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5. DARSTELLUNG DER ERGEBNISSE

5.1 D IE K ATEGORIEN

5.1.3 M ACHTBEZIEHUNGEN

75 gewaltbetroffenen Frau abgebrochen. Auf die Frage in Bezug auf die Bedeutung der Familie, gab die Interviewpartnerin 6, folgende Antwort,

„Vieles hätte sich geändert, ich würde mich viel stärker fühlen und wenn sie stark sind, spiegeln sie dies in Ihrer Umgebung wider. Es war sowieso seine größte Sache. Es war, dass er sah, dass meine Familie nicht hinter mir war. Er ist repressiver und gewalttätiger geworden. [...] Was bedeutet Familie? Die Familie steht an erster Stelle. Und das soll passieren. Aber das war nicht der Fall. Die meisten Familien haben Angst davor. Sie können nicht hinter ihren Kindern stehen, denn sie denken, wenn wir hinter ihnen stehen, wird es vielleicht schlimmer. Nein, stellen sie sich hinter ihr Kind, damit es stärker wird und ihr Gegenüber das zu spüren bekommt.“ (Interview 6: 713ff)

Dieses lange Zitat von der Interviewpartnerin zeigt auf, wie wichtig die Unterstützung durch die Familie in solch einer destruktiven Beziehung wäre. Die Frauen fühlen sich durch die Familie als soziale Unterstützung viel stärker und haben den Mut und die Kraft sich zu wehren oder zu trennen. So auch die Interviewpartnerin 2,

„Natürlich ist die Unterstützung der Familie sehr wichtig, deshalb musste ich die Situation aushalten, weil meine Familie nicht hinter mir war. Wenn meine Eltern hinter mir wären, hätte ich es vielleicht schon früher getan [die Trennung; Anm.].“ (Interview 2: 243ff) Andernorts trifft die Interviewpartnerin 4 folgende Aussage,

„Erst mit der Unterstützung meines Vaters, dem Rückhalt meines Bruders, bekam ich die Macht, ich sagte ja, meine Eltern kennen mich, ich kenne mich selbst, meine Kinder sind bei mir, ich sagte warum nicht, ich brauche ihn nicht, ich bin 30 Jahre alt, ich bin nicht jung.

Ich habe ihm 10 Jahre gegeben, soll ich weitere 10 Jahre oder 20 Jahre opfern?“ (Interview 4: 150ff)

Durch die Ausstattung der sozialen Beziehungen war zusammenfassend zu sehen, dass Frauen durch soziale Isolation, die unfreiwillig entsteht und auch durch mangelnde Unterstützung wenig an Austauschressourcen verfügten. Dennoch waren sie durch äußere Umstände bzw. externe Ressourcen fähig ihr soziales Netzwerk zu gestalten. Diese waren unterstützende Faktoren, um letztendlich den Weg ins Frauenhaus zu schaffen.

76 Beziehung fremdbestimmt. Bei den türkischen Frauen war zudem ersichtlich, dass eine kollektive Kontroll- und Machtausübung durch die Familie stattgefunden hat. Durch die patriarchalisch-autoritäre und konservative Struktur von der Familie des Mannes, aber auch von der eigenen Familie, kontrolliert und unterdrückt21. Das Ausmaß kollektiver Machtausübung in Verbindung mit Heiratsmigration reflektiert die Interviewpartnerin 4 folgendermaßen,

„Ich habe hier keine Familie, sie finden dich allein. Sie zermalmen dich. Du kennst ihr Leben hier nicht, du kennst ihre Lebensweise nicht, du kennst ihre Familienstruktur nicht, du glaubst ihren Worten, die sie sagen und ich war unerfahren.“ (Interview 4: 166ff)

Die Interviewpartnerin 2 führt die psychische Unterdrückung weiter aus,

„[...], wenn ich zumindest Unterstützung von seiner Familie gesehen hätte, würde ich vielleicht nicht herkommen [Frauenhaus; Anm.], aber seine Familie hat mich nie unterstützt, sie sagten mir sogar, dass ich alles verdiene.“ (Interview 2: 60ff)

Die Ehe wurde zudem als eine Möglichkeit für die Frauen gesehen, sich von der eigenen Familie, die konservativ und unterdrückend war, zu lösen.

„Also haben wir eine solche Unterdrückung von meiner Mutter erlebt, dass wir die Ehe als Rettung sahen. Um uns von meiner Mutter zu distanzieren, sahen wir es als Rettung. Und dann kommst du hierher [Österreich; Anm.], alles ist anders. Sie betreten also einen Raum wie ein Gefängnis.“ (Interview 3: 71ff)

Einige der Frauen erlebten sogar bereits in ihren eigenen Familien Gewalt, die sie auch weiterhin in der Ehe erfahren,

„Ich bin als Kind in Gewalt aufgewachsen, ich habe geheiratet, wieder Gewalt, ich wollte nicht, dass meine Kinder das erleben wie ich, also war die Entscheidung [die Trennung;

Anm.) gut.“ (Interview 2: 283f)

Die Gründe weshalb es zu einer unterdrückerischen, kollektiven Machtkonstellation kommt reflektiert die Interviewpartnerin 3, indem sie sich folgendermaßen äußert,

„Sie sind eine echt verzweifelte Frau, wenn sie allein sind. Du bist eine Frau mit nichts.

Was sie nicht für ihn wollen. Sie möchten nicht, dass du die Sprache lernst. Sie wollen nicht, dass du arbeitest. Sie wollen nicht, dass du auf deinen Füßen stehst. Sie wollen, dass man auf sie angewiesen ist.“ (Interview 3: 528ff)

Das Ausmaß der Macht gegenüber den Frauen verstärkt sich durch diese dargestellte kollektive Machtdemonstrierung. Wie auch im Theorieteil benannt, geht Toprak davon aus, dass Gewaltanwendung und Unterdrückung der Frau als eine Familienangelegenheit betrachtet und jegliche Einmischung als Angriff auf die Ehre des Mannes verstanden wird (vgl. Toprak 2007: 146), sodass den gewalttätigen Männern eine Positionsmacht zukommt.

Die Frauen unterlagen unterschiedlichen Gewaltformen, die auch bereits im Theorieteil

21Der Aspekt der Zwangsverheiratung wurde bereits dargestellt

77 beschrieben wurden. Das erdrückende Ausmaß der Machtdemonstrierung und Kontrolle durch ihren Ehemann schildert die Interviewpartnerin 2,

„Er sagte immer, du bist meine Frau, ich kann dich lieben oder schlagen. Du musst alles tun, was ich will. Was er mir rund um die Uhr gesagt hat, du kannst keine Schwächen haben, du kannst kein Möchtegern sein, du kannst nichts verlangen. Du wirst sterben, wenn ich sterbe, steh auf, wenn ich es dir sage. Ich konnte nicht schlafen gehen, ohne ihn zu fragen. Ich konnte mein Kleid nicht ausziehen, ohne ihn zu fragen. Ich war in einem solchen Leben.“ (Interview 2: 208ff)

Es ist ersichtlich, dass die Beziehungen zwischen den Ehepartnern asymmetrisch und nicht auf Gleichwertigkeit und Gegenseitigkeit wie bei Staub-Bernasconi und Geiser dargestellt, verlaufen (vgl. Geiser 2015: 188, Staub-Bernasconi 2018: 214).

Das soziale Problem, das dadurch entsteht, definiert Staub-Bernasconi (ebd.) als Problem der fehlenden Gegenseitigkeit in Austauschbeziehungen zwischen mehr oder weniger sozial gleichgestellten Interaktionspartner*innen. Durch die Machtdemonstrierung des Partners wird dieses Interaktionsproblem ersichtlich. Auch die Interviewpartnerin 6 legt die Verletzung der Gegenseitigkeitsnorm innerhalb ihrer Partnerschaft dar,

„Er wollte alles kontrollieren, du hast kein Mitspracherecht, wenn er etwas will. Auch als wir einkaufen gingen. Selbst in der geringsten Sache wollte er das haben, was er will.“

(Interview 6: 114ff)

Durch die Einseitigkeit der Beziehungsmuster entsteht eine Abhängigkeitsbeziehung, (vgl. Staub-Bernasconi 2018: 215), die von der Interviewpartnerin 9 als „Besitz“ definiert wird, „Ich war für ihn wie eine, ich weiß es nicht, er war mein, wie sagt man das Besitzer, ich war für ihn nicht wie eine Frau.“ (Interview 9: 203)

Dies kann auch als Ohnmachtsgefühl beschrieben werden, die durch die Abhängigkeitsbeziehung verursacht wird (vgl. Staub-Bernasconi 2018: 216). Durch die nachfolgende Aussage der Interviewpartnerin 6, wird das Gefühl der Ohnmacht und Aussichtslosigkeit nachvollziehbar,

„Es war sein Leben, nicht meines. Ich habe sein Leben gelebt, nicht meines. Was auch immer er sagte, alles war so, wie er es wollte. Es ist nicht dein Leben, es ist das Leben, das er will, es ist sein Leben. Du lebst nur neben ihm. Es gibt keinen anderen Weg.“

(Interview 6: 261ff)

Neben Körpermacht, und Macht durch die Position des gewalttätigen Partners, wurden Frauen zudem auch durch Güter- und Ressourcenmacht unterdrückt. So wie auch die Interviewpartnerin 2, die vom AMS einen Berufsorientierungskurs bekam und diesem, durch den Entzug des Mannes auf ihr Recht, sich weiterzuentwickeln, fernblieb,

„Als die Kinder im Kindergarten waren, musste ich zweimal einen Kurs machen, ich habe mehr oder weniger so Deutsch gelernt danach hatte mir AMS hatte einen Berufsorientierungskurs gegeben, aber mein Mann hat mich nicht geschickt.“ (Interview 2: 197ff)

78 Auch die finanzielle Kontrolle stellte in den jeweiligen Beziehungsmustern einen Aspekt dar, unter dem die Frauen litten und dadurch ihr Handlungsvermögen eingeschränkt war.

So wie bei der Interviewpartnerin 2,

„Ich bin seit 10 Jahren verheiratet, er war eine Person, die mir nur 2€ für das tägliche Brot gegeben hat. Er hatte absolut keinen Gedanken darüber, ob es zwei Kinder gibt, ob seine Frau ausgehen will oder etwas will [...].“ (Interview 2: 222ff)

Eine andere Interviewpartnerin macht auf einen anderen Aspekt der finanziellen Gewalt und Kontrolle aufmerksam,

„Ein wichtiger Grund war auch das Geld, ich hab Karenzgeld bekommen, ich hab gut verdient [...] und das ganze Geld hat er damals weggenommen, natürlich wollte er nicht mehr arbeiten, wozu muss er arbeiten gehen, wenn ich das Geld im Monat einfach so bringe?“ (Interview 10: 65ff)

Durch die dargestellte Güter- und Ressourcenmacht, wie bei Staub-Bernasconi thematisiert, ist das Ungleichgewicht von Ressourcenunterschieden in Zusammenhang von asymmetrischem Geben und Nehmen (vgl. Staub-Bernasconi 2018: 215) offenkundig.

In beiden Fällen wird das Recht der Frauen auf die finanzielle Autonomie und das Recht auf Austauschgerechtigkeit (vgl. ebd.) entzogen.

Zusammenfassend fanden sich die unterschiedlichen Machtquellen wie Körpermacht, Positionsmacht, Güter- und Ressourcenmacht in den einzelnen Beziehungsstrukturen der Frauen (vgl. Geiser 2015: 211, Staub-Bernasconi 2018: 217) wieder. Wie bei Staub- Bernasconi definiert, geht es bei der Machtproblematik um Ohnmacht und Hilflosigkeit innerhalb der stabilen, sozial ungerechten Abhängigkeitsbeziehungen und daraus resultierend die Aussichtslosigkeit etwas an der Situation ändern zu können (vgl. Staub- Bernasconi 2018: 216). Geiser unterstreicht zudem, dass der Mangel an machthaltigen Gütern (wie sozioökonomische, -ökologische und -kulturelle Güter) die Bedürfnisbefriedigung erschwert, sodass es unmöglich erscheint, auf die Beziehung Einfluss zu nehmen (vgl. Geiser 2015: 204). Diese Situation führt dazu, dass sich fehlende Ressourcen auf die Lebenssituation der betroffenen Individuen, indem Fall die Frauen, auswirkt und dadurch soziale Probleme entstehen (ebd.).

Die gewaltbetroffenen Frauen waren für die Dauer der Beziehung hilf- und aussichtlos und konnten auf ihre Beziehung keinen Einfluss nehmen oder diese gestalten. Dennoch war durch die Aussagen der Frauen erkennbar, dass sie durch die Unterstützung der externen Stellen, wie im vorigen Kapitel genannt, eine Position einnehmen und ihr Leben aktiv verändern konnten. Erst nachdem sie Hilfe und Unterstützung von der Außenwelt und von ihrem sozialen Netzwerk bekamen, haben sie sich in ihrer Position mächtiger und nicht mehr völlig hilflos gefühlt. So auch Brückner, der diesen Moment der Machtgewinnung als Aufbruchsmoment beschreibt und äußert,

„Die Bedeutung dieses Aufbruchsmoments liegt in der Wiedergewinnung psychischer Kraft und dem Gefühl, Macht über das eigene Leben zu haben.“ (Brückner 1983: 86)

79 Um Frauen diese Ressourcen an Machtgütern zur Verfügung zu stellen, weist dies mehrere gesellschaftspolitische Aufgaben auf, um Frauen zu unterstützen die genannten Mängel an Machtquellen zu kompensieren und um das Problem der Mikroebene als ein Thema der Makroebene zu thematisieren und demgemäß Lösungen zu erarbeiten. Dies wird auch von Staub-Bernasconi untermauert, indem sie den Sozialarbeiter*innen im Interaktionsprozess mit den Adressatinnen die Aufgabe zuteilt, gemeinsam, die von den Klientinnen nicht wahrgenommenen, Machtquellen zu entdecken und sie bei deren Einsatz zur Durchsetzung professionell zu unterstützen und zwar auch gegen den Willen der Machthaber (vgl. Staub-Bernasconi 2018: 217).

Im nächsten Kapitel soll aus diesem Blickwinkel die Bedeutung der Frauenhäuser für die Frauen dargestellt werden.