• Nenhum resultado encontrado

Danksagung

2. Ökolinguistik: Eine aufstrebende Disziplin

2.4 Ökolinguistik nach den 90er Jahren

Nach den 90er Jahren kommen also drei Haupttraditionen ökolinguistischer Forschung zum Vorschein, d.h. nicht nur die Haugenische und die Hallidaysche, sondern auch die biolinguistische Tradition48 (LeVasseur 2015: 22, Chen 2016: 110).

Nettle/Romaines (2000) Konzept der biolinguistischen Diversität haben viele Forscher bis heute erweitert, und zwar zu den folgenden Kernpunkten:

Sprachgemeinschaften (Kipp 2008; Nortier 2008), ethnolinguistische Gruppen (Chebanne 2008), Sprachvarietäten (Collins 2008; Suleiman 2008), indigene Sprachen (López 2008), kulturelle/sprachliche Assimilation (Wang 2008), Nomadensprache (Sercombe 2008), Sprachwechsel (Fraser Gupta 2008), Sprachtod bzw. Linguizid, Spracherhalt, Sprachen-/Menschenrechte (Crystal 2000, Mühlhäusler 2001a, Skutnabb-Kangas 2001, Tosi 2008, Skutnabb-Kangas/Phillipson 2008, Edwards 2008, Baldauf/Kaplan/Kamwangamalu 2010) und Sprachenpolitik (Ricento 2000; Hornberger 2006, 2009; Creese/Martin 2008; Kaplan/Baldauf 2008). Obwohl die biolinguistische Tradition der am meisten erforschte Bereich der Ökolinguistik ist, würde eine umfangreiche Auseinandersetzung damit den Rahmen der vorliegenden Dissertation sprengen.

48 Beide LeVasseur (2015) und Chen (2016) gliedern drei Hauptkategorien auf. Die biolinguistische Tradition könnte aber auch als die Kombination der ersten zwei interpretiert werden und nicht als eigenständige Kategorie, da sie sich vorwiegend mit den Folgen der Globalisierung und der daraus ergebenden Machtrelationen auf Minderheitssprachen beschäftigt. Nettle/Romaines (2000) biolinguistische Diversität und Maffis (2001, 2005) biokulturelle Diversität wird mit Biodiversität verglichen, indem Sprachtod bzw. Spracherhalt in Zusammenhang mit Umweltfragen untersucht wird.

33 2.5 Die vielen Gesichter ökolinguistischer Forschung

Wie vom historischen Überblick schon ersichtlich wurde, gibt es, auch nach Meinung der Autorin, vielmehr ökolinguistische Richtungen bzw. Paradigmen statt eine einheitliche ökolinguistische Theorie. Obwohl dieser mäßig etablierte Bereich der Linguistik von Ökolinguisten eher als Theorie betrachtet wird (LeVasseur 2015; Chen 2016), lässt sich dies von den Standpunkten, die die bisherigen ökolinguistischen Studien vertreten, nicht klar feststellen. Dies deutet auf einen Grad Unbestimmtheit der Funktion der Ökolinguistik hin und stellt infolgedessen einen Punkt zur Kritik. In den frühen 2000er Jahren nahmen Finke/Strohner dazu Stellung, wie ökolinguistische Forschung zu interpretieren ist:

„Wenn wir die bisherige ökolinguistische Literatur kritisch mustern, kommen wir nicht zu einer Einstufen-Entscheidung. Für all vier Stufen (1. neue Inhalte, 2. neue Methode, 3. neues Paradigma, 4. neue Wissenschaft) gibt es Beispiele. ... der Löwenanteil der bisher veröffentlichten ökolinguistischen Arbeit (steht) auf der ersten, der ‚Stufe des geringsten Risikos‘. Es gibt sehr viele Untersuchungen ..., die sich methodisch nicht oder kaum von herkömmlichen Vorgehensweisen unterscheiden, beispielsweise problemlos in den Bereich der Kommunikationsanalyse oder der Soziolinguistik eingeordnet werden können. Diese Untersuchungen sind oft von großem Wert, weil sie eine inhaltliche Perspektive auf Sprache zur Geltung bringen, die bislang nicht gesehen oder vernachlässigt wurde. ... Hier wird die Potentiale, die im ‚ecological point of view‘ liegen, ... genutzt“ (Finke/Strohner 2001: 274).

Natürlich wurden seitdem ökolinguistische Inhalte präzisiert, besonders was die Definition ökolinguistischer Forschung angeht, doch bleibt deren Funktion immer noch offen. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, dass Forscher, die sich an dem ökolinguistischen Modell anlehnen möchten, die Ziele ihrer Entscheidung genügend bestimmen. Weiterhin wird festgelegt, wie das ökolinguistische Model im Rahmen der vorliegenden Dissertation eingesetzt wird, und welche Zwecke dies erfüllt.

34 Um die oben beschriebene Unbestimmtheit des ökolinguistischen Modells zu mildern, leisteten Kramsch/Steffensen (2008) eine vorläufige Skizzierung der Kernpunkte eines ökologischen Ansatzes in Bezug auf Linguistik und zwar auf AL:

 „... die Erforschung dessen, wie Sprache unsere natürliche und soziale Umgebung widerspiegelt, ablenkt, und verstellt (siehe Teil 3 in Fill/Mühlhäusler 2001),

 der Einsatz von weit verbreiteten Theorien, z.B. der Kritischen Diskursanalyse oder der Systemisch-Funktionalen Linguistik, um zu analysieren, wie ökologische Krisen in Grammatik und Diskurs ausgedrückt werden und dadurch gegeben sind (siehe Teil 4 in Fill/Mühlhäusler 2001;

Mühlhäusler/Harré/Brockmeier 1999),

 die Entwicklung neuer ökologischen Theorien in Bezug auf Sprache, Grammatik, und Diskurs (Finke 2001; Bang/Døør 2007)“49.

Darauf basierend formulierten Steffensen/Fill (2014) den Rahmen einer sprachlichen Ökologie neu:

 „Sprache existiert in einer symbolischen Ökologie: Diese Annäherung erforscht die Ko-Existenz von Sprachen oder ‘symbolischen Systemen’

innerhalb eines bestimmten Raums50.

 Sprache existiert in einer natürlichen Ökologie: Diese Annäherung erforscht, wie sich Sprache auf das biologische und ökosystemische Umfeld bezieht (Topographie, Klima, Tier- und Pflanzenwelt usw.).

49 „1. the study of how language reflects, refracts, and distorts our natural and social environment (see part 3 in Fill und Mühlhäusler, 2001)

2. the use of well-known theories, e.g. Critical Discourse Analysis or Systemic Functional Linguistics, in analyzing how ecological crises are expressed in, and constituted by, grammar and discourse (see part 4 in Fill und Mühlhäusler, 2001; Mühlhäusler, Harré, and Brockmeier, 1999) 3. the development of new ecological theories of language, grammar, and discourse (Finke, 2001;

Bang and Døør, 2007)“ (Kramsch/ Steffensen 2008: 17-18) (übers. von E. V.).

50 Im Kontext von Steffensen/Fill (2014) deutet ‚area‘ eher auf physische Geographie bzw. auf ein natürliches Gebiet. Trotzdem lässt sich der Raumbegriff auch auf z.B. virtuelle Räume, Institute bzw.

Schulen als soziopolitisch konstituierte Räume, physische sowie psychische Räume der Identität, usw.

übertragen.

35

 Sprache existiert in einer soziokulturellen Ökologie: Diese Annäherung erforscht, wie sich Sprache auf die sozialen und kulturellen Mächte bezieht, die die Bedingungen von Sprechern und Sprachgemeinschaften formen.

 Sprache existiert in einer kognitiven Ökologie: Diese Annäherung erforscht, wie Sprache vom Kräftespiel zwischen biologischen Organismen und ihrem Umfeld aktiviert ist, während der Schwerpunkt auf diejenigen kognitiven Kapazitäten gelegt wird, die zur flexiblen, adaptiven Handlungsweise von Organismen veranlassen“51 (Steffensen/Fill 2014: 7).

Die vier Kategorien der Ökologie von Steffensen/Fill (2014), in der Sprecher ihre Absichten durch die Sprache verwirklichen, deuten, wie alle ökologischen Annäherungen, auf holistische Theorien hin, die die Sprache als ein in Wechselwirkung mit demographischen, sozialen, kulturellen, psychologischen, interaktionellen, politischen, ethnographischen Parametern (Haarmann 1980: 199) bestehendes Konstrukt betrachten. Der ökolinguistische Ansatz spricht also für Holismus aber gegen Standardisierung, da das Individuum und dessen umgebenden äußeren und inneren Bedingungen im Mittelpunkt stehen. „Holismus schätzt Diversität“ 52 (Kramsch/Steffensen 2008: 18). Es ist genau der Prozess der Hervorhebung bzw. Wiederhervorhebung des Individuums in globalisierten, neoliberalen Milieus durch den ökologischen Ansatz, was nach Félix Guattari53 zu

51 „- Language exists in a symbolic ecology: this approach investigates the co-existence of languages or

‘symbol systems’ within a given area.

- Language exists in a natural ecology: this approach investigates how language relates to the biological and ecosystemic surroundings (topography, climate, fauna, flora, etc.)

- Language exists in a sociocultural ecology: this approach investigates how language relates to the social and cultural forces that shape the conditions of speakers and speech communities.

- Language exists in a cognitive ecology: this approach investigates how language is enabled by the dynamics between biological organisms and their environment, focusing on those cognitive capacities that give rise to organisms’ flexible, adaptive behaviour“ (Steffensen/Fill 2014: 7) (übers. von E. V.).

52 „[...] holism values diversity“ (Kramsch/Steffensen 2008: 18) (übers. von E. V.).

53 Im Rahmen der vorliegenden Studie wurde Guattari's Begriff der Ökosophie in Zusammenhang zur ökolinguistischen Forschung berücksichtigt und nicht Arne Naess's Interpretation, da Naess glaubt, dass „Menschen keinerlei Interesse daran zeigen, was sie als völlig unterschiedlich als sich selbst halten“ (Naess 1995: 15). Guattari's Begriff steht in engerem Zusammenhang zum Standpunkt der vorliegenden Dissertation, denn Guattari interpretiert autopoiesis wie folgt: „der Mensch sucht in dem

36 einem Einblick in die Dispositive der Produktion von Subjektivität führen würde (Guattari 1989/2000: 34).