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6. D ARSTELLUNG DER F ORSCHUNGSERGEBNISSE

6.3. Bio-psycho-sozialer Zustand der Betroffenen zu Beginn der Betreuung

6.3.2. Psychische Aspekte

48 medizinischen Leistungen in Österreich massiv. Es ist von großer Bedeutung, dass die Klientinnen sich in der Stadt Wien befinden und einige Institutionen medizinische Leistungen für nicht versicherte Personen zur Verfügung stellen. Nennenswerte Institutionen sind beispielsweise „Amber Med“ und „Neunerhaus“. Mitunter gibt es auch Klientinnen, die umgehend in einem Spital untergebracht werden wollen – häufig auch schon –, wenn sie nur leicht erkrankt sind und etwa über Kopfweh klagen. Andererseits gibt es auch diejenigen, die eine ärztliche Untersuchung absolut vermeiden, weil sie sehr viel Angst davor haben.

49 dass es sehr wichtig für neu ankommende Betroffene ist, sich willkommen und nicht mehr bedroht zu fühlen. Es ist außerdem von Bedeutung, dass sie sich in die neuen Lebensumstände einleben können und ein elementares Vertrauensverhältnis zu dem Betreuungspersonal aufbauen können.

Wie bereits oben erwähnt wurde, machen alle Expertinnen klar, dass der psychische Zustand der Betroffenen sehr unterschiedlich sein kann. Beispielsweise gibt es Klientinnen, die in den ersten Tagen stabil und ruhig wirken. Sie beobachten einfach die Situation in der Wohnung und denken an die jüngsten Vorkommnisse. Es ist auffallend, dass viele Betroffene sich nach etwa einer Woche entspannter fühlen. Gleichzeitig ist dann jedoch zu beobachten, dass sie häufig „in ein Loch fallen“. Denn bisher haben sie nur gelernt, ihre Emotionen zusammenzuhalten und ihre Angst zu verbergen. Parallel dazu kann sich mitunter zeigen, dass die Klientin beginnt, sich nicht an die Regeln zu halten. Dies wiederum löst in weiterer Folge Konflikte und Streitigkeiten aus. Dieser Umstand wird jedoch grundsätzlich als positive Entwicklung betrachtet. Denn in den meisten Fällen wird dadurch deutlich, dass es bei der Klientin zu einer Verbesserung gekommen ist und sie bereit ist, für ihre Rechte zu kämpfen.

Die meisten Fachkräfte berichteten weiters, dass oft verschiedene Symptome auftreten können. Das können etwa Weinanfälle oder auch Verzweiflung, Einsamkeit, passive Haltung, Schuldgefühle sowie Ärger in auffälligen Situationen gegen die Außenwelt bzw.

gegen die Fachkräfte sein. Mitunter zeigen sich aber auch Bauch-, Magen- und Rückenschmerzen, Schlafstörungen, Albträume sowie chronische Beschwerden. Wie bereits im Abschnitt der Kategorie der körperlichen Aspekte detailliert erklärt wurde, können die letztgenannten Symptome als psychosomatisch charakterisiert werden, da keine physische Erkrankung diagnostiziert wird. Laut den Interviewpartnerinnen ist auch auffallend, dass diese Beschwerden oft mit Trauma, struktureller Armut, Patriarchat, Geschlechterrassismus oder mit dem sozioökonomischen Status in den Herkunftsländern verbunden werden.

Die Mehrheit der Expertinnen ist der Ansicht, dass es außer den psychosomatischen Symptomen auch Klientinnen gibt, die unter bereits diagnostizierten psychischen Störungen leiden. Beispielsweise wurden das Borderline-Syndrom, Schizophrenie, Persönlichkeitsstörung, Angststörung, Depression und posttraumatische Belastungsstörung erwähnt. Dennoch gab eine Expertin an, dass sie keine psychischen Störungen bemerkt hat, obwohl sie zugleich posttraumatische Belastungsstörungen erwähnte.

50 Von einer der Expertinnen wurde noch eine weitere Kategorie angesprochen, wozu die geistig-seelischen Behinderungen gehören. Das sind etwa die kognitive Minderung oder Sozialkompetenzdefizite. Sie erklärt weiters, dass solche Klientinnen aufgrund dieser Defizite häufig als Opfer ausgewählt werden - denn sie sind leicht manipulierbar. Die Mehrheit davon wurde bisher nicht bzw. nicht ausreichend behandelt. Sehr oft sind sie daher nicht mehr in der Lage ihr Leben selbstständig zu führen und aus diesem Grund ist eine stationäre Behandlung bzw. eine betreute Unterstützungsform notwendig. LEFÖ – IBF ist relativ häufig mit solchen Fällen konfrontiert und aus diesem Grund ist die enge Kooperation mit einigen Spitälern wie etwa dem Wiener Otto-Wagner-Spital besonders wichtig.

Substanzabhängigkeit stellt auch ein großes Thema dar, das von einigen Expertinnen zur Sprache gebracht wurde. Diese Kategorie kann anhand der Aussagen nur schwer eingeordnet werden, da sie sowohl den körperlichen als auch den psychischen Zustand der Betroffenen beeinflusst. Anschließend wurde das Thema Therapiebehandlung erwähnt und inwiefern sie die Betroffenen in Anspruch nehmen. Manche Klientinnen besuchen gerne eine*n Psycholog*in oder eine*n Psychiater*in, während andere das Angebot anfangs annehmen und dann aber in weiterer Folge die Therapie abbrechen. Mitunter kommt es auch vor, dass die Therapiebehandlung von Beginn an abgelehnt wird.

Laut den Expertinnen beeinflussen kulturelle Faktoren auch den psychischen Zustand der Betroffenen, wie im Falle vieler Nigerianerinnen, welche das ´Ju Ju´ (vgl. 6.3.1.) durchlebt haben. Dieses Ritual wurde von fast allen Fachkräften angesprochen, denn sie glauben, dass das einen Effekt auf das ganzheitliche Wohlbefinden der Betroffenen hat. Dabei sind viele Betroffene der Auffassung, dass wenn ihnen später etwas geschehen sollte, das auf den Eidbruch zurückzuführen ist und durch „Ju Ju“ verursacht wurde. Bemerkenswert ist auch die Aussage einer Expertin, die behauptet, dass gesellschaftliche Faktoren wie etwa die Wohnung als Ort selbst genauso wirken. Obwohl die Schutzwohnung ein sicherer Ort für die Betroffenen ist, stellt sie gleichzeitig auch einen Belastungsfaktor dar. Da sich die Klientinnen mit so vielen verschiedenen Persönlichkeiten aus unterschiedlichen Ländern treffen und das Zimmer mit jemandem anderen teilen müssen, lässt es nicht viel Raum für Selbstreflexion. Dies kann mitunter zu emotionaler Überforderung und somit Streitigkeiten führen. Ebenfalls ist es schwierig, wenn eine Klientin sehr müde ist und aggressiv reagiert.

Dieser Umstand belastet die anderen Mitbewohnerinnen auch sehr.

Nicht selten gibt es auch Selbstmordversuche, wobei die Klientinnen dann häufig nicht wissen, wie sie der betroffenen Person wirklich helfen können. Erwähnenswert ist auch die Tatsache, dass sich Expertinnen auf diesem Gebiet nicht immer gut auskennen und daher

51 auch nicht ausreichend darüber informiert sind, wie sie suizidalen Betroffenen helfen sollen:

„Also, Suizidversuch haben wir immer, ja, immer. Die manchmal nicht unbedingt…

man weiß das nicht, ob das unbedingt von dem Menschenhandelsgeschichte kommt, aber ja. […] Natürlich wenn es um Suizidversuch handelt, dann natürlich, dann endet sie im Spital. Und Punkt. […] Aber solche Sachen, solche klare Geschichten wie Suizidversuch können wir überhaupt nicht übernehmen. Natürlich.

Weil es ist auch für die Frau gefährlich, das bringt nicht. Wir sind keine Experten, wir haben diese Kenntnis nicht. Wir können das nicht.“ (IP7 716-757)

Ebenso empfinden Betroffene die Panikattacken als sehr belastend. Denn diese können sich auf alle anwesenden Personen emotional sehr stark auswirken.

„Oder wenn eine Frau z.B. eine Panikattacke kriegt und weißt du, sie umgibt, wo die Frauen wissen nicht, ob die Frau stirbt jetzt, stirbt sie nicht. Weißt du? Dieser Moment macht die Frauen auch natürlich… es ist eine extra Belastung. Leider kann man es nicht wirklich vermeiden.“ (IP3 360-362)

Die Expertinnen charakterisieren als weiteren permanenten Belastungsfaktor, dass die Betroffenen von ihren Familien, Freund*innen und Lebenspartner*innen getrennt sind.

Häufig werden sie auch über neu diagnostizierte Erkrankungen bzw. Todesfälle von nahestehenden Personen im Herkunftsland erst spät informiert. Dass sie sich in einem neuen Land als Migrantinnen befinden, wo sie die Sprache und die Kultur erst erlernen müssen, erzeugt neuen Stress. Manche erleben den Migrationsprozess noch intensiver, wie im Fall von Transgenderpersonen, die weitgehend auf der Straße diskriminiert werden.

Ebenso bedrohend für das psychische Wohlbefinden der Betroffenen finden alle befragten Expertinnen gerichtliche Verfahren und Polizeieinvernahmen, die sogar zu einer Retraumatisierung führen können. Insbesondere dann, wenn Klientinnen in regelmäßigen Abständen die Menschenhandelsgeschichte in chronologischer Reihenfolge wiederholen müssen. Die Tatsache, dass sie trotz dieser Schilderung abgeschoben werden können, lässt ihr Unsicherheits- und Verwirrtheitsgefühl zusätzlich ansteigen. Man kann nicht von psychischer Stabilisierung sprechen, solange unbekannt ist, ob sich eine Lebensperspektive im Aufnahmeland entwickeln wird. Viele der Expertinnen betonten die Wichtigkeit einer grundsätzlichen Schutzanerkennung:

„Die sind Betroffene von Frauenhandel, du kannst sie nicht, also… die Frauen brauchen einfach einen sicheren Aufenthalt. Dass sie sich stabilisieren können, dass wir überhaupt über diesen Stabilisierungsprozess, Integrationsprozess reden können. Ohne Aufenthalt, ohne sicheren Aufenthalt ja... können wir nicht und du

52 kannst einfach von den Frauen wollen, dass sie nur jetzt mal über die Täter aussagen und nichts davon haben. Die brauchen den Schutz, wenn sie ausgesagt haben.“ (IP3 844-849)

Obwohl in den Beratungsgesprächen die ganze Palette an Wahrscheinlichkeiten für die Entwicklung ihrer Geschichte besprochen wird, bedeutet das nicht, dass sie sich von diesem Unsicherheitsgefühl befreien können. Das Thema „Abschiebung“ stellt für sie einen riesigen Stressfaktor dar, selbst wenn sie oft damit gerechnet haben. Der Gedanke, dass sie im Heimatsland von den Täter*innen gefunden werden oder ihre Familie bedroht werden könnte, stresst sie in besonderem Ausmaß.

„Aufenthalt ist so ein Fragenzeichen manchmal oder ziemlich lang bis das geklärt ist und das stresst viele Frauen extrem, besonders wenn sie auch oft damit rechnen

„ja gut, aber ich kann nicht zurück, weil zurück ist nicht sicher oder dort sind die Täter vielleicht sie finden mich“ […] (IP3 346-349)

Alle befragten Expertinnen sehen den Prozess der Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis als die größte Herausforderung für die Betroffenen. Mitunter kann es viele Jahre bis zu einer Entscheidung dauern. Dennoch insistieren Expertinnen, die v. a. als Beraterinnen tätig sind, dass das Thema Aufenthalt besonders wichtig und nicht zu unterschätzen ist.

Manchmal hängt diese Komponente auch mit Suizidversuchen zusammen, da die Klientinnen kein Recht auf Arbeitsplatzzugang haben. Der Gelddruck von Seiten der Familie im Herkunftsland ist aber mitunter sehr stark. Dann befinden sich viele Betroffene in einer ausweglosen Lage. Dieser Umstand löst sehr viel Stress bei den Betroffenen aus.

„Z.B. also eine Art der Drohungen würde ich sagen, also dass die Familie z.B. Geld verlangt von den Frauen und dann dass die Frauen… das ist mit Suizidversuch ein bisschen in Zusammenhang… ähmm sie wissen, dass sie nicht arbeiten dürfen.

Aber die Familie braucht das Geld. Und sie stehen in der Situation, wo sie nicht wissen, was sie machen sollen. Und wenn LEFÖ sagt, ja sorry, ich kann dich nicht begleiten, wenn du in Wien illegal in der Prostitution arbeitest; […] dass sie als Asylwerberin überhaupt keine Chance hat. Ja, außer Prostitution. Aber das ist manchmal ist es nicht ihre Entscheidung, ja. Und dann solchen Sachen, also es ist wirklich eine Belastung für die Frauen. Sie sehen […] keine Antwort zu haben, keine Sicherheit zu haben in diesem Sinne ist ganz stark. (IP7 668-677)

Die einzelnen Beratungssettings finden ein- bzw. zweimal in der Woche - je nach Bedürfnis und Gefährdung der Klientin - in der Beratungsstelle statt. Dort werden besonders relevante rechtliche Themen wie etwa Asylanträge, Vorbereitung auf gerichtliche oder strafrechtliche Prozesse u. ä. thematisiert. Besonders wichtig bei diesen Einzelsettings ist

53 der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung mit ihrer zuständigen Beraterin und die Vermeidung der Retraumatisierung einer Klientin. Es ist von großer Bedeutung, dass die Klientin sich Zeit nimmt, bevor sie tief in die Geschichte eindringt und diese erzählt. Es ist außerdem wichtig, dass der Betroffenen erklärt wird, dass dieser Prozess schwierig werden kann und sich über einen längeren Zeitraum ziehen kann. Klarheit stellt auch einen der wichtigsten Punkte einer Beratung dar. Dabei muss es für die Klientin verständlich sein, dass sie keinen Kontakt mehr mit den Täter*innen haben darf. Sollte sie mit ihnen in Kontakt treten, werden die LEFÖ-Leistungen abgebrochen, da sie sowohl sich selbst als auch die Mitbewohnerinnen in Gefahr bringt.

Laut einer detaillierten Beschreibung einer Expertin, reduziert sich der gesamte Prozess auf die psychosoziale Ebene, wenn die Klientin nicht zur Polizei gehen will, um Anzeige zu erstatten oder einvernommen zu werden. Wenn sie jedoch einer Einvernahme zustimmt, ist es von Bedeutung, dass die gesamte Prozessbegleitung begonnen wird und die Klientin auf eine kontradiktorische4 Vernehmung im Rahmen der Hauptverhandlung vorbereitet wird. Jede Klientin kann auswählen, wie sie aussagen möchte. Es ist aber sehr selten, dass sich Betroffene für eine offene Aussage im Rahmen des Verhandlungssaals entscheiden.

Denn dies bedeutet, dass sie die / den Täter*in sehen muss. Nur ein Blick von ihr / ihm kann mitunter dazu führen, dass sich die Betroffene zurückzieht und nicht aussagen will.

Weiters kann es auch zu einer Retraumatisierung kommen.

Der weitere Beratungsverlauf ist auf die individuellen Bedürfnisse der Klientin ausgerichtet.

Nachdem sie psychisch stabiler wirkt, können in der Beratung auch andere Bedarfe bzw.

Wünsche der Klientin bearbeitet werden. Das können etwa Alphabetisierungs- und Integrationskurse, eine Basisbildung oder eine Arbeitssuchberatung bzw. diverse medizinische Untersuchungen und Freizeitaktivitäten sein. Die jeweilige Beraterin muss sich des niedrigen Selbstbewusstseins und möglicherweise der Selbstvorwürfe der Klientin bewusst sein. Es ist ein sehr häufiges Phänomen, dass sich die Klientinnen kaum auf sie verlassen, zumal sie von Täter*innen nur hörten, dass sie nichts machen können. Das soll sowohl in den Beratungen als auch in der betreuten Schutzwohnung bearbeitet und dagegen angekämpft werden. Insbesondere dann, wenn augenscheinlich viel Potenzial in einer Klientin vorhanden ist.

4 Kontradiktorische Vernehmung: Eine kontradiktorische Vernehmung findet im Rahmen eines Strafprozesses statt, nachdem die betroffenen Personen das wünschen. Die Vernehmung der betroffenen Person / Zeugin wird als Video aufgenommen, welches im Hauptverhandlungssaal abgespielt wird. Dadurch wird das direkte Zusammentreffen der Betroffene und des / der Täter*in sowie die Retraumatisierung von Betroffenen vermieden.

54 Die Expertinnen bemerken bei den meisten Betroffenen nach einiger Betreuungszeit in der SW1 viele positive Veränderungen in Bezug auf ihren psychischen Zustand. Nach diesem Ziel strebt die LEFÖ – IBF. Ihren Aussagen zufolge sind die Klientinnen weniger jähzornig und aggressiv, lachen häufiger, werden aktiver, erkranken seltener und neigen generell zu einer größeren Motivation, Deutsch zu lernen. Besonders die befragten Expertinnen, die eine Betreuungstätigkeit ausführen, sind der Meinung, dass das Sprechen der Landessprache von großer Bedeutung ist, wenn sie an Aktivitäten teilnehmen möchten, aber auch, wenn sie einen Job suchen. In der Regel fühlen sich die betroffenen Frauen wohler und selbstständiger. Zudem sind sie häufig in Bezug auf die Polizei nicht mehr so ängstlich, wie zuvor. Das kann aber mitunter für sie schwierig sein, da sich viele Betroffene auf die LEFÖ stützen und dies wiederum zu einer Abhängigkeit führen kann. Diesen Umstand versucht die LEFÖ – IBF zu vermeiden.

Das kann beispielsweise mittels Gruppeninterventionen und Gesprächsführungen mit den Klientinnen ermöglicht werden. Die Fachkräfte versuchen ihnen zu erklären, welche ihre Rechte sind und wie sie sich in solchen Fällen verhalten sollen. Zudem lernen die Klientinnen auch durch die Beobachtung des Verhaltens von Betreuerinnen, wenn diese vor Ort mit der Polizei interagieren.

Die Expertinnen erklärten ebenfalls, dass obgleich sich die Betroffenen nach längerer Betreuung angenehmer fühlen, schließt dies nicht ein, dass sie alle ihre Probleme loswerden. Die Stadien der psychischen Stabilisierung sind natürlich nicht für alle gleich, besonders wenn eine Klientin auf ihre Aufenthaltserlaubnis wartet. Das stresst sie enorm und sie können nicht erfassen, warum sie die Sprache lernen sollen, sofern es möglich ist, dass sie in kurzer Zeit abgeschoben werden. Kennzeichnend dafür ist die Aussage einer Interviewpartnerin:

„Wenn du einfach nicht weißt, was für eine.. soll ich mein Leben da aufbauen oder nicht. Darf ich dableiben oder nicht. Warum soll ich Deutsch lernen, wenn sie mich vielleicht in 2 Wochen sagen, ich muss gehen. Also, wie kann ich es überhaupt versuchen, mich zu integrieren oder ein Fuß zu fassen oder etwas anzufangen, solange du weißt nicht, wie lange du dableiben darfst. Ja, das mit dem Aufenthalt ist wirklich nicht zu unterschätzen.“ (IP3 506-510)

Manche sind sehr stark traumatisiert und brauchen daher längere Zeit, um mit ihren Sorgen zurechtzukommen. Das wird vor allem durch Stimmungsschwankungsphasen oder labile Verhaltensweisen deutlich. Von den Aussagen der Interviewpartnerinnen lässt sich ableiten, dass die Betreuerinnen und die Koordinatorin des Betreuungspersonals in dieser Phase eine besondere Rolle spielen, da sie die Klientinnen in ihrem Alltag betreuen und

55 begleiten. Sie bieten den Betroffenen psychosoziale Unterstützung an, sind da, um die kleineren sowie größeren Sorgen der Klientinnen anzuhören und begleiten sie zu ärztlichen bzw. anderen Terminen. Parallel dazu sind sie immer bereit zu intervenieren, wenn Konflikte zwischen den Klientinnen entstehen oder wenn die Wohnungsregeln nicht eingehalten werden. Sie versuchen die Klientinnen immer zu motivieren, damit diese an verschiedenen Aktivitäten teilnehmen und aus einer eventuellen Depressionsstimmung herauskommen können.

Sowohl Expertinnen mit Beratungs- als auch jene mit Koordinationsaufgaben sind der Meinung, dass die Betreuerinnen nicht nur für die Betroffenen selbst wichtig sind, sondern auch für die Beraterinnen, mit denen sie sich regelmäßig in Verbindung setzen. Da die Betreuerinnen die Klientinnen bei ihrem Alltag begleiten, sind sie auch in der Lage wichtige Informationen an die Beraterinnen zu übermitteln. Das können etwa ungewöhnliche Verhaltensweisen, eine falsche Dosierung von Medikamenten oder Medikamentenverweigerung sein. Es kann aber auch vorkommen, dass sie auf suizidale oder depressive Anzeichen, extreme Gewichts- und Stimmungsschwankungen oder generell Haltungen, die signalisieren, dass es der Klientin nicht so gut geht, aufmerksam machen. Durch die Kommunikation und den Informationsaustausch zwischen den Beraterinnen und Betreuerinnen gelingt ein besseres Gesamtverständnis über die psycho- soziale Situation der Betroffenen und die zukünftige Weiterarbeit. Weiters wird abgeklärt, ob es je nach Umständen als sinnvoll erachtet wird, ob die Betroffene an andere Einrichtungen überwiesen werden sollte.