Der letzte Schritt der Methanogenese über MCR verläuft exergon und zeigt unter Stan- dardbedingungen (cSubstrate = cProdukte = 1 M; pMethan = 105 Pa) eine Freie Enthalpie ∆G0‘ von −30 kJ pro mol CH4. Im physiologischen Bereich ergibt sich daraus ∆G‘ gemäß
(Gl. II-1).
Somit wird die Rückreaktion exergon, falls der Produkt-Substrat-Quotient einen Wert von ungefähr 105 erreicht, was beispielsweise für einen gegebenen Methan-Partial- druck von 105 Pa, cCoM−S−S−CoB = 10-3 M und cMethyl-CoM = cCoB = 10-4 M der Fall wäre. Über-
∆G' ∆G0' RT [Produkte] Substrate
[ ]
--- ln
+ ∆G0' 5.7 kJ
mol---lg Produkte[ ] Substrate
[ ]
---
= = +
Tab. II-1. Eigenschaften der beiden MCR-Isoenzyme im Vergleich (verändert nach Bonacker et al., 1992: 89-91; Bonacker et al., 1993: 587-592).
MCR I MCR II
Substruktur α2β2γ2
(bis-Heterotrimer)
α2β2γ2 (bis-Heterotrimer) Expression unter standardi-
sierten Wachstumsbedingun- gen
Phase 2 (linear)
Phase 1 (exponentiell)
Degradation unter standardi- sierten Wachstumsbedingun- gen
Phase 3 (stationär)
Phase 3 (stationär)
Gaszufuhr (80 % H2 / 20 % CO2)
limitierend nicht limitierend
Temperaturoptimum 65-70 °C 55-65 °C
pH-Optimum 6.5-7.0 7.5-8.0
KM für Me-CoM 0.6-0.8 mM 1.3-1.5 mM
KM für CoB 0.1-0.3 mM 0.4-0.6 mM
Vmax für aktivste Präparation 6 U mg−1 21 U mg−1
einstimmend mit diesen durchaus realistischen Annahmen oxidieren methanogene Archaea in der Tat Methan unter strikt anaeroben Bedingungen, wenngleich mit sehr geringen Umsatzraten. Nach neueren Erkenntnissen ist das Reduktionspotential für CoM−S−S−CoB/CoM + CoB nicht in der Gegend des früher verwendeten Wertes von
−200 mV anzusiedeln, sondern eher bei −143 ± 10 mV. Ferner müssen für die Bildung von Methyl-CoM aus Methanol und CoM neben den Bindungs- auch die Solvatations- energien herangezogen werden, so daß −30 ± 10 kJ mol−1 dem tatsächlichen ∆G0‘- Wert für die Methyl-CoM-Reduktion zweifellos näherkommen.
Das Isoenzym I der MCR aus Methanothermobacter marburgensis (siehe Abschnitt II 1.2) zeigt für die Methanbildung aus Methyl-CoM eine maximale spezifische Aktivität von rund 100 U pro mg Protein bei 60 °C und eine Wechselzahl kcat von 500 s−1 unter Annahme von Kooperativität zwischen beiden aktiven Stellen. Vernachlässigt man die Aktivierungsentropie im geschwindigkeitsbestimmenden Schritt, so entsprechen diese Werte einer Aktivierungsenthalpie von etwa 63 kJ mol−1. In der exponentiellen Wach- stumsphase liegt die spezifische Methanbildungsrate für MCR I in der Gegend von 5 U pro mg Protein, wobei 1 mM und 0.1 mM als KM-Werte für Methyl-CoM beziehungswei- se CoB bestimmt wurden. Um die Rate der Methanoxidation abzuschätzen, zieht man die Haldane-Gleichung heran, welche die Gleichgewichtskonstante K mit der kataly- tischen Effizienz (kcat KM−1) für die Hin- und Rückreaktion korreliert:
(Gl. II-2).
Gemäß ∆G0‘ = −RTlnK = −30 kJ mol−1 liegt K in der Größenordnung von 105. Unter der Annahme, daß KM für alle Substrate und Produkte gleichermaßen 0.1 mM beträgt und daß Vmax für die Methanogenese mit 100 U mg−1 zu veranschlagen ist, würde die Methanoxidation maximal mit 1 mU mg−1 erfolgen, wobei der Toleranzbereich für ∆G0‘ von ± 10 kJ mol−1 letztlich Vmax-Werte zwischen 0.01 mU mg−1 und 10 mU mg−1 zuläßt.
Die Reduktion von Methyl-Coenzym M erfolgt in einer hydrophoben Tasche des ak- tiven Enzyms (siehe Kapitel II 1.1), welche von Substraten und Produkten praktisch nur ohne nebenvalent gebundenes Wasser erreicht beziehungsweise verlassen werden kann. Methyl-CoM muß zuerst mit der Sulfonat-Gruppe voran den engen Kanal pas-
∆G0' –RT Kln RT
kcat KM ---
Hinreaktion
kcat KM ---
Rueckreaktion
--- – ln
= =
sieren, da dieser nach Bindung von CoB für weitere Moleküle blockiert ist, und zeigt letztendlich mit seiner Methyl-Gruppe oder seinem Thioether-Schwefel zum Ni(I)-Zen- trum. Coenzym B wiederum orientiert sich mit dem Thioheptanoyl-Rest in Richtung von F430 und mit der Phosphat-Gruppe zum Kanaleingang, wobei dessen Sulfanyl-Rest aus einer Entfernung von 8 Å nicht direkt mit dem Ni(I) interagieren kann, wohl aber mit der Methyl-Gruppe oder alternativ mit dem Thioether-S von Methyl-CoM. Höchstwahr- scheinlich startet der katalytische Zyklus der MCR nach Bindung von CoB mit einer ge- schwindigkeitsbestimmenden Konformationsänderung im aktiven Zentrum, welche ihrerseits die Wechselwirkung zwischen Methyl-CoM und Ni(I) begünstigt. So weiß man, daß die Inaktivierung von MCRred1 zu MCRred1-silent durch 2-Bromethansulfonat wie auch das EPR-Signal nach Zugabe des Substratanalogons CoM unmittelbar von der CoB-Konzentration abhängen und daß Experimente zur Steady-State-Kinetik klar für die Existenz eines ternären Komplexes sprechen (siehe Abschnitt II 1.2).
Für den Reaktionszyklus der MCR werden im wesentlichen drei Mechanismen po- stuliert (siehe Abb. II-2), welche allesamt über Thiyl-Radikale laufen, wobei in den Schemen I und III auch anionische Disulfid-Radikale auftreten. Diese Spezies spielen ebenso eine Schlüsselrolle bei der Reduktion von Ribonucleotiden. Die Standard-Re- duktionspotentiale für die Redoxpaare Thiyl-Radikal/Thiol und Disulfid/Disulfid-Radi- kal-Anion relativ zur Normalwasserstoffelektrode betragen +1.3 V beziehungsweise
−1.4 V und liegen damit weiter auseinander als die E0‘-Werte für Ni(III)F430/Ni(II)F430 (≈ +1.3 V) und Ni(II)F430/Ni(I)F430 (−0.6 V).
Mechanismus I, basierend auf früheren Arbeiten zur Reaktivität von Ni(I)F430 mit artifiziellen Substraten, geht primär von einer SN2-Methylierung am Ni(I)-Zentrum durch Methyl-Coenzym M aus. Die folgende 1e−-Oxidation von CoM durch Methyl- Ni(III) liefert ein protoniertes CoM-Thiyl-Radikal-Kation und Methyl-Ni(II), welches schließlich mit H+ in einer SE-Reaktion zu CH4 und Ni(II) abreagiert. Das entstandene CoM-Thiyl-Radikal im aktiven Zentrum bewegt sich in Richtung des CoB-Thiolates und bildet mit diesem − in enger Analogie zur Ribonucleotid-Reductase − ein radikalisches Disulfid-Anion, welches Ni(II) zur aktiven Ausgangsstufe Ni(I) reduziert und selbst zum CoM-CoB-Heterodisulfid oxidiert wird. Dabei könnte der Elektronentransport zu Ni(II) über das Thioglycin Glyα445 erfolgen, dessen Thion-Schwefel über Wasserstoffbrücken zum Amid-Stickstoff von Asnα481 wiederum mit dem Thiol-Schwefel von CoB interagiert.
Als Intermediat wäre ein Thioketyl-Radikal denkbar, welches aus einem Thioamid und
Ni(I) CH3
S SO
3
Ni(III) CH3
HS SO
3
Ni(II) CH3
S SO
3
R SH
R S
R S
Ni(II)
S SO
3
R S
+ CH4 Ni(I)
S SO
3
R S Coenzym B
Me-CoM
Heterodisulfid
SN2 1e-Transfer
S SO
3
R S H I
1e-Transfer
•
•
•
H+
Ni(II)
S SO3
R S S
SO3
Ni(II)
•CH3 R
SH
Ni(I) Me-CoM H3C
S SO
3
Ni(I) R
SH Coenzym B
H•-Transfer
1e-Transfer
S
SO3
Ni(II) +CH4
R S•
S SO3
R S SRN
•
S SO
3
R S
Ni(II) CH3
Ni(II)
S SO
3
R S
+CH4
S SO
3
Ni(I) CH3
R
S
Ni(I) Me-CoM CH3
S SO
3
Ni(I) R
S Coenzym B
1e-Transfer
Heterodisulfid
X R
SH I
X• XH•
XH•
•
•
Abb. II-2. Postulierte Mechanismen I-III für den Reaktionszyklus des Enzyms MCR.
I
II
III
dem besagten Disulfid-Radikal-Anion entsteht. Was das Protoneninventar anbetrifft, so startet die initiale Methylierung von Ni(I) mit einer vorausgehenden − oder wahr- scheinlicher − konzertierten Protonierung von Methyl-CoM über Tyrα‘333 oder Tyrβ367 zur entsprechenden Sulfonium-Spezies, wobei die Sulfanyl-Gruppe von CoB als eigentli- cher H+-Donator fungiert. Entsprechende Analogien findet man in den Kristallstruktu- ren von o-Hydroxyphenyl- oder o-Hydroxybenzyl-Thioethern (5- und 6-gliedrige Ringe) sowie von (Benzothio)pyran- und Thianthren-Derivaten. Das CoB-Proton in Form des CoM-Thiyl-Radikal-Kations, dessen Acidität deutlich höher liegt als diejenige von CoM oder CoB, dient schließlich zur Protolyse von Methyl-Ni(II), welche als irreversibler Schritt alle vorausgehenden wie nachfolgenden Reaktionen antreibt. Mechanismus I wird unterstützt durch die experimentellen Befunde, daß MCRred1 mit 3-Brompropansul- fonat zu MCRBPS mit Alkyl-Ni(III) ↔ Alkylradikal-Ni(II)-Struktur reagiert und daß Ni(I)F430Me5 in aprotischen Lösungsmitteln mit Iodmethan zu Methyl-Ni(II) umgesetzt werden kann, welches seinerseits leicht zu Methan und Ni(II)F430Me5 protolysiert.
Daß die Umsetzung von Ethyl-Coenzym M zu Ethan mit weniger als 1 % der katalyti- schen Aktivität der Methanogenese erfolgt, spricht ferner für einen SN2-Mechanismus im ersten Schritt. Die Stabilisierung des MCRred1-EPR-Signals durch Methyl-CoM in Abwesenheit von CoB kann dahingehend interpretiert werden, daß die elektrophile Methylierung von Ni(I)F430 obligatorisch eine Protonierung von Methyl-CoM zum Sul- fonium-Derivat voraussetzt. Allerdings besitzen Dialkylsulfonium-Verbindungen einen pKa-Wert von ca. −5.5 und benötigen für eine Halbionisierung mindestens 68 %ige Schwefelsäure (vgl. Arnett, 1963: 324), so daß es sehr fraglich erscheint, ob in biolo- gischen Systemen derartige Säurestärken größenordnungsmäßig überhaupt erreicht werden können. Außerdem sind sowohl die UV/VIS- als auch die EPR-Spektren für ak- tives Enzym und freies, vierfach koordiniertes Ni(III)F430Me5 deutlich verschieden, was nicht zuletzt durch die unterschiedlichen Koordinationssphären bedingt ist.
Im Gegensatz hierzu beginnt Mechanismus II, entworfen vor Kenntnis der Kristall- struktur von MCRsilent, mit der Aktivierung des Thioethers Methyl-CoM durch das CoB- Thiyl-Radikal zum entsprechenden Sulfuranyl-Radikal. Letzteres reagiert mit der eben- falls radikalischen Spezies Ni(I)F430 (17 Valenzelektronen) über SR zum CoM-CoB- Heterodisulfid und Methyl-Ni(II), welches analog zu Mechanismus I unter Protolyse Methan freisetzt. Der Katalysezyklus benötigt in diesem Fall eine weitere redoxaktive Gruppe X, welche die initiale Einelektronenoxidation von CoB−SH zum Thiyl-Radikal
bewerkstelligt. Während Ni(II)F430 als möglicher Elektronenakzeptor ausscheidet, da nur die Ni(I)-Form aktiv Substrate umsetzt, käme die bislang ausschließlich in MCR ge- fundene Aminosäure Thioglycin (Glyα445) in Frage. Als protoniertes Thioketyl-Radikal würde diese das vierte H-Atom im freigesetzten Methan liefern und danach als Radikal- Anion Ni(I) regenerieren. Auf intermediäre Methyl-Ni(III)-Spezies kann hierbei verzich- tet werden, und die Existenz mehrerer methylierter Aminosäuren (Arg, Cys, Gln, His) in der α-Untereinheit der Methanothermobacter-MCR weist möglicherweise auf die Entstehung von Methyl-Radikalen im Katalysezyklus hin (siehe Kapitel II 1.1).
Auf Grund von DFT-Berechnungen kamen Pelmenschikov et al. (2002/2003) zur Überzeugung, daß Mechanismus I thermodynamisch nicht plausibel ist. Stattdessen formulierten sie Mechanismus III, wonach das Ni(I)-Zentrum nicht am Methyl-Kohlen- stoff, sondern in einer SRN-Reaktion am Thioether-S des Methyl-Coenzym M angreift.
In Folge treten dann anstatt eines Methyl-Nickel-Derivates Ni(II)-Thiolat neben einem Methyl-Radikal als Zwischenprodukte auf. Die weiteren Schritte verlaufen gemäß Schema II-2 über H•-Abstraktion von CoB−SH mit Freisetzung von CH4, Bildung des CoM-CoB-Disulfid-Radikal-Anions und Reduktion von Ni(II) analog zu Mechanismus I.
In ihrer ersten Veröffentlichung 2002 gehen die Autoren von einem Methyl-Radikal als kurzlebiges reales Zwischenprodukt aus, welches H• in einem zweiten rascheren Schritt von CoB−SH abstrahiert. Die nachfolgende Publikation im Jahre 2003 be- schreibt hingegen die •CH3-Freisetzung aus Methyl-CoM mit der H•-Abstraktion durch naszierendes •CH3 in einer konzertierten, geschwindigkeitsbestimmenden Aktion mit einer vorausgesagten Aktivierungsenergie von rund 80 kJ mol−1. Für den hier postulier- ten Reaktionszyklus spricht klar die Beobachtung, daß Coenzym M mit seinem Thiol- Schwefel in aktiver MCR bei Anwesenheit von Coenzym B reversibel an Ni(I)F430 ko- ordiniert. Gegen Mechanismus III läßt sich die Beobachtung anführen, daß MCR das Substratanaloge Ethyl-Coenzym M nur mit sehr geringer Effizienz zu Ethan reduziert und Allyl-Coenzym M überhaupt nicht metabolisiert, obgleich Letzteres als kompetiti- ver Inhibitor vom Enzym gebunden wird (Ki = 0.1 mM) und obgleich das Ethyl- als auch insbesondere das Allyl-Radikal gegenüber •CH3 thermodynamisch wesentlich bevor- zugt sind.
In hinblick auf die anaerobe Oxidation von Methan durch MCR werfen alle drei dis- kutierten Mechanismen Probleme auf. Reaktionszyklen I und II würden mit der Inser- tion von Ni(II)F430 in eine C−H-Bindung des Methans unter simultaner Freisetzung ei-
nes Protons starten, was aufgrund der geringen Elektrophilie von Ni(II) (E0‘ ≈ −0.6 V) in Verbindung mit der minimalen Acidität von CH4 (pKa > 48) a priori ausscheidet. Auch die Methanaktivierung gemäß Mechanismus III bringt einige Schwierigkeiten mit sich, da die Umsetzung eines Thiyl-Radikals mit Methan zu einem Methyl-Radikal und Thiol aufgrund der Bindungsdissoziationsenergien für C−H von 439 kJ mol−1 und für S−H von 365 kJ mol−1 thermodynamisch ungünstig liegt. Denkbar wäre aber eine Modifikation von Mechanismus I, worin aus Methyl-CoM und Ni(I)F430 wiederum Methyl-Ni(III) ent- steht, welches ohne vorherige Reduktion direkt zu CH4 und Ni(III)F430 protolysiert wird. Diese Spezies kann man als „Superelektrophil“ (E0‘ > 1 V) auffassen, welches CH4 in End-On- oder Side-On-Orientierung metalliert, wie dies auch für die C−H-Akti- vierung über hochvalente Metallkomplexe beschrieben wird.
Die experimentell aufgefundene Halbseiten-Reaktivität der MCR (siehe Kapitel III 1.1) legt einen „Zweitakter“-Mechanismus des Enzyms nahe, das heißt endergone Katalyseschritte in dem einen Zentrum wären simultan mit exergonen Reaktionen in der gegenüberliegenden aktiven Stelle gekoppelt. So weisen MCRred1/silent-Präparatio- nen in der Tat stark verringerte Methanbildungsraten auf (vgl. Jaun and Thauer, 2007:
345-349; Thauer, 1998: 2394 f.; Thauer and Shima, 2008: 164 f.).