gegenüber Frauen und entsprechende Verletzungen (Geiser 2015: 99).

Auch Frauen mit Migrationshintergrund, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, erleben gesundheitliche Folgen. Durch psychische Belastung, aber auch durch physische Beeinträchtigungen erleben sie Konsequenzen, wie auch bei Gruber erörtert (vgl. Gruber 2015: 13f)

Die sozialen Ausstattungsprobleme – Umwelt extern (Ue)

Die im Rahmen der sozialen Ausstattung benannten Probleme beziehen sich nach der systemtheoretischen Sozialen Arbeit auf sozioökonomische, -ökologische und -kulturelle Determinanten. Entlang einer Theorie der menschlichen Bedürfnisse werden die sozialen Ausstattungen und das Fehlen dieser Eigenschaften und Umstände der Adressat*innen analysiert. Die sozioökonomische Ausstattung beinhaltet nach Geiser (vgl. 2015: 102) Faktoren wie Bildung, Berufstätigkeit, Einkommens- und Vermögensverteilung, Wohnung, Konsum- und Bildungsgüter, Kulturkonsum und die daraus resultierende gesellschaftliche Position wie Status, Schichtzugehörigkeit und Mitgliedschaften innerhalb der Gesellschaft.

Diese Komponenten werden nach Verfügbarkeit als Ressource und Machtquelle für die Person verstanden, um das eigene Leben selbständig gestalten und führen zu können.

Soziale Probleme entstehen dann, wenn diese Ressourcen nicht vorhanden sind.

Bildung, Erwerbsarbeit und Einkommen sind für Individuen in unterschiedlichem Maße oder gar nicht zugänglich oder werden ihnen von mächtigeren Akteuren vorenthalten“

(Geiser 2015: 102)

Das heißt, auch die Vorenthaltung der genannten Ausstattungsressourcen stellt ein soziales Problem dar. Die Vorenthaltung kann, wie bereits im 2. Kapitel der Arbeit erörtert, durch den gewalttätigen Mann aber auch durch die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen entstehen. Die sozioökonomischen Ressourcen aber auch das Fehlen dieser Ressourcen haben einen wichtigen Einfluss auf die Gewaltbeziehung. Denn durch einen Mangel dieser Ressourcen unterliegen Frauen einer Abhängigkeit und fühlen sich nicht fähig die Beziehung zu beenden. Denn, je mehr die beschriebenen Problemkonstellationen bei einem Individuum auftreten, so Staub-Bernasconi, desto wahrscheinlicher verringern sich seine Chancen, durch die Eigenaktivität (Selbsthilfe) und Ressourcenerschließung seine Situation verbessern zu können (vgl. Staub-Bernasconi 2018: 214). Durch die fehlende soziökonomische Ausstattung und fehlende Teilhabe an diesen Ressourcen werden Bedürfnisse nach relativer Autonomie, gesellschaftlich relevanten, sozial-kulturellen Mitgliedschaften und auch subjektiv relevanten Zielen von den gewaltbetroffenen Frauen verletzt (vgl. ebd.: 213).

39 Unter sozioökologischer Ausstattung versteht Geiser die territoriale Lage, Größe einer Wohnung, aber auch die Infrastruktur, sowie nahe gelegene Schulen, Tagesstätten für Kinder, Freizeiteinrichtungen, ein kurzer Arbeitsweg, öffentliche Verkehrsmittel, ein gut erreichbarer Notfalldienst etc. (vgl. Geiser 2015: 105). Die sozioökologischen Probleme können unter anderem entstehen, wenn betroffene Personen keine genügend große Wohnung besitzen oder einen fehlenden Zugang zu Gesundheitsversorgung haben oder keine Mobilitätsmöglichkeiten aneignen können. Bereits im ersten Theorieteil wurde beschrieben, dass Frauen mit Migrationshintergrund häufig in prekären Wohnsituationen leben oder keinen Zugang zu Ärzt*innen oder anderen Stellen, aufgrund von Isolation und Ausschluss von der Gesellschaft, haben. Nach Staub-Bernasconi gehen mit den, beschriebenen sozioökonomischen Umständen „[...] auch des Öfteren eine ärmliche, infrastrukturell, unterentwickelte bis verwahrloste sozialökologische Wohnumwelt einher.“

(Staub-Bernasconi 2018: 213). Das heißt, die zwei Determinanten bedingen einander und können nicht getrennt voneinander betrachtet werden.

Die soziokulturellen Eigenschaften beschreiben die Zugehörigkeit zu einer Ethnie oder zu einer Religionsgemeinschaft bzw. einer Sprache einer Minderheit, sowie die sprachliche Barriere. Diese Eigenschaften sind nach Geiser zugeschriebene Eigenschaften, derer man sich nicht entledigen kann (vgl. Geiser 2015: 105). Nach Geiser entstehen unter diesem Aspekt soziale Probleme, wenn bestimmte Bevölkerungsgruppen unter Diskriminierung oder Ausschluss stehen. Nach Geiser kann der soziale Ausschluss im Rahmen einer

Ghettoisierung“ selbst gewählt werden oder durch das soziale System entstehen (vgl.

ebd.). Die Intersektionalität, die die Frauen erleben, wurde im 2. Kapitel beschrieben.

Frauen mit Migrationshintergrund sind aus mehrfacher Hinsicht belastet. Durch den Migrationshintergrund und durch die sprachliche Barriere entstehen Probleme in unterschiedlichen Ebenen (wie sozioökonomische oder -ökologische). Unter anderem werden durch ideologisierte Gesellschaftsbilder, wie bei Staub-Bernasconi definiert, bestimmte soziale Gruppen oder Individuen entwertet (Staub-Bernasconi 2018: 213). In diesem Rahmen kann davon gesprochen werden, dass Frauen unter stigmatisierenden Fremdbildern leiden bzw. mit Vorurteilen zu rechnen haben. Daraus resultierend werden ihre Bedürfnisse nach sozialer Anerkennung, nach subjektiver Sicherheit in einer Gesellschaft und das Bedürfnis nach Einzigartigkeit oder Unverwechselbarkeit (Identität) verletzt (vgl. Staub-Bernasconi 2018: 213).

Die soziokulturellen Eigenschaften beinhalten auch die eigene Kultur oder Wertbestimmungen innerhalb des Milieus, die im Rahmen von Mitgliedschaften und sozialen Rollen definiert werden (vgl. Geiser 2015: 106). Diese Mitgliedschaften können Ressourcen oder Probleme aufweisen, hierbei geht es um soziale Rollen wie z.B. als Mitglied einer Gewerkschaft, eines Berufsverbandes oder einer Partei. Mögliche Beziehungen, aber auch Interessen und Werte sind damit verbunden. Das Fehlen von Mitgliedschaften innerhalb der Gesellschaft wird von Geiser als „nicht gelungene Integration“ (vgl. Geiser 2015: 106) und als ein soziales Problem gesehen. Soziale Probleme, so Geiser, können aber auch entstehen, wenn die Mitgliedschaften und die damit verbundenen sozialen Rollen, negativ bewertet ist, wie z.B. durch autoritäre Strukturen im eigenen subkulturellen Milieu (vgl. ebd.). Wie im 2. Kapitel des Theorieteils erarbeitet, werden Frauen auch durch die eigenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen

40 beeinflusst. Die traditionellen und negativ konnotierten Frauenbilder führen zu gesellschaftlich beeinträchtigter Identitätsentwicklung und Selbstvertrauen (vgl. Staub- Bernasoni 2018: 222) von Frauen.

Ausstattungsprobleme des Erlebens/Erkennens (E)

Bei den biopsychischen Eigenschaften des Individuums in Bezug auf das Erleben, Erkennen und das Erkenntnis werden Prozesse wie Denken, Fühlen, Empfindung, Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Bewertung, sowie kognitive und normative Prozesse als Ressourcen bzw. als Probleme definiert. Hierbei geht es um innere biopsychische Prozesse und Eigenschaften der Informationsverarbeitung (vgl. Geiser 2015: 108f).

Innerhalb dieser Ausstattung wird nach drei typischen Verarbeitungsmustern unterschieden und zwar zwischen normativen, kognitiven und ästhetisch-emotionalen Verarbeitungsmustern (vgl. Geiser 2015: 111). Der normative Erlebnismodus zeichnet sich durch die Informationen nach den Normen aus, d.h. die Orientierung eines Menschen an Normen und Wertkriterien. Das kognitive Erlebnismodus bezieht sich auf die Fähigkeit eines Menschen mit kognitiver Kompetenz, Informationen zu vergleichen, zu unterscheiden, sie zu strukturieren und zu reflektieren, sowie gute, gesicherte Erklärungen zu bestimmten Phänomenen zu haben und auch die kognitive Fähigkeit und Flexibilität zu besitzen, bei emotional belastenden Themen rational zu denken (vgl. ebd.: 112ff) und schließlich bezieht sich ästhetisch-emotionale Verarbeitungsmuster auf die, von Gefühlen geprägten, Werte und Bedürfnisse wie Wohlbefinden, Schönheit oder Glück (vgl. Geiser 2015: 112f). Diese Eigenschaften stellen ein soziales Problem dar, wenn es um starre, rigide Bilder oder undifferenzierte, gesellschaftliche Kriterien geht, die das Umlernen und Flexibilität eines Menschen unmöglich machen (vgl. ebd.).

Es wurde schon mehrmals definiert, dass Frauen für die Entscheidung sich zu trennen und die Gewaltbeziehung zu beenden einen inneren Prozess brauchen. Dieser Aufbruchsmoment braucht bestimmte innere Fertigkeiten und Fähigkeiten. Aus bedürfnistheoretischer Sicht, so Geiser, führen diese Eigenschaften dazu, das Ziel nach Sicherheit, nach Orientierung und nach Identität zu erlangen. (vgl. Geiser 2015: 113).

Ausstattungsprobleme der inneren Modelle, Bilder und Codes (M)

Auch stellen die Modelle, die inneren Bilder, sowie die inneren Codes eines Menschen eine Wichtigkeit für die Arbeit dar. Dabei geht es um psychische Zustände, die aufgrund der oben dargestellten psychischen Prozesse, Erleben und Erkennen, entstehen. Durch die Informationsverarbeitung ergibt sich der biopsychische Zustand, der Wissensmodus, der aus der bedürfnistheoretischen Sicht eine hohe Bedeutung hat. Unter diesen Eigenschaften versteht Geiser das Wissensrepertoire der Adressat*innen und daraus folgende psychische Zustände wie Selbst- und Fremdbilder, Welt- und Menschenbilder, Erfahrungen, Erklärungen, Prognosen, aber auch Motivationen, Ziele, sowie Zukunftspläne, Sehnsüchte und Bedürfnisse (vgl. Geiser 2015: 116). Auch das Wissen über Lösungsmöglichkeiten und Mitteln stellt einen biopsychischen Zustand eines Menschen dar (vgl. Geiser 2015: 120). Soziale Probleme entstehen dann, wenn Individuen negative Selbst- und Fremdbilder besitzen, sowie fehlendes Wissen über Methoden und

41 Lösungen aufweisen, „[...], die dazu führen, dass Probleme nicht zweckmässig [sic!] gelöst werden.“ (Geiser 2015: 119)

In Bezug auf gewaltbetroffene Frauen mit Migrationshintergrund wurde bereits im 2.

Theorieteil erörtert, dass diesen Frauen Wissen über Ressourcen und Gütern fehlt. Nach Geiser ergeben sich auch soziale Probleme, wenn jemand (s)ein schädliches Handeln nicht erklären und deshalb keine Schlüsse ziehen kann, die eine Wiederholung unerwünschter Handlungen ausschließen (vgl. ebd.).

Ausstattungsprobleme mit Handlungskompetenzen: Verhalten und Handeln (A)8

Die Ausstattung über das Verhalten und Handeln mit bestimmten Kompetenzen wird von Geiser als Aktivität (A) zusammengefasst. Bei dieser Ausstattung werden die Ressourcen und Probleme über das Handlungsrepertoire beschrieben. Das Handeln bezieht sich auf den motivierten, absichtsvollen und gezielten, sichtbaren Ausdruck „eines mehr oder weniger bewussten und gesteuerten Versuchs, ein Problem, eine Spannung ein (Bedürfnis!) [H.i.O] zu lösen, ein Ungleichgewicht aufzuheben [...].“ (Geiser 2015: 124) Durch diese Handlungskompetenz sind Individuen fähig, die eigene Situation oder diejenige der Umwelt durch Bewegungen zu beeinflussen (vgl. ebd.). Der Mensch so Geiser, ist als ein selbstwissensfähiges Biosystem fähig zu selbstbewusstem und systematischem Handeln.

„Er hat die Möglichkeit, in seine nähere und weitere Umgebung konkret gestaltend und verändernd einzugreifen.“ (Geiser 2015: 124)

Davon ausgehend sieht er die Gestaltungsfähigkeit der Menschen nicht nur allein auf Gegenstände bezogen, sondern auch auf seine privaten und beruflichen Umstände, sowie auf seine sozialen Beziehungen (ebd.). Durch das kreativ-strategische Handeln werden bewusste, kognitive Anstrengungen durchgeführt, die bestimmte Sachverhalte und Umstände auf einmalige und einzigartige Weise verändern sollen (vgl. Geiser 2015: 216).

Das Soziale Problem in Bezug auf Handlungskompetenzen entsteht, nach Staub- Bernasconi, wenn das Bedürfnis von Individuen nach Entwicklung und Förderung von Handlungskompetenzen beeinträchtigt und verhindert wird (vgl. Staub-Bernasconi 2018:

222), sodass Mangel an Handlungskompetenzen entsteht der Individuen in ihren Möglichkeiten einschränkt und die Erreichung der persönlichen Ziele und Bedürfnisse hindert (vgl. ebd.: 213). Somit wird das Bedürfnis über die Kontrolle des eigenen Lebens verletzt (ebd.). In diesem Blickwinkel stellt auch dieser Aspekt eine Relevanz für die vorliegende Arbeit dar, es soll die Handlungskompetenz und das Handlungsrepertoire der Frauen mit Migrationshintergrund untersucht und dargestellt werden.

8 Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Handlungskompetenz der Frauen. Das Verhalten stellt keine Relevanz für die Arbeit dar.

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