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Die Ergebnisse der Rundschau 133

IV. Empirische Analysen 86

3. Historische Quellenanalysen 122

3.1. Historische Quellenanalyse 1: Sprachratgeber um 1900 122

3.1.3. Die Ergebnisse der Rundschau 133

“Ich habe nichts getan gekr iegt” bedeutet: Ich bin mit meiner Arbeit nicht vorwärts gekommen; ich habe Aufenthalt gehabt; es hat nicht geräumt. Hier haben wir ein Beispiel von der wörtlichen Übertragung der plattdeutschen Ausdrucksweise ins Hochdeutsche […].

Engel thematisiert in seinem Buch “Gutes Deutsch” die Konstruktion auch nicht, aber er scheint keine ersthaften Bedenken gegen sie zu haben, denn er verwendet sie selbst in seinem Werk, das laut Titel “Ein Führer durch Falsch und Richtig” ist: “Die wichtigste, an die Spitze jeder Betrachtung gehörende Frage ist auch hier nicht die: Wie soll geschrieben werden, um keinen ‘Fehler’ angestrichen zu bekommen?” (1918: 287).

auch, die alle drei Konstruktionsverben nennen. Sanders’ Arbeit fußt hinsichtlich seiner Sprachdaten auf der Belegsammlung seines materialreichen Wörterbuchs und Bennewitz schöpft aus Lehr- und Handbüchern der Handelssprache bzw. der Handelskorrespondenz – beide Autoren verzeichnen mehr das Sprachleben. Kuntze und Matthias (aber auch Sanders) sind Schulmänner, die berufsbedingt Sprachschäden beheben wollen. Dieser Umstand könnte erklären, warum sie kriegen, bei dem in Wörterbüchern häufig der Vermerk steht, es sei auf den niederen Stil beschränkt (so z.B. in Windekildes Handwörterbuch (1896): “in edlem Stil ist das Wort zu meiden”) nicht einmal des Tadels würdig erachten. (Die ZdADSV übernimmt ihre Urteile und Belege im Wesentlichen von Matthias.) Der Sprachpflege zum Trotz beweist der Beleg mit empfangen in Matthias’ “Wegweiser” die Lebendigkeit der Konstruktion.

3.1.3.2. Die Partizipien

In der folgenden Tabelle sind sämtliche Partizipien der Konstruktionen aus den behandelten Werken angeführt77. Belege, die nachweisbar oder vermutlich auf eine einmalige Äußerung zurückgehen (so z.B. die literarischen Belege, oder solche, welche die Autoren als Zitate der mündlichen Rede kenntlich machen) wurden dabei jeweils nur einmal angeführt, und zwar beim ersten datierbaren Zeitpunkt. Belege, die wahrscheinlich Verwendungsbeispiele darstellen, sind bei jedem Vorkommen angegeben, wenn die wiederholten Nennungen auch durch Kursivierung abgesetzt sind.78

Die Übersicht ergibt – trotz eventueller Verzerrungen infolge der Art der Auszählung und der unvollständig erfassten Quellen – ein deutliches Überwiegen der geben-Verben, wobei unter diesen die abstrakten Verwendungen dominieren. Zwei Belege davon stehen für die semantische Rolle des Malefaktiv (verboten, geschlagen). Als nehmen-Verben werden

77 Siehe den Anhang für die Auflistung der Belege.

78 Ich halte diese Auszählung hier für vertretbar, denn es geht in erster Linie um qualitative Unterschiede, d.h.

welche (partizipiale) Verben zu einem gewissen Zeitpunkt in der Konstruktion verwendet werden (können).

Darüber liefert der zeitlich erste Beleg Auskunft. Das Anführen von Zitaten bzw. Übernahmen aus sekundären Quellen (wie es im Falle der Belege bei Matthias zu sehen war) spiegeln dabei nicht unbedingt den

zeitgenössischen Sprachgebrauch wider und bei einer entsprechenen Häufigkeit könnten auch weitere Belege genannt werden. Bei Verwendungsbeispielen hingegen ist es wahrscheinlicher, dass diese dem tatsächlichen Usus entsprechen. Für Aussagen über die Verwendungshäufigkeit einzelner Verbindungen eignet sich dieses Verfahren natürlich nicht.

entzogen – und in diesem Korpus als überhaupt erstes – abgenommen erwähnt. Abgenommen steht dabei in konkreter Verwendung, entzogen in beiden Fällen in abstrakter.

geben nehmen

konkret abstrakt abstr./mal. konkret abstrakt

1859 abgenommen

1876 geschenkt

zugeschickt

1891 geschenkt gesagt

aufgeschrieben erzählt

verboten [Vergnügen]

entzogen

1892 mitgebracht [Rolle] zugeteilt bestellt

überliefert gesagt

[Stipendium]

entzogen

1893 gegossen

1896 gesagt

1908 ausgezahlt gebracht

gesagt geschrieben erfüllt

geschlagen

Tabelle 19: Partizipien in der Konstruktion

Eine Erklärung für die Überzahl der abstrakten Verwendungsweise in den Sprachratgebern könnte Kuntzes Aussage liefern: “Der Ausdruck: ich habe das geschenkt bekommen ist allgemein üblich. Aber fremdartig klingt schon …” Das bedeutet, konkrete Objekte mit geben-Verben sind weder auffällig noch anstößig, also kein Thema für Sprachratgeber.

Hingegen: “fremdartig […] wo das Verbum in figürlicher Bedeutung gebraucht wird”. Seine Beispiele sind: gesagt, aufgeschrieben, erzählt, verboten, und entzogen bekommen. Dieses Urteil scheinen auch die Belege bei den anderen Autoren zu bestätigen: Matthias stößt sich nicht an mitgebracht bekommen wohl aber an gesagt bekommen, [Rolle] zugeteilt erhalten und überliefert empfangen, ganz zu schweigen von abstrakten Konstruktionen mit einem nehmen-Verb. Bei [Milchsuppe] gegossen bekommen dürfte die Benefaktiv- statt Rezipient- Lesart die Konstruktion entfremden. Die ZdADSV findet ausgezahlt erhalten “nicht

denkwidrig” und schließt sich für das Übrige Matthias an. Bennewitz kritisiert ebenfalls nur abstrakte Fügungen: geschlagen kriegen, geschrieben bekommen/erhalten, erfüllt bekommen und die konkrete Verwendung: [Zeitung] gebracht bekommen/kriegen schreibt er lediglich der Volkssprache zu. Matthias missbilligt auch noch Altartafeln bestellt bekommen. Die Fügung steht zwar scheinbar mit einem konkreten Objekt Altartafeln, bekommen kann das Subjekt des Satzes jedoch nur die Bestellung über die Altartafeln, die Struktur ist lediglich reanalysiert zu interpretieren (ähnlich verhält es sich mit Wünsche erfüllt bekommen).79 Darüber hinaus ist bestellen kein prototypisches dreiwertiges Verb in der Konstruktion, denn erstens verlangt es ein Präpositionalobjekt mit Dativ: ‘jemand bestellt bei jemandem etwas’, zweitens nähert sich seine Bedeutung eher nehmen: das Subjekt soll Altartafeln für jemanden anfertigen.80 Ähnlich untypisch ist das Verb schlagen, denn es weist ebenfalls kein Dativobjekt auf.81

Vier von den fünf Autoren führen die Konstruktion mit einem nehmen-Verb an.

Sanders registriert die Konstruktionserweiterung, Kuntze sieht man beinahe die Augenbrauen hochziehen beim Vernehmen der Fügung aus gebildetem Munde, Matthias will diese Verwendung nie erträglich werden und in seinen Fußstapfen nennt die ZdADSV die Entwicklung eine böse Verirrung des Sprachgebrauches, dem entgegentreten werden sollte und markiert die haarsträubende nehmen-Konstruktion sogar mit einem Ausrufezeichen.

Gleichwohl beweisen die Sprachhüter ihre Existenz – in vermutlich breiteren Kreisen.

Matthias benennt auch den Grund für sein Unbehagen: “Selbstverständlich ist diese Aussageweise um so unnatürlicher, je weiter der Sinn des Satzes von der eigentlichen Bedeutung des Wortes bekommen abführt.” (s.o.). In seinen und der anderen Ohren ist die Vollverbbedeutung von bekommen noch zu sehr präsent, zu wenig verblasst, als dass sie die

“widersinnige” Verbindung mit einem nehmen-Verb akzeptieren könnten. Das mag mitunter

79 Leirbukt (1997: 55f) spricht in solchen Fällen – zu denen von wenigen Ausnahmen abgesehen die hier unter

‘abstraktem Geben’ besprochenen Beispiele gehören – von “implizitem Patiens”, worunter “eine durch das Vollverb implizierte Entität [zu verstehen ist] die der Subjektsreferent erhält; hier hat man es also mit einem zugrundeliegenden Geben besonderer Art zu tun […]”.

80 Vgl. auch die Bemerkung von Glaser (2005: 45) mit Hinweis auf Leirbukt (1997: 206): “Die frühesten Belege des 16. und 17. Jahrhunderts weisen […] nicht die prototypischen dreiwertigen Verben mit

Transaktionssemantik auf […]”.

81 Vgl. Zifonun et al. (1997: 1827): “Ein bekommen-Passiv zu Verben ohne Kdat [=Dativkomplement] wird gelegentlich umgangssprachlich – meist mit ironisierendem Unterton – verwendet […]”.

ihrem an den ‘Klassikern und den besten Schriftstellern’ geschulten Ohr zu verdanken sein, wie es das sprachliche Bildungsideal der Zeit gebot.82

3.1.3.3. Grammatische Bestimmung

Die grammatische Bestimmung der Konstruktion ist in den Sprachratgebern nicht einheitlich.

Während die Parallelität mit dem werden-Passiv meistens erkannt wird, äußert sich Sanders nicht über den Status der Konstruktion, Kuntze spricht von einer “eigenartige[n] Erweiterung der Partizipialkonstruktion”, Matthias’ Bestimmung in den “Sprachschäden” mutet etwas vage an mit den verschiedenen Bezeichnungen “Vermischung aktivischer und passivischer Ausdrucksweise”, “zur Bildung der Leideform verwendet” und “widersinnige[] [aktivische]

Umschreibungen des Passivs” während er in seinem “Kleinen Wegweiser” (1896) die fraglichen Verben – wie später Bennewitz – eindeutig unter Hilfsverben einreiht.

3.1.3.4. Verbreitung der Konstruktion

Über die Verbreitung der Konstruktion liefern die Quellen zwei Arten von Hinweisen: erstens das Urteil des Autors, andererseits das Zeugnis ihrer Belege. Konkrete Äußerungen liegen bei Sanders, Kuntze und Matthias vor. Sanders (1876, eigentl. schon 1860, s. sein Wörterbuch) spricht lediglich von “einigen” bei denen die Fügung “verallgemeinert” gebraucht wird (also nicht mehr im Sinne des Empfangens). Kuntze beobachtet die Erscheinung im rheinisch- schwäbischen Raum, wo sie durch die Verwendung bei Gebildeten schon auf dem Weg in die Schriftsprache sei (1891), wenn dort die “figürliche” Verwendung sich auch auf einzelne (adjektivische) Fügungen beschränkt (also die Konstruktion dort noch nicht gebräuchlich ist).

Von Matthias Theodor, dem sächsischer Gymnasial-Oberlehrer haben wir aus dem Jahr 1892 das Zeugnis eines für Sprachsünden empfindlichen Ohrs über den Gebrauch der Konstruktion auf obersächsischem Gebiet. In der zweiten Auflage seines Ratgebers (1897) fügt er hinzu, sie ist auch “allgemein” verbreitet. In den beiden weiteren Werken haben wir nur indirekte

82 Was nicht bedeutete, dass man gelegentlich nicht auch die Sprachverwendung der Klassiker wegen mancher Fehler rügte. Übertrieben formuliert dies G. Wustmann: “Auch unsere großen Schriftsteller haben zuweilen falsch geschrieben” (zit. nach Meyer 1993: 288).

Hinweise: Der Ratsuchende Herr H. schickt seine Frage an die Redaktion der ZdADSV (1908) aus Köln-Braunsfeld. Dies bedeutet natürlich nicht unbedingt, dass er den “Mißbrauch in der Ersetzung der Leideform” auch auf heimatlichem Boden vernommen hatte, doch scheint es plausibel. Die von den Sprachratgebern zitierten Belege geben punktuell Aufschluss über die Verwendung der Konstruktion und diese können auch nur individuelle Prägungen sein. Dennoch lassen die biographischen Daten vage Rückschlüsse auf die regionale Verbreitung zu. Demnach kommen Rheinfränkisch, Schwäbisch (Presber), Steirisch (Rosegger) und bei Springer verschiedene dialektale Einflüsse in Frage.83 Und die von Matthias 1892 zitierten Journalisten der Täglichen Rundschau arbeiten (wahrscheinlich) in Berlin. Zusammenfassend könnte man neben die primären Angaben über rheinisch- schwäbische und obersächsische Gebiete die sekundären Hinweise auf weitere Gebiete des Westmitteldeutschen, auf das Steirische sowie Berlinerisch stellen. Bennewitz’ Beispiele schließlich legen die Vermutung nahe, die Konstruktion sei unter den Kaufleuten sehr üblich (wenn die Rüge schon so ausgiebig ist), wobei die Frage erst offen bleiben muss, ob diese beinahe formelhaften Wendungen eine Art Berufsjargon darstellen, mit sozialer Schicht zu tun haben, oder (wenn das auch weniger wahrscheinlich ist beim Hinweis auf Handbücher und Korrespondenz) im Dialekt wurzeln.