Da die Messung von Φ für −SL schon einige Jahrzehnte zurückliegt (siehe Abschnitt II 1.4.2), waren eigene Versuche notwendig, um den tabellierten Wert von 0.40-0.46 experimentell zu überprüfen. Das durch Aminosäure-Rest sowie Phosphat-Gruppe ge- kennzeichnete polyionische Coenzym B würde mit seiner Vielzahl von Ladungen die Zuordnung von m/z-Signalen im HiResESI-ICR-MS sehr erschweren. Somit griff man auf die Natriumsalze von 2-Thioethansulfonsäure (TES; Coenzym M) und 2-Hydro- xyethansulfonsäure (HES) zurück, welche in Mischungen aus H2O / D2O + CH3OH / CD3OD + NH3•H2O / ND3•D2O gelöst wurden. Das molare Verhältnis von 1:3 beruht auf der Beobachtung, daß TES im negativen Modus etwa dreimal stärkere Signalintensi- täten liefert als eine identische Menge an HES. Die isotopenvariierten Lösungsmittel wurden auf einen Endgehalt von 25 / 50 / 75 Mol% D eingestellt, ebenso der Deuterie- rungsgrad der Hydroxy- beziehungsweise Sulfanyl-Funktion der Ethansulfonsäure-De- rivate. Da die Integrale der MS-Signale das Verhältnis von TES-d1 zu TES-d0 nicht notwendigerweise absolut widerspiegeln, benötigt man den HES-d0/HES-d1-Quotien- ten als interne Referenz. Aufgrund der Beziehung
(Gl. II-19)
kann mit ΦOL = 1.00 der gesuchte Wert für ΦSL direkt aus den Signalintensitäten der HES- und TES-Isotopologe berechnet werden (siehe Abb. II-4). Auf der Basis von sechs Meßergebnissen für 50 Mol% D und jeweils drei Werten für 25 / 75 Mol% D er- gab sich für ΦSL ein Durchschnittswert von 0.35, allerdings mit einer Standardabwei- chung von ±16.5 % (n = 12).
Infolgedessen fokussierte man sich auf NMR-spektroskopische Methoden, welche allesamt die molekulare Integrität der Testsubstanz nicht verändern. Lösungen des in
ΦOL
HES OH–
( )
∫
HES OD–
( )
∫
--- ΦSLTES SH–
( )
∫
TES SD–
( )
∫
---=
aciden Positionen entsprechend un-, teil- oder volldeuterierten Diammoniumsalzes von CoB−SH in TRIS-HCl/H2O (50 mM; pH 7.6), TRIS-DCl/D2O (50 mM; pD 7.6) und Mischungen aus beiden Solventien (40 / 60 / 75 Mol% D) wurden in einem NMR-Röhr- chen mit Kapillareinsatz und Dioxan als Eichsubstanz bei 500 MHz und 65 °C gemes- sen. Das 13C-Spektrum zeigte für das C-Atom in α-Position zur −SH-Gruppe (2J- Kopplung) in 100 Mol% D relativ zu 100 Mol% H eine Hochfeld-Verschiebung von rund 0.2 ppm. Im 1H-Spektrum aller Deuterium-haltigen Ansätze erschien die Sulfanyl-Grup- pe als breite Linie mit Schulter, deren grobe Integration unter Normierung auf das tri- plettoide Signal (2H) für H2C(7‘) einen durchschnittlichen ΦSL-Wert von 0.51 (n = 3) errechnen ließ. Die H/D-Verschiebung dieser α-Methylen-Protonen (3J-Kopplung) selbst lag nur noch im sub-ppb-Bereich.
Wesentlich exaktere Ergebnisse lieferten vier Ansätze mit jeweils 10 mg feinkristal- linem CoB-Diammoniumsalz (siehe Abb. II-5), aufgereinigt durch Umfällen anstelle von Entsalzen, gelöst in je 700 µL entgastem Wasser mit 0 / 25 / 75 / 100 Vol.% D2O unter Zusatz von 0.7 µL 1,4-Dioxan und überführt in NMR-Röhrchen mit gasdichtem Schraubdeckel. Die Messungen erfolgten bei einer Frequenz von 600 MHz (1H) bezie- hungsweise 150 MHz (13C) und bei einer Temperatur von 4.1 / 25 / 50 °C mit Kryokopf,
HES-d0
HES-d1
SES-d0
SES-d1
Abb. II-4. HiResESI-ICR-MS (negativer Modus): Relative Signalintensitäten der d0/d1-Isotopologe von 2-Hydroxyethansulfonsäure (HES) und 2-Sulfanylethansulfonsäure (SES) in H2O:D2O [50:50]
v/v.
wobei die Lyonium-Konzentration im Bereich von pL 4.38-4.91 lag. Die Zuordnung sämtlicher 1H- und 13C-Signale, referenziert auf internes 1,4-Dioxan, wurde anhand ei- nes DQF-COSY- sowie eines MedHSQC-Spektrums in reinem D2O bei 4.1 °C bestä- tigt. Die Bestimmung von ΦSL (CoB) erfolgte auf zwei voneinander unabhängige Weisen, und zwar zum einen durch Integration der Deuterium-verschobenen 13C-Si- gnale von C(7‘), zum anderen durch direktes Integrieren des 1H-Signals der Sulfanyl- Gruppe.
Beim Vergleich der 13C-Spektren für steigende D2O-Konzentrationen fallen zwei Ar- ten von isotopenverschobenen Signalen ins Auge. Die C-Atome in Nachbarschaft des Amid-Protons zeigen einen Fraktionierungsfaktor von ca. 1, was in 75 % D2O zu einem Intensitätsverhältnis „Unverschoben:Verschoben“ von 1:3 führt. Die entsprechende Relation für C(7‘) mit der SH-Gruppe sowie für das benachbarte C(6‘) lautet 5:6, wor- aus ΦSL (CoB) berechnet werden kann, sofern man die Effekte von Relaxation und heteronuclearem NOE auf die 13C-Integrale eliminiert (siehe Tab. II-2). Um solche Stö- rungen auszuschließen, wurden die 13C-Spektren zuerst unter Standard-Breitband- entkopplung und dann mit der Inverse-Gated-Technik (Verzögerung: 5 s) gemessen.
Beide Spektren lieferten dasselbe Integralverhältnis für unverschobene zu verschobe- nen Signalen. Abbildung II-6 a verdeutlicht unmittelbar, daß neben der hauptsächli- chen β-Isotopenverschiebung das −CH2SH- sowie das −CH2SD-Signal parallel mit steigendem D-Anteil hochfeldverschoben werden. Aufgrund seiner näherungsweisen Proportionalität zum D-Gehalt des Lösungsmittels liegt nahe, daß dieser Effekt auf funktionellen Gruppen mit Φ ≈ 1 beruht und in direktem Zusammenhang mit Änderun-
SH H
N
O
+NH4O O
+NH4HO3PO
H
H
3 1 2
7'
4
2' 1'
5'
4' 6'
3'
Abb. II-5. Struktur des Diammoniumsalzes von N-7-Thioheptanoyl-O-phosphono-L-threonin (Co- enzym B).
gen in Wasserstoffbrückenbindungen / Solvatationshülle des Moleküls steht. Nahe der Mitte der Heptanoyl-Kette zeigen die Signale für C(4‘) und C(5‘) bezogen auf 1,4- Dioxan nur minimale Verschiebungen, so daß diese als interne Referenz für den Spek- trenvergleich dienen können. Aus den Integralen für −CH2SH sowie −CH2SD bei 50 / 75 Mol% D und 4.1 / 25 / 50 °C ließ sich ΦSL (CoB) zu 0.44 ± 4.1 % (n = 6) berechnen.
Dabei traten bereits bei 25 °C durch H/DAustausch zwischen −SL und Lösungsmittel deutliche Linienverbreiterungen auf, infolgedessen die Signalintensitäten über Least Square Fitting der theoretisch simulierten Kurve eines Zwei-Spin-Austausches zwi-
Tab. II-2. 1H- und 13C-NMR-Daten von Coenzym B in 100 % H2O bei 4.1 °C; Deuterium-abhängige Hochfeld-Verschiebungen der 13C-Signale in H2O:D2O [25:75] bei 4.1 °C (600 / 150 MHz; δ in ppm,
∆δ in ppb, J in Hz).
Atom δ (1H) δ (13C)
∆δ (13C);
Intensitätsrelation unverschoben:
verschoben
1 − 178.8 16; 1:3
2 4.27 (dt) 62.3
(JC,P = 7.8)
91; 1:3
3 4.71 (qdd) 75.4
(JC,P = 5.4)
9; 1:3
4 1.30 (d) 21.2 0
NH 8.17
(J = 8.9)
− −
1' − 180.2 91; 1:3
2' 2.39 (m); 2.35 (m) 38.8 53; 1:3
3' 1.63 (m) 28.1 9; 1:3
4' 1.34 (m) 30.5 0
5' 1.40 (quint) 29.9 0
6' 1.60 (m) 35.7 25; 5:6
7' 2.54 („q“)
(J = 7.7)
26.6 143; 5:6
SH 1.83
(J = 8.2)
− −
NH4+ 7.16 (t) − −
26.45 ppm 26.50
26.55 26.60
26.65
100 % H
2O
100 % D
2O
50 % D
2O
75 % D
2O
CH
2SH CH
2SD
2.6 2.4 2.2 2.0 1.8 1.6 1.4 ppm
50 °C
25 °C
4.1 °C
CH2SH CH
2SH
Abb. II-6. Bestimmung von ΦSL für Coenzym B: a) 13C-NMR-Spektren von C(7') bei 4.1 °C und 0 / 50 / 75 / 100 Mol% D im Lösungsmittel, referenziert auf C(5'); b) 1H-NMR-Signale von H2C(7') und
−SH bei 4.1 / 25 / 50 °C und 100 Mol% H im Medium.
∆δ = 143 ppb a
b
schen unverschobenen und verschobenen Linien im gemessenen Spektrum bestimmt wurden, mit dem Populationsverhältnis als einem der Optimierungsparameter. Im Hin- blick auf die Konsistenz der berechneten Φ-Werte fand diese Technik auch Anwen- dung bei 4.1 °C sowie 50 °C, wobei sich das C(7‘)-Signal bei der letztgenannten Temperatur nahe dem Koaleszenzbereich befand. Anhand dieses Optimierungsproze- dere für die theoretische Zwei-Spin-Austausch-Linienform konnten auch die Aus- tauschgeschwindigkeiten nebst weiteren thermodynamischen Parametern abgeleitet werden. Für die durchschnittliche Lebensdauer τ eines Kerns in der magnetischen Um- gebung A / B und die Geschwindigkeitskonstante k gilt:
mit (Gl. II-20).
Auf dieser Grundlage ergaben sich für k folgende Werte: 2.3 s−1 (4.1 °C), 14.1 s−1 (25.0 °C), 66.5 s−1 (50.0 °C). Dies entspricht 52.3 kJ mol−1 für ∆H# und −46.1 J mol−1 K−1 für ∆S#.
Abbildung II-6 b zeigt in 100 Vol.% H2O für eine Temperatur von 4.1 °C das SH-Pro- ton als Triplett bei 1.81 ppm mit deutlich reduzierter Intensität (0.6 H). Dies beruht auf SH-OH-Austauschreaktionen während der relativ langen Excitation-Sculpting-Pulsse- quenz, wodurch nicht-angeregte Protonen des Wassers in den Resonanzbereich der Thiol-Protonen gelangen. Bei 4.1 °C erscheint H2C(7‘) als quartettoides Signal mit etwa identischen Kopplungskonstanten zu −SH (8.3 Hz) und zur vicinalen Methylen-Gruppe H2C(6‘). Bei 25 °C wird das SH-Triplett nur noch teilweise aufgelöst und das H2C(7‘)- Quartettoid befindet sich hinsichtlich der −SH-Kopplung nahe dem Koaleszenzbereich.
Bei 50 °C verschwindet das SH-Signal großenteils infolge von Austausch-bedingter Li- nienverbreiterung und H2C(7‘) bildet ein scharfes Triplett. Aus diesen Betrachtungen kann wiederum die Austauschgeschwindigkeit abgeschätzt werden, da für den Koales- zenzbereich bei 25 °C mit ∆ν = 8.3 Hz der Zusammenhang k = 2.22 • ∆ν ≈ 18.4 s−1 gilt, was recht gut zu den 14.1 s−1 aus den 13C-Daten paßt. Mit steigender D2O-Konzentra- tion verringert sich das SH-Integral, und da die zugrundeliegenden Spektren ohne Un- terdrückung des Lösungsmittel-Signals aufgenommen wurden, ergab sich bezug- nehmend auf ∫ H2C(7‘) = 2H der Fraktionierungsfaktor ΦSL (CoB) zu 0.42 ± 1.2 % (n =2).
τ
τA⋅τB τA+τB ---
= k 1
---τ
=
Obwohl in Analogie zu den 13C-Spektren die Integration des SH-Protons bei Tempera- turerhöhung durch zunehmende Linienverbreiterung ungenauer wird, erkennt man klar die Tendenz zu einer Vergrößerung des Fraktionierungsfaktors, und zwar um ca. 7 % bei 50 °C relativ zu ΦSL bei 4.1 °C.
Gleichermaßen erfolgreich war ein analoger Ansatz mit dem CoM-Natriumsalz in H2O, H2O:D2O [50:50] und H2O:D2O [20:80] bei 500 MHz und 5.4 °C unter interner Re- ferenzierung auf das 1H-NMR-Integral von H2C(2). Abbildung II-7 zeigt deutlich, wie die Schärfe des SH-Signals mit steigendem D2O-Gehalt wächst. Für ΦSL berechnete sich wiederum ein Durchschnittswert von 0.43 ± 3.9 % (n = 2), und zwar unabhängig vom Zeitpunkt nach Herstellung der Lösungen (10 min / 6 d). Während die Integrale für die Methylen-Protonen in Position 1 und 2 bis in den Promille-Bereich identisch waren, be- trug das Integralverhältnis für H2C(2)/SH in reinem Protiumoxid etwa 2.093 anstelle des erwarteten Wertes von 2.000.
HS
S O
O O Na+ 1
2 Abb. II-7. 1D-1 H-NMR von Natrium-2-sulfanylethansulfonat (c) in H2O (a), H2O:D2O [50:50] v/v (b), H2O:D2O [20:80] v/v (d) (500 MHz, H2O/D2O).
a b c
d
Dioxan H2C1 H2C2 HS− Dioxan H2C1 H2C2 HS−
Dioxan H2C1 H2C2 HS−