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Danksagung

3. Zum Stellenwert Symbolischer Kompetenz in der Fremdsprachenlehr-/lern- und Evaluationsforschung

3.6 Grundkonzepte zur näheren Erläuterung der Symbolischen Kompetenz

3.6.5 Soziopolitische Anhaltspunkte

84 Zielsprache sprechen, prägen neue zeiträumliche Umstände. Zu dieser Situation tragen auch die neuesten pädagogischen Aufforderungen der Diversität und besonders der Inklusion bei. Um denen zu folgen, sollen jetzt alle Bezugssubjekte diese neuen zeiträumlichen Umstände sowie ihre Identitäten umwälzen.

Auf dieselbe Weise ist auch die Prüfungssituation bzw. der Prüfungsraum als Raum der Erfahrung zu betrachten, in dem Spannungen entstehen, so wie in Klassenräumen.

Obwohl die Teilnehmer bestimmte Rollen annehmen (Prüfer- und Kandidatenrolle), heißt das nicht, dass sie identitätsfrei bzw. -neutral an der Interaktion teilnehmen und dass sie außer Prüfer und Kandidat auch soziale Akteure sind, die mit bestimmten institutionellen Rahmen, unterschiedlichen Grenzen der Erfahrung, unterschiedlichen kulturellen Vorstellungen und soziopolitischen Hintergründen in den Prüfungsraum kommen. Um der Validität willen herrscht die Tendenz, Prüfungssituationen als neutrale, kontrollierte Räume zu betrachten. Prüfungsräume als Räume der Erfahrung anzusehen, zielt darauf ab, das Eigene und das Fremde unter standardisierten Umgebungen zu erforschen. In weiteren Kapiteln werden fremdsprachliche mündliche Prüfungsinteraktionen aus ökolinguistischer Perspektive näher diskutiert.

85 Folgen auf den Diskurs mit sich bringen162 und dass „diskursive Praxis die Praxis der symbolischen Herstellung von Gegenständen, deren Materialisierung sowie deren Re- Produktion durch Konstitution von Bedeutung und Sinn in einer komplexen gesellschaftlichen Praxis meint“ (Bublitz 1998: 9). Anschließend daran wird der Bedarf an einer funktionelleren Kompetenz als die interkulturelle Kompetenz ersichtlich, die sprachliche Gegenstände auf der symbolischen Ebene nicht nur materialisiert, sondern auch durch Anpassung an komplexe soziale Felder rekonstruiert. Der entscheidende Schritt von der kommunikativen und der interkulturellen bis zur symbolischen Kompetenz wird im Weiteren ausführlich dargestellt.

Kramsch (2008, 2009, 2011) kritisiert scharf die soziopolitischen Gründe, die zur Entwicklung des Konzeptes der symbolischen Kompetenz führten. Komplexe globalisierte Felder erzeugen komplexe Beziehungen zwischen Sprache und Kontext, zwischen Sprache und Kultur. Die kommunikative Methode sowie der interkulturelle Ansatz als Fortsetzung deren im Bereich des Fremdsprachenlernens vermittelten einen engen Bezug zwischen „der formalen Natur der L2 und einer vermuteten nationalen Kultur“163 (Kramsch 2008: 21). Einheitliche Kulturbilder sind nicht nur aufgrund der extensiven Globalisierungsphänomene und des davon abgeleiteten kulturellen Pluralismus unbeständig. Individuen entwickeln aber auch adaptieren eine

162 Was globalisierte Gesellschaften also angeht, spricht man zwar über unterschiedliche Kulturen, aber innerhalb der Kulturen sind unterschiedliche diskursive Praktiken zu beobachten. Die Frage, ob man eher über diskurswirksame Bestände einer Kultur oder über kulturwirksame Bestände eines Diskursstils sprechen sollte, wäre Gegenstand einer breiteren Diskussion und würde den Rahmen der vorliegenden Dissertation überschreiten. Interessante Einsichten zum Thema Sprache, Kultur und Diskurs sind in Keller/Hirseland/Schneider/Viehöver (2001); Wengeler (2003) u.a. zu finden. Was die Beziehung zwischen Kultur und Diskurs betrifft, wird im Rahmen der Dissertation in Anlehnung an den Foucaultschen Diskursbegriff die Meinung vertreten, dass Diskurse Elemente des Archivs einer Kultur sind (Foucault 1973). „Das Archiv regelt das Erscheinen von diskursiven Ereignissen, „die sich hierdurch dem Code einer historisch gegebenen Kultur unterwerfen“ (Lichtblau 1999: 237 in Bublitz 2001: 251)“. Zur Kultur/Diskurs-Debatte argumentiert Kramsch (2002, 2008): „[...] culture has become discourse, i.e., a social semiotic construction - a portable culture, that lives from retellings through verbal narratives, film, music and other meaning making practices “.

163 „[...] the standard nature of the L2 with the putative standard national culture“ (Kramsch 2008: 21) (übers. von E. V.).

86 kulturelle Identität, die den Normen und Bedürfnissen ihrer Umgebung bzw. ihrer Mitmenschen wiederspiegelt. Diesen Zusammenhang zwischen dem Menschen und den ihm umgebenden Milieus machte schon Bourdieu (1982) durch seinen Konzept der Reproduktion deutlich. Hier wäre jedoch ein weiterer Aspekt zu diskutieren, nämlich die Reproduktion kultureller Identitäten, die zugunsten Trägern anderer Kulturen adoptiert werden164, d.h. sie sind verfälscht durch das subjektive, von 'Außenstehenden' auferlegte Bild einer (National)kultur oder sie werden durch performative Praktiken den Außenstehenden verfälscht/anders präsentiert165. Im Allgemeinen kommt man also zur Feststellung, dass die Vernetzung der Individuen, der Umwelt und der Kultur durch Querverweise und Referenzen eine Art Interdiskursivität impliziert, deren Voraussetzungen aufgrund der oben beschriebenen Denationalisierung der Kultur neu bestimmt werden sollten.

Zur performativen Breite innerhalb von Kulturen trägt nach Kramsch (2008) zunächst die Tatsache bei, dass „für viele Fremdsprachenlerner Kultur deterritorialisiert ist“166 (2008: 6). Kramsch argumentiert, dass „gewissen Lernergruppen Fremdsprachen beigebracht werden, die sich mit keiner konkreten Sprachgemeinschaft identifizieren“167 (2008: 6), d.h. Lerner kommen in Kontakt mit einer Kultur, die jenseits der Intelligibilitätsmatrix nur im Reich der Erinnerungen existiert. Dies ist der Fall besonders bei gefährdeten Sprachen und nicht anerkannten Minderheitssprachen168, die oft sowohl von bildungspolitischen Entscheidungsträgern

164 „[…] performance of identities that might not be recognized as one’s own but are acted out for the benefit of outsiders“ (Kramsch 2008: 21) (übers. von E. V.).

165 Ethnopolitisch betrachtet könnte diese Verfälschung einer Nationalkultur zugunsten von Trägern anderer Kulturen im schlimmsten Fall zum kulturellen Imperialismus führen. Im Allgemeinen aber unterstützt die Idee der Reproduktion verfälschter Identitäten teilweise das Konzept des normativen kulturellen Relativismus; es ist die Norm, dass es nur unterschiedliche Normen/Kulturen geben kann.

Zwischen verschiedenen (National)kulturen aber auch innerhalb derselben (National)kultur sei nur starke performative/diskursive Abweichung festzustellen.

166 „ [...] for many language learners culture has become deterritorialized“ (Kramsch 2008: 6) (übers.

von E. V.).

167 „ […] are learning a language that is no longer associated with an identifiable speech community“

(Kramsch 2008: 6) (übers. von E. V.).

168 Tote Sprachen, Altgriechisch und Latein, zählen auch dazu, doch die Gründe für ihr Erlernen sind nicht dieselben wie für das Erlernen von gefährdeten Sprachen und Minderheitssprachen.

87 als auch von Lernern selbst als untergeordnete Sprachen und deswegen als nicht lernenswert betrachtet werden. Zu Deterritorialiserung von Kultur könnte auch folgendes Beispiel gehören: Weichen das Zielland der gelernten Sprache und das Land des Lerners geographisch und historisch voneinander ab und gehört die Zielsprache nicht zu den Dominanzsprachen, dann lässt sich zwar die Sprache mit einer Sprachgemeinschaft identifizieren, doch sind Identifikationsprozesse sehr schwach, da dem Lerner das ferne Land ‚exotisch‘ scheint; kulturelle Brücken sind dann unintelligibel. Spricht man über historische Brücken, argumentiert Kramsch (2008) weiter, dass Kultur in globalisierten Zeiten aufgrund starker Migration, Diaspora und Technologie in Bezug auf Medienkommunikation dehistorisiert wurde.

„Durch Videos und Fernsehen und die Fortschritten elektronischer Kommunikation, Internet Chatrooms und anderen Formen computervermittelter Technologie werden fremde Kulturen von ihrem historischen Kontext entnommen und exotisiert“169. Medienvermittelte Netzwerke bringen zwar vorerst das Individuum in den Vordergrund, das dann aber „über seine Beziehungen zu Individuen und Gruppen in Wertediskurse eingebunden wird“ (Krotz 2011: 40) und somit transnationale Zusammenhänge aufbaut, die nationale Gesellschaften und Gemeinden beeinflussen und zu deren Dehistorisierung beitragen. Darauffolgend dienen erweiterte Zugriffsmöglichkeiten dazu, dass Kultur fragmentarisiert wird. Individuation als Kernprinzip digitaler Medien führte zur Verwandlung von ethnischen bzw. kulturellen Gemeinschaften und Gemeinden „in klassen-, berufs-, geschlechts-, alters- oder interessenspezifische Gruppen“170 (Kramsch 2008: 6-7). „Die Gesellschaft verliert also ihre Legitimation als maßgebliche, ordnungsstiftende und sinngebende Institution. Was übrig bleibt ist das Zurückgeworfensein auf die eigene Individualität [...]“ (Plank 2012: 35). Aus einer interaktiv-symboltheoretischen Perspektive ist es wichtig zu kommentieren, dass Medien nach Saxer (1999: 6 in Donges 2006: 564) als

„komplexe institutionalisierte Systeme“ bzw. als sinnkonstruierende Orte aufgefasst werden, in denen soziale Akteure den kodierten Sinn in der Kultur bzw. in dem Diskurs aufnehmen und ihn handlungspraktisch umsetzen.

169 „Through video and television and the advances of electronic communication, internet chatrooms and other modes of computer-mediated technology, foreign cultures are easily taken out of their live s historical contexts and exoticized“ (Kramsch 2008: 6) (übers. von E. V.).

170 „[...] into class or occupation-specific, gender-, age or interest-specific groups“(Kramsch 2008: 6-7) (übers. von E. V.).

88 Resümierend lässt sich sagen, dass für die obige Kategorisierung anhand von Identitätsmerkmalen sowie für alle bis an diesem Punkt beschriebenen kulturellen Verwandlungen die Relativierung der Kultur in globalisierten Umfeldern verantwortlich ist. Die Feststellung von Berger/Luckmann (2004/1966) hinsichtlich der Gesellschaft könnte auf die Kultur übertragen werden: Wissen über die Kultur ist demnach Verwirklichung im doppelten Sinne des Wortes: Erfassen der objektivierten kulturellen Wirklichkeit und das ständige Produzieren eben dieser Wirklichkeit in einem 171 . Obwohl Kulturpessimismus häufig als Gegenreaktion gegenüber bestehenden sozialen bzw. politischen Strukturen angesehen werden könnte, verdrängt die multimediale Wende die Kultur nicht, sondern es handelt sich vielmehr um einen Wandel der Dynamiken zwischen Sprache, Kultur und Kommunikation; in diesem neu geformten plurikulturellen Rahmen werden Sprecher bzw. Sprachenlerner aufgefordert, als Sinn(re-)konstrukteure ihre Identitäten auszumachen.