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A USTAUSCHBEZIEHUNGEN – D AS SOZIALE N ETZWERK

5. DARSTELLUNG DER ERGEBNISSE

5.1 D IE K ATEGORIEN

5.1.2 A USTAUSCHBEZIEHUNGEN – D AS SOZIALE N ETZWERK

Innerhalb der Systemtheorie werden nach Staub-Bernasconi, die gesellschaftliche Be- oder Verhinderung der Entwicklung. soziale Beziehungsprobleme, fehlende befriedigende Austauschbeziehungen, fehlender Zugang oder Ausschluss aus sozialen Systemen und sozialer Isolation, als soziale Probleme definiert (vgl. Staub-Bernasconi 2018: 213).

Diese sozialen Probleme verletzten die Bedürfnisse der Individuen nach Identität aufgrund sozialkultureller Zugehörigkeiten, nach sozialer Anerkennung und Austauschgerechtigkeit (ebd.).

Die Austauschbeziehungen sind nach Staub-Bernasconi von Gegenseitigkeit, Gleichwer- tigkeit und Symmetrie gekennzeichnet. Diese Austauschformen zeichnen eine horizontale Beziehungsstruktur.

„[...]; es bedeutet, dass sich die Mitglieder eines sozialen Gebildes in der gleichen sozialen Rolle begegnen.“ (Geiser 2015: 187)

72 Nach Geiser, der sich an die Theorie von Staub-Bernasconi anlehnt, sind horizontale Austauchbeziehungen durch Interaktionen zwischen Akteur*innen auf gleichem sozialem Niveau gekennzeichnet (vgl. Geiser 2015: 187).

Innerhalb der Masterarbeit wurden insofern auch die vorhandenen bzw. nicht-vorhandenen Austauschbeziehungen der gewaltbetroffenen Frauen mit Migrationshintergrund, analysiert.

Die Interviews zeigten, dass die Frauen nach einem sozialen Netzwerk streben und das Bedürfnis nach sozialem Kontakt haben. Im Vergleich zu den anderen Frauen konnten die türkischen Interviewten, kein bzw. kaum ein soziales Netzwerk bilden. Durch das isolierte Leben, die Verhinderung der sozialen Beziehungen durch andere Personen und Umstände im sozioökonomischen und -kulturellen Bereich erwies sich die Knüpfung und Aufrechterhaltung von sozialen Kontakten als problematisch bzw. sogar unmöglich.

„Normalerweise hatte ich vorher wirklich Freunde, so viele Freunde. Aber er hat sie komplett von mir isoliert.“ (Interview 6: 296)

Dennoch stellten die wenigen verbleibenden, sozialen Räume wie Deutschkurse, der Spielplatzbesuch mit den Kindern, oder die Nachbarschaft, neben Arbeitsplatz auch Begegnungs- und Austauschräume dar, die den Frauen ein Gefühl der Anerkennung und Zugehörigkeit verlieh. Außerdem wird das soziale Netzwerk als eine Quelle für Wissen- und Informationsaneignung betrachtet. So auch die folgende Aussage,

„Die meisten Frauen kennen ihre Rechte nicht, ich konnte zumindest arbeiten und hatte eine Umwelt [Netzwerk; Anm.], dann hatte ich wieder einen anderen Job und hatte wieder eine Umwelt.“ (Interview 4: 198f)

Eine der Interviewpartnerin betont in Bezug auf die Bedeutung ihres Arbeitsplatzes,

„Die erste habe ich sehr nette Kollegen und mein Chef und Chefin und alles, die sind lieb und helfen mir viel. Auch von der Sprache her. Ich konnte nichts. Bis jetzt kann ich perfekt Deutsch, es ist besser geworden.“ (Interview 9: 457f)

Auch die Interviewpartnerin 10 teilt in Bezug auf ihren Arbeitsplatz mit,

„Da ich habe ich gute Freunde kennengelernt, viel Gemeinsames gemacht, das war meine Freizeit.“ (Interview 10: 391)

Hier ist ersichtlich, dass der Arbeitsplatz nicht nur als Einkommensquelle fungiert, sondern auch als ein Raum für soziale Begegnungen. Durch die Arbeitskolleg*innen, die für die Frauen auch eine soziale Unterstützung bedeuten, fanden sie die Motivation den Schritt ins Frauenhaus zu wagen. So auch Interviewpartnerin 9,

„Sie [Arbeitskollegin; Anm.] hat mit dem Frauenhaus gesprochen, die haben einen Platz und ich darf hingehen. Dann bin ich gleich hingegangen und dann habe ich mit Frauen vom Frauenhaus gesprochen. Dann habe ich gleich ein Zimmer bekommen.“ (Interview 9: 235f)

73 Auch die Interviewpartnerin 2 gibt an, im Park die Bekanntschaft mit einer türkischen Frau gemacht zu haben, die, nach dem sie über ihre Situation Bescheid wusste, einen unterstützenden Faktor, bei der Entscheidung ihr Leiden öffentlich zu machen, ausmachte.

„Sie sagte, ich helfe dir, wenn du willst. Ich fragte meine Familie, als mein Vater und meine Familie okay sagte, ging ich mit ihr Anzeige zu erstatten. Der Polizist, bei dem ich me ine Anzeige machte, war auch Türke, er hat mir alles erzählt. Er hat mich dann ins Frauenhaus gebracht.“ (Interview 2: 277ff)

Bei dieser Äußerung sind drei Punkte als wichtig hervorzuheben. Der erste Punkt betrifft die Bekanntschaft der Interviewpartnerin mit einer anderen türkischen Frau aus dem Park.

Diese Bekanntschaft, stellt einen wichtigen Einfluss dar, ihre Misshandlungen bei der Polizei anzuzeigen. Auch der Aspekt der Familie ist wichtig aufzuzeigen. Hier ist ersichtlich, dass die Interviewpartnerin, erst nach dem Einverständnis der Familie die Anzeige erstattete (Der Aspekt „Familie“ wird nachfolgend diskutiert). Und drittens war der türkischstämmige Polizist für die Interviewpartnerin eine Ressource, denn so konnte sie die Folgen der Misshandlungen besser erkennen und hatte den Mut ins Frauenhaus zu gehen. Auf die explizite Frage welche Bedeutung der türkische Polizist für sie hatte, äußerte die Interviewpartnerin,

„Es war in der Hinsicht wichtig, zu wissen was meine Kinder angeht, was später mit meinen Kindern passieren würde. Ich hatte viele Dinge im Kopf, zumindest ist es besser aus dem Mund der Menschen hören. Egal wie viel sie von einem Dolmetscher hören, es ist nicht vollständig.“ (Interview 2: 293ff)

Ebenfalls erwähnt die Interviewpartnerin 7, dass sie erst zu einer Frauenberatungsstelle ging, nachdem ihre Freundin sie dabei unterstützte,

„Diese Beratung meine [...] Freundin hat mir gesagt, dass es eine Beratung gibt.“ (Interview 7: 693)

Beratungsstellen für Frauen, aber auch Frauentreffpunkte, Familienunterstützungen wie frühe Hilfen19, zeigen sich als ein wichtiger Bestandteil für befriedigende Austauschmöglichkeiten der Frauen, aber auch als soziale Unterstützung. Sie stellten eine Ressource für die Frauen dar, um sich mit anderen Frauen austauschen und neue Menschen kennenzulernen, die für das soziale Netzwerk von Bedeutung und unterstützend waren.

„Auch das Frauentreff habe ich irgendwann gesehen, bin ich einfach dorthin gegangen und habe Frauen kennengelernt.“ (Interview 7: 684)

Aber auch die Polizei als eine öffentliche Stelle kann als soziale Unterstützung und Motivator fungieren, um den Frauen zu helfen, ihre Situation infrage zu stellen. Die

19Frühe Hilfen stellt eine Unterstützungsmaßnahme dar, die vor allem Familien mit höheren Belastungen unterstützen soll (vgl. Sozialministerium o.J.)

74 Interviewpartnerin 7, die nach einer Eskalation die Polizei rief, schildert das Einschreiten und die Krisenintervention der Polizei,

„Der Polizist hat mit mir gesprochen und hat gesehen wie ich weine, [...] dann hat er mir gesagt, du es ist besser, wenn du ihn verlässt, gehe weg von diesem Mann. Dann habe ich gesagt, aber er liebt mich und er ist mein Ehemann. Dann hat er gesagt, kein Mann liebt seine Frau, so wie du ausschaust, er liebt dich nicht.“ (Interview 7: 454ff)

Das Aufklärungsgespräch des Polizisten über das Frauenhaus schildert sie folgend weiter,

„Dieser Polizist hat mir gesagt, es gibt ein Frauenhaus, [...] was bedeutet Frauenhaus, was machen die im Frauenhaus? Dann hat er mir gesagt, Frauen, die keine Wohnung haben oder kein Platz zum Wohnen, die gehen dorthin [...] Sie bekommen Essen, sie kümmern sich um die Frauen. Sie helfen und unterstützen die Frauen. So hat er mir das erklärt, Unterstützung der Frauen.“ (Interview 7: 647ff)

Das soziale Netzwerk hat für die Frauen eine bedeutende Rolle. Einerseits deshalb, um ihre Notlage jemandem anvertrauen zu können, sich auszutauschen und neue Begegnungen zu machen. Andererseits auch deshalb, weil das vorhandene soziale Netzwerk eine Unterstützung darstellt, die Lebenswelt der Frauen gemeinsam zu ändern.

Dies entspricht auch der Tatsache, dass die Mehrheit der Frauen durch Begleitung und Vermittlung ihres sozialen Netzwerkes Schutz im Frauenhaus findet20.

Die Bedeutung der Familie als Ressource aber auch als Defizit wurde in den Interviews mehrmals von den Frauen erwähnt. Die Bedeutung der Familie als soziales Netzwerk wurde auch von der Interviewpartnerin 8 folgend beschrieben,

„Jemanden auf der Straße kannst du nichts erzählen, oder? Mit einer Bekannten kannst du das tun, das hilft.“ (Interview 8: 166)

Die Einsamkeit, die durch das Fehlen einer Familie entsteht, beschreibt die Interviewpartnerin,

„Das ist sehr wichtig, nicht alleine zu sein. Gar niemanden zu haben und im Ausland alleine zu leben ist schwierig.“ (Interview 8: 171f)

Die Unterstützung durch die Familie zeigt nochmals, die Wichtigkeit der sozialen Netzwerke. Das Gefühl nicht allein zu sein, die Familie hinter sich zu haben, scheint für die Frauen ein sehr wichtiger Aspekt zu sein. So wird dargestellt,

„Wenn meine Familie mich so unterstützt hätte, wie heute, wäre ich in der Lage gewesen, auf eigenen Beinen zu stehen.“ (Interview 2: 243f)

Die Mehrheit der Frauen gab aber an, keine Unterstützung von der Familie erfahren zu haben. Ganz im Gegenteil, die Trennung wurde kritisiert und sogar der Kontakt zu der

20 siehe im Theorieteil: Statistik zur häuslichen Gewalt in Österreich

75 gewaltbetroffenen Frau abgebrochen. Auf die Frage in Bezug auf die Bedeutung der Familie, gab die Interviewpartnerin 6, folgende Antwort,

„Vieles hätte sich geändert, ich würde mich viel stärker fühlen und wenn sie stark sind, spiegeln sie dies in Ihrer Umgebung wider. Es war sowieso seine größte Sache. Es war, dass er sah, dass meine Familie nicht hinter mir war. Er ist repressiver und gewalttätiger geworden. [...] Was bedeutet Familie? Die Familie steht an erster Stelle. Und das soll passieren. Aber das war nicht der Fall. Die meisten Familien haben Angst davor. Sie können nicht hinter ihren Kindern stehen, denn sie denken, wenn wir hinter ihnen stehen, wird es vielleicht schlimmer. Nein, stellen sie sich hinter ihr Kind, damit es stärker wird und ihr Gegenüber das zu spüren bekommt.“ (Interview 6: 713ff)

Dieses lange Zitat von der Interviewpartnerin zeigt auf, wie wichtig die Unterstützung durch die Familie in solch einer destruktiven Beziehung wäre. Die Frauen fühlen sich durch die Familie als soziale Unterstützung viel stärker und haben den Mut und die Kraft sich zu wehren oder zu trennen. So auch die Interviewpartnerin 2,

„Natürlich ist die Unterstützung der Familie sehr wichtig, deshalb musste ich die Situation aushalten, weil meine Familie nicht hinter mir war. Wenn meine Eltern hinter mir wären, hätte ich es vielleicht schon früher getan [die Trennung; Anm.].“ (Interview 2: 243ff) Andernorts trifft die Interviewpartnerin 4 folgende Aussage,

„Erst mit der Unterstützung meines Vaters, dem Rückhalt meines Bruders, bekam ich die Macht, ich sagte ja, meine Eltern kennen mich, ich kenne mich selbst, meine Kinder sind bei mir, ich sagte warum nicht, ich brauche ihn nicht, ich bin 30 Jahre alt, ich bin nicht jung.

Ich habe ihm 10 Jahre gegeben, soll ich weitere 10 Jahre oder 20 Jahre opfern?“ (Interview 4: 150ff)

Durch die Ausstattung der sozialen Beziehungen war zusammenfassend zu sehen, dass Frauen durch soziale Isolation, die unfreiwillig entsteht und auch durch mangelnde Unterstützung wenig an Austauschressourcen verfügten. Dennoch waren sie durch äußere Umstände bzw. externe Ressourcen fähig ihr soziales Netzwerk zu gestalten. Diese waren unterstützende Faktoren, um letztendlich den Weg ins Frauenhaus zu schaffen.