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Weiterer Forschungsbedarf

No documento psychischer Störungen (páginas 112-116)

3. Schluss

3.2 Diskussion der Ergebnisse

3.2.4 Weiterer Forschungsbedarf

105 deutlicheres Bild darüber zu erlangen, wie familiale psychosoziale Mechanismen einer transgenerationalen Transmission psychischer Störungen wirken.

Im Verlauf des Literaturberichts wie auch der soeben erfolgten Diskussion wurde schließlich, in Anknüpfung an die Zielsetzung der Arbeit, eine Reihe bedeutsamer psychosozialer Transmissionsmechanismen unter Einbezug einer Vielzahl zeitgenössischer empirischer Studien herausgearbeitet. Vor dem Hintergrund der diskutierten Zusammenhänge und Aspekte, mit besonderer Berücksichtigung der fehlenden Möglichkeit zur Ermittlung eindeutiger Kausalzusammenhänge, kann hinsichtlich einer Beantwortung der zentralen Leitfragestellung argumentiert werden, dass die herausgearbeiteten Transmissionsmechanismen (s. Tabelle 11) Hinweise auf eine psychosoziale transgenerationale Übertragung psychischer Störungen in Eltern-Kind- Familien liefern.

106 hinweisen, dass eine rein individuumsbezogene Therapie eine transgenerationale Transmission psychischer Störungen sogar weiter verstärken könnte.

Ein bereits zuvor dargestellter Problemaspekt der zeitgenössischen Forschung ist zudem, dass wenige empirische Untersuchungen einen konkreten Einbezug von Mehrgenerationenfamilien gewährleisten (s. o.). Beispielhafte Studien, die mehr als zwei Generationen fokussieren, sind die Untersuchungen von Weissman et al. (2016) sowie van Dijk, Murphy, Posner, Talati und Weissman (2021). So untersuchten Weissman et al.

(2016) das Risiko für depressive Störungen in psychisch belasteten Familien über drei Generationen hinweg. Van Dijk et al. (2021) ermittelten ein höheres Risiko für psychische Störungen, je mehr Generationen eines Systems von psychischen Belastungen betroffen waren. Während die genannten Autoren jedoch lediglich das Risiko für psychische Störungen untersuchten, sollten zukünftige Studien transgenerationale Transmissionsmechanismen in den Blick nehmen. Die Diskussion der Forschungsbefunde veranschaulicht somit, neben der ermittelten Vielzahl an Wirkungen, gleichermaßen die partielle Unzulänglichkeit der zeitgenössischen wissenschaftlichen Befundlage. Bezogen hierauf zeichnet sich die Forschungslandschaft durch eine geringe Anzahl longitudinaler Studien aus, die sich lediglich auf zwei Familiengenerationen konzentrierten, oftmals unikausale Effekte untersuchten und wenige Lebensbereiche rekrutierter Probanden als mögliche Wirkfaktoren berücksichtigten.

Bezogen auf laufende innovative Untersuchungen zum Forschungsgegenstand werden in der Danish High-Risk and Resilience Study (VIA) beispielsweise die verschiedenen Mechanismen einer transgenerationalen Transmission psychischer Störungen in den Wellen VIA-7, VIA-11 und VIA-15 über mehrere Jahre hinweg durch ein aufwändiges longitudinales Kohortendesign in den Blick genommen (Thorup et al., 2022). Zielsetzung der Children of Mentally Ill Parents At Risk Evaluation (COMPARE) ist hingegen die Prüfung der Wirksamkeit und Effizienz von KVT zur Unterbrechung transgenerationaler Transmissionen sowie die Testung einzelner Mechanismen im Zuge einer RCT (Christiansen et al., 2019; Stracke et al., 2019). Mew et al. (2021) wiederum planen eine systematische Konsolidierung psychosozialer Mediator- und Moderatorvariablen aus der epidemiologischen Forschung, um detailliertere Erklärungsmodelle bezüglich einer transgenerationalen Transmission von Traumafolgestörungen zu entwickeln.

107 Wie bereits in den vorherigen Diskussionspunkten angemerkt, kennzeichnen sich zeitgenössische empirische Untersuchungen zu Kindern psychisch belasteter Eltern insbesondere durch ihre starke Symptomorientierung (s. o.).

Neuere Studien weisen jedoch darauf hin, dass Aspekte wie soziale Probleme oder Lebensqualität als distalere Outcome-Maße, eine Funktionalität von jungen Betroffenen gegebenenfalls realistischer und lebensweltorientierter abbilden als klinische Symptome allein (Gellatly et al., 2019; Breslend, Parent, Forehand, Peisch & Compas, 2019), beziehungsweise in diesem Kontext ergänzende Variablen darstellen. Solche subjektiven Sichtweisen auf kindliche Belastungen könnten eine erweiterte Perspektive auf Verhalten, Kognitionen und Emotionen bei Kindern und Jugendlichen aus psychisch belasteten Systemen ermöglichen und im Umkehrschluss zu einem differenzierteren Verständnis einer transgenerationalen Transmission psychischer Störungen beitragen (Lenz &

Wiegand-Grefe, 2017).

Zusätzlich geben einige der untersuchten Studien (Sell et al., 2021; Loechner et al., 2020;

Zerach & Solomon, 2016; Shalev et al., 2019) Hinweise auf die Bedeutung von Resilienz und Schutzfaktoren in der Unterbrechung transgenerationaler Transmissionsverläufe.

Hinsichtlich der Fragestellung, wie psychische Störungen in einer Familie psychosozial transgenerational übertragen werden, könnten Befunde aus der Resilienzforschung neue Erkenntnisse zu einem detaillierteren Bild bezüglich spezifischer Transmissionsverläufe beisteuern. Auch ergeben sich diesbezüglich zentrale transdisziplinäre Perspektiven, insbesondere für die Soziale Arbeit als wissenschaftliches und berufliches Feld.

Anstelle einer gezielten beziehungsweise alleinigen Konzentration auf verschiedene Problemaspekte wie Risikofaktoren und -mechanismen in Erziehungs- und Sozialisationsprozessen, befindet sich im Zentrum sozialarbeiterischen Handelns die Orientierung an Ressourcen und Lösungen (Singe, 2014).

Wissenschaftliche Untersuchungen zu Schutzfaktoren, die Kindern psychisch belasteter Eltern bei der Bewältigung problematischer lebensweltlicher Rahmenbedingungen unterstützen, könnten dazu beitragen, familiale Transmissionsverläufe besser zu verstehen und neue ressourcen- und lösungsorientierte Interventionen in Kontexten der Sozialen Arbeit zu entwickeln, welche die Wahrscheinlichkeit einer transgenerationalen Weitergabe psychischer Belastungen letztendlich reduzieren.

In diesem Zusammenhang erweitert eine Frage nach resilienzbezogenen Aspekten den wissenschaftlichen Fokus auf positive Kriterien individueller Entwicklungsverläufe,

108 als ergänzenden Pol zur Erforschung von Risikofaktoren in Richtung des sozialarbeiterischen Prinzips der Hilfe zur Selbsthilfe (Gabriel, 2018; Galuske, 2013).

Um innovative lösungs- und ressourcenorientierte Interventionsformen generieren zu können, ergibt sich für die Resilienzforschung, in Anlehnung an das Erkenntnisinteresse der Arbeit, die Frage, wodurch eine familiale psychosoziale Transmission psychischer Störungen über die Generationen hinweg unwahrscheinlicher wird. Hieran schließt sich unter anderem die Suche nach konkreten Schutzfaktoren und -mechanismen an.

Werner und Smith (1982) arbeiteten in ihrer umfangreichen Längsschnittstudie beispielsweise verschiedene protektive kindheitsbezogene Faktoren, wie ein aktives Wesen, soziale Responsivität, Autonomie, positive soziale Orientierung, die Fähigkeit zur Selbsthilfe, eine positive Sprachentwicklung, adäquate Problemlösekompetenzen, Kommunikationsfertigkeiten sowie eine Neigung zur Selbstaktualisierung, heraus.

Resilientere Kinder waren zudem weniger häufig inkonsistentem Erziehungsverhalten wie auch belastenden Lebensereignissen ausgesetzt und erlebten robustere Eltern-Kind- Beziehungen mit emotionalerer Unterstützung. Schutzfaktoren auf Jugendlichenebene waren ein stärkeres Verantwortungsbewusstsein, ein stabileres Selbstbild mit höherem Maß an Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, eine ausgeprägtere Selbstfürsorge, eine größere intellektuelle und soziale Reife, quantitativ und qualitativ ausgeprägtere soziale Netzwerke, eine bessere familiale Kohäsion sowie eine Freisetzung von traditionellen Geschlechterstereotypen. Auch hoben die Autorinnen den Stellenwert von Familienangehörigen außerhalb der Kernfamilie als zusätzliche Rollenmodelle hervor, beispielsweise indem sie funktionale Werte und Normen an die nachfolgende Generation vermitteln. Weitere protektive Faktoren stellen die familiale Beziehungsqualität und Bindung, eine adaptive Krankheitsbewältigung, funktionales Copingverhalten und Psychoedukation, konstruktive Überzeugungen der Familie, familiale Flexibilität und Verbundenheit sowie Lernen und Motivation als personale Ressourcen von Kindern und Jugendlichen dar (Lenz & Wiegand-Grefe, 2017;

Brockmann & Lenz, 2017). Insbesondere differenzieren sich resilientere Kinder und Jugendliche durch ihr Ausmaß an Selbstreflexion, Selbstregulation und ihre Fähigkeit zur Perspektivenübernahme von weniger resilienten jungen Personen (Lenz, 2022b;

Lenz, 2022a). Obwohl eine große Zahl an Befunden zu protektiven Faktoren aus der allgemeinen Resilienzforschung vorliegt, fehlen Untersuchungen, die explizit familiale Systeme mit psychischen Belastungen in den Blick nehmen (Lenz & Wiegand-Grefe, 2017).

109 Die Ergebnisse der analysierten Studien, die den komplexen multikausalen Charakter von Transmissionsprozessen psychischer Störungen betonen (s. o.), legen nahe, dass ein solcher Umstand auch für den Bereich der Resilienz gilt und potentielle Schutzfaktoren nicht als isolierte Variablen zu begreifen sind.

Zu untersuchen wäre in diesem Zusammenhang deshalb, wie protektive Faktoren ihre spezifische Wirkung entfalten (Lenz, 2022a).

Forscher müssten somit auch hier mögliche bidirektionale Zusammenhänge von Schutzfaktoren in den Blick nehmen. Beispielsweise wäre zu analysieren, welche Resilienzfaktoren von Kindern und Jugendlichen mit welchen Resilienzfaktoren von Eltern oder anderen Angehörigen eines familialen Systems in welcher Weise interagieren.

Für ein solches Unterfangen sollten Studien aus der Resilienzforschung ebenfalls komplexe Mediationsmodelle nach dem Vorbild von Zerach und Solomon (2016) sowie Shalev et al. (2019) prüfen und ausarbeiten. Zudem wäre zu untersuchen, wodurch es resilienteren Individuen gelingt, protektive Faktoren in problematischen oder krisenhaften Situationen kompensierend für sich zu nutzen (Lenz, 2022b). Studien über zugrunde liegende psychosoziale Vorgänge dieser Art könnten die Befundlage über eine Transmission psychischer Störungen ebenfalls erweitern.

Gabriel (2018) schlägt hierzu vor, Kinder und Jugendliche in Übergängen zwischen Lebensabschnitten und Lebenskontexten zu untersuchen, da resiliente Bewältigungsmuster insbesondere in bedeutsamen biografischen Übergangsphasen, wie Schulwechsel und Pubertät, erforderlich erscheinen (Petermann & Ulrich, 2019).

Qualitative Fallstudien könnten in diesem Kontext die Entwicklungsübergänge resilienter Probanden rekonstruieren, um schließlich potentielle Übergänge und Entwicklungslinien identifizieren zu können (Gabriel, 2018).

No documento psychischer Störungen (páginas 112-116)