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Bedürfnisse des Pflegekindes wahrnehmen und wahren

6. E RGEBNISDARSTELLUNG

6.4. Bedürfnisse des Pflegekindes wahrnehmen und wahren

Authentische Gespräche mit den leiblichen Eltern, in welchen auch die Gefühle der Eltern Platz haben und angesprochen werden können/dürfen, schaffen in vielen Fällen eine Vertrauensbasis, welche die weitere Zusammenarbeit erleichtert.

6.4.1. Kontakte von Pflegekindern mit dem Herkunftssystem

Pflegekinder haben ausgestattet nach ihren Bedürfnissen ein Recht auf Kontakt zu ihren leiblichen Eltern, jedoch muss im Vorfeld festgestellt werden, ob Besuchskontakte zum Herkunftssystem dem Kindeswohl dienen, oder diesem möglicherweise abträglich sind, wie es zum Beispiel bei der Gefahr einer Retraumatisierung der Fall ist.

Bei der Entscheidung über die Dauer und Frequenz von Besuchskontakten ist oft das Alter des Pflegekindes ausschlaggebend. Die Kontaktregelung erfolgt entweder einvernehmlich mit der Kinder- und Jugendhilfe, oder, falls kein Einvernehmen zwischen den Parteien hergestellt werden kann, per Gerichtsbeschluss. Die Dauer, der Ort, die Frequenz und das Erfordernis einer Besuchsbegleitung sollen demnach unter Berücksichtigung der Fremdunterbringungsgründe, des Entwicklungstandes und Alter des Kindes, der Bindungsqualität zwischen leiblichen Eltern und dem Pflegekind, dem Hauptziel der Unterbringung (dauerhafte Unterbringung oder angedachte Rückführung) und der aktuellen Situation festgelegt werden (vgl. Mayerhofer 2015: 275f).

„Mhm. Ich sehe. Also ich denke mir, ähm, wenn ein Kind bei einer Pflegefamilie untergebracht wird, ähm, ist es ja so, dass dann von Beginn an Besuchskontakte laufen. Ja, also Kontaktrecht zur Herkunftsfamilie besteht (…) Wenn dieses Kontaktrecht, ja, was Ziel ist, dass sich Beziehung weiterhin zum Kind fördern kann, dass ich weiterhin am Leben des Kindes teilnehmen kann, ja.“ (D, Z 133-139) Der Besuchsverlauf ist oftmals von den Erwartungen, Wünschen und Haltungen der Erwachsenen geprägt, dient jedoch dem Pflegekind einerseits Bindungen mit seiner Herkunftsfamilie aufzubauen oder bestehende zu verankern und anderseits, um den Kindern die Auseinandersetzung mit ihren Herkunftswurzeln zu ermöglichen.

„Ja, und auch diese Besuchskontakte und mit diesem, mit dieser Haltung geben sie ihm, geben sie dem Pflegekind diese notwendige Sicherheit mit, das ist in Ordnung, dass du noch andere Eltern hast. Wir kommen damit zurecht, das sind deine biolo…, das ist deine biologische Elternschaft. Wir sind deine soziale Elternschaft.“

(D, Z 94-98)

Die Haltung der Pflegeeltern gegenüber den besuchenden leiblichen Eltern ist oft ausschlaggebend, ob das Pflegekind sich auf Besuchskontakte einlassen kann. Eine kindgerechte Erklärung, welche Aufgaben, Rechte und Pflichten biologische Eltern (leibliche Eltern) oder soziale Eltern (Pflegeeltern) haben, kann Pflegekinder in ihrer Entwicklung stärken, um mit ihrer doppelten Elternschaft umgehen zu können.

6.4.2. Bindungen

Die Entwicklung von Bindung nach Bowlby ist eine biologische Bereitschaft, in Situationen von Unbehagen und Gefahr die Nähe der primären Bezugsperson zu suchen.

Ein feinfühliges Verhalten von Bindungspersonen, wie etwa Zuwendung und Liebe zeigen, aber auch Grenzen setzen, bietet dem Kind Sicherheit.

„Also des ist für mi die Liebe, die liebevolle Zuwendung und die Bereitschaft der Pflegeeltern des Kind zu lieben, ist für mich die Grundvoraussetzung. (…) I find wichtig, das ma, dass des Kind Grenzen kriegt, dass des Kind Grenzen im normalen Rahmen, dass es Regeln hat und dass es in des Familiensystem einfach aufgenommen wird, liebevoll.“ (F, Z 90-98)

Bindungen haben nicht nur die Funktion der Überlebenssicherung, sondern auch die Funktion einem Kind Sicherheit zu vermitteln, damit sich dieses in einer belastenden Situation regulieren kann. Die Unterbringung eines Kindes in einer Pflegefamilie mit dem Angebot, neue Bindungsbeziehungen in der Pflegefamilie einzugehen, bietet dem Pflegekind dementsprechend einen Schutzfaktor, sodass die Wahrscheinlichkeit einer positiven Entwicklung trotz belastender Erfahrungen erhöht ist (vgl. Bovenschen 2016:

124ff).

„Also, ich erlebe, dass Pflegekinder alle ganz massive Verlustängste am Anfang haben. Ähm. Die sich unterschiedlich äußern. Ja, die einen rennen den Pflegeeltern ständig nach, die andern, ähm, kennan, also gengan gleich weg und. Die Bedürfnisse der Kinder sind sehr unterschiedlich, ja. Aber Sicherheiten, ja im Prinzip die, dass nicht wieder eine Veränderung kommt, des erleb i so. Also dieses warten was kommt denn jetzt noch und was kommt wieder und was ist wieder anders und kommt jemand, der holt mich wieder, des erleb ich bei den Pflegekindern, die ich betreu am Anfang sehr stark. Ja, dieses Bleiben-können, ich glaub, dass des des Wichtigste ist (…) ähm, also weil ich auch spüre, dass a ständiger Wechsel a Wahnsinn ist, ja. Ähm. Diese Sicherheit glaub ich, braucht a Kind a, ja. Dass es net wieder einen Wechsel gibt und wieder an Abbruch gibt, ja.“

(F, Z 145-158)

In Zusammenhang von Bindungsmöglichkeiten von Pflegekindern berichtete eine Expertin von einem sicher gebundenen Pflegekind, dass sich getraut hat - für die meisten Pflegeeltern - unangenehme Fragen (Warum kann ich nicht bei meiner Mama leben?

Warum bin ich von meiner Mama weggekommen etc.) zu stellen. Aufgrund ausreichender Sicherheit und tiefem Vertrauen in die Bindung zu den Pflegeeltern konnte das Pflegekind sein Bedürfnis nach dem Wissen seiner Herkunft, der Familiengeschichte, stillen.

„Das man sagt, da gibts so viele Fragen, die ein Kind sich nicht stellen traut. In dem Fall das Kind hat sichs stellen getraut, weils wirklich a gute, a tragfähige Bindung haben zur Pflegemutter, hat sie sich diese Fragen stellen traut. Musst dir mal vorstellen an die Pflegemutter: Mama, warum hab ich nicht bei meiner Mama bleiben dürfen? Ja, also diese, dieses, des muss man sich mal trauen als Pflegekind, da gehört schon wirklich viel Bindung dazu, a gute Bindung.“ (F, Z 472- 477)

Pflegekinder haben bereits zum Teil gelungene, zum Teil negative Bindungsvorerfahrung in ihrer Herkunftsfamilie gemacht und müssen mit dem Wechsel in eine Pflegefamilie

neue Bindungen aufbauen. Trennungen von den Bindungspersonen bedrohen das Kind in seiner emotionalen Sicherheit. Pflegeeltern müssen deshalb viel Feingefühl, Verständnis und Geduld bei der Aufnahme eines Pflegekindes aufbringen.

„(…) es dauert eh ewig lang bis a Kind in einer fremden Familie, ähm, also die Sicherheit kriegt, bleiben zu können. Sich niederlassen zu können. Was sich dann äußert in einem Spiel, in einem geistesabwesenden Spiel, wo das Kind nimmer dauernd schauen muss, wo ist wer, ja. Das sind dann so Wahrnehmungen ja, die man macht, ja. Wir haben in einer Pflegefamilie da wo jedes Mal wenn die Tür, wenn irgendjemand einakommt bei der Tür rennt er hin und sagt "Papa", ja. Also der ist no net ankommen, ja (…) Aber in dem Moment, wo des Kind so wie es jetzt langsam die Rückmeldung kriegt, ja eben nimmer zur Tür rennt, sich ins Spiel vertiefen kann ohne zu schauen, wer ist da und wer geht ja. Ähm, in einem Kindergarten mitspielen kann mit der Gruppe, ja ohne dauernd zur Tür zu schauen.

Dann hab ich so das Gefühl, dieses Kind hat eine schwere innerpsychische Leistung erbracht, ja. Weil es wirklich Vertrauen aufgebaut hat. Und da ham auch die Pflegeeltern a meisterhafte Arbeit geleistet, wenn das gelungen ist, ja und des gilts für mich schon zu respektieren, dass da a beinharte Arbeit gemacht worden ist.“ (F, Z 269-283)

Studien haben bewiesen, dass der Wechsel eines Kindes in positive Umweltbedingungen auch zu einer positiven Bindungsentwicklung beitragen kann. Wobei auch festzuhalten ist, dass besonders mehrere Wechsel bzw. Bindungs- und Beziehungsabbrüche das Entwicklungsrisiko massiv erhöhen (vgl. Bovenschen 2016: 124ff).

„Ja, wir, und entscheidend ist natürlich auch, das steht eigentlich an aller erster Stelle, was, was Kriterien anbelangt, einfach eine gute Bindung. Ja, was aber sehr schwierig ist, wenn Pflegekinder Beziehungsabbrüche, Bindungsabbrüche gehabt haben, die lassen sich leider nicht vermeiden. Wenn da zwischen Pflegekindern und Pflegeeltern wirklich eine stabile Bindung hergestellt werden kann, weil das ist das entscheidende für einen sicheren Hafen der Pflegekinder in der Pflegefamilie.“

(D, Z 98-103)

In Verbindung mit Bindungs- und Beziehungsabbrüchen wird in den Interviews mehrmals auf den Zeitfaktor hingewiesen, damit ist von den Befragten, die Dauer des Pflegeverhältnisses gemeint.

„Und, ist das eine Zeit, a Zeitraum, wo man sagen kann, is no a Rückführung möglich, oder ist des a Zeitraum, wo man sagt, eigentlich ist dann das Kind mit großer Wahrscheinlichkeit schon an die Pflegeeltern gebunden und es ist Beziehung aufgebaut und a Rückführung wär eigentlich wieder a Beziehungsabbruch.“ (A, Z 66-69)

Laut Interviewpartnerin würde eine Rückführung ins Herkunftssystem nach einem gewissen Zeitraum und nachdem das Pflegekind Bindungen in der Pflegefamilie aufgebaut hat, nicht mehr dem Wohl des Kindes entsprechen.

6.4.3. Partizipation

Partizipation, d.h. Mitentscheidung und Mitbeteiligung des Kindes, ist eine gesetzlich normierte Vorgabe für das Handeln in der Kinder- und Jugendhilfe.

Kinder sollen sich selbst handlungsfähig und selbstwirksam erleben. Eine Voraussetzung für Partizipation ist, dass Pflegekinder ihre Wünsche und Sorgen äußern dürfen und diese auch wahrgenommen werden. Partizipation beginnt bereits beim Miteinbeziehen eines Kindes bei der Kommunikations- und Informationsweitergabe durch professionelle HelferInnen. Der wertschätzende Umgang mit den ausgesprochenen Wünschen und Sichtweisen der Pflegekinder und der Klarheit, inwieweit die Wünsche in den Entscheidungsprozess miteinbezogen werden können, sind weitere Voraussetzungen einer gelingenden Partizipation (vgl. Hoyer/Brousek 2014: 146f).

„Vielleicht hot des Kind oder der Jugendliche daun, wauns öta san a, a Tendenzen trotzdem zur Herkunftsfamilie sich irgendwo hingezogen zu fühlen. (…) Es sei denn, es is so, ähm, Wunsch des Kindes a. Dass mehr Kontakte zur Herkunftsfamilie zu haben.

I: Das heißt so, das Kind soll an erster Stelle stehen?

E: So wär’s für mich, ja.

I: mit den Bedürfnissen.

E: Mhm.

I: mit den Wünschen.

E: Mhm.

I: Mit Mitsprache, mit Partizipation.“ (E, Z 150-161)

Durch die Kinder- und Jugendhilfe hat zumindest einmal im Jahr eine Pflegeaufsicht zu erfolgen. Bei diesen Gesprächsterminen ist die Anwesenheit der Pflegekinder unumgänglich, um auch mit diesen die aktuelle Lebenssituation kindgerecht und bedürfnisorientiert zu besprechen.

„I: (…) Faktoren wären für ein gutes Pflegeverhältnis oder damit sich Kinder gut entwickeln können in der Pflegefamilie, sind so die Miteinbeziehung des Kindes immer in den Prozess.

(…)

C: Genau. Respektive auch wirklich ehrliche Beantwortung von Fragen, ja. I denk, des geht in eine ähnliche Richtung wie Aufklärung, ja, sexuelle Aufklärung. Ähm, man soll Kinder net überfrachten mit irgendwelcher Information, sondern im Endeffekt soll man die Fragen, die die Kinder haben und die die Kinder stellen wahrheitsgemäß beantworten. Und mit diesen Portionen, die sich die Kinder ja selbst einteilen mit ihren Fragen, die können die Kinder dann auch an und für sich gut nehmen und verarbeiten.“ (C, Z 86-96)

Die Teilhabe der Pflegekinder an gemeinsamen Gesprächen und die Erfragung der Wünsche und Interessen der Pflegekinder sind wichtige Bestandteile von Partizipation.

Ein altersgerechtes Modell dieses Beteiligtseins kann beispielsweise ein spielerischer Ansatz sein. In einem bildgebenden Verfahren, wie etwa dem 3-Häuser-Modell (Haus der Sorgen, der Wünsche, der guten Dinge) kann mit Pflegekindern kindgerecht die Situation besprochen werden.